Trump spaltet die Sitcom-Familie

Mit der zehnten Staffel landet „Roseanne“ in der Gegenwart und verhandelt subtil aktuell Themen. Eine gelungen Fernsehrückkehr nach 21 Jahren Pause.

Adam Rose/AP
Nach 21 Jahren wieder auf der Couch: Roseanne (Roseanne Barr) und Dan (John Goodman).

Einige Klassiker der TV-Unterhaltung sind in jüngster Zeit wiedergekom men, von „Full House“ und „Gilmore Girls“ bis zu

„Dallas“. Aber bei keiner dieser Serien, nicht einmal bei David Lynchs „Twin Peaks“, ist die Rückkehr so geglückt wie bei der Sitcom „Roseanne“. Dem Team um die heute 65-jährige Schauspielerin Roseanne Barr ist es gelungen, Farbe und Charakter der Serie zu bewahren und diese dennoch gekonnt ins heutige Amerika zu setzen.

Gleich geblieben ist zum Beispiel das legendäre Intro mit der jazzigen Saxofon-Melodie und Roseannes dreckigem Lacher am Schluss. Küche, Wohnzimmer und Garage der Conners sehen beinahe unverändert aus. Auf dem schmalen Fensterbrett über der Abwasch steht ein kleiner Plastik-Troll mit hellblauen, zu Berge stehenden Haaren. Ein Relikt aus den Neunziger Jahren, als diese seltsamen Figuren Einzug in die Kinderzimmer sehr junger Teenager hielten, eine Erinnerung auch an die Zeit, in der die Serie zu Ende ging. In neun Staffeln, von 1988 bis 1997, wurde der Alltag der Unterschichtfamilie Conner aus Lanford, Illinois erzählt. Der Ton zwischen Roseanne, ihrem Mann Dan (John Goodmann) und den vier Kindern Becky, Darlene, DJ und Jerry war zwar geprägt von einer neuen Rauheit im Unterhaltungsfernsehen, doch insgesamt waren die Conners noch liebevoller und damit glaubwürdiger als die Bundys aus der anderen, der „schrecklichen netten“ Sitcom-Familie.

Am Dienstagabend kehrten die Conners nach 21 Jahren Pause ins US-Fernsehen zurück – und Dan lebt wieder. Wir erinnern uns: Er war in der letzten Folge 1997 gestorben. Die ersten beiden neuen Folgen bescherten dem Sender ABC (in Europa gibt es bisher noch keinen Verleiher) 18,2 Millionen Zuseher. Darunter war auch der US-Präsident Donald Trump, der Roseanne Barr, so berichtet die „New York Times“, tags darauf persönlich zum gelungen Neustart gratuliert haben soll. Kein Wunder, dass ihm die Serie gefällt, er kommt darin vor, als Spalter der Familie. Roseanne hat Trump gewählt (in der Serie und im realen Leben) und beendet das Tischgebet mit den Worten: „Lord, thank you for making America great again“. Ihre Schwester Jackie (gespielt von Laurie Metcalf) hingegen verdreht bei solchen Gebeten die Augen. Sie geht als glühende Feministin mit rosa Strickmütze und „Nasty Woman“-Shirt auf die Straße, um gegen Trump zu demonstrieren. Seit der US-Wahl haben die Schwestern wegen ihrer politischen Differenzen kein Wort gesprochen, doch Tochter Darlene, die, arbeitslos und zweifache Mutter, wieder bei den Eltern eingezogen ist, bringt die Streit-Schwestern zurück an den gemeinsamen Küchentisch.

Fake News, Syrien, Leihmutterschaft 

In den Familiengesprächen, oder eher: Streitereien klingt viel Aktuelles an: Roseanne und Dan, Mitte 60, deutlich schlanker, aber nicht besonders fit, teilen sich aus Geldmangel ihre Medikamente. Sie haben Trump gewählt, weil er mehr Arbeitsplätze versprach. Als Jackie ihre Schwester fragt, ob sie die Nachrichten verfolge, „heute geht es uns noch schlechter“, antwortet Roseanne: „Aber nicht in den echten Nachrichten“, ein Hinweis auf Fake News und Trump-freundliche Medien wie Breitbart.

Sohn DJ ist Soldat, gerade aus Syrien zurückkehrt und kümmert sich um seine Tochter Mary, während seine Frau noch immer im Kriegseinsatz ist. Tochter Becky, die Erstgeborene der Conners, ist mittlerweile 43, hat keine Beziehung, aber Schulden und arbeitet als Kellnerin. Deshalb will sie ein Baby für eine Frau namens Andrea austragen, was deswegen lustig ist, weil diese Andrea von Sarah Chalke dargestellt wird, und die spielte in den Staffeln 6, 7 und 9 abwechselnd mit Alicia Goranson die Becky. Nestheckchen Jerry, den wir fast vergessen hatten, ist auf See und hat schon lange keinen Kontakt zur Familie. Besonders besorgt sind Oma und Opa Conner über den neunjährigen Enkel Mark, der gern Mädchenkleider trägt und sich schminkt. Roseanne begleitet ihn deswegen an seinem ersten Schultag in die neue Klasse und erzählte seinen Klassenkameraden, sie sei eine „weiße Hexe“.

Abseits von aktuellen Politik- und Zeitgeist-Bezügen wird, wie in den frühen Folgen, das (Macht-)Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und jetzt auch Enkeln analysiert. Was immer noch lustig sein kann. Wenn etwa Harris, Darlenes Teenager-Tochter, ihrer Oma und ihrer Mutter in der Küche ein dramatisches „Ihr ruiniert mein Leben!“ entgegen schleudert, lacht Großvater Dan am Küchentisch und sagt: „Diesen Film habe ich seit 20 Jahren nicht gesehen. Die Klassiker bleiben uns erhalten.“

 Die Presse, 30.3. 2018

„Und so bleibt Euer Toni der Größte“

Der Boulevard, vor allem die „Krone“, schießt scharf gegen die Medien, die den Akt Toni Sailer aufrollen.


