Leitartikel: Europa sucht ein Wundergesetz, das Google in die Schranken weist

So zögerlich wie Europa bisher gegen Google auftrat, wirkt der Vorschlag einer EU-Digitalabgabe fast lieb. Wer Gesetze einführt, muss sie auch ernst nehmen.

Vollmundig und offensichtlich voll motiviert hat der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger angekündigt, er wolle eine europaweite Abgabe für die Online-Nutzung geistigen Eigentums einführen. Das ist prinzipiell keine schlechte Idee, gäbe es da nicht schon gefühlte siebzig Abgaben für geistiges Eigentum pro Mitgliedsland und die Frage, wie man diese mit einer neuen EU-Abgabe vereinen kann. Und würde dieser Vorschlag nicht schon wieder so auffällig darauf abzielen, den Suchmaschinenriesen Google endlich in die Knie zu zwingen.
Dass sich jener aber nicht so leicht einschüchtern lässt, sollte sich herumgesprochen haben. Gerade Oettinger müsste das in seiner Heimat, Deutschland, mitbekommen haben. Dort zeigt Google gerade, wie leicht es ist, die Verlage vor sich herzutreiben. Große Medienhäuser, allen voran Axel Springer, die Funke Mediengruppe (die in Österreich 50 Prozent an der „Krone“ hält) und der Burda-Verlag, haben monatelang um ein Lizenzrecht für die Nutzung der kurzen Textanrisse auf Google gebettelt und es prompt bekommen. Doch Google nimmt Gesetze wie dieses mit ungerührtem Schulterzucken zur Kenntnis und sagt: „Dann eben nicht.“ Statt die seit August 2013 geltende Gebühr für die Textanrisse zu zahlen, kündigte der Konzern an, diese nicht mehr anzuzeigen. Worauf die Verlage vergangene Woche einknickten und reihenweise eine „widerrufliche Gratiseinwilligung“ für die Nutzung der Texte erteilten. Es gibt nun also ein Gesetz, und keiner hält sich daran. So zwingt man Netzmonopolisten sicher nicht in die Knie.

Wenn Oettinger seine Ankündigungen im „Handelsblatt“ ernst nimmt, die sein Büro am Dienstag ohnehin als „grobe Vorstellungen“ relativiert hat (siehe rechts), sollte er sich genau überlegen, wie eine solche Abgabe aussehen könnte und sich im Vorfeld um eine Einigung mit Google und anderen Digitalkonzernen bemühen. Das alles kostet Zeit, weshalb Oettinger am Dienstag vor allem für seinen gewagten Zeitplan von einem Jahr Gelächter von Legisten und Netzpolitikern geerntet hat. Bis 2016 will er nicht nur die Abgabe, sondern auch ein einheitliches europäisches Urheberrecht einführen. Sein Vorgänger, Michel Barnier, als EU-Binnenmarktkommissar bisher für das Thema zuständig, hat das in fünf Jahren nicht geschafft.

Ähnlich wie Oettinger lässt sich auch der österreichische Verlegerverband VÖZ nicht von der deutschen Google-Niederlage einschüchtern. In regelmäßigen Abständen fordert der VÖZ ein Leistungsschutzrecht nach deutschem Vorbild. Freilich soll es weniger schwammig und mutlos formuliert sein als im Nachbarland. Aber ist der VÖZ wirklich gewappnet, wenn Google auch Österreichs Medienhäusern droht, die Textausschnitte nicht mehr anzuzeigen? Und ziehen wirklich alle Verlage im Land an einem Strang?

Ebenso wenig wie in Deutschland. Dass die Verlage so wenige Chancen mit ihrer durchaus legitimen Forderung auf Bezahlung ihrer Textausschnitte hatten, hat auch damit zu tun, dass sie sich untereinander so uneinig waren. Zeitungshäuser wie „Die Zeit“ oder „Die Süddeutsche“ hatten sich der Lizenzrechtforderung gar nicht erst angeschlossen. Nur der Springer-Verlag stand und steht an vorderster Front im Kampf gegen Google. Vorstand Mathias Döpfner schrieb sogar einen Brief an Google-Chef Eric Schmidt, in dem er gestand, in einem Abhängigkeits-Angst-Verhältnis zu Google zu stehen. Döpfners Brief wirkte auf Netzexperten so naiv wie die deutsche Kanzlerin Merkel, wenn sie von „diesem Internet“ spricht, das „für viele von uns noch Neuland“ ist. Die Mächtigen in Wirtschaft und Politik glauben, dass über Jahrzehnte gewachsene Entwicklungen im Netz leicht revidierbar sind.

Wenn sich Europa auf eine Lex Google einigt, muss sie diese mit allen Konsequenzen durchziehen. Auf halbem Weg die Meinung zu ändern geht dann nicht mehr.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.10.2014)

 

Translation:

 

Europe looks for a miracle law designed to rein in Google

In view of how timidly Europe has been facing off against Google so far, the suggestion of an EU-wide digital copyright fee is almost quaint. Newly introduced laws should be taken more seriously.

In a grandiose and very motivated speech, German EU-commissioner Günther Oettinger has announced his goal of introducing a Europe-wide fee for the online use of any intellectual property. This is not a bad idea per se, if it wasn´t for the around seventy or so intellectual property fees per member state that are already in existence, begging the question whether they would all be compatible. Also, this proposition, like others before, has a whiff of being aimed directly at Google, so as to finally bring it to its knees.

The fact that the Google board isn´t very easily intimidated should be common knowledge and particularly Oettinger, hailing from Germany, must have noticed this in his own country. There, Google is currently demonstrating the perfect way to keep publishing houses on a short leash. Media giants like Axel Springer, Funke Mediengruppe (holding 50% of the Austrian daily “Krone“) and Burda Media had to beg for the licensing rights to Google news snippets for months and were finally approved. Google, however, has acknowledged similar laws with serene indifference and a“suit yourselves“ attitude.
To wit – instead of yielding to a law in place since August 2013 and paying the required fee, Google announced instead, they would just not be featuring the snippets anymore. Which in turn forced the publishing houses to cave and grant Google a“revocable consent”agreement to reproduce content. So there is a law, but nobody complies. This is not the way to stare down a giant internet monopolist.

Oettinger´s announcements, featured in Germany´s business newspaper „Handelsblatt“were softened on Tuesday by a qualifying statement from his office calling them „rough ideas“ (see page right), but if Oettinger is at all serious about a revised law, he should think carefully about the exact details of this EU-wide fee, ideally to be immediately followed by an agreement with Google and other digital media corporations. This will require quite a bit of time, which is why Oettinger´s sporty deadline of one year from now was received with amused derision by legislators and network policy makers. By 2016, he wants to have introduced the mandatory fee as well as a European standardized copyright law. His predecessor, Michel Barnier, Commissioner for the Internal Market and therefore responsible for this conundrum before Oettinger, did not manage to find a solution in five years.

Similar to Oettinger, the Austrian publishing association VÖZ refuses to be flustered by the small Google victory in Germany, instead regularly demanding German-style neighboring rights, but less vague and with a little more oomph. But is the VÖZ prepared for a threat by Google to revoke Austrian news snippets? And are all publishing houses really on the same page?

And just like in Germany, the answer is no.
The chances publishers had to get paid for their snippets, an entirely legitimate demand, were very small primarily due to constant discord amongst each other. Newspapers like „Die Zeit“ and „Die Süddeutsche“ stayed away from the licensing rights demands from the start. Only the Springer publishing house was first in line in the fight against Google. Managing Director Mathias Döpfner even wrote a personal letter to Google CEO Eric Schmidt, bizarrely confessing to a rather one-sided relationship to Google based on dependency and fear.
Internet experts labeled Döpfner´s missive “naïve”, not unlike Chancellor Merkel´s comments about „that internet“ being „virgin territory for many of us“.

The great and powerful in the worlds of economy and politics think that even online developments that have organically grown over decades can now be very easily revoked.

So if Europe ever agrees on a Lex Google, it will have to be very rigidly adhered to by everyone involved. Changing tack halfway through will then no longer be possible.

