Trump spaltet die Sitcom-Familie

Mit der zehnten Staffel landet „Roseanne“ in der Gegenwart und verhandelt subtil aktuell Themen. Eine gelungen Fernsehrückkehr nach 21 Jahren Pause.

Adam Rose/AP
Nach 21 Jahren wieder auf der Couch: Roseanne (Roseanne Barr) und Dan (John Goodman).

Einige Klassiker der TV-Unterhaltung sind in jüngster Zeit wiedergekom men, von „Full House“ und „Gilmore Girls“ bis zu

„Dallas“. Aber bei keiner dieser Serien, nicht einmal bei David Lynchs „Twin Peaks“, ist die Rückkehr so geglückt wie bei der Sitcom „Roseanne“. Dem Team um die heute 65-jährige Schauspielerin Roseanne Barr ist es gelungen, Farbe und Charakter der Serie zu bewahren und diese dennoch gekonnt ins heutige Amerika zu setzen.

Gleich geblieben ist zum Beispiel das legendäre Intro mit der jazzigen Saxofon-Melodie und Roseannes dreckigem Lacher am Schluss. Küche, Wohnzimmer und Garage der Conners sehen beinahe unverändert aus. Auf dem schmalen Fensterbrett über der Abwasch steht ein kleiner Plastik-Troll mit hellblauen, zu Berge stehenden Haaren. Ein Relikt aus den Neunziger Jahren, als diese seltsamen Figuren Einzug in die Kinderzimmer sehr junger Teenager hielten, eine Erinnerung auch an die Zeit, in der die Serie zu Ende ging. In neun Staffeln, von 1988 bis 1997, wurde der Alltag der Unterschichtfamilie Conner aus Lanford, Illinois erzählt. Der Ton zwischen Roseanne, ihrem Mann Dan (John Goodmann) und den vier Kindern Becky, Darlene, DJ und Jerry war zwar geprägt von einer neuen Rauheit im Unterhaltungsfernsehen, doch insgesamt waren die Conners noch liebevoller und damit glaubwürdiger als die Bundys aus der anderen, der „schrecklichen netten“ Sitcom-Familie.

Am Dienstagabend kehrten die Conners nach 21 Jahren Pause ins US-Fernsehen zurück – und Dan lebt wieder. Wir erinnern uns: Er war in der letzten Folge 1997 gestorben. Die ersten beiden neuen Folgen bescherten dem Sender ABC (in Europa gibt es bisher noch keinen Verleiher) 18,2 Millionen Zuseher. Darunter war auch der US-Präsident Donald Trump, der Roseanne Barr, so berichtet die „New York Times“, tags darauf persönlich zum gelungen Neustart gratuliert haben soll. Kein Wunder, dass ihm die Serie gefällt, er kommt darin vor, als Spalter der Familie. Roseanne hat Trump gewählt (in der Serie und im realen Leben) und beendet das Tischgebet mit den Worten: „Lord, thank you for making America great again“. Ihre Schwester Jackie (gespielt von Laurie Metcalf) hingegen verdreht bei solchen Gebeten die Augen. Sie geht als glühende Feministin mit rosa Strickmütze und „Nasty Woman“-Shirt auf die Straße, um gegen Trump zu demonstrieren. Seit der US-Wahl haben die Schwestern wegen ihrer politischen Differenzen kein Wort gesprochen, doch Tochter Darlene, die, arbeitslos und zweifache Mutter, wieder bei den Eltern eingezogen ist, bringt die Streit-Schwestern zurück an den gemeinsamen Küchentisch.

Fake News, Syrien, Leihmutterschaft 

In den Familiengesprächen, oder eher: Streitereien klingt viel Aktuelles an: Roseanne und Dan, Mitte 60, deutlich schlanker, aber nicht besonders fit, teilen sich aus Geldmangel ihre Medikamente. Sie haben Trump gewählt, weil er mehr Arbeitsplätze versprach. Als Jackie ihre Schwester fragt, ob sie die Nachrichten verfolge, „heute geht es uns noch schlechter“, antwortet Roseanne: „Aber nicht in den echten Nachrichten“, ein Hinweis auf Fake News und Trump-freundliche Medien wie Breitbart.