Eine Lanze will der Schriftsteller und Polen-Kenner Martin Pollack für den 2009 verstorbenen Toni Sailer nicht brechen. Doch an dem von „Standard“, Dossier und Ö1 veröffentlichten Akt zum Vergewaltigungsskandal im polnischen Zakopane 1974 mache ihn etwas „stutzig“, schreibt er. Dass sich die aufwendig recherchierte Geschichte „vor allem auf polnische Unterlagen aus jener Zeit beruft“, rieche für ihn „verdächtig nach dem polnischen Geheimdienst“, der dem Skistar vielleicht eine Falle gelegt hat. Bemerkenswert ist, wo Pollack das schreibt, schreiben kann: auf der Gastkommentarseite des „Standard“. So geht man mit fundierter Kritik und Zweifeln an einer lang zurückliegenden Sache um, bei der die meisten Beteiligten tot sind.

Wie man nicht damit umgeht, zeigt die „Kronen Zeitung“. Seit Tagen reiten Redakteure des Blattes zur Verteidigung des Volkshelden aus. Ein Verhalten, das man vom Medienpartner des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) gewohnt ist. Sobald Kritik, ob berechtigt oder nicht, an Vertretern des mächtigen Verbandes geübt wird, schießt die „Krone“ scharf. Auch diesmal: Es sei eine „riesige Sauerei, Toni Sailer anzupatzen“, schrieb Online-Sportchef Max Mahdalik mit Furor, noch dazu „zufällig genau vor den Kitzbühel-Rennen“, als ob der Hahnenkamm-Zirkus durch den Akt Sailer getrübt werden könnte. In der Sonntag-„Krone“ folgte eine nicht gerade meinungspluralistische Kolumnentrias zum Thema. Zuerst rügte Chefredakteur Klaus Herrmann die „Qualitätsmedien“ und „publizistischen Aufdecker“, dass sie „das Andenken an den Jahrhundertsportler besudeln“. Kolumnist Heinz Sichrovsky wagte, etwas weniger verbissen, ein Gedankenexperiment: Wenn sich die [*]MeToo-Bewegung nun „in Ermangelung weiterer lebender Delinquenten auf die Toten“ verlege, wäre schon bei der Schöpfungsgeschichte zu beginnen. Zum Beispiel bei Gott, der den Menschen „in einen tiefen Schlaf fallen ließ und einer seiner Rippen nahm“. Sichrovsky dazu: „Wer hinter diesen abseitigen Praktiken nicht Organhandel unter Einsatz von K.-o.-Tropfen vermutet, ist naiv.“

Vier Seiten weiter schrieb Michael Jeannée seinen dritten Brief zum Thema in vier Tagen, diesmal an die „liebe Familie Sailer“. Darin teilt er gegen seinen Lieblingsfeind „Kurier“ aus. Er sei in den Siebzigern „noch ein österreichisches Journal gewesen, das mit der ,Krone‘ auf journalistischer Augenhöhe um die Vorherrschaft auf dem Zeitungsmarkt kämpfte“. Zu diesem Lob veranlasste ihn der derzeit viel geteilte und viel kritisierte „Kurier“-Kommentar aus 1975 („Nun soll endlich Gras wachsen über Zakopane“), in dem ein damaliger Sportredakteur Sailer verteidigte: Der Vorfall sei „eine saudumme Männerg’schicht'“ gewesen, „mit einem unguten professionellen Weibsstück und einem Niagarafall von Alkohol“. Dem schließt sich  Jeannée im Jahr 2018 an: „Das war’s. Nicht mehr und nicht weniger. Und so bleibt Euer Toni der Größte.“ Alles andere sei eine „widerliche, weil durch nichts gerechtfertigte Demontage des dreifachen Olympiasiegers“.

Auch das Konkurrenzblatt „Österreich“ kann seine Haltung zum Thema nicht verbergen. Toni Sailers Bruder kam im Interview mit Wolfgang Fellner den Suggestivfragen kaum aus: „Da wurden dubiose Akten über deinen Bruder ausgegra ben [. . .] Wie reagiert man da?“

Subtext, Die Presse, 23.1. 2018

Die neuen Zeiten im ORF sind blauer und gröber

Der ORF-Umbau der Bundesregierung ist beinah fertig. Den Stiftungsrat führt jetzt ein FPÖ-Mann, der verbal manchmal so ausreitet wie ein Mini-Trump.

Der ORF hat erstmals einen blauen Aufsichtsratschef – oder wie es manche zwar formal inkorrekt, aber treffend formulieren: „Die FPÖ übernimmt die ORF-Chefetage.“ Am Donnerstag wurde mit Norbert Steger der ehemalige FPÖ-Parteichef und Vizekanzler zum Vorsitzenden des Stiftungsrats bestellt. Das ist wichtig, weil das 35-köpfige Gremium das mächtigste Aufsichtsorgan des ORF ist, das alle fünf Jahre den Generaldirektor bestellt und ihn jederzeit absetzen kann. Und es ist paradox, weil nun eben jene Partei die oberste ORF-Aufsicht hat, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach Aussagen ihres Parteichefs verkleinern und ihm den Geldhahn zudrehen will. Wetten, dass die neue blaue Stärke im ORF nun ganz neue, liebevolle Gefühle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den FPÖ-Reihen entfachen wird?

Schluss mit der Liebe, zurück zur Sitzung im ORF-Zentrum am Donnerstag. Dort wurde der seit der Nationalratswahl dauernde Umbau des Stiftungsrats abgeschlossen. Die türkis-blaue Bundesregierung hat nun mit 23 von 35 Stimmen eine satte absolute Mehrheit. Bemerkenswert, dass Steger dennoch das schlechteste Ergebnis aller Stiftungsratsvorsitzenden (seit 2001) einfuhr: 25 Ja-, neun Gegenstimmen und eine Enthaltung.

Fast fertig ist auch der Umbau der TV-Information: Generaldirektor Alexander Wrabetz wird bald bekannt geben, wer die neuen Channelmanager und Chefredakteure von ORF eins und 2 werden. Doch die Redakteure wünschen sich zum Teil ganz andere Namen als die Regierung. Der bisherige Chefredakteur, Fritz Dittlbacher, erhielt in der Redakteursversammlung am gestrigen Mittwoch 48 von 108 abgegebenen Stimmen der Mitarbeiter, der Favorit der Regierung, Matthias Schrom, nur neun. An das Votum der TV-Mitarbeiter muss sich Wrabetz nicht halten. Die Bestellung eines Chefredakteurs ist eben auch keine Wahl zum Klassensprecher, die immer der beliebteste Mitschüler gewinnt. Aber selbstredend, dass die Wünsche aus der Politik auch keinen Einfluss darauf haben sollten.

Doch der erwartbaren Aufregung über den ersten blauen Oberaufseher in der Geschichte des ORF und von der Politik favorisierte ORF-Manager sei entgegengehalten: Umfärbungen wie diese sind nicht neu. Auch Fritz Dittlbacher war 2010 der Wunschkandidat der damaligen Kanzlerpartei, der SPÖ. Wer was im ORF wird, war immer schon Ergebnis von Absprachen zwischen Ballhausplatz und Küniglberg. Wer das jetzt beklagt, sollte das zumindest auch im Rückspiegel tun. Eher neu ist nur, dass die FPÖ jetzt mehr mitmischen kann als bisher. Oder: dass ihr Regierungspartner ÖVP sie lässt.

Richtig putzig ist hingegen, wenn Politik, Stiftungsrat und ORF-Führung bei neuen Postenbesetzungen immer noch so tun, als ginge es nur um fachliche Qualifikation und die Frage, das beste Fernsehen zu machen. Wer soll das noch glauben? Alles vorher Geschilderte beweist: Das Gegenteil ist der Fall. Dabei hat der ORF sehr wohl auch gute Mitarbeiter und Führungskräfte, die ausgezeichnetes Fernsehen machen wollen. Das Problem ist nur – der misstrauische GIS-Zahler und Politik-Beobachter glaubt es auch ihnen immer weniger.

Und die neue Regierung, die für Anfang Juni alle Spieler großzügig zu einer „Medienenquete“ ins Wiener Museumsquartier einlädt, hat sich ebenso fürs Erste die Chance genommen, eine echte Reform im ORF zu starten. Macht stattdessen genauso wie weiter bisher. 

Noch ein paar Worte zu Steger: Es wäre ja fast sympathisch, dass sich dieser Mann verbal eher nicht zurückhält. Würde er dabei nicht wie ein Mini-Trump erscheinen, wenn er ORF-Journalisten mit Entlassung droht oder mit Sagern wie „linker Endkampf“ irritiert. Immerhin wirkt er dabei nicht automatisch als verlängerter Arm der FPÖ. Im Gegenteil, die Partei wird sich noch wundern, wie wenig Steger nach ihrer Pfeife tanzt. Fakt ist aber auch: Der Mann ist 74 Jahre alt und wurde zum Oberaufseher des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestellt. Für einen Sender, der in den nächsten Jahren vor allem bei Programm und Technik vieles neu denken muss, um zu überleben, ist das wahrlich kein Zeichen für Erneuerung. Aber die Regierung wird schon wissen, warum sie ihn für dieses Amt ausgewählt hat.

Leitartikel, Die Presse, 18. Mai 2018

Turning Wonky Economic Graphs into Chamber Music

Composers took income-inequality data as inspiration; performance Saturday at Tenri Cultural Institute.

Wall Street Journal, 18th of October 2015

When Julie Harting’s chamber composition “Too Much at the Top” is performed Saturday at the Tenri Cultural Institute in the West Village, listeners will hear instruments locked in simmering, yet stirring conflict. Throughout the piece, the flute and violin soar to higher notes and grow ever louder, while the cello lingers persistently in the lower ranges.

The contrast isn’t just about musical gymnastics. While written for the performers on a musical chart, the composition was inspired by an economic fever chart, one contrasting the growth of household incomes in the U.S.

The work, which has its premiere Saturday, is part of the fourth in a series of “Anti-Capitalist Concerts” founded by Ms. Harting and fellow composer Elizabeth Adams in 2013 as a reaction to the then-fading Occupy Wall Street movement.

The idea for the event, Ms. Harting said, came from graphs she found on the Internet, drawn from income-inequality data from economists like Emmanuel Saez and Thomas Piketty. The latter’s 2014 best-seller “Capital in the Twenty-First Century” has spurred debate on the topic.

Four of the six works being performed, which sport titles such as “Ruin is Formal” and “Order from Chaos,” took an economic chart, in part, as their starting point. All will be played by the Cadillac Moon Ensemble, a chamber quartet for flute, violin, vibraphone and cello.

While the featured composers say their works aren’t meant as literal interpretations of the macroeconomic graphs, each translates the data differently in their music.

Jeff Nichols, who teaches composition and music theory at Queens College and the City University of New York’s Graduate Center, said he chose a graph showing the extremity of income inequality both at the onset of the Great Depression and today, with an intervening period of relatively even wealth distribution.

He said he believes a well-balanced piece of music should have most of its notes in the middle, just as a well-balanced society should have most of its people in the middle class.

“My piece has a kind of crisis when all the notes are too high or too low to sing—and that crisis is resolved when most of the notes get back to the middle,” Mr. Nichols said.

Another composer, Madrid-born Inés Thiebaut, said she looked to French philosopher Jean-Jacques Rousseau and his work “The Social Contract,” a manifesto for the creation of just political communities.

Her piece, titled “Oh Rousseau, Where Art Thou,” starts with an angry discourse, articulated by the vibraphone, that slowly creeps into the rest of the instrumentation. It is a melodic expression, she said, of the wish that “the people can make their voices heard.”

