Tom Rachman: Ein Nachruf auf die Zeitung

In seinem Debütroman porträtiert Tom Rachman „Die Unperfekten“ einer englischsprachigen Zeitungsredaktion in Rom, die ihre letzten Atemzüge macht. Ein Journalistenroman, der auch Nichtjournalisten gefallen könnte.

Vielleicht ist es für Zeitungsleser nicht die angenehmste Nachricht. Vielleicht haben sie es aber ohnehin schon immer geahnt: Zeitungen werden von Menschen gemacht, die nicht perfekt sind. Das ist nicht nur in Tom Rachmans Roman so. Das ist einfach so.

Und gerade Rachman muss es wissen. Er war jahrelang Journalist, zuletzt Autor der „International Herold Tribune“, davor Rom-Korrespondent der New Yorker Nachrichtenagentur Associated Press, sein Bruder Gideon Rachman ist Chefauslandskommentator der „Financial Times“. Tom Rachman weiß also, wovon er schreibt. In seinem Debütroman „Die Unperfekten“, der in den USA hymnisch gelobt wurde und soeben auf Deutsch erschienen ist, skizziert er die Protagonisten einer englischsprachigen Zeitungsredaktion in Rom.

Da ist der ideenarme und fast mittellose Paris-Korrespondent Lloyd Burko, der eine Geschichte erfindet, um sich ein paar Euro zu verdienen (Tom Kummer lässt grüßen). Da sind der verkannte Nachrufschreiber Arthur Gopal und die karriereorientierte Chefredakteurin Kathleen Solson und ihr engster Vertrauter, der intelligente Chefkorrektor Herman Cohen. Letzterer verewigt die sprachlichen Fehltritte seiner Kollegen in einem elektronischen Nachschlagewerk, das er selbst „die Bibel“ nennt. Rachman porträtiert die Journalisten mit ihren skurrilen Macken, zeigt die schwer auflösbaren Hierarchien, die in einer Redaktion herrschen, und liefert, als Gegenpol zum Berufsalltag, sehr detaillierte Einblicke in die Privatleben der einzelnen Figuren.


Die Existenz der Zeitung.
Während die erste Hälfte des Buches noch wie ein belangloser, stellenweise bemüht witziger Episodenroman wirkt, entwickelt sich der Plot ab der Mitte zu einem spannenden Drama, in dem es weniger um die Menschen als vielmehr um die Existenz der Zeitung an sich geht. Es liest sich wie ein ehrlich berührter Nachruf auf die Zeitungsbranche.

Rachman erzählt gewissermaßen eine Geschichte in der Geschichte. Vordergründig geht es um den aufreibenden Alltag in einer Printredaktion der Jetztzeit (zwischen 2006 und 2007). Tatsächlich aber erzählt der Autor am Beispiel seiner kleinen römischen Zeitung vom langsamen Scheitern einer in die Krise geratenen Branche. Vermutlich hat er seiner Modellzeitung auch deshalb keinen Namen gegeben. Das Blatt bleibt den ganzen Roman hindurch namenlos. Es steht für so viele kleine und auch größere Zeitungen, die in den vergangenen Jahren vom Tod bedroht waren.

Am Ende jedes Kapitels hüpft Rachman weit zurück. Zuerst in die Gründerjahre der Zeitung rund um 1954, als der reiche Amerikaner Cyrus Ott die „Zeitung“ aus dem Boden stampft, die zu Beginn aus nicht mehr als vier Seiten besteht, aber rasch auf zwölf Seiten und eine Auflage von 15.000 Stück anwächst. Dann in die Sechzigerjahre, in denen der gottgleiche Verleger stirbt. Sein Sohn übernimmt dessen Agenden widerwillig, setzt aber den richtigen Chefredakteur ein. Der führt die Zeitung in den Siebzigerjahren in ihre Hochblüte, beschert ihr Auszeichnungen und einen glänzenden Ruf bis in die großen Redaktionen in Washington und New York. Was auch nicht ewig währt. Der Enkel fährt den Karren im Jahr 2007 an die Wand.

Natürlich bleibt auch genug Platz für die Schilderung des simplen Journalistenalltags von der Redaktionskonferenz bis zum Blattschluss. Da werden „Seiten gebaut“ und Warnungen ausgesprochen, wie viel jede Minute Verspätung beim Redaktionsschluss kostet. Journalisten kennen das. Aber ist „Die Unperfekten“ deswegen nur für Branchenkenner lesenswert?

Die ehrliche Antwort lautet: vermutlich schon. Wobei zur Verteidigung des Autors zu sagen ist: Der Zeitungsleser kommt bei ihm nicht zu kurz. Auch eine treue Leserin porträtiert er. Und die hoffnungsvolle Antwort darf daher wohl lauten: Der wahre Zeitungsleser interessiert sich auch für den Gesundheitszustand der Branche. Und damit auch für dieses Buch.

Tom Rachman
Die Unperfekten

dtv Premium

400 Seiten

15,40 Euro

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.09.2010)