Amazon Prime: Serien mit Hindernissen

Das Aboservice Amazon Prime funktioniert in Österreich nur teilweise. Doch der US-Riese bastelt längst an einer eigenen Streaming-Plattform.

Seit Kurzem ist auch in Österreich das Aboversandservice des US-Onlinehändlers Amazon erhältlich. Doch auch wenn dabei das Video-On-Demand-Service „Prime Instant Video“ erhältlich wird, durch das unter anderem die relativ neue Amazon-eigene Serie „Transparent“ hierzulande kostenlos abrufbar wird, bietet das Service derzeit noch mehr Ärgernisse als zufriedenstellende Inhalte. Denn nur ein kleiner Teil des vollständigen Angebots ist in Österreich auch wirklich erhältlich. Eigentlich wirbt Amazon damit, dass mit dem Prime-Abo mehr als 12.000 Filme und Serien gratis abrufbar seien, zudem seien Gratis-Expresslieferung innerhalb von zwei Tagen und ein kostenloser Zugang zu einer E-Book-Bibliothek inkludiert. Doch in Österreich sind viele der angebotenen Filme nicht gratis abrufbar, sondern erst recht wieder extra zu bezahlen, und der Expressversand ist gar nicht möglich. Trotzdem verlangt Amazon den vollen Abopreis von 49Euro von seinen Kunden.

Probeabo rechtzeitig kündigen. Für Konsumentenschützer ist das problematisch, wie die Techseite Futurezone in Erfahrung gebracht hat. Es sei nicht in Ordnung, etwas zu bewerben und dann zwei Drittel des Angebots zu streichen, sagte Reinhold Schranz vom Europäischen Verbraucherzentrum der Futurezone. So ist es ziemlich wahrscheinlich, dass viele heimische Kunden den Dienst kündigen werden, bevor das kostenlose Probemonat verstrichen ist. Doch Achtung: Das Probeabo verlängert sich automatisch. Es gilt also, genau darauf zu achten, wann es endet.

Der Neueinsteiger im Video-On-Demand-Markt dürfte also alles andere als eine große Konkurrenz für Mitbewerber wie das deutschsprachige Maxdome oder das US-amerikanische Netflix sein, das seit Mitte September in Österreich erhältlich ist. Auch wenn Amazon Prime Instant Video einige Serien wie die erste Staffel der Kultproduktion „Twin Peaks“ (die 2016 mit neuen Folgen zurückkehren soll) und die ersten Staffeln von „Mad Men“ anbietet, sind viele Angebote wie „Game of Thrones“ kostenpflichtig. Ein weiteres Manko: Viele Serien des Amazon-Instant-Videoangebots werden nur in der deutschen Synchronfassung angeboten. Für wahre Serienfans ist das keine zufriedenstellende Option.

Während Amazon sein Prime-Angebot mit gröberen Problemen in den Markt gebracht hat, feilt der US-Konzern von Jeff Bezos bereits an der nächsten Digitaloffensive. Wie die „New York Post“ kürzlich berichtet hat, plant das Unternehmen, Anfang 2015 einen eigenen Streamingdienst zu eröffnen. Noch steht weder fest, ob der Dienst getrennt von dem kostenpflichtigen Amazon Prime angeboten oder mit der Videosparte dieses Diensts fusioniert werden soll. Amazon wollte den Bericht nicht kommentieren.

Marktbeobachter haben zudem das Gefühl, dass sich Jeff Bezos, der 2013 die „Washington Post“ übernommen hat, mit seinen unterschiedlichen Digitalangeboten gerade übernimmt und an zu vielen Fronten – etwa beim Arbeitsrecht mit deutschen Mitarbeitern – kämpft. Mit dem aktuellen Prime-Angebot macht er sich in Österreich sicher nicht besonders viele Freunde.