While society can’t resolve its political and economic difficulties through music, said co-organizer Ms. Adams, part of the idea of the concert is to incite debate. To that end, the evening will include a discussion led by Chad Kautzer, a professor at the University of Colorado, Denver, who often speaks on topics of social and economic justice.

And even if their music can’t change economic realities, the composers say, its power to provoke emotions and personal associations might influence listeners’ hearts and minds.

Perhaps the most data-driven work on the program is Ms. Harting’s, drawn from a graph created by the Economic Policy Institute, using data generated by Messrs. Pinketty and Saez.

The data, which come from the period 1979 to 2007, show income growth for the bottom 90% staying relatively stagnant, sometimes even dropping into negative territory, before hitting 5% in the final year. The line representing the top 1% of households, meanwhile, ends up 224%.

In interpreting those numbers, Ms. Harting said, her work begins with “slow-moving musical textures rubbing against each other, suggesting the tension of class antagonisms.” As the flute and violin climb upward, the vibraphone sounds an “aggressive, alarming” note. And that less-than-active cello? It symbolizes the bottom 90%, she said: “The cello is the worker.”

In the spirit of equal access, admission to the concert is a suggested donation: “half your hourly wage” or “what you think is fair,” according to organizers.

„Grace & Frankie“: Die Männer sind weg, gemeinsam

In der Scheidungscomedy „Grace & Frankie“ spielen Jane Fonda und Lily Tomlin zwei Siebzigjährige, die das späte Coming-out ihrer Männer verkraften müssen. Das ist nicht nur lustig.

Der Tisch im Nobelrestaurant ist bestellt, die Männer, seit Jahrzehnten Partner ihrer gemeinsamen Kanzlei, wollen ihren Ehefrauen Grace (Jane Fonda) und Frankie (Lily Tomlin) etwas sagen. Noch rätseln diese über den Grund des Treffens („Ich habe das Gefühl, sie werden ihren Ruhestand bekannt geben“) und verhandeln mit viel größerem Eifer ihre konträre Einstellung zu Weißbrot. Fünf Minuten später bremst Graces Ehemann, Robert (Martin Sheen), seinen Geschäftsfreund Sol Bergstein: „Ich mache es“, holt einmal tief Luft und sagt zuerst zu Grace: „Ich verlasse dich“, danach zu Frankie: „Und er verlässt dich.“ Auf die scharf zurückgezischte Frage von Grace: „Wer ist sie?“, erwidert er: „Es ist keine Sie, es ist ein Er. Es ist Sol, den ich liebe.“ Und als Frankie fragt: „Wie lang geht das schon?“, zögert ihr Mann und beide sagen: „Zwanzig Jahre.“

Die Eröffnungsszene der neuen Serie „Grace und Frankie“ (seit 8. Mai auf Netflix), die im Englischen zum Genre der Divorce-Comedy zählt, könnte Seriengeschichte schreiben. Als schmerzhaft-komische Coming-out-Szene eines alten Liebespaars, das sich nach langer, heimlicher Beziehung dazu entschließt, seine Zuneigung öffentlich zu machen. „Wir wollen heiraten, weil wir das in Kalifornien jetzt können“, sagen die Männer – und Frankie schießt zurück: „Ich weiß, ich habe Spendengalas dafür organisiert.“

Im Folgenden müssen die Kinder, Nachbarn und Freunde informiert, die gemeinsamen Häuser und Möbel verteilt werden. Aber doch ist in dieser Serie alles anders als in normalen Trennungskomödien, nicht nur, weil es hier um das Leben von vier Mittsiebzigern geht, das sich so spät noch einmal völlig wandelt, sondern weil es eben auch um den Umgang mit der anderen sexuellen Orientierung der Männer geht.

Erstes Abendessen beim Väterpaar

Als die vier erwachsenen Kinder der Paare – die zwei Töchter von Grace und Robert, die zwei Söhne von Frankie und Sol – das erste Mal gemeinsam bei den Vätern abendessen, versuchen zunächst alle betont liberal-normal mit der Situation umzugehen. Erst in der Küche traut sich Tochter Brianna (June Diana Raphael) ihren künftigen Stiefbruder Nwabudike (Baron Vaughn), der selbst gebackenen Kuchen aufwartet, anzuschreien: „Würde es um zwei andere Frauen gehen, würden wir dann Kuchen essen?“

Hier wird nicht nur der sehr unterschiedliche Umgang der zwei sehr unterschiedlichen Frauen mit der Situation geschildert. Einst waren die diszipliniert-verbissene Grace und die esoterisch-künstlerische Frankie so etwas wie beste Feindinnen, nun wurden sie vom Schicksal in das von den Männern (auch als ihr heimliches Liebesnest) vor Jahren gemeinsam erworbene Strandhaus gespült. Es geht auch um den Umgang mit dem Altern und damit, dass man für andere ab einem gewissen Alter als irrelevant gilt. Frankie tippt SMS auf ihrem Smartphone in Riesen-Schriftgröße; wenn Grace aus dem Sitzsack ihrer Tochter aufstehen will, braucht sie Hilfe.

Als ältere Frau würde man oft zur Pointe in Witzen, hat Jane Fonda gerade in einem Interview gesagt, in der Serie von „Friends“-Erfinderin Martha Kaufmann seien die Frauen aber selbst Gestalter der scharfsinnigen Pointen. Leider gleitet der Humor häufig in üblichen, aalglatten Sitcom-Slapstick, doch dank der Hauptdarstellerinnen Jane Fonda und Lily Tomlin, 77 und 75, sieht man dabei dennoch gern zu. Als sie im Supermarkt Zigaretten kaufen wollen, werden sie trotz lauten Rufens minutenlang nicht von dem jungen Mann an der Kasse gesehen. Grace ruft ihm entgegen: „Sind Sie im Koma?“ und explodiert dann furios: „Welches Tier behandelt andere Lebewesen so? Glauben Sie, es ist in Ordnung, uns zu ignorieren, nur weil, weil sie graue Haare hat?“ Danach sitzen die Frauen im Auto, lachen – und rauchen. Frankie hat die Zigaretten gestohlen. Die zwei werden es auch weiterhin lustig haben. Egal ob mit oder ohne Männer.

[Bild-Credit: Melissa Moseley/Netflix]

Google und die Medien – zuerst Feinde, jetzt Freunde

150 Millionen Euro will Google in den europäischen Journalismus investieren. Acht Zeitungen wie „Guardian“, „Zeit“ und „FAZ“ sind an Bord. Lassen sie sich kaufen?

Ein Satz sagt mehr als tausend Worte. Als Mathias Müller von Blumencron, Digital-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Nachricht über den überraschenden Deal seines Verlags mit Google vertwitterte, schrieb er: „Wir sind skeptisch optimistisch.“ Zeitungen wie der „Guardian“ und die „Financial Times“, die spanische „El Pais“ und die italienische „La Stampa“ gaben am Dienstag in London bekannt, dass sie sich an der „Digital News Initiative“ beteiligen, für die Google in den kommenden drei Jahren 150 Millionen Euro locker machen will.

Gar nicht optimistisch, dafür umso skeptischer sehen dies nicht nur die meisten anderen Medien Europas, sondern auch Wettbewerbshüter und Verlegerverbände, wie der VÖZ in Österreich. Denn es entsteht der Eindruck, Google kaufe sich bei renommierten Medienhäusern frei, um die kritischen Stimmen gegen den Digitalriesen einzudämmen. VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger sagt: „Google hat Kreide geschluckt, sein Geschäftsmodell hat der Web-Gigant jedoch beibehalten.“

Belohnung für „brave Medien“

Tatsächlich sieht der Deal bei näherer Betrachtung nach einem geschickten Marketingzug von Google aus. In Europa hat der Suchmaschinenriese einen Marktanteil von 90 Prozent – auch deswegen weht dem Unternehmen seit einiger Zeit ein rauer Wind entgegen. Die EU-Kommission hat Mitte April nach fünfjähriger Prüfung eine Kartellklage gegen Google eingebracht. Sie wirft dem Unternehmen vor, seine marktbeherrschende Stellung in Europa missbraucht zu haben. Als Frankreich vor zwei Jahren die Einnahmen von Google versteuern wollte, ließ das Unternehmen 60 Millionen Euro springen. Und die Steuerpläne waren vom Tisch. Bestechung geglückt, hieß es damals. Und schließlich haben große deutsche Verlage, wie Springer („Bild“, „Welt“) und Burda lange um eine „Lex Google“ gekämpft, ein Gesetz, das Suchmaschinenanbieter verpflichtete, für die kurzen Anreißer von Zeitungsartikeln zu bezahlen.

Das Gesetz kam 2013, doch Google drohte, die Texte einfach nicht mehr anzuzeigen – und die Verlage knickten aus Angst vor sinkenden Zugriffszahlen ihrer Webseiten ein und erteilten dem Suchmaschinenanbieter eine „widerrufliche Gratiseinwillung“. Eine peinliche Posse. Nun machen ausgerechnet Medien wie „Die Zeit“ und die „FAZ“, die sich aus der Leistungsschutzrecht-Debatte heraushielten, gemeinsame Sache mit Google. Natürlich müssen sie sich gefallen lassen, dass manche munkeln, hier würden „brave“ Medien nachträglich belohnt.

Besser Kooperation als Konfrontation – mit diesem Motto will Google Europas Verlage überzeugen. Schon bisher gab es sich bei Medientagungen gerne als hilfsbereiter Partner der (Digital-)Journalisten. Die „Digital News Initiative“ geht über die Partnerschaft mit den acht Gründungs-Medienhäusern hinaus: Google will Innovationen im digitalen Nachrichtenjournalismus finanzieren. Vorschläge dafür einreichen kann jeder Verlag, jedes Online-Medium, jedes IT-Startup. Dazu wird es Schulungen für Digital-Kompetenz geben. Es sieht so aus, als habe Google die Vision, dass irgendwann jeder Journalist sagen kann, er sei in dieser oder jener Sache von Google unterstützt worden.

Während in London die Details des Google-Medien-Pakts präsentiert wurden, diskutierte man in Wien bei der Präsentation des aktuellen ORF-Public-Value-Jahresberichts darüber, ob „Google, Apple und Co. die digitale Welt von morgen beherrschen“ werden. ORF-Chef Wrabetz betonte zwar, „was Google zur medialen Entwicklung beigetragen habe“, sei nicht zu unterschätzen. Dennoch würde es jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag an Werbung aus Europa abziehen. Er zweifle also, ob die 150 Millionen Euro an ausgewählte Verlage „ein Angebot auf Augenhöhe“ seien, „oder ob da nur ein paar Glasperlen an Einzelvertreter lokaler Eliten verteilt werden.

Deutlich optimistischer sind übrigens Experten wie der US-Professor Jeff Jarvis. Er glaubt an die neue Initiative, Zusammenarbeit sei besser als Protektionismus. Warnender sind die Worte von Matthew Ingram. Dem Online-„Profil“ sagte der Digitalexperte gerade wieder, wie viel Einfluss Google und Facebook schon heute auf die Verbreitung von Nachrichten haben: „Sie sind wie ein Magier, der nicht in seine Trickkiste blicken lassen will“, sagte er bezogen auf ihre undurchschaubaren Algorithmen. Bleibt die Frage, ob man mit dem Magier Geschäfte machen will, auch wenn er einem seine Tricks nie erklärt.

Mit Zeitraffer auf Klickfang: Österreich in fünf Terabyte

Peter Jablonowski und Thomas Pöcksteiner haben das „Timelapse“-Video über Österreich gedreht, das derzeit im Internet die Welt erobert.

Filmspektakel, Jablonowski, PöcksteinerFoto: Clemens Fabry

Seminararbeiten an der Uni versität können mitunter den Grundstein für die spätere berufliche Tätigkeit legen. So war das auch bei  Peter Jablonowski und Thomas Pöcksteiner. Die beiden Anfang Zwanzigjährigen studieren an der FH St. Pölten Medientechnik, vor zwei Jahren sollten sie eine Arbeit zum Thema Zeitraffer (Englisch: „time lapse“) abliefern. So entstand ein kurzer Clip mit gerafften Aufnahmen von Wien, der ihnen viel Aufmerksamkeit bescherte – und sie auf die Idee brachte, das Projekt auf Österreich auszuweiten. Das Endergebnis, ein knapp drei Minuten langes Video mit Zeitrafferbildern von Österreichs Bergen, Seen und Landeshauptstädten, unterlegt mit Kuh- wie Kirchglocken geläut und Funkaufnahmen von Felix Baumgartners Stratossprung, haben sie am vergangenen Montag auf den Videoplattformen YouTube und Vimeo hochgeladen – seither geht es in ihrem kleinen Kellerstudio nahe dem Wiener Westbahnhof rund, in dem ihre Produktionsfirma Filmspektakel residiert.

Die Dreiminuten-Hommage an Österreich wurde bereits über 1,3 Millionen Mal aufgerufen. Internationale Medien wie der britische „Independent“ schrieben über das „beautiful video“ (nicht ohne das Wort „Gemütlichkeit“ einzubauen) und Innovationsblogs wie jener der „Washington Post“ schrieben über die Technik dahinter.

Zwei Jahre haben die beiden an dem Kurzfilm gearbeitet. Dafür haben sie Alpenstraßen und Aussichtsplattformen im ganzen Land aufgesucht, an den geeigneten Plätzen das Stativ einer ihrer Spiegelreflexkameras aufgebaut und stundenlang Fotos geschossen, von der Morgendämmerung bis in die Nacht. So entstanden aus 600 Aufnahmesessions fünf Terabyte Rohmaterial, die auf insgesamt 15 Festplatten lagern. Die größte Herausforderung bei dem Projekt, sagen sie unisono, sei das Wetter gewesen. „Es kam oft vor, dass wir an einen Ort gefahren sind, und dann hat das Wetter nicht gepasst. Am Dachstein saßen wir stundenlang in der Wolke“, erzählt Jablonowski.

Den Zeitpunkt der Veröffentlichung haben die beiden unbewusst klug gewählt. Wegen des bevorstehenden Song Contest in Wien steht Österreich heuer global stärker im Mittelpunkt als sonst; und dann wurde gerade wieder die aktuellste Mercer-Studie zur Lebensqualität bekannt, bei der Wien erneut auf Platz eins landete (vor Zürich und Auckland). Ihr Video „A Taste of Austria“ wirkt nun wie der bestellte Werbeclip zum Studiensieg. Kein Wunder, dass die Österreich Werbung schon seit Längerem mit Zeitrafferfotomaterial der beiden arbeitet.

Sonnenaufgänge immer gebraucht

Noch stecken die Fotografiekünstler mitten im Masterstudium, sind sich aber sicher, dass sie auch künftig ihr Geld mit Zeitrafferprojekten verdienen wollen. Es zieht sie derzeit stark ins Ausland, weshalb sie hoffen, mit ihrer Arbeit auch Aufträge aus anderen Ländern zu bekommen – „gern auch  außerhalb Europas“, ergänzen sie und lächeln erwartungsfroh. Im Geschäft sind sie jetzt schon gut. Einige ihrer Aufnahmen wurden für die Signation der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ verwendet, und Dokumentarfilmer bestellen bei ihnen Fotomaterial. „Sonnenauf- oder -untergänge werden immer gebraucht“, sagt Jablonowski. Klicks und Aufträge kommen freilich nicht von allein. Die beiden arbeiten derzeit rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. „Wochentage gibt es nicht. Wenn uns die Kassiererin im  Supermarkt ein schönes Wochenende wünscht, wissen wir, dass Wochenende ist“, sagt Pöcksteiner.

Schon im Vorjahr fielen die Studenten mit ihrer Wien-Version der „House of Cards“-Signation auf. Dabei gibt  Jablonowski zu, dass er die US-Serie nie gesehen hat, Kompagnon Thomas kam bei einem Schönbrunnspaziergang auf die Idee zum Video, weil er fand, es gäbe so viele Plätze in Wien, die jenen in Washington ähneln. Lob für ihre Version bekamen sie von den Serienmachern von Netflix und dem Produzenten der Originalsignation, wie es sich heute gehört: mit einem freundlichen Retweet auf Twitter und einem erhobenen Daumen auf Facebook. Dass nun ihr Austria-Timelapse-Video so rasch viral ging, verdanken sie übrigens auch Armin Wolf, den sie auf Twitter direkt anschrieben. Nachdem der „ZiB 2“-Moderator das Video seinen 158.000 Followern empfahl, „ging der Rest  eigentlich von selbst“, erzählen die beiden. Das ist Mundpropaganda 5.0.

Das Video:

„A Taste of Austria“ heißt das Zeitraffervideo von Peter Jablonowski, 22, und Thomas Pöcksteiner, 23, das seit Montag über 1,3 Millionen Mal im Internet abgerufen wurde. Mehr Infos: filmspektakel.at

[Bild-Credit: Clemens Fabry/Die Presse]

Anne Frank: Eine Jugend im Hinterhaus

70 Jahre nach dem Tod von Anne Frank im Konzentrationslager wird ihre Geschichte zum ersten Mal von einem deutschen Team verfilmt. Ein behutsamer Film eines aus Afghanistan stammenden Muslims.

Es ist bei Weitem nicht der erste Film über das Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank, das sich im Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie über zwei Jahre in einem Hinterhaus in der Amsterdamer Prinsengracht versteckt hielt. Glaubt man dem Wikipedia-Eintrag, dann wurde ihre Geschichte und das nach der Deportation gerettete Tagebuch bereits 18 Mal verfilmt. Trotzdem ist der Film, der heute, Mittwoch in der ARD (20.15 Uhr) zu sehen ist, eine Premiere. Denn es ist die erste deutsche Produktion, die nun 70 Jahre nach Anne Franks Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen ins Fernsehen kommt. Ursprünglich war sogar noch ein zweiter Film geplant. Das ZDF wollte eine Mini-Serie produzieren, doch das Projekt musste gestoppt werden, weil der in Basel ansässige Anne-Frank-Fonds sein Einverständnis verwehrte.

Nun also stattdessen die ARD und ein Dokudrama in Spielfilmlänge. Verantwortlich dafür ist der aus Afghanistan stammende deutsche Muslim Walid Nakschbandi, was, wie der „Spiegel“ diese Woche betonte, eine schöne Symbolik hat „in einer Zeit, die von Islamismus und neuem Antisemitismus geprägt ist“. Gemeinsam mit Regisseur Raymon Ley entschied der Produzent, Anne Franks Geschichte aus der Sicht des Vaters Otto zu erzählen, der das Konzentrationslager als Einziger seiner Familie überlebt hatte. So beginnt „Meine Tochter Anne Frank“ auch mit Ottos Rückkehr nach Amsterdam kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dort trifft er auf Miep Gies, die treue Seele, die der Familie im Versteck geholfen hatte und die Annes Tagebuch retten konnte. Gemeinsam überlegen sie, ob das Tagebuch veröffentlicht werden soll. „Ich weiß nicht, ob das Anne recht wäre. Es ist doch ihr Tagebuch“, sagt Miep Gies. Doch Otto wendet ein: „Aber es ist auch ein Dokument.“ Er entschloss sich zur Veröffentlichung, strich aber die teils harten Passagen, in denen Anne mit ihrer Mutter haderte. Erst viel später wurden auch diese Stellen aus dem Buch publiziert, im Film werden daher auch die Spannungen zwischen Mutter und Tochter gezeigt.

Es ist ziemlich viel, was Produzent und Regisseur da in einen 90 Minuten langen Film packen wollten: Das schwierige Leben der insgesamt acht Personen im Versteck wird ebenso geschildert wie die Angst vor dem Verrat, aber der rote Faden bleibt Annes Heranwachsen, ihr Umgang mit Sexualität und ihre Schwärmerei für den ebenfalls versteckten Peter, Sohn von Auguste und Hermann Pels. Doch auch Otto Franks langsamem Zurückfinden in ein normales Leben wird Raum gegeben, parallel dazu mimt Axel Milberg einen holländischen Journalisten, der jenen uneinsichtigen Polizisten aufsucht, der Familie Frank verhaftet hat. Und dazwischen kommen Zeitzeugen zu Wort, ehemalige Schulkollegen und Freundinnen von Anne.

Ein anderer Blick auf die Geschichte

Irgendwo musste also gekürzt werden. Das Filmteam entschied sich, den genauen Hergang des Versteckfindens und -einrichtens sowie die Verhaftung und Deportation der Familie nur in wenigen Bildern anzudeuten. Hauptdarstellerin Mala Emde gibt eine aufmüpfige, aber auch nachdenkliche Anne Frank. Seltsam erscheint bisweilen, dass sie die Tagebuchauszüge vor sich hin sprechen muss, wenn sie in ihrem schmalen Zimmer, das sie mit Ansichtkarten von Stars schmückte, am Schreibtisch sitzt. Insgesamt entsteht ein dennoch anderer Blick auf Anne Franks Geschichte. Vielleicht gehört da dazu, dass der Film – anders als die geplatzte ZDF-Produktion, die sich an ein junges Publikum wenden wollte – Wissen voraussetzt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.02.2015)

Gefangen in der Fernsehfalle

„So denkt Österreich“. Der Privatsender ATV beginnt ausgerechnet 30 Jahre nach Spiras „Alltagsgeschichten“ damit, dem Volk auf das Maul zu schauen.

Die Friseurin Renate zum Beispiel sammelt Glasfrösche, und nur wenn sie die kleine grüne Figur, die lachend auf dem Rücken liegt, in die Kamera hält, hellt sich ihr Gemüt auf. Sonst gibt es nicht viel zu lachen. „Die Welt ist scheinbar langweilig“, sagt sie an ihrem Wohnzimmertisch sitzend und erklärt, wie sie darauf gekommen ist: Die Menschen hätten eben „nix im Schädel mehr als wie Sex“. Da würden 14-Jährige Gleichaltrige vergewaltigen und „Pfaffen“ aus der Kirche, aus der sie lang ausgetreten ist, „Kinder ficken“.

Es spricht viel Wut aus den derben Worten von Frau Renate, deren Sätze über die EU, Kirche und Medien mitunter so verwirrend wirken, dass man sich nicht sicher ist, ob da beim Schnitt der Sendung einiges schiefgelaufen ist oder Rage einiges durcheinanderbringt. ATV-Senderchef Martin Gastinger nennt die neue Reportagereihe „So denkt Österreich“, die seit der Vorwoche jeden Montagabend ausgestrahlt wird, „ein Erlebnis“. Ein durchaus bekanntes Erlebnis, will man hinzufügen. Exakt vor 30 Jahren begannen im ORF die „Alltagsgeschichten“. Schon Elisabeth T. Spira musste immer wieder Kritik für ihren Sozialvoyeurismus einstecken. Heute gibt es keine Alltags-, sondern nur mehr sommerliche und quotenstarke „Liebesgeschichten“.

Und jetzt begibt also auch ATV sich in die Wohnungen von zahnlosen Obdach- oder Arbeitslosen und Frühpensionisten. Ähnlich wie bei Spira fragt man sich: Warum werden hier fast ausschließlich gescheiterte Existenzen befragt? Wenn die Sendung „Österreich denkt“ heißt, ließe sich auch ein breites Spektrum an Österreichern statt der immer gleichen einfachen Seelen befragen, die aufgeganselt durch die Präsenz der Kamera sofort in die Ausländer-und-EU-sind-schlecht- oder in die Frauen-gehören-geprügelt-Falle tappen. Überraschungen erfährt man hier keine, ein Erlebnis ist das auch nicht. Das ist so 1995, das will niemand mehr sehen. (awa)

„So denkt Österreich“, montags, 21.20 Uhr, ATV

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.02.2015)

David Carr ist tot: Ein Champion der Underdogs

David Carr (58), der begnadete Medienjournalist der „New York Times“, ist tot. Einst drogenabhängig, fand er über das Schreiben zurück in ein normales Leben.

Vielleicht sitzt der Schock bei Kollegen, Freunden und Lesern so tief, weil dieser Tod so überraschend kam. Oder weil dieser Mann auf so unterschiedliche Weise Großes für den Journalismus geleistet hat. Noch am späten Donnerstagnachmittag hatte David Carr an der New School in Manhattan die NSA-Aufdecker Glenn Greenwald und Laura Poitras interviewt. Lässig, in schwarzem T-Shirt und schwarzer Weste saß er mit ihnen auf der Bühne und erzählte, dass er sich am Vorabend erneut Poitras‘ Edward-Snowden-Dokumentation „Citizenfour“ angesehen habe und wieso er das Licht, das er davor ausgeschaltet hatte, wieder aufdrehen musste: „Da ist etwas an dem Film, das es schwer macht, ruhig zu schlafen.“ Ein Videomitschnitt dieses „Times Talk“ zeigt, wie einfühlsam und klug Carr mit seiner knarzigen Stimme Fragen stellte.

Wenige Stunden später kollabierte er in der Redaktion der „New York Times“ in der Eighth Avenue und verstarb noch in der Nacht in einem Spital in Manhattan. Die tiefe Betroffenheit über seinen Tod zeigt, wie viele Menschen diesen Journalisten für sich entdeckt und seine Texte gern gelesen haben. Es war auch wirklich schwer, diesen Mann zu übersehen. Seine Lebensgeschichte ist wie sein Schreiben: sehr außergewöhnlich.

David Carr kam früh mit Drogen in Berührung, und das, wie er in seiner 2008 erschienenen Autobiografie „The Night of the Gun“ erzählt, ohne besonderen Grund. Geboren und aufgewachsen im Städtchen Hopkins, Minnesota, als mittleres von sieben Kindern gütiger Eltern erlebte er eine unspektakuläre Schulzeit. Während des Studiums begann er mit Drogen zu experimentieren und blieb bei Kokain und Crack hängen. Den Abschluss in Psychologie und Journalismus schaffte er dennoch, blieb aber jahrelang drogenabhängig und dealte selbst mit Kokain und Crack. Erst nach der Geburt seiner Zwillingstöchter schaffte er den Ausstieg, zog nach New York und begann früh über Medien zu schreiben, zuerst für die Website Inside.com, später für das Magazin „Atlantic Monthly“.

Dank Doku zum Star seines Blattes

Erst spät, nämlich 2002, begann er als Wirtschaftsjournalist für die „New York Times“ zu schreiben und konzentrierte sich bald auf die Medienindustrie. In seiner montäglichen Kolumne „The Media Equation“ besprach er in sehr direktem, amüsanten Ton die Entwicklungen der Medien- und Digitalbranche und setzte einen neuen Standard in der Medienberichterstattung.

Dabei gelang ihm vor allem eines: Texte über die eigene Zeitung, so wie erst im Frühling 2014 über den plötzlichen Abgang von Chefredakteurin Jill Abramson oder die Streichung von 100 Stellen in der Redaktion, waren stets so ehrlich und distanziert verfasst, als würde er über die Konkurrenz schreiben. Auch an Kritik sparte er dabei nicht.
Carr schrieb aber auch über den Kulturbetrieb, förderte Independent-Kinofilme wie den Film „Juno“ über eine Teenager-Mutterschaft und war maßgeblich daran beteiligt, dass Lena Dunhams Serie „Girls“ bekannt wurde. Die Regisseurin und Autorin verabschiedete sich am Freitag in einem berührenden Post auf Instagram von ihm, dem „champion of underdogs and wild ones“.

Zu seinen amüsantesten Texten zählte „The Carpetbagger“, eine Rubrik, in der er während der Filmfestivalsaison launig über Ereignisse auf dem roten Teppich (red carpet) berichtete. Dank der Dokumentation „Page One: Inside the New York Times“ (2011) wurde er schließlich zum Star des Blattes. Die Macher der Doku hatten den Mann mit dem storchenähnlichen Aussehen zum kauzig-liebenswerten Hauptdarsteller gemacht, der inner- und außerhalb der Redaktion die Freuden des Journalistendaseins pries. Arthur Ochs Sulzberger junior, der Eigentümer des Blattes, würdigte Carr am Freitag „als einen der begabtesten Journalisten“ des Hauses. Chefredakteur Dean Baquet nannte ihn in einer E-Mail an die Redaktion „our biggest champion and one of the leaders of our newsroom“.

Im Nachwort seiner Autobiografie schrieb Carr: „Heute lebe ich ein Leben, das ich eigentlich nicht verdiene, aber fühlen wir uns nicht alle wie Schwindler? Der Trick ist, dankbar zu sein und zu hoffen, dass die Freude nicht zu früh endet.“ Ausgerechnet für ihn kam das Ende früh. David Carr war erst 58, hatte vor Jahren Lymphkrebs besiegt und hätte gern noch mehr Zeit mit seiner Frau Jill Carr und den drei Töchtern Maddie, Erin und Meagan verbracht. Dass er aber praktisch in der Redaktion, für die er so gelebt und gewerkt hatte, starb, ist vielleicht kein Zufall.