Paid Content: Und jetzt die Nachrichten

New York Times und Axel Springer schießen drei Mio. Euro in das holländische Start-up Blendle, ein iTunes für Nachrichten.

Utrecht/Berlin/New York. Ein bisschen Größenwahn gehört beim Gründen dazu. Nicht weniger als „eine Revolution“ hatten die beiden 27-jährigen Holländer Alexander Klöpping und Marten Blankesteijn im Mai beim Launch ihrer Onlineplattform Blendle angekündigt. Dieser Revolution sind sie in der Nacht auf Montag ein großes Stück näher gekommen.

Nur sechs Monate nach dem Start sind zwei der wichtigsten internationalen Medienhäuser auf das Start-up aus Utrecht aufmerksam geworden: Die New York Times Company und der deutsche Axel Springer Verlag beteiligen sich zu 25 Prozent an Blendle und investieren drei Millionen Euro. Die Gründer halten weiter 75 Prozent.

Aber was ist Blendle genau? Der Einfachheit halber und mit dem eingangs erwähnten Größenwahn ausgestattet verglichen sich Klöpping und Blankesteijn von Anfang an mit Apples iTunes. Ähnlich wie der digitale Kiosk für Musik, Filme und Bücher ist Blendle eine Plattform (und eine App) für Nachrichten. Artikel können auf der Seite einzeln bezogen werden, um 20 bis 40 Cent oder mehr. Beim Start in Holland waren so gut wie alle großen Medienmarken aus Holland an Bord, und das, obwohl die meisten Zeitungshäuser gerade erst ihre eigenen Bezahlsysteme für Online-Nachrichtenseiten errichtet hatten. Von den 130.000 Abonnenten, die Blendle laut eigenen Angaben hat, geben erst 20 Prozent regelmäßig Geld für Texte aus. Der Rest surft gratis auf der Plattform und vernetzt sich mit Freunden oder Kollegen.

Deutsche Konkurrenz Readly

Springer und New York Times sehen in Blendle ein weiteres Werkzeug, das dazu beitragen kann, eine Bezahlkultur für Journalismus im Netz zu etablieren. Mit einem einfachen Bezahlsystem sei vor allem eine junge, internetaffine Generation von Lesern eher bereit, für journalistische Inhalte zu zahlen.

Springer bekommt allerdings schneller Konkurrenz als gedacht. Schon am Montag ging das deutsche Portal Readly online. Dort können die Inhalte der Bauer Media, der Funke Mediengruppe, des IT-Verlags IDG (etwa „PC Welt“) und das Vice-Magazin (70 Magazintitel zum Start) für eine Flatrate von 9,99 Euro (ähnlich wie bei Netflix oder Spotify) gekauft werden.

Bei Blendle ist die Investitionssumme von drei Millionen Euro noch eine relativ überschaubare Summe. Wenn die Plattform allerdings in vielen anderen europäischen Ländern angenommen wird, könnte damit nach dem schwedischen Spotify das nächste große Digitalprojekt aus Europa kommen. Und zwar eines, das vielleicht wirklich eine Revolution für die Zeitungsbranche bringt. Darauf zumindest hoffen die großen Verlage wie Springer und New York Times.

Ein guter Tag fährt Straßenbahn

Thomas Weber, Herausgeber der Gratisqualitätsmagazine „The Gap“ und „Biorama“, hat ein gar nicht langweiliges Buch zum etwas langweiligen Thema Nachhaltigkeit verfasst.

Die Band Mondscheiner gibt es längst nicht mehr. Unter anderem, weil sich Sänger Manuel Rubey seit einigen Jahren auf die Schauspielerei konzentriert. Trotzdem hätte eines ihrer Lieder das Zeug zur Titelmelodie von Thomas Webers erstem Buch: „Dieser Tag fährt Straßenbahn“ heißt es in dem Gutelaunesong. Er passt deshalb gut zu Webers Ideenfibel, weil er darin beschreibt, was ein guter, umweltschonender Tag ist. Mit der Straßenbahn (oder generell mit öffentlichen Verkehrsmitteln) zu fahren gehört da natürlich dazu.

Der St. Pöltner Residenz-Verlag ist wohl aus mehreren Gründen mit einer Buchanfrage auf Weber zugegangen. Der langjährige Herausgeber des 1997 gegründeten Kultur- und Musikmagazins „The Gap“ ist nicht nur ein profunder Literatur- und Popkenner, sondern interessiert sich auch schon seit Langem – und nicht erst seit der Gründung des Magazins „Biorama“ 2005 – für Themen rund um Landwirtschaft, Tiernutzung und einen ressourcenschonenden Lebensstil. Obwohl er zuerst noch dachte, das Thema Nachhaltigkeit sei nun wirklich schon „totgekaut“, kam ihm dann aber doch schneller als gedacht eine spezielle Buchidee. Vor einigen Jahren hatte er über die Initiative „Ein guter Tag hat 100 Punkte“ des Vorarlberger Unternehmens Kairos und der Designagentur Integral Ruedi Baur geschrieben. Mit einem Koordinatensystem wird dabei „die abstrakte CO2-Verbrauchsmetapher, in der niemand denken kann“, so Weber, verständlich gemacht. Jeder Mensch sollte nur 6,8 kg CO2 pro Tag verbrauchen, um Welt und Klima im Gleichgewicht zu halten. Tatsächlich verbraucht der Industriestaatenbewohner derzeit im Schnitt 450 kg. Aber wer weiß schon, wie viel wir verbrauchen, wenn wir ein Huhn essen, Kaffee trinken, Lift fahren oder uns die Hände beim warmen Luftgebläse trocknen lassen? Das 100-Punkte-System soll dabei helfen, die eigene Tagesbilanz auf der Website einguterttag.org zu berechnen. Ein Huhn aus dem Billigsupermarkt (250 g) schlägt in der Tagesbilanz mit 29 Punkten zu Buche, ein Biohuhn hingegen nur mit 15. Genauso viele Punkte kostet ein Mal Wäschewaschen. Kaffee ist mit vergleichsweise geringen 0,8 Punkten (0,6 bei Biokaffee) eine ressourcenschonende Angelegenheit. Und dass man sich mit der eingangs erwähnten Straßenbahn umweltschonender fortbewegt als mit dem Auto oder Bus, weiß jedes Vorschulkind. Noch weniger Punkte, nämlich null, verbrauchen wir nur beim Radfahren und Zufußgehen.

Hat Weber also nur eine gute Idee gefunden und nacherzählt? So einfach hat er sich das nicht gemacht. Sein Buch basiert zwar auf der Eingutertag-Idee, will aber vor allem Lust auf nachhaltiges Leben machen, frei von Reformhaus-Romantik oder „rustikalem Vintage-Retro-Leben“. Weber zieht seine eigenen Schlüsse und stöberte neue und zum Teil sogar für ihn, den „Biorama“-Experten, unbekannte Initiativen auf, die den nachhaltigen Lebensstil nicht nur erleichtern, sondern auch nach einem schönen Wochenend- oder Urlaubsprogramm klingen. Weber rät etwa, jeder Mensch sollte sich einen Bauern suchen. Also einen Landwirt, bei dem man Obst, Gemüse oder Tierprodukte bezieht und mit dem man auch eine Gesprächsbasis hat.

Bei Webers insgesamt 30 Handlungsanleitungen überraschen gerade jene rund um Haltung und Nutzung von Tieren. Anders gesagt: Strenge Veganer wird Webers Buch vermutlich enttäuschen. Im Kapitel „Zelebriere den Tierfreitag“ erläutert er die Idee von Kochbuchautorin Katharina Seiser, einmal pro Woche bewusst auf tierische Lebensmittel zu verzichten. Den Rest der Woche können Fleisch und Tierprodukte aber ruhig auf dem Speiseplan stehen. Auch die Auseinandersetzung mit der Jagd empfiehlt Weber. „Würden alle acht Milliarden Menschen auf Fleisch oder überhaupt auf tierische Produkte verzichten, hätten wir ein riesiges Problem.“ Pflanzenfressende Nutztiere wie Rinder und Ziegen würden dem Menschen schließlich dabei helfen, Landschaften zu nutzen. Der Mensch kann frisches Gras oder Heu nicht verdauen.

Iss Innereien

Feinschmecker werden den Vorschlag „Iss Innereien“ gern beherzigen. All jenen, die bisher Herz, Leber oder Niere mit Naserümpfen abgelehnt haben, erklärt Weber, wie wichtig es ist, alle Teile eines Tieres zu essen. Überraschend ist auch der Ratschlag „Iss bedrohte Tiere“: „Nur die Pflanzen und Tiere, die wir nutzen, werden wir tunlichst erhalten wollen.“

Ohne erhobenen Zeigefinger oder Insiderangeberei rät Weber also zu unkonventionellen („Miete eine Waschmaschine“ oder „Werde Bauer auf Zeit“) und auch bekannten („Radle zur Arbeit“, „Repariere, anstatt wegzuwerfen“) Nachhaltigkeitsmethoden für den Alltag. Für manche mag das Endprodukt eine „Gutmenschenfibel“ sein. Thomas Weber stört das nicht. „Da ich kein Problem damit habe, als Gutmensch bezeichnet zu werden. Ich weiß nicht einmal, was das ist.“ Zudem ist er selbst nicht in allen Bereichen vorbildlich. „Ich habe ein Auto, aber ich fahre auch Rad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln.“

Kann der zweifache Vater und viel beschäftigte Herausgeber von zwei Magazinen seinem letzten Ratschlag „Lebe intensiver, arbeite weniger“ wirklich folgen? Er versucht es zumindest. Um das Buch zu schreiben, habe er etwa „die WM ausgelassen“. Kein großer Verzicht für den wenig Fußballinteressierten. „Ein Match anzusehen kann Teil eines intensiven Lebens sein, aber manchmal heißt intensiver zu leben auch, auf etwas zu verzichten.“ Schon mehr geschmerzt hat ihn, dass er ein Jahr lang „de facto keine Belletristik“ gelesen habe. Das hole er jetzt nach.

In seinem Buch will Weber den Lesern vor allem klarmachen, dass es sich lohnt, bei Themen wie Jagd, Fleischkonsum, Energieverbrauch oder Freizeitgestaltung genauer hinzusehen und sich die Kreisläufe von Lebensmittelproduktion und Tierhaltung bewusst zu machen. Nicht alles, was sinnvoll oder umweltschonend klingt, ist gut – und umgekehrt.

Buch und Termin:

„Ein guter Tag hat 100 Punkte“ von Thomas Weber (Residenz, 224 Seiten, 18 Euro).

Buchpräsentation am 28.10., 19h, Wien 9, Hartliebs Bücher, Porzellangasse 36.

Thomas Weber, Martin Strele und Katharina Seiser (Initiatorin des „Tierfreitags“) diskutieren.

 (Credit: Clemens Fabry)

 

„Girls“: Jetzt schreibt sie auch noch

Lena Dunhams Buch „Not That Kind of Girl“ sollte man wie ihre Serie auf Englisch konsumieren. Hinter den flapsigen Texten über Nacktheit, Hypochondrie, Vergewaltigung und ihre Familie steckt ganz schön viel Weisheit für eine 28-Jährige.

Lena Dunham (Credit: AutumndeWilde)Wer noch Zweifel an Lena Dunhams Herkunft und Erziehung hatte, verliert sie nach Lektüre dieses Buches. Hier plaudert eine junge Frau aus liberalem Manhattaner Künstlerhaushalt, die schon als Dreijährige „mit anderen Töchtern von Downtown-Rebellinnen“ feministische Treffen besuchte, „während unsere Mütter die nächste Demo organisierten“. Sie wächst in einer Familie auf, „die mich liebte und keine größeren Sorgen hatte außer, welche Galerie wir am Sonntag besuchen sollten und ob der Kinderpsychologe bei meinen Schlafproblemen weiterkam“. 

Das, was Lena Dunham hier als wunderbare Kindheit beschreibt, ist Grund für viele, die 28-Jährige nicht ernst zu nehmen oder gar zu verachten. Weil eine wie sie vom echten Leben nichts verstehen könne. Auf der anderen Seite gibt es viele, vor allem Frauen aller Altersstufen, die sie verehren. Vielleicht weil sie erkennen, dass man nach einer solchen Kindheit auch eine ganz andere hätte werden können. Oberflächlich, faul, sich auf Geldpolster und Ruhm der Künstlereltern ausruhend oder aus Mangel an existenziellen Problemen sich auf die Perfektion ihres Äußeren konzentrierend.

„Mein Boss bin ich“
Stattdessen hat Dunham neben gesundem Selbstbewusstsein offenbar auch viel Gescheites von ihren Eltern mitbekommen, früh zu schreiben und drehen begonnen und als 24-Jährige mit „Girls“ eine der spannendsten Serien über junge Erwachsene im Manhattan der 2010er-Jahre erfunden. In der spielt sie nicht nur die Hauptrolle, sondern zeigt auch einen ungezwungen Umgang mit ihrem nach Hollywood- oder Prêt-à-porter-Maßstäben alles andere als perfekten Körper und dem Thema Sex. Auch das übrigens brachte ihr gleichermaßen Kritik wie Lob ein. Schauspielerin Mia Farrow etwa forderte nach dieser einen, ganz besonderen „Girls“-Folge (Staffel Zwei), in der Dunham nur in Unterhosen Tischtennis spielt und mit einem makellosen Mann schläft, via Twitter einen Golden Globe für Dunham.

Den Preis hat sie ein Jahr später wirklich bekommen, und der Nacktheit widmet Dunham in „Not That Kind of Girl“ sogar ein ganzes Kapitel. Dass sie sich so gerne nackt zeigt, ist wohl ebenso Folge einer liberalen Kindheit als auch einer Fotografen-Mutter, die mit ihrem eigenen Körper experimentierte. Als Lena als junger Teenager in den Ferien mit einem gleichaltrigen Freund Fahrrad fuhr, kam es ihr unfair vor, dass sie T-Shirt trug und er nicht. „Ich hielt an, zog mein T-Shirt aus, und wir strampelten schweigend weiter.“ Eine Szene, die aus „Girls“ stammen könnte. Dass sie in ihren Filmen oft nackt ist und Sex-Szenen dreht, verschaffe ihr auch eine Form von Kontrolle über Set und Szene. „Doch ich tue es vor allem, weil mein Boss es von mir verlangt. Und mein Boss bin ich.“

Natürlich muss man Lena Dunhams vordergründig oberflächlichen Plauderton mögen, vor allem weil man zwischen den bisweilen flapsigen Nonsense-Sätzen gern die tiefgründigeren über Selbstachtung, Verlust und den Umgang mit dem eigenen Körper überliest. Es lohnt sich also mehr als sonst, das Buch – so wie übrigens auch die Serie – im englischen Original zu konsumieren. Obwohl die deutsche Ausgabe soeben fast zeitgleich mit der englischen erschien, lesen sich Dunhams Aufzeichnungen im Original authentischer. Dass bei der Übersetzung die feinen Zwischentöne verloren gehen, zeigt schon der Untertitel: Aus dem Englischen „A young woman tells you what she’s ,learned‘“ wird im Deutschen die ironiefreie Version „Was ich im Leben so gelernt habe“.

Entbehrlich sind die Buzzfeed-Listen
Schon 2012 unterschrieb Dunham den 3,5-Millionen-Dollar-Vertrag mit Random House. Dem Druck, den eine solche Summe auslösen muss, hielt sie stand und lieferte eine bunte, ziemlich ehrliche Erzähl-Collage einer starken jungen Frau, die ihre Jugend und ihr junges Erwachsenenleben reflektiert. Entbehrlich sind nur die an Buzzfeed erinnernden Listen wie „15 Dinge, die ich von meiner Mutter gelernt habe“ oder „die Top Ten meiner Ängste in Sachen Krankheiten“. Doch apropos Krankheit. Neben den Erfahrungen mit „Fieslingen“, auf die sie früher reinfiel und von denen einer sie vergewaltigte, schildert sie ihre frühe Besessenheit vom Tod und die Therapien, die sie aufgrund ihrer Zwangsneurose und ihrer Angstzustände macht. Auch eine behütete Kindheit lässt genug Platz für Irregularien und Abnormitäten. Eine der berührendsten Geschichten ist die über das Coming-out ihrer jüngeren Schwester Grace, das sie zwar unerlaubt der Mutter verrät, an der aber das besonders liebevolle Verhältnis in der Familie spürbar wird.