Jonathan und die Wagner-Damen: Eklat am Grünen Hügel

Logo_fisch+fleisch_RGBDie wahren Dramen spielen sich auch in der Kunst hinter den Bühnen ab. Das galt zuletzt für das Wiener Burgtheater und das zeigt ganz aktuell die Posse am Grünen Hügel in Bayreuth. Er sei „kein Verschwörungstheoretiker und kein Esoteriker“, sagte Jonathan Meese kürzlich der „Welt“ in einem ausführlichen Interview. Aber sicher sei er sich nun einmal trotzdem, dass da hinter seiner kurzfristigen Ausladung als Regisseur für die „Parsifal“-Aufführung bei den Bayreuther Festspielen 2016 etwas Großes steckt. „Ich sage Ihnen: Das ist mehr als nur ein kleines Skandälchen. Das ist ein ganz mieses Ding. Eine riesige Affäre, die sich bis in bestimmte Kreise zieht.“ Die genauen Details müssten bitte die Journalisten herausfinden, die ihn jetzt nach den Hintergründen gefragt hatten.

Tatsächlich erscheint die Absetzung von Jonathan Meese als Parsifal-Inszenierer aus der Ferne höchst seltsam. Warum passt den Wagner-Halbschwestern Katharina und Eva Wagner-Pasquier ausgerechnet jetzt das Enfant terrible der deutschen Kunstszene nicht mehr? Immer wieder und zuletzt 2013 war er mit provokanten Auftritten und Performances aufgefallen, bei denen er etwa den Hitlergruß zeigte und sich danach auch vor Gericht für diese Entgleisung verantworten musste (und freigesprochen wurde). Hätten solche Aktionen der Festspiel-Leitung in Bayreuth nicht gefallen, dann hätte sie Meese vermutlich schon früher abgesetzt oder gar nicht erst eingeladen. Und auch wenn Meese kein Verschwörungstheoretiker sein will, hört er sich im Interview dann doch ein bisschen so an. Er erzählt, dass im ersten Halbjahr 2014 der Ton der Festspielleitung ihm gegenüber deutlich kühler geworden sei und in Onlinekommentaren sei immer wieder behauptet worden, man wolle Meese bald absetzen. Monate später ist das nun mit dem Argument, seine Pläne für den Parsifal seien viel zu teuer und aufwendig, wirklich passiert. Meese schäumt und wehrt sich, suhlt sich in seinem gekränkten Stolz und bietet in dem Interview gar an, er würde zurückkehren an den Grünen Hügel. Die Liste seiner Bedingungen ist freilich lang. Er müsste „liebevoll“ und „von Herzen“ gefragt werden. Zudem müsste die Festspielleitung klar sagen, dass es sich um eine miese Intrige handelte und schließlich fordert Meese, „dass bestimmte Namen genannt werden“ müssten, „und deren Köpfe müssen rollen. Fertig“

Vermutlich ahnt Meese, dass seine Wünsche so bald nicht in Erfüllung gehen werden. Er hat nämlich schon einen Plan B wie er aus der Sache erhobenen Hauptes herauskommt: „Vielleicht halte ich meinen „Parsifal“ aber auch einfach jetzt als Mythos unter Verschluss. Der totale Mythos desjenigen, der Kunst aus politischideologischen Gründen nicht machen durfte – wer will das denn noch besiegen?“ Na wer?

29, 39, 49 – Sind die wichtigen Jahre jene am Vorabend einer neuen Dekade?

Man soll ja Umfragen und Studien nicht allzu viel Bedeutung zumessen. Obwohl, interessant sind sie allemal – und wenn es nur darum geht, die eigenen Lebensumstände mit den Studienergebnissen abzugleichen. Gerade hat die US-amerikanische Fachzeitschrift PNAS eine Studie zu den prägendsten Lebensjahren in unser aller Leben veröffentlicht. Demnach ist das Jahr vor dem Wechsel in eine neue Dekade für viele sehr einschneidend. Mit 29, 39, 49 oder 59 entscheiden sich überdurchschnittliche viele, bestimmte Dinge in ihrem Leben zu verändern, neu zu beginnen oder zu beenden. Die Studienautoren der UCLA und New York University haben dafür Datingplattformen und Bestzeiten-Wertungen bei Marathonläufen herangezogen und verglichen. So waren von acht Millionen neu registrierten Nutzern einer Dating-Seite 950.000 Männer im Alter von 29, 39, 49 oder 59. Zudem haben die Forscher die Bestzeiten von Marathonläufern in ihren Neuner-Jahren verglichen und herausgefunden, dass die Läufer in diesem Jahr um einiges schneller waren als in den zwei Jahren davor und danach. Soll heißen: In diesem Jahr haben die Teilnehmer besonders hart oder härter trainiert als sonst.