Sohn DJ ist Soldat, gerade aus Syrien zurückkehrt und kümmert sich um seine Tochter Mary, während seine Frau noch immer im Kriegseinsatz ist. Tochter Becky, die Erstgeborene der Conners, ist mittlerweile 43, hat keine Beziehung, aber Schulden und arbeitet als Kellnerin. Deshalb will sie ein Baby für eine Frau namens Andrea austragen, was deswegen lustig ist, weil diese Andrea von Sarah Chalke dargestellt wird, und die spielte in den Staffeln 6, 7 und 9 abwechselnd mit Alicia Goranson die Becky. Nestheckchen Jerry, den wir fast vergessen hatten, ist auf See und hat schon lange keinen Kontakt zur Familie. Besonders besorgt sind Oma und Opa Conner über den neunjährigen Enkel Mark, der gern Mädchenkleider trägt und sich schminkt. Roseanne begleitet ihn deswegen an seinem ersten Schultag in die neue Klasse und erzählte seinen Klassenkameraden, sie sei eine „weiße Hexe“.

Abseits von aktuellen Politik- und Zeitgeist-Bezügen wird, wie in den frühen Folgen, das (Macht-)Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und jetzt auch Enkeln analysiert. Was immer noch lustig sein kann. Wenn etwa Harris, Darlenes Teenager-Tochter, ihrer Oma und ihrer Mutter in der Küche ein dramatisches „Ihr ruiniert mein Leben!“ entgegen schleudert, lacht Großvater Dan am Küchentisch und sagt: „Diesen Film habe ich seit 20 Jahren nicht gesehen. Die Klassiker bleiben uns erhalten.“

 Die Presse, 30.3. 2018

„Grace & Frankie“: Die Männer sind weg, gemeinsam

In der Scheidungscomedy „Grace & Frankie“ spielen Jane Fonda und Lily Tomlin zwei Siebzigjährige, die das späte Coming-out ihrer Männer verkraften müssen. Das ist nicht nur lustig.

Der Tisch im Nobelrestaurant ist bestellt, die Männer, seit Jahrzehnten Partner ihrer gemeinsamen Kanzlei, wollen ihren Ehefrauen Grace (Jane Fonda) und Frankie (Lily Tomlin) etwas sagen. Noch rätseln diese über den Grund des Treffens („Ich habe das Gefühl, sie werden ihren Ruhestand bekannt geben“) und verhandeln mit viel größerem Eifer ihre konträre Einstellung zu Weißbrot. Fünf Minuten später bremst Graces Ehemann, Robert (Martin Sheen), seinen Geschäftsfreund Sol Bergstein: „Ich mache es“, holt einmal tief Luft und sagt zuerst zu Grace: „Ich verlasse dich“, danach zu Frankie: „Und er verlässt dich.“ Auf die scharf zurückgezischte Frage von Grace: „Wer ist sie?“, erwidert er: „Es ist keine Sie, es ist ein Er. Es ist Sol, den ich liebe.“ Und als Frankie fragt: „Wie lang geht das schon?“, zögert ihr Mann und beide sagen: „Zwanzig Jahre.“

Die Eröffnungsszene der neuen Serie „Grace und Frankie“ (seit 8. Mai auf Netflix), die im Englischen zum Genre der Divorce-Comedy zählt, könnte Seriengeschichte schreiben. Als schmerzhaft-komische Coming-out-Szene eines alten Liebespaars, das sich nach langer, heimlicher Beziehung dazu entschließt, seine Zuneigung öffentlich zu machen. „Wir wollen heiraten, weil wir das in Kalifornien jetzt können“, sagen die Männer – und Frankie schießt zurück: „Ich weiß, ich habe Spendengalas dafür organisiert.“

Im Folgenden müssen die Kinder, Nachbarn und Freunde informiert, die gemeinsamen Häuser und Möbel verteilt werden. Aber doch ist in dieser Serie alles anders als in normalen Trennungskomödien, nicht nur, weil es hier um das Leben von vier Mittsiebzigern geht, das sich so spät noch einmal völlig wandelt, sondern weil es eben auch um den Umgang mit der anderen sexuellen Orientierung der Männer geht.

Erstes Abendessen beim Väterpaar

Als die vier erwachsenen Kinder der Paare – die zwei Töchter von Grace und Robert, die zwei Söhne von Frankie und Sol – das erste Mal gemeinsam bei den Vätern abendessen, versuchen zunächst alle betont liberal-normal mit der Situation umzugehen. Erst in der Küche traut sich Tochter Brianna (June Diana Raphael) ihren künftigen Stiefbruder Nwabudike (Baron Vaughn), der selbst gebackenen Kuchen aufwartet, anzuschreien: „Würde es um zwei andere Frauen gehen, würden wir dann Kuchen essen?“

Hier wird nicht nur der sehr unterschiedliche Umgang der zwei sehr unterschiedlichen Frauen mit der Situation geschildert. Einst waren die diszipliniert-verbissene Grace und die esoterisch-künstlerische Frankie so etwas wie beste Feindinnen, nun wurden sie vom Schicksal in das von den Männern (auch als ihr heimliches Liebesnest) vor Jahren gemeinsam erworbene Strandhaus gespült. Es geht auch um den Umgang mit dem Altern und damit, dass man für andere ab einem gewissen Alter als irrelevant gilt. Frankie tippt SMS auf ihrem Smartphone in Riesen-Schriftgröße; wenn Grace aus dem Sitzsack ihrer Tochter aufstehen will, braucht sie Hilfe.

Als ältere Frau würde man oft zur Pointe in Witzen, hat Jane Fonda gerade in einem Interview gesagt, in der Serie von „Friends“-Erfinderin Martha Kaufmann seien die Frauen aber selbst Gestalter der scharfsinnigen Pointen. Leider gleitet der Humor häufig in üblichen, aalglatten Sitcom-Slapstick, doch dank der Hauptdarstellerinnen Jane Fonda und Lily Tomlin, 77 und 75, sieht man dabei dennoch gern zu. Als sie im Supermarkt Zigaretten kaufen wollen, werden sie trotz lauten Rufens minutenlang nicht von dem jungen Mann an der Kasse gesehen. Grace ruft ihm entgegen: „Sind Sie im Koma?“ und explodiert dann furios: „Welches Tier behandelt andere Lebewesen so? Glauben Sie, es ist in Ordnung, uns zu ignorieren, nur weil, weil sie graue Haare hat?“ Danach sitzen die Frauen im Auto, lachen – und rauchen. Frankie hat die Zigaretten gestohlen. Die zwei werden es auch weiterhin lustig haben. Egal ob mit oder ohne Männer.

[Bild-Credit: Melissa Moseley/Netflix]

Anne Frank: Eine Jugend im Hinterhaus

70 Jahre nach dem Tod von Anne Frank im Konzentrationslager wird ihre Geschichte zum ersten Mal von einem deutschen Team verfilmt. Ein behutsamer Film eines aus Afghanistan stammenden Muslims.

Es ist bei Weitem nicht der erste Film über das Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank, das sich im Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie über zwei Jahre in einem Hinterhaus in der Amsterdamer Prinsengracht versteckt hielt. Glaubt man dem Wikipedia-Eintrag, dann wurde ihre Geschichte und das nach der Deportation gerettete Tagebuch bereits 18 Mal verfilmt. Trotzdem ist der Film, der heute, Mittwoch in der ARD (20.15 Uhr) zu sehen ist, eine Premiere. Denn es ist die erste deutsche Produktion, die nun 70 Jahre nach Anne Franks Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen ins Fernsehen kommt. Ursprünglich war sogar noch ein zweiter Film geplant. Das ZDF wollte eine Mini-Serie produzieren, doch das Projekt musste gestoppt werden, weil der in Basel ansässige Anne-Frank-Fonds sein Einverständnis verwehrte.

Nun also stattdessen die ARD und ein Dokudrama in Spielfilmlänge. Verantwortlich dafür ist der aus Afghanistan stammende deutsche Muslim Walid Nakschbandi, was, wie der „Spiegel“ diese Woche betonte, eine schöne Symbolik hat „in einer Zeit, die von Islamismus und neuem Antisemitismus geprägt ist“. Gemeinsam mit Regisseur Raymon Ley entschied der Produzent, Anne Franks Geschichte aus der Sicht des Vaters Otto zu erzählen, der das Konzentrationslager als Einziger seiner Familie überlebt hatte. So beginnt „Meine Tochter Anne Frank“ auch mit Ottos Rückkehr nach Amsterdam kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dort trifft er auf Miep Gies, die treue Seele, die der Familie im Versteck geholfen hatte und die Annes Tagebuch retten konnte. Gemeinsam überlegen sie, ob das Tagebuch veröffentlicht werden soll. „Ich weiß nicht, ob das Anne recht wäre. Es ist doch ihr Tagebuch“, sagt Miep Gies. Doch Otto wendet ein: „Aber es ist auch ein Dokument.“ Er entschloss sich zur Veröffentlichung, strich aber die teils harten Passagen, in denen Anne mit ihrer Mutter haderte. Erst viel später wurden auch diese Stellen aus dem Buch publiziert, im Film werden daher auch die Spannungen zwischen Mutter und Tochter gezeigt.

Es ist ziemlich viel, was Produzent und Regisseur da in einen 90 Minuten langen Film packen wollten: Das schwierige Leben der insgesamt acht Personen im Versteck wird ebenso geschildert wie die Angst vor dem Verrat, aber der rote Faden bleibt Annes Heranwachsen, ihr Umgang mit Sexualität und ihre Schwärmerei für den ebenfalls versteckten Peter, Sohn von Auguste und Hermann Pels. Doch auch Otto Franks langsamem Zurückfinden in ein normales Leben wird Raum gegeben, parallel dazu mimt Axel Milberg einen holländischen Journalisten, der jenen uneinsichtigen Polizisten aufsucht, der Familie Frank verhaftet hat. Und dazwischen kommen Zeitzeugen zu Wort, ehemalige Schulkollegen und Freundinnen von Anne.

Ein anderer Blick auf die Geschichte

Irgendwo musste also gekürzt werden. Das Filmteam entschied sich, den genauen Hergang des Versteckfindens und -einrichtens sowie die Verhaftung und Deportation der Familie nur in wenigen Bildern anzudeuten. Hauptdarstellerin Mala Emde gibt eine aufmüpfige, aber auch nachdenkliche Anne Frank. Seltsam erscheint bisweilen, dass sie die Tagebuchauszüge vor sich hin sprechen muss, wenn sie in ihrem schmalen Zimmer, das sie mit Ansichtkarten von Stars schmückte, am Schreibtisch sitzt. Insgesamt entsteht ein dennoch anderer Blick auf Anne Franks Geschichte. Vielleicht gehört da dazu, dass der Film – anders als die geplatzte ZDF-Produktion, die sich an ein junges Publikum wenden wollte – Wissen voraussetzt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.02.2015)

Gefangen in der Fernsehfalle

„So denkt Österreich“. Der Privatsender ATV beginnt ausgerechnet 30 Jahre nach Spiras „Alltagsgeschichten“ damit, dem Volk auf das Maul zu schauen.

Die Friseurin Renate zum Beispiel sammelt Glasfrösche, und nur wenn sie die kleine grüne Figur, die lachend auf dem Rücken liegt, in die Kamera hält, hellt sich ihr Gemüt auf. Sonst gibt es nicht viel zu lachen. „Die Welt ist scheinbar langweilig“, sagt sie an ihrem Wohnzimmertisch sitzend und erklärt, wie sie darauf gekommen ist: Die Menschen hätten eben „nix im Schädel mehr als wie Sex“. Da würden 14-Jährige Gleichaltrige vergewaltigen und „Pfaffen“ aus der Kirche, aus der sie lang ausgetreten ist, „Kinder ficken“.

Es spricht viel Wut aus den derben Worten von Frau Renate, deren Sätze über die EU, Kirche und Medien mitunter so verwirrend wirken, dass man sich nicht sicher ist, ob da beim Schnitt der Sendung einiges schiefgelaufen ist oder Rage einiges durcheinanderbringt. ATV-Senderchef Martin Gastinger nennt die neue Reportagereihe „So denkt Österreich“, die seit der Vorwoche jeden Montagabend ausgestrahlt wird, „ein Erlebnis“. Ein durchaus bekanntes Erlebnis, will man hinzufügen. Exakt vor 30 Jahren begannen im ORF die „Alltagsgeschichten“. Schon Elisabeth T. Spira musste immer wieder Kritik für ihren Sozialvoyeurismus einstecken. Heute gibt es keine Alltags-, sondern nur mehr sommerliche und quotenstarke „Liebesgeschichten“.

Und jetzt begibt also auch ATV sich in die Wohnungen von zahnlosen Obdach- oder Arbeitslosen und Frühpensionisten. Ähnlich wie bei Spira fragt man sich: Warum werden hier fast ausschließlich gescheiterte Existenzen befragt? Wenn die Sendung „Österreich denkt“ heißt, ließe sich auch ein breites Spektrum an Österreichern statt der immer gleichen einfachen Seelen befragen, die aufgeganselt durch die Präsenz der Kamera sofort in die Ausländer-und-EU-sind-schlecht- oder in die Frauen-gehören-geprügelt-Falle tappen. Überraschungen erfährt man hier keine, ein Erlebnis ist das auch nicht. Das ist so 1995, das will niemand mehr sehen. (awa)

„So denkt Österreich“, montags, 21.20 Uhr, ATV

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.02.2015)

„Fortitude“: Mysteriöses Sterben in der Arktis

 

Fortitude

Bild: (c) Sky 

Der Bezahlsender Sky ließ sich sein neues Arktis-Drama „Fortitude“ Millionen kosten. Für die Mystery-Produktion wurde eigens Schnee an den Drehort in Island gebracht.

Für Schnee tut der britische Bezahlsender Sky einiges. Nicht nur bei der London-Premiere seiner neuen Serie „Fortitude“ wurden weiße Fake-Flocken angekarrt, um den Kinosaal in eine Winterlandschaft zu verwandeln. Schon bei den Dreharbeiten zur Serie im Vorjahr war der Sender aufgrund der milden Wetterlage in Island gezwungen, Schnee einfliegen zu lassen. Das hat „Fortitude“ angeblich zur teuersten Sky-Serie bisher gemacht. In britischen Medien war von Produktionskosten in Höhe von 34Millionen Euro zu lesen.

Ohne Schnee ließe sich die Geschichte von „Fortitude“ schlechter erzählen. Es ist das Porträt des gleichnamigen fiktiven Städtchens auf der Inselgruppe Spitzbergen im Arktischen Ozean. Die 700 Einwohner leben von der Naturfotografie, der (verbotenen) Eisbärenjagd, der Arktis-Forschung oder der Minenarbeit. Der Rest hält die Grundversorgung aufrecht, als Polizist, Arzt, Kellner oder Supermarktkassier. Eines Tages wird der britische Arktis-Forscher Professor Stoddart tot aufgefunden; er war einer der Gegner eines großen Eishotelprojekts. Hat ihn gar ein Eisbär in seiner Wohnung überrascht und getötet, oder war es doch ein Mensch?

 

„Fargo“ trifft auf „Twin Peaks“

Der lokale Polizeichef Andersen bekommt jedenfalls Verstärkung vom Festland – womit wir bei Grund zwei für die teure Produktion wären: die sehr prominente Besetzung. So wird der eingeflogene Detective arrogant-großstädtisch von US-Star Stanley Tucci („Hunger Games“) verkörpert. Die Rolle der Stadtchefin Hildur Odegard übernimmt Sofie Gråbøl, seit „Kommissarin Lund“ eine der bekanntesten dänischen Seriendarstellerinnen, die nun erstmals in einer britischen Produktion zu sehen ist. Bei der Premiere in London erzählte sie, sie stehe hier zum ersten Mal auf der anderen, der mächtigen Seite, auf jener der Entscheider. Zumindest zu Beginn sieht es so aus, als ob ihr diese Rolle weniger liegt als die der stillen Revoluzzer-Kommissarin. Vielleicht es ist es aber nur der langsame Einstieg von Drehbuchautor Simon Donald, der den Anfang so schleppend macht. Wir sehen sehr viel Eis und Schnee, viel Natur, häufig aus der Helikopterperspektive.

Nur behutsam nimmt die Handlung Fahrt auf, dafür umso geschickter. Geübte Serienschauer lockt man mit einer Vielzahl an mysteriösen Seitensträngen und Figuren. Also ist da etwa auch der kleine Bub, der mit seiner Spielkameradin ein undefinierbares Etwas im Eis findet und danach plötzlich schwer erkrankt. Der Partner seiner Mutter verlässt das Haus, um eine andere Frau zu treffen, und bemerkt daher nicht, dass der Bub im Fieberwahn barfuß durch den Schnee läuft und schwere Erfrierungen davonträgt. Welche Krankheit hat der Bub, und vor allem – was hat er im Eis entdeckt? Und wohin ist das Mädchen verschwunden, mit dem er draußen im Eis war?

Gekonnt spielt der Brite Christopher Eccleston (bekannt aus „Doctor Who“) den liebenswürdigen Professor Stoddart, der zwar in Folge eins stirbt, aber – ohne zu viel zu verraten – vermutlich weiterhin eine Rolle spielen wird. Bei der Premiere in London gaben alle Darsteller außer dem Amerikaner Tucci zu: Der Hauptgrund für ihre Zusage sei Schauspieler Michael Gambon gewesen. Jeder wollte mit dem britischen Theater-Sir zusammenarbeiten, der seit seinen Auftritten als Schulleiter Dumbledore in den „Harry Potter“-Filmen berühmt ist. Hier spielt er nun einen griesgrämigen, sterbenskranken Fotografen, der nichts mehr zu verlieren hat.

Was wie ein durchschnittlicher deutscher Hauptabendkrimi beginnt, entwickelt sich zu einer schräg-mysteriösen Geschichte, die Kritiker bereits zwischen „Twin Peaks“ und „Fargo“ einordnen. Dass der Schnee, wenn er erst einmal da ist, ein schwieriger Partner bei Dreharbeiten sein kann, ist leider unübersehbar: In einer Dialogszene zieren viele kleine Schneeflocken den Mantel von Stanley Tucci in der Vorderansicht – in der Rückenansicht ist der Mantel aber schneefrei. Da fehlt das Gespür für das Detail.

DIE SERIE

Nach der Horrorserie „Penny Dreadful“ und der Krimiproduktion „The Tunnel“ ist „Fortitude“ die nächste aufwendige hausgemachte Serie von Sky (Koproduzent ist US-Kabelsender Starz). Mit u.a. Sofie Gråbøl, Christopher Eccleston, Stanley Tucci. Die Originalversion ist ab heute, 27. 1., auf Sky Go, Sky Anytime, Sky Online abrufbar. Ab 3. 3. auf Deutsch.

Compliance-Hinweis: Die Autorin war auf Einladung von Sky bei der London-Premiere von „Fortitude“.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.01.2015)

Amazon Prime: Serien mit Hindernissen

Das Aboservice Amazon Prime funktioniert in Österreich nur teilweise. Doch der US-Riese bastelt längst an einer eigenen Streaming-Plattform.

Seit Kurzem ist auch in Österreich das Aboversandservice des US-Onlinehändlers Amazon erhältlich. Doch auch wenn dabei das Video-On-Demand-Service „Prime Instant Video“ erhältlich wird, durch das unter anderem die relativ neue Amazon-eigene Serie „Transparent“ hierzulande kostenlos abrufbar wird, bietet das Service derzeit noch mehr Ärgernisse als zufriedenstellende Inhalte. Denn nur ein kleiner Teil des vollständigen Angebots ist in Österreich auch wirklich erhältlich. Eigentlich wirbt Amazon damit, dass mit dem Prime-Abo mehr als 12.000 Filme und Serien gratis abrufbar seien, zudem seien Gratis-Expresslieferung innerhalb von zwei Tagen und ein kostenloser Zugang zu einer E-Book-Bibliothek inkludiert. Doch in Österreich sind viele der angebotenen Filme nicht gratis abrufbar, sondern erst recht wieder extra zu bezahlen, und der Expressversand ist gar nicht möglich. Trotzdem verlangt Amazon den vollen Abopreis von 49Euro von seinen Kunden.

Probeabo rechtzeitig kündigen. Für Konsumentenschützer ist das problematisch, wie die Techseite Futurezone in Erfahrung gebracht hat. Es sei nicht in Ordnung, etwas zu bewerben und dann zwei Drittel des Angebots zu streichen, sagte Reinhold Schranz vom Europäischen Verbraucherzentrum der Futurezone. So ist es ziemlich wahrscheinlich, dass viele heimische Kunden den Dienst kündigen werden, bevor das kostenlose Probemonat verstrichen ist. Doch Achtung: Das Probeabo verlängert sich automatisch. Es gilt also, genau darauf zu achten, wann es endet.

Der Neueinsteiger im Video-On-Demand-Markt dürfte also alles andere als eine große Konkurrenz für Mitbewerber wie das deutschsprachige Maxdome oder das US-amerikanische Netflix sein, das seit Mitte September in Österreich erhältlich ist. Auch wenn Amazon Prime Instant Video einige Serien wie die erste Staffel der Kultproduktion „Twin Peaks“ (die 2016 mit neuen Folgen zurückkehren soll) und die ersten Staffeln von „Mad Men“ anbietet, sind viele Angebote wie „Game of Thrones“ kostenpflichtig. Ein weiteres Manko: Viele Serien des Amazon-Instant-Videoangebots werden nur in der deutschen Synchronfassung angeboten. Für wahre Serienfans ist das keine zufriedenstellende Option.

Während Amazon sein Prime-Angebot mit gröberen Problemen in den Markt gebracht hat, feilt der US-Konzern von Jeff Bezos bereits an der nächsten Digitaloffensive. Wie die „New York Post“ kürzlich berichtet hat, plant das Unternehmen, Anfang 2015 einen eigenen Streamingdienst zu eröffnen. Noch steht weder fest, ob der Dienst getrennt von dem kostenpflichtigen Amazon Prime angeboten oder mit der Videosparte dieses Diensts fusioniert werden soll. Amazon wollte den Bericht nicht kommentieren.

Marktbeobachter haben zudem das Gefühl, dass sich Jeff Bezos, der 2013 die „Washington Post“ übernommen hat, mit seinen unterschiedlichen Digitalangeboten gerade übernimmt und an zu vielen Fronten – etwa beim Arbeitsrecht mit deutschen Mitarbeitern – kämpft. Mit dem aktuellen Prime-Angebot macht er sich in Österreich sicher nicht besonders viele Freunde.