Längst ist Dunhams Ruhm so groß, dass selbst ihr freundlich gesinnte Menschen genau beobachten, ob sich die Frau verbiegen lässt, etwa plötzlich radikal abnimmt. Bis auf die Aufregung um eine Fotostrecke in der „Vogue“, in der Dunham sichtbar schlanker und makelloser aussah als real, war das bisher nicht der Fall. Ihr Buch hat sie neben ihrer Familie der 2013 verstorbenen (Drehuch-)Autorin Nora Ephron („Harry und Sally“) gewidmet. Mit dieser wird sie nun gern verglichen. Dabei ist Dunham, ganz wie ihre „Girls“-Protagonistin Hanna Horvath sagt, „eine Stimme einer Generation“ – und daher eigentlich unvergleichbar mit den vielen Stimmen früherer Generationen.

ZUR PERSON

Lena Dunham, geboren 1986 in New York City, die ältere von zwei Töchtern des Malers Carroll Dunham und der Fotografin Laurie Simmons. Sie begann schon früh Texte zu schreiben, studierte Kreatives Schreiben am Oberlin College. Mit ihrem ersten Langfim „Tiny Furniture“ machte sie erstmals auf sich aufmerksam. Seit 2012 ist sie Drehbuchautorin, Produzentin und eine der vier Hauptdarstellerinnen in der HBO-Serie „Girls“. Staffel vier wird Anfang 2015 ausgestrahlt. Das Buch „Not That Kind of Girl“ erschien soeben auf Englisch bei Random House und am Dienstag auf Deutsch bei S. Fischer (Übersetzt von Sophie Zeitz und Tobias Schnettler, 304 Seiten, 20,60 Euro). Random House bezahlte Dunham im Vorfeld ein 2,8 Millionen-Euro-Honorar.

90 Jahre Radio: Das „Jugendzimmer“ als Tor zur Welt

Das FM4-»Jugendzimmer« gibt es nicht mehr. Erinnerung an den Sommer 1998, in dem ich dort zu Gast war.

Als der Sender FM4 1995 on air ging, eröffnete sich für mich eine neue Welt. Eine mit Musik, die ich bis dato auf Ö3 und in den CD-Verkaufsecken der karg und lieblos bestückten Libro-Filialen nicht entdeckt hatte. Aber auch eine der Satire, der Ironie und des Austauschs. Freitagabend war das Highlight der Woche mit Ster- und Grissemanns „Salon Helga“, deren Humor ich erst nach und nach verstand, und der Techno-Sendung „La Boom De Luxe“, die nach Freiheit klang. Es gab Zeiten, da wollte ich freitags lieber zu Hause bleiben und Radio hören, als mich für die Tanzschule aufzubrezeln und danach in irgendeinen Stadtrandclub zu stellen, schließlich gab es weder Podcasts noch Radio-Streams. Die besten Szenen aus „Salon Helga“ spielten Freundin Carina und ich uns am Samstag in der Schule auf Kassette vor.
Besonders gern hörte ich das „Jugendzimmer“. Elisabeth Scharang besuchte jede Woche andere Jugendliche aus unterschiedlichsten Milieus, ließ sie erzählen und spielte ihre Musik. In meinem Jugendzimmer sitzend fühlte ich mich den mehr oder weniger Gleichaltrigen verbunden.
Im Sommer 1998 nahm ich meinen Mut zusammen und lud die „Jugendzimmer“-Redaktion per Brief (!) in das Ferienlager am Wolfgangsee, in dem ich seit Jahren meinen Sommer verbrachte. Und Scharang kam, sprach mit mir und Sommerlagerfreund Michael und spielte unsere Musik. Ich war während der Sendung viel mutiger als danach, als mir bewusst wurde, wie viel Stumpfsinn ich in der Aufregung geplappert hatte.
Diese Woche hat das „Jugendzimmer“ Sendeplatz (Dienstag, 21 Uhr) und Name („FM4 auf Laut“) gewechselt. Die Sendung höre ich schon lange nicht mehr, aber durch sie bin ich zur Radiohörerin geworden. 

Arianna Huffington: Erfolgsrezept Schlaf

Die Gründerin der Web-Zeitung »Huffington Post« kommt demnächst nach Wien und spricht über das Mediengeschäft. In Berlin stellt sie einen Tag später ihr neues Buch vor, in dem sie für den Acht-Stunden-Schlaf wirbt. Das ist kein Zufall.

Presse am Sonntag am 14. September 2014. Vor einer Woche landete sie in Australien, schon am Mitt woch flog sie weiter nach Neuseeland. Doch Arianna Huffington war in diesen Ländern nicht, um „unter dem Mangobaum“ zu entspannen, wie sie es in einem Interview nennt. Überall, wo sie hinkommt, hat sie Termine, Termine, Termine. Hier eine Buchpräsentation, dort einen Vortrag, dazwischen Gespräche mit Medienschaffenden. Über all das berichtet sie öffentlichkeitswirksam und nicht selten garniert mit Selfies oder Gruppenfotos auf Twitter oder Instagram; wer sie dort direkt anspricht, bekommt mitunter ein freundliches „See you“ zurückgeschickt.

Kurzum: Es fällt ein bisschen schwer, der 64-jährigen Geschäftsfrau ihr eigenes Mantra vom „Weniger ist Mehr“ abzunehmen. Seit Monaten tourt sie mit ihrem neuen Buch „Thrive“ („Erfolg“) – buchstäblich – durch die Welt. Es ist das Erfolgsrezept einer vermeintlich Geläuterten. 2007 erlitt sie einen Zusammenbruch – das war zwei Jahre, nachdem sie die Online-Zeitung „Huffington Post“ gegründet hatte. Ziemlich plastisch schildert sie dieses für sie einschneidende Erlebnis nicht nur im Buch, sondern bei so gut wie jeder Gelegenheit. Damals sei sie vor allem aufgrund von Schlafmangel zusammengebrochen, mit dem Kopf auf den Badewannenrand geknallt und Stunden später in einer Blutlacke liegend aufgewacht. Danach vollzog sie einen für sie radikalen Wandel: Die 18-Stunden-Tage mit nur vier Stunden Schlaf ließ sie sein. Heute versuche sie „90 Prozent ihres Lebens, acht Stunden Schlaf zu bekommen“. Sie arbeite deswegen nicht weniger hart, aber sie achte darauf, „sich aufzuladen und zu erholen“. Es sei ein Irrglaube zu denken, wer auf seinen Körper achte, könne keinen Erfolg haben. Zudem hält es die Social-Media-Heavy-Userin (21.000 Tweets, 1,61 Millionen Follower) für unerlässlich, einmal pro Woche ein paar Stunden „strictly offline“ zu sein. Gerne verlinkt sie zu diesem Zweck auf Artikel wie diesen: „Why your family should go Internet-free on your next vacation.“ Wo die erscheinen? Erraten!

Online Only

Wenn Arianna Huffington am 23. September nach Wien kommt, wird sie weniger über ihr Acht-Stunden-Schlaf-Erfolgsrezept sprechen, als über den Wandel der Medien. Mit ihrer Online-Zeitung „Huffington Post“ hat sie Gespür bewiesen und als eine der ersten ein Online-Only-Medium gegründet. Zu Beginn waren Meinungsbeiträge der wesentliche Bestandteil der Webseite, und die Seite wurde fast ausschließlich von unbezahlten Bloggern bespielt. Erst 2008 entschied sich Huffington, ernsthaften Journalismus zu betreiben und engagierte erfahrene Reporter. 2011 verkaufte sie ihr Unternehmen an den Internetanbieter AOL (kolportierter Verkaufspreis: 315 Millionen Dollar), behielt aber die Leitungsfunktion. Somit wurde aus dem einstigen Blogger-Sammelbecken eine in den USA durchaus respektierte Nachrichtenwebseite. Nicht zuletzt, weil sie 2012 als erstes kommerzielles Onlinemedium den Pulitzerpreis gewann. In der Kategorie „National Reporting“ war der ehemalige „Time“- und „Los Angeles Times“-Journalist David Wood mit einer Geschichte über die psychischen und physischen Schäden der US-Soldaten nach dem Einsatz in Afghanistan und dem Irak aufgefallen.

Doch weil Arianna Huffington eben weniger der Typ „Unter-dem-Mangobaum-Entspannen“ ist, begann sie ihre Marke zu expandieren. Mittlerweile gibt es eine „HuffPo“-Ausgabe für Großbritannien und für Kanada, eine für Japan, eine für Hawaii und je eine für Frankreich, Italien und Spanien. Mitte November kommt eine in ihrer Heimat Griechenland dazu. Genau vor einem Jahr ging die deutschsprachige Ausgabe online und es wäre interessant zu wissen, ob Arianna Huffington bewusst ist, dass diese eher wie eine Mischung aus der sehr frühen „Huffington Post“ und der reinen Unterhaltungsseite „Buzzfeed“ daherkommt. Die „HuffPo Deutschland“ setzt fast ausschließlich auf Copy-and-Paste-Journalismus, Rankings und Listen und produziert kaum selbst Recherchiertes. Die Blogger schreiben wie damals zu Beginn in den USA gratis.

Griechische Wurzeln

Das vielleicht größte Kapital von Arianna Huffington, sagen manche ihrer Wegbegleiter, sei ihre griechische Herkunft. Die mache sie bis heute zu einer so offenherzigen und Türen-öffnenden Person. Als Arianna Stassinopoulos und Tochter eines Zeitungsverlegers wurde sie im Juli 1950 in Athen geboren. Die Ehe der Eltern zerbrach früh, die Tochter aus wohlhabendem Haus zog es mit 18 Jahren nach England, wo sie unter anderem in Cambridge Ökonomie studierte. Mit dreißig lebte sie als freie Autorin, verheiratet mit einem Journalisten in London. Nachdem diese Ehe scheiterte, zog sie nach New York, heiratete den Öl-Tycoon und Republikaner Michael Huffington und bekam mit ihm zwei Töchter. Auch diese Ehe wurde geschieden.

Der Ruf, der Arianna Huffington in den Achtzigerjahren als Autorin von Autobiografien nachhing, war nicht unbedingt der beste. Bei ihrem Buch „Maria Callas“ wurde sie des Plagiats beschuldigt – man einigte sich außergerichtlich auf einen Vergleich. Später behauptete die Kunstgeschichte-Professorin Lydia Gasman, Huffington habe in ihrer Picasso-Biografie aus ihrer unveröffentlichten Dissertation abgeschrieben. Interessanterweise hat die Professorin sich nie gerichtlich dagegen gewehrt. Bis zur Gründung ihres eigenen Mediums gehörte Huffington zur Manhattaner Oberschicht und war bekannt für das eine oder andere Buch (und den Skandal), doch das war’s. Erst mit der Zeitung und in ihren Fünfzigern kamen Ruhm und Erfolg.

In Wien bleibt sie übrigens nur einen halben Tag. Danach geht es weiter nach Berlin, das Büro ihres deutschen Ablegers besuchen und die deutsche Ausgabe ihres Buchs vorstellen. Es heißt: „Die Neuerfindung des Erfolgs“. Sie hätte es auch: Die Rückkehr zum Schlaf nennen können.

TERMIN

Arianna Huffington ist Gast des „future.talk“ der Telekom Austria Diskutieren wird auch der deutsche Medienblogger Stefan Niggemeier. Es moderiert Michael Fleischhacker, Chefredakteur der NZZ.at

Dienstag, 23. 9. 2014, ab 19 Uhr, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste (ehemals Semperdepot). Livestream: www.telekomaustria.com

Die Ururgroßväter von Meredith Grey

Spitalserie. Steven Soderberghs Serie „The Knick“ spielt in der gleichnamigen New Yorker Klinik im Jahr 1900. Da spritzen Ärzte zu Techno-Sound Kokain und öffnen mutig die Bauchdecken. So blutig und düster war kaum eine Arztserie davor.

Der Auftakt sitzt, und zwar gleich doppelt. Nur langsam wacht der Arzt Dr. John Thackery in einem Opiumsalon aus seinem Medikamentenrausch auf, sanft geweckt von den zierlichen Animierdamen. Unfrisiert, mit verrutschter Krawatte und Sonnenbrille raunt er dem Kutscher vor dem Bordell zu: „The Knick“, dort wolle er hin, und zwar über den längeren Weg durch Manhattan. Denn in der Kutsche hat er noch etwas zu erledigen, wie jeden Morgen muss er sich Kokain zwischen die Zehen spritzen. Nur so übersteht er den Arbeitstag im New Yorker Krankenhaus „The Knickerbocker“.

Dort erwartet man ihn schon im OP. In den Saal mit aufsteigenden Hörsaalreihen wird eine Schwangere geschoben, die die Herren in Weiß wimmernd bittet, ihr Kind zu retten. In 100 Sekunden und mit einem Schnitt wollen Thackery und seine Kollegen das Baby aus dem Bauch der Mutter geholt haben. Flasche um Flasche füllt sich mit Blut, das Kabel der Absaugpumpe verheddert sich, die Bauchdecke wölbt sich wie Wellblech – am Ende sind Kind und Mutter, man hat es kommen sehen, tot. Die Szene spielt im Jahr 1900, ein Kaiserschnitt war damals noch ein gefährlicher Eingriff. Und der Oberarzt sagt resigniert: „It seems we are still lacking.“ Oh ja, es fehlt – an Routine, Wissen und vielem mehr.

Skalpell auf gespannter Bauchdecke

Regisseur Steven Soderbergh weiß, was er seinen Zusehern da zumutet: „Wenn du die ersten sieben Minuten aushältst“, sagte er unlängst der „Süddeutschen Zeitung“, „dann hast du es geschafft. Wenn du damit ein Problem hast, dann solltest du besser nicht weitermachen.“ Zur Übersetzung für Serien kenner: Verglichen mit „The Knick“ waren „Emergency Room“ oder „Grey’s Anatomy“ lustige Ausflüge in den geschönten Krankenhausalltag. Hier sind die Ururgroßväter von Meredith Grey und Doug Ross an der Arbeit, und Soderbergh hat den Weichzeichner weggelassen. Die Serie spielt zu einer Zeit, in der die Medizin noch mehr Feld für Experimente war und OPs nach einem Eingriff an eine Schlachtbank erinnerten. Selbst abgebrühte Zuseher werden hier reflexartig die Hände vor das Gesicht halten müssen. Soderberghs Kameraführung ist erbarmungslos: Wenn das Skalpell die Bauchdecke durchschneidet, bleibt er drauf und drauf und drauf.

Untermalt wird die Szenerie im staubig-düsteren, vom Fortschritt vernebelten Manhattan mit rasant-kühler Elektromusik. Ein genialer Kniff. Das ist perfekte Serienkunst im Jahr 2014 – zu perfekt allerdings. Schnell hat man die Muster und Rollen dieser Geschichte durchschaut: Der Einzelgänger Dr. Thackery (mieselsüchtig gespielt von Clive Owen) ist nicht nur schwer kokainsüchtig, sondern auch übellaunig, cholerisch und rassistisch. Es gefällt ihm gar nicht, dass ihm der schwarze Arzt Algernon Edwards (vornehm: Andre Holland) zur Seite gestellt wird. Cornelia Robertson, die moderne und liberale Spitalchefin und Tochter des philanthropischen Krankenhaus-Stifters hält viel von Edwards, er ist der Sohn von der Köchin und dem Chauffeur ihrer Familie.

So geht es abseits der Blutgelage im Operationssaal um das Leben in der damaligen 3,5-Millionen-Metropole New York, die zu einem Drittel von europäischen Migranten bevölkert wurde. Diese armen New Yorker Neuankömmlinge werden im „Knick“ behandelt, wo die Ärzte eben auch mit neuen Therapie- und Operationsmethoden experimentieren. So bedienen sich manche Szenen in düsteren Armen-Wohnungen etwas billiger (und vorhersehbarer) Klischees. Wir haben verstanden: Frauen (hier vorzugsweise Krankenschwestern) und Schwarze haben nichts zu melden, alle Iren sind derb, und die Ärzte sind unantastbare Götter in Weiß.

Stoff für Montagmorgen im Büro

„The Knick“ ist ein weiteres reines TV-Projekt von Soderbergh. Vor zwei Jahren kündigte der Regisseur von Filmen wie „Erin Brokovich“ und „Sex, Lügen und Videos“ seinen Abschied aus dem Kinofilmsegment an. Nach dem TV-Biopic „Behind the Candelabra“ mit Michael Douglas und Matt Damon in den Hauptrollen und „The Knick“ arbeitet er schon an zwei weitere Serien („Red Oaks“, „The Girlfriend Experience“). Das Genre reizt ihn derzeit auch deswegen, weil sich das Fernsehen jenen Platz in der kulturellen Landschaft gesichert habe, der früher dem Film gehörte. „Niemand spricht mehr Montagmorgen über Filme in der Art wie derzeit über Fernsehen gesprochen wird.“ Gut möglich, dass jene, die am Montag über „The Knick“ sprechen, dabei angewidert das Gesicht verziehen.

„The Knick“. Läuft in den USA seit Freitag bei Cinemax und ist in Österreich ab heute, 9. 8. auf Sky Go abrufbar.

Blut und Eingeweide. Dr. Thackery (Clive Owen, dritter von links) führt das Regiment im OP-Saal. [ Credit: Home Office Box, Inc ]

Resetarits: „Ich bin sicher kein Pitbull“

In diesem Jahr moderiert „Bürgeranwalt“ Peter Resetarits ab 11. August die „Sommergespräche“. Dem Motto seiner anderen Sendungen folgend sollen diesmal die Bürger das Fragen übernehmen.

Peter Resetarits gefiels beim Heurigen. "Wir hätten die Sendung eigentlich auch hier machen können", sagte er. / Bild: (c) Die Presse (Clemens Fabry)
Peter Resetarits gefiels beim Heurigen. „Wir hätten die Sendung eigentlich auch hier machen können“, sagte er. / Bild: (c) Die Presse (Clemens Fabry)

Sie fanden wirklich schon überall statt, die „Sommergespräche“: im Dachfoyer der Hofburg (2011), in Betriebshallen (2010), auf Festspielbühnen (2009), bei Heurigen und gleich im ersten Sommer landete Sendungserfinder Peter Rabl mit dem damaligen FPÖ-Chef Norbert Steger im Swimmingpool. Heuer, im 33. Jahr, bleiben die „Sommergespräche“ im Studio am Küniglberg (was auch schon öfter vorkam). Dafür tingelt Moderator Peter Resetarits vorher durch das Land und holt Fragen und O-Töne der Bevölkerung ein, im Trailer der Sendung sagt er daher auch: „Ich stelle Ihre Fragen“. Wir trafen Resetarits zum Gespräch beim Heurigen Wambacher in Hietzing. Und während er im Gastgarten sitzt, sagt er: „Eigentlich hätten wir die Sendung auch hier machen können.“
Herr Resetarits, Sie arbeiten seit über 30 Jahren für den ORF, moderieren heuer erstmals (allein) die „Sommergespräche“. Warum tun Sie sich das an?

Peter Resetarits: Gefragt zu werden, ob man diese Sendung machen will, ist prinzipiell eine Ehre – noch dazu, wenn das Konzept der Sendung auf mich und meine Rolle als „Bürgervermittler“ und „Bürgerversteher“ zugeschnitten ist. Aber ich habe meine Vor- und Nachteile auf den Tisch gelegt und gesagt, was ich kann und was nicht so gut, wo es vielleicht Bessere gibt.

Und was können Sie nicht so gut?
Es gibt sicher Leute, die sich in den vergangenen 15 Jahren mehr mit innenpolitischen Themen beschäftigt haben als ich. Mein Vorteil ist, dass ich einen guten Überblick darüber habe, was die Leute wirklich stört. Wo öffentliche und veröffentlichte Meinung auseinander klaffen. Und ich kenn mich mit den Sorgen älterer Leute aus, rund um Themen wie Pension, Frührente oder Wohnen.

Es heißt, der Politik sei es Recht, dass heuer Sie dran sind, nachdem es u. a. 2013 nach den Wahlkonfrontationen Kritik am ORF gab. Haben Sie so einen netten Ruf?
Ich kenne meinen Ruf bei der Politik nicht, aber ich kann Ihnen ein paar Immobilienspekulanten nennen, Banken und Versicherungen, die mich nicht so nett finden.

Stimmt also nicht, dass sich Kanzler Werner Faymann lieber von Ihnen als von Armin Wolf befragen lässt?
Dazu habe ich wirklich keine Wahrnehmung. Ich bin im Ton freundlich und verbindlich, werde aber unter Beweis stellen, dass ich in der Sache sattelfest bin.

Der Kanzler war schon länger nicht mehr in der „ZiB 2″, elleicht auch wegen des hartnäckigen Fragestils von Armin Wolf. Werden Sie die Politiker sanfter anfassen?
Man muss ein vernünftiges Mittelmaß finden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ein bisschen zu früh interveniert wird, da hätte ich noch ganz gerne, dass der Gedanke ausgesprochen wird. Vorgenommen habe ich mir, mich nicht mit Alibi-Antworten abspeisen zu lassen und auch die Bürger an meiner Seite zu fragen, ob sie mit dieser oder jener Antwort zufrieden ist.

Mehr Wickert als Broder

Richtig, dass Sie eher der Ulrich Wickert- und nicht der Henryk Broder-Typ sind?
Das mag sein. Ich bin wie ich bin und werde mich auch nicht für die Sommergespräche verbiegen. Es hat keinen Sinn, sich zu verstellen. Ich bin mein Lebtag gut damit gefahren, dass ich authentisch bin. Ich habe auch keine Lust, den Pitbull zu spielen, der ich nicht bin. Schließlich will ich danach die Sendungen, die ich bis jetzt mache, weitermachen.

Aber ist das nicht der größte Vorteil: Anders als frühere Moderatoren, sind Sie in Ihrem normalen Berufsalltag nicht darauf angewiesen, ob der Kanzler oder die anderen, ins Studio kommt oder nicht.
Das stimmt, das ist mir in Wirklichkeit auch vollkommen egal, ob das einem Politiker gefällt oder nicht. Auf der anderen Seite bin ich meinem Publikum und mir selbst verpflichtet, mir treu zu bleiben. Was ich befürchte ist, dass die Leute danach sagen: „Der ist immer so ruhig, aber da war er ein Unsympathler, der ist ja hysterisch.“ Das würde ich mir gerne ersparen, weil ich das auch nicht bin.

Einiges ist heuer anders: Sie gehen ab sofort auf Österreich-Tour, um Stimmen aus dem Volk einzufangen, im Studio werden Bürger zu Gast sein. Wird das nicht ein „Bürgerforum light“?
Nein. Die Fragen und Vorwürfe sind zum Teil recht harsch. Die Bürger auf der Straße sagen manchmal Dinge, die man sich als Journalist nicht zu fragen trauen würde. Mein Punkt ist es, den Hintergrund zu diesen Fragen zu recherchieren und mir ansehen, was die jeweilige Partei dazu schon gesagt oder gemacht hat.

Wie bereiten Sie sich vor?
Die wirkliche Vorbereitung beginnt jetzt. Das Konzept steht, wir wissen wie das Studio aussieht und nun geht es in die inhaltliche Vorbereitung. Ich denke mir Fragen aus, vergebe Recherecheaufträge, ersuche gewisse Dinge nachzuchecken.

Gibt es Vorgespräche mit den Politikern?
Null. Herrn Strolz (Neos, Anm.) und Frau Nachbaur (Team Stronach) habe ich noch nie gesehen. Alle anderen habe ich meist im Zuge der Bürgerforen kennengelernt. Ich rede weder mit den Pressesprechern noch mit den Kandidaten. Die sehe ich das erste Mal siebeneinhalb Minuten vor der Sendung.

Warten Sie bis kurz vor den Sendungen. Was tun Sie, wenn sich die Pressesprecher dann doch noch melden?
Dann ersuche ich Sie, die Sache mit dem Sendungsverantwortlichen zu besprechen, der das hervorragend macht und die wahren Entscheidungen trifft.

Im Plastiksessel neben Voggenhuber

Sie haben schon 1990 einmal bei den „Sommergesprächen“ mitgewirkt. Wie war das damals?
Der Ansatz war drei ORF-Reporter diskutieren mit einem Politiker. In der fixen Besetzung waren meine wirklichen Vorbilder Hans Benedikt und Johannes Fischer – und je ein jüngerer Reporter als Dritter. Ich war bei Johannes Voggenhuber dabei. Da saßen wir auf einer Burgruine im Waldviertel auf weißen Plastiksesseln mit tiefer Lehne im Kreis und es war unfassbar heiß.

Die „Sommergespräche“ sind 33 Jahre alt. Hat so eine Sendung noch Legitimität?
Sie sind mittlerweile zu einer Marke geworden. Die Leute wollen es sehen, die Politiker wollen über ihre Aktivitäten referieren. Die Publikumsakzeptanz ist noch da, wie man an den Quoten sieht.

Spüren Sie einen Quotendruck?
Nein. Ich wüsste auch nicht, was ich anders machen sollte, wenn ich einen Quotendruck hätte oder man mir eine Messlatte vorgehalten hätte. Wir versuchen eine spannende Sendung zu machen, aus der man etwas mitnimmt, bei der man vielleicht etwas Neues lernt.

Zu den „Sommergesprächen“ gehört auch ein bisschen, Persönliches über die Politiker herauszufinden. Wird das auch diesmal Platz haben?
Das diskutieren wir noch. Mich interessiert das persönlich null, aber es gibt Leute die sagen, das gehört dazu.

Sie haben ältere Menschen erwähnt, deren Sorgen Sie kennen. Verfolgen Sie auch jene der Jüngeren? Ich hab Sie weder auf Twitter noch auf Facebook gefunden.
Auf Twitter bin ich, aber nur passiv. Auf Facebook bin ich bis jetzt nicht, aus Sorge, die vielen Anfragen nicht zu schaffen. Ich werde, wo immer ich hinkomme, mit sehr konkreten Problemen konfrontiert. Neben der journalistischen Tätigkeit rutsche ich immer mehr in eine Beratungs- und Interventionstätigkeit. Meine Sorge war immer, wenn ich auf Facebook präsent bin, wird die Erwartungshaltung zu hoch. Wenn man so etwas nicht betreut, bekommt man Mails, die – zu Recht – so lauten: „Ich habe Sie sehr geschätzt, aber Sie haben nicht einmal ein Ohrwaschl gerührt. Ich habe Ihnen vor drei Wochen geschrieben, es geht um mein Kind und das ist Ihnen offenbar wurscht.“ Dafür geht demnächst die Facebook-Seite der Sendung online. Aber gut, dass sie mich erinnern, ich glaube, ich sollte an meinem Twitter-Account arbeiten.

Wenn es der ohne Foto und mit bislang null Tweets ist, sollten Sie vielleicht.
(Lacht) Und den Ulrich Wickert muss ich mir jetzt danach auch genauer ansehen.

Schon mal überlegt, sich mit der Beratungstätigkeit selbstständig zu machen?
Nein. Aber als Redaktion müssen wir uns das überlegen, ob man sich junge Juristen ins Team holt und eine echte Beratung durchführen soll und das als Teil von Public Value versteht. Was wir schon machen: Dass wir kompetent weiterverweisen an die Patientenanwälte, die Mietervereinigung oder die Volksanwaltschaft. Trotzdem gibt es sehr viele Anrufe von Leuten, die sich einen kompetenten Tipp erwarten. Und wenn wir den liefern könnten, würde uns das als öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht schlecht anstehen.

Wie oft haben Sie es bereut, nicht eine klassische Juristen-Karriere eingeschlagen zu sein?
Nie. Ich habe die Akribie, die wirklich gute Juristen haben müssen, nicht. Ich bin eine ganz gute Mischung aus mittelmäßigem Juristen und halbwegs gutem Geschichtenerzähler. Da ist der kritische Rechts-Journalismus genau das Segment, das sich für mich am besten ergibt.

„Sommergespräch“ ab 11. August, jeden Montag, 21.05 h, ORF 2;

„Fargo“: Gorillas im Schnee

Die grandios düstere Serie „Fargo“ bekommt eine zweite Staffel, allerdings mit neuen Darstellern. Was schade ist. Billy Bob Thornton und Martin „Hobbit“ Freeman werden fehlen.

Wer hat sich das nicht schon einmal gewünscht? Dass plötzlich ein großer, starker Mann auftaucht, zuhört und in Großer-Bruder-Manier die Probleme für einen löst. Für den Versicherungsangestellten Lester Nygaard – grandios tollpatschig gespielt von Martin Freeman (bekannt als Hobbit und als Sherlocks Assistent Dr. Watson in der gleichnamigen Serie) – erfüllt sich dieser Wunsch im unerwartetsten Augenblick. Mit blutiger Nase sitzt er in der Notfallambulanz, gedemütigt vom ehemaligen Schultyrannen Sam Hess, der ihm soeben vor seinen Söhnen bewiesen hat, dass er wie einst auf dem Schulhof der Stärkere ist. In der Ambulanz kommt er ins Gespräch mit diesem unbekannten nuschelnden Mann in klobigen Stiefeln und schwarzem Mantel – und plötzlich fragt dieser: „Wollen Sie, dass ich ihn töte?Ja oder nein.“ Lester, der Loser, gibt natürlich keine Antwort, das Angebot sieht er als dumme Blödelei.

Zwei Tage später ist Sam Hess tot – und wir sind mittendrin in der eiskalten Welt von „Fargo“. Angelehnt an den gleichnamigen Oscar-gekrönten Film der Coen-Brüder Ethan und Joel erzählt die zehnteilige Miniserie von einer Reihe von Verbrechen in und um das 13.000-Seelen-Örtchen Bemidji im US-Bundesstaat Minnesota. Dabei hat die Produktion mit ihrem Filmvorbild nur die eisig-morbide Stimmung gemeinsam. Es ist Winter, der Schnee liegt meterhoch, wer in Unterhosen durch den Wald läuft, erfriert.

Zehn Teile hatte die erste Staffel, die in den USA Mitte Juni zu Ende ging. Seit Dienstag ist bekannt, dass der Kabelsender FX eine zweite Staffel für Herbst 2015 plant. Die 18Emmy-Nominierungen, auch für die vier Hauptdarsteller, dürften den Sender motiviert haben. Doch FX, der die Serie gemeinsam mit den Coen-Brüdern produziert hat, geht einen mutigen Weg: Die neue Staffel erzählt eine völlig neue Geschichte und spielt zu einer anderen Zeit, daher werden lauter neue Darsteller gecastet. Das könnte sich als Fehlgriff erweisen, denn Staffel eins lebt vor allem von den Hauptdarstellern, wie Allison Tolman, die die zunächst noch einfältig wirkende Polizistin mimt, die plötzlich Hartnäckigkeit entwickelt.

„What if you’re right, and they’re wrong“

Zuallererst aber von der kongenialen Paarung Billy Bob Thornton und Martin Freeman. Ersterer spielt den eiskalten, abgeklärten Stiefelträger und Auftragskiller Lorne Malvo, Letzterer den eingangs erwähnten Underdog Lester, der von Bruder, Ehefrau, Chef und besagtem Ex-Schulkollegen untergebuttert wird. In einer Schlüsselszene in Folge eins erklärt der Bösewicht dem Verlierer bei Filterkaffee in einem typischen US-Diner sein Weltbild: „Dein Problem ist, dass du dein Leben lang geglaubt hast, es gibt Regeln. Die gibt es aber nicht. Wir waren immer Gorillas, die sich nahmen, was sie wollten, und es verteidigt haben.“ Was nach platten Klosprüchen („Nur der Stärkste überlebt“) klingt, verursacht dank Thorntons düsterer Mimik und dunklem Timbre trotzdem angenehme Gänsehaut– und entpuppt sich für Serienfigur Lester als lang ersehnter Befreiungsschlag. Plötzlich erkennt er den tieferen Sinn jenes Plakats, das im Keller an der Wand hängt: Ein roter Fisch schwimmt unter lauter orangen Fischen, darüber steht: „What if you’re right, and they’re wrong.“ Was also ist, wenn du, der ewige Underdog, recht hast, und alle anderen irren? Das ist eine schöne, beinahe kitschige Botschaft, auf der die Serie aufbaut. Und es ist wie ein Präludium für die darauffolgende blutrünstige Reise durch das winterliche Minnesota.

Manchen mag das zu brutal sein, selbst hartgesottenen „Game of Thrones“-Fans wird hier, in diesem viel realeren Setting, plötzlich zu viel gemordet. Dabei kommt der Tod in „Fargo“ zwar häufig (und häufig ohne Vorwarnung), aber immer ohne Grusel-und-Graus-Effekt. Anders als beim Kopf-ab-Gemetzel von „Game of Thrones“ wird beinah sauber getötet. Serienpuristen werden „Fargo“ mögen. Ganz beiläufig werden hier wunderschöne Szenen von Schnee (und Blut im Schnee), Eis und US-amerikanischem Kleinstadtleben gezeigt. Und die Ironie zieht sich bis in kleinste Details. So zum Beispiel in das Insert, das zu Beginn jeder Folge aufscheint: „This is a true story.“ Es ist reine Fiktion.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.07.2014)

(Credit: FX/Fargo)

 

„Blendle“: Eine Revolution?

Zwei 27-jährige Holländer haben mit „Blendle“ so etwas wie iTunes für Nachrichten kreiert. Ein Münchner Start-up stellte „Laterpay“ vor.

Hollands Medienbranche steckt dieser Tage alle Hoffnungen in zwei 27-jährige ehemalige Journalisten und ein Ding namens „Blendle“. Denn schließlich haben Alexander Klöpping und Marten Blankesteijn nichts weniger als „die Revolution“ für die Branche angekündigt. Was manch ältere Journalisten und Verleger noch zu einem eher ungläubigen „Na, das werden wir erst sehen“ hinreißt.

Blendle (kommt vom Englischen „Blender“, also Mixer) soll so etwas wie das iTunes für Nachrichten sein und ein soziales Netzwerk gleich dazu. Eine einfach zu bedienende Plattform, auf der man Nachrichten aus allen Medien des Landes kaufen kann. Schon vor dem offiziellen Start im April sind 95Prozent aller niederländischen Medienmarken an Bord, erzählt Marten Blankesteijn. Zweieinhalb Jahre haben er, sein Kompagnon Klöpping und zwölf Entwickler und Designer an dem Produkt gefeilt. Klöpping ist mit 155.000 Twitter-Followern und als häufiger Gast in Talkshows eine recht bekannte, manche sagen, sehr von sich überzeugte Medienfigur in Holland. Blankesteijn erzählt von den Anfängen der News-Mix-Idee: „Wir hatten zuerst nur ein Stück Papier mit unserer Idee. Die ließ sich so aber schwer verkaufen.“ Also begaben sie sich auf die Suche nach Sponsoren und Verlagen, die sich bereit erklärten, eine Demoversion mitzufinanzieren. Das wirkte schon überzeugender. „Denn sehen ist glauben“, so Blankesteijn. Sein Marketingsprech sitzt schon fast so gut wie der der großen Digitalkonzerne.

Aber wie genau funktioniert Blendle? Jeder Nutzer bekommt zu Beginn ein Guthaben von zwei Euro geschenkt, mit dem er Artikel auf der Onlineplattform kaufen kann. Die Texte kosten zehn bis 45 Cent oder mehr. Von Online-Supermärkten wie Amazon und Zalando haben sie sich die Philosophie des Rückgaberechts abgeschaut. Wer das Gefühl hat, der gekaufte Artikel hielt nicht, was er versprach, kann sich innerhalb von 24 Stunden das Geld zurückholen. Relativ viel Zeit, um sich eine Meinung über einen Text zu bilden, sogar so viel, dass man ihn fotografieren oder gar abschreiben kann. Doch gegen Missbrauch sind die Blendler angeblich gerüstet: Ein Automatismus verrät, wer wie oft den „Refund“-Knopf drückt. Man wird gesperrt, wenn das zu oft vorkommt. Generell wolle man dem Prinzip folgen: „You only pay for articles that you like.“
Spotify versus iTunes. Für das Modell von iTunes und gegen das von Spotify habe man sich bewusst entschieden. Bei dem schwedischen Musikdienst bezahlt der Nutzer eine Flatrate von 9,99 Euro pro Monat für werbefreien Musikgenuss. „Die Verlage hat diese Flatrate aber abgeschreckt.“ Kein Verleger will sein Zeitungsabo, das beispielsweise 30 Euro pro Monat kostet, zum Niedrigsammelpreis von zehn Euro pro Monat für alle Inhalte verscherbeln. Dies sei der größte Unterschied zur Musikindustrie, so Blankesteijn. „Die hatte nie Abonnenten zu verlieren, die 30 Euro pro Monat gezahlt haben.“

Ähnlich wie der iTunes-Erfinder Apple schneiden die Blendler 30 Prozent am Umsatz ihrer Kunden mit. „Der Unterschied ist aber, dass wir eine komplett fertige Plattform anbieten, die von allen Geräten abrufbar ist. Bei der Nutzung einer iTunes-App muss man erst einmal auf eigene Kosten eine App entwickeln.“ Gezahlt wird nach der Anmeldung und dem Erstellen eines eigenen Profils mit einem Klick. Insgesamt klingt das nach einem durchdachten, auf Qualitätsmedien abgestimmten Konzept – aber wird es die Medienbranche revolutionieren? Die Blendler sind sich sicher. Ihr Dienst werde den Verlagen erstmals helfen, den Wert eines einzelnen Artikels zu ermitteln. Ein Erfolg für Holland wären 25.000 zahlende Nutzer. Ein (logischer) nächster Schritt wäre die Expansion in andere Länder. Schon jetzt gebe es viele Anfragen großer europäischer Verlage.

Dass die holländischen Verlage dem Start von Blendle mit gemischten Gefühlen entgegensehen, sagt Blankesteijn natürlich nicht dazu. In Holland hat fast jede nationale Tageszeitung ihre eigene Paywall (Bezahlschranke) im Internet eingerichtet, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Das dürfte zwar den Boden für eine Bezahlkultur bereiten, wovon Blendle nun profitieren könnte. Den Verlagen wird es aber nur wenig gefallen, dass sich ihre Kosten für aufwendige Paywalls möglicherweise nicht wirklich gelohnt haben, wenn jetzt das zahlbereite Lesepublikum zum hübscheren und technisch ausgefeilteren Blendle wandert. Andererseits: Wer bereits regulärer Abonnent einer Zeitung ist, bekommt alle Texte der Publikation auf Blendle automatisch freigeschaltet. Die Erwartungen sind nicht nur in Holland groß. Für manche Blogger ist es gar die „most sexy paywall in the world“, die Spaß macht.

Spaß machen. Das ist offenbar das Wort der Zeit, wenn es um das Bezahlen im Netz geht. Auch das am Donnerstag von einem Münchner Start-up und dem Blogger Richard Gutjahr präsentierte Micropaymentsystem wurde im Blog Netzwertig gleich als so einleuchtend gepriesen, „dass es sogar Spaß machen könnte“. Bei „Laterpay“ klickt der Nutzer auf einen Artikel, erfährt, wie viel er kostet, muss sich aber erst ab einer Summe von fünf Euro registrieren und dafür zahlen. Laterpay basiert auf der optimistischen Philosophie, dass der Leser für Texte zahlen will, wenn sie ihm etwas nutzen. Ähnlich wie bei Blendle will man mit Laterpay langsam, aber bestimmt das Ende der Gratismentalität im Netz einläuten.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.03.2014)