„Knoi“: Dieses Buch glaubt an sich

Rezension. Die Figuren in „Knoi“ sind ähnlich verzweifelt und verbittert wie in Braunschlag. David Schalko hat ein Anti-Beziehungsbuch mit Krimi- und Science-Fiction-Elementen geschrieben.

Es gibt da diesen Elektrotrack von einem deutschen DJ, schon einige Jahre alt, dennoch unvergessen. Er heißt „Dieses Lied glaubt an sich“, und tatsächlich entfaltet das zunächst leise und monoton stampfende Elektrostück erst im letzten Drittel, genau genommen bei Minute 4:05, sein volles Klangspektrum. Auch über David Schalkos jüngsten Roman „Knoi“ ließe sich sagen: „Dieses Buch glaubt an sich“. Denn obwohl auf den ersten Seiten die wichtigsten Figuren und der Name des Buches erklärt werden, braucht der Leser, bis er in diese verschachtelte, fast surreale Geschichte findet, in der Personen plötzlich auftauchen und wieder verschwinden, andere mehrere Namen oder Fantasienamen haben. Erst spät beginnt der Plot, einen mitzureißen. 

Knoi, Zonz, Waks und Faha – das sind die fantasievollen Bezeichnungen, die der etwas merkwürdige Bub Max seinen Eltern und deren engsten Freunden gibt. „Lutz sei eben ein Waks, Rita eine Faha und Jennifer eine Zonz“, heißt es da. Unweigerlich fühlt man sich bei der Beschreibung des titelgebenden Knoi (eigentlich Hauptfigur Jakob) an den Autor erinnert: „Ein Knoi war ein freundliches Wesen, das stets von einer gewissen Müdigkeit geplagt wurde.“ David Schalko sprach schon öfter über seine Müdigkeit in Interviews. Wer sich erst einmal, mit Stift und Zettel ausgerüstet, einen Überblick verschafft hat über die Protagonisten und deren Fantasienamen, der taucht in ein Labyrinth aus Beziehungen zwischen zwar schrägen, in ihrer Schrägheit aber äußerst realistischen Personen ein.

Beziehungswirrwarr

Da ist Jakob (oder eben Knoi), der vom Schreibtisch aus Reiseführer schreibt und früher mit Rita zusammen war, jetzt aber mit Jennifer liiert ist, die seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Rita, „die nie bei sich selbst wohnte, sondern immer bei jemandem anderen“, hat sich den egozentrischen Zahnarzt Lutz ausgesucht, der gern gesunde Zähne anbohrt und noch lieber mit betäubten Frauen schläft. Max, der gemeinsame Sohn, erfindet nicht nur Fanatasienamen, sondern auch eine imaginäre Hündin namens Luise. Bis die eines Tages tot ist. Weiters gibt es Eltern, die vor Gleichgültigkeit die Abwesenheit ihres zwar erwachsenen, aber immer noch Sohnes nicht bemerken. Paartherapeutinnen, die sich in ihre männlichen Klienten verlieben, und verlassene Ehefrauen, die an schwerer Lichtkrankheit leiden. Eine Rolle spielt auch der kleine Ort Rohrbach, der an David Schalkos fiktiven Serienort Braunschlag erinnert. So wie die Figuren aus „Knoi“ in ihrer Verzweiflung und Ich-Bezogenheit, ihrer Sehnsucht nach der ewigen Liebe in einer weiteren Staffel der Serie gar nicht auffallen würden, so gut würden sie dorthin passen.

„Knoi“ ist das bisher anspruchsvollste Buch von David Schalko. Dabei lebt es weniger von der Geschichte, die gegen Ende hin auch kriminalistische Elemente enthält, als von seinen fein gemeißelten Sätzen, die Beziehungsdilemmata und Verhaltensmuster treffend auf den Punkt bringen. Jakobs Eltern etwa werden so beschrieben: „Die Köpfe haben sie geschüttelt. So wie sie ihr Leben lang die Köpfe geschüttelt hatten. Zuerst über die eigene Existenz, dann über die der anderen […].“ Keine Beziehung ist hier perfekt, keine Figur sympathisch – nicht einmal das Kind Max ist liebenswürdig. In vielen Sätzen schwingt Zynismus mit, ein Stil, der an die Werke der deutschen Autorin Sibylle Berg erinnert.

Doch völlig hoffnungslos sind Schalkos Figuren nicht. Solange es „Zazu“ zwischen ihnen gibt. Wieder ein Fantasiewort, das die Schwingungen zwischen Menschen beschreiben soll. Zazu ist wie der Kitt, der zwei Menschen zusammenhält. Erst wenn es sich verflüchtigt, sind sie einsam und allein. Doch selbst im Gefängnis kann man Händchen halten und lieben. Im Grunde ist ganz egal, wen, solange man sich selbst sein eigenes Festland bleibt, wie die Figuren feststellen. Ein verrücktes, ein verwirrendes Buch, aber eines, das wie der Elektrotrack von Oliver Koletzki in Erinnerung bleiben wird.

Termin: Buchpräsentation am Do, 26.9. mit David Schalko, den Musikern Kyrre Kvam, Florian Horwath und Schauspieler Manuel Rubey. Rabenhof, 20 h, 15 Euro.

David Schalko: „Knoi“. Verlag Jung und Jung, 271 Seiten, 22 Euro.

(„Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 22.09.2013)