Die traurige Nachricht: auch die Suizid-Rate ist in den Neuner-Jahren besonders hoch. Für die Forscher ist somit bewiesen, dass runde Zahlen beim Lebensalter eine psychologische Wirkung haben und dass die Menschen am Vorabend einer neuen Dekade dazu tendieren, stärker über den Sinn des Lebens nachdenken. Sie nennen diese Jahre die „What am I doing with my life“-Years. Ich für meinen Teil kann das Studienergebenis nur mäßig unterstreichen. Meine „magischen“ Jahre, in denen sich vieles bewegt hat, waren bisher eher die zu Beginn einer Dekade. Ich hab zum Beispiel mit 21 und 31 wirklich wichtige Entscheidungen getroffen oder Dinge abgeschlossen. Aber auch mit 23 und 28 sind sehr richtungsweisende Ereignisse passiert, wie der Start in mein Berufsleben und die Entscheidung, nochmal an der Uni zu studieren. Alles in allem glaube ich also nicht unbedingt daran, dass ich nur oder gerade vor dem Start in ein neues Lebensjahrzehnt so viel öfter Dinge bewegen als sonst. Link zur Studienzusammenfassung: http://nymag.com/scienceofus/2014/11/we-make-our-big-life-decisions-at-29.html?mid=twitter_nymag

Deutschlands Frau der Liste

Die Bloggerin Juliane Leopold leitet seit Kurzem den deutschen Ableger von Buzzfeed in Berlin. Ein Gespräch.

Die einen haben ihre Erfahrungen gemacht und ziehen wieder ab, die anderen kommen erst jetzt. Vergangene Woche gab der US-Verlag Dow Jones & Company bekannt, seinen Online-Ableger Wall Street Journal Germany mit Jahresende einzustellen. Nach fast drei Jahren auf dem Markt – Start war im Jänner 2012 – wird das Bezahlportal für Wirtschaftsnachrichten zugesperrt. Die türkische Edition gleich mit dazu. Die Zugriffszahlen von unter einer Million Visits im Monat entsprachen nicht den Erwartungen. Die deutschsprachige Konkurrenz von „Handelsblatt“, „Manager Magazin“ und „Wirtschaftswoche“ war mit bis zu 18 Millionen Visits pro Monat nicht einholbar. Traurig und geknickt sind die WSJ-Deutschland- Redakteure, die für ihre Arbeit sehr gelobt wurden. Die Aufmunterung ihrer Kollegen auf Twitter tröstet nur bedingt.

Feministischer Blog

Juliane Leopold lässt sich von solchen Nachrichten nicht unterkriegen. Sie leitet seit dem Sommer den deutschen Ableger der US-Webseite Buzzfeed. Gründer Jonah Peretti wurde mit der Idee, verschiedene Themen anhand von Listen zu erklären, erfolgreich – und drängt nun in nicht englischsprachige Märkte (derzeit arbeiten 600 Mitarbeiter in acht Ländern). Die 31-jährige Leopold ist nicht unbekannt in der Digitalszene. Sie war Social-Media-Redakteurin bei „Die Zeit“ und führt u. a. mit „#Aufschrei“-Initiatorin Anne Wizorek den feministischen Blog Kleinerdrei.org.

In ihrem Büro, das sich standesgemäß für die Mediendigitalszene in Berlin-Mitte befindet, hallt es noch, weil so frisch bezogen und leer. Gemeinsam mit vier Mitarbeitern betreut Leopold den Buzzfeed-Ableger und erstellt Artikel und Fotostorys wie „21 Sätze, die jeder Serienjunkie kennt“ oder „Diese Sätze wollen wir in Deutschland nicht mehr hören“. Im Unterschied zur vor einem Jahr gestarteten Deutschland-Ausgabe der Huffington Post erscheinen auf Buzzfeed Deutschland auch Texte auf Englisch. „Weil unser Publikum Englisch lesen und schreiben kann“, sagt Leopold. Zielgruppe sind junge, gut ausgebildete, auslandserfahrene und Social-Media-affine Menschen, die schon bisher gern die englische Ausgabe von Buzzfeed gelesen haben. Dennoch komme 70 bis 80 Prozent des Inhalts bereits aus Deutschland. „Mittelfristig sollen das 100 Prozent sein.“ Doch von der Mutterseite lässt man sich natürlich gern helfen, während der Midterm Elections in den USA etwa gab man über Nacht „einfach weiter an unsere Kollegen und ihre Wahlberichterstattung“.

Wie viele Klicks sie in welchem Zeitraum bringen muss, verrät Leopold nicht. Sie sei aber für sich gescheitert, „wenn wir keine neuen Ideen für Posts haben“. Auch auf Fragen zur Konkurrenz wie HuffPo oder der deutschen Seite Heftig.co antwortet sie ausweichend. „Wir sind einmalig“, sagt sie, „wir bieten Informationen und Unterhaltung für Menschen, die schon sehr viel lesen. Es geht darum, dass sie sich gemeint fühlen.“ Der Unterschied zu anderen Seiten sei: „Bei einer Buzzfeed-Überschrift wissen Sie zu hundert Prozent, was sie erwartet.“

(© Buzzfeed)

„Die Detektive“: Ein Krimi, der kein Krimi sein soll

Fernsehen. In der neuen ORF-Serie spielen Johannes Zirner und Serkan Kaya gegensätzliche Halbbrüder, die als Privatdetektive ermitteln.

Wer demnächst am Mittwoch in den ORF-Hauptabend und die neue Produktion „Die Detektive“ hineinzappt, könnte ein paar Minuten brauchen zu begreifen, welche Serie gerade läuft. Denn die „Soko Kitzbühel“-Ermittlerin Kristina Sprenger taucht da ebenso auf wie Katharina Straßer, die Kriminalassistentin aus „Schnell ermittelt“ – und Wolf Bachofner, bisher bekannt als ewiger Zweiter im Kommissariat von „Rex“ und „Schnell ermittelt“, spielt diesmal zur Abwechslung den Chef in der Polizei.

Aus der Reihe der bekannten Gesichter, die hier Gast- und Nebenrollen haben (Lukas Resetarits als sympathischer Boxklub-Besitzer), ragen allerdings zwei noch recht unbekannte Schauspieler hervor. Die Haupt darsteller Johannes Zirner, Sohn des österreichischen Schauspielers August Zirner, und der deutsche Musicaldarsteller Serkan Kaya spielen zum ersten Mal in einer Serie mit. „Sofort“ hätten sie sich in das Drehbuch verliebt, verrieten die beiden unisono bei einem Interviewtermin in Wien. Dabei ist dieses streckenweise sehr voraussehbar: Johannes Zirner gibt den zwanghaft korrekten, beinah Monk-haften Ordnungsfanatiker Felix, von Beruf Buchhalter. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters (leider nur ein Kurzauftritt von Wolfgang Böck), lernt Felix, dass er einen deutschen Halbbruder hat, der – wenig überraschend – sein genaues Gegenteil ist: chaotisch, mitunter nervtötend fröhlich, liebenswürdig. Gemeinsam wollen die beiden die Todesursache ihres Vaters herausfinden, der als Privatdetektiv während der Ermittlungen zu einem Fall plötzlich tot zusammengebrochen ist. Aus purer Neugier übernehmen sie die Detektei ihres Vaters. Im Kern ist die Serie also – wieder einmal – eine kriminalistische, auch wenn das die Hauptdarsteller so nicht sehen wollen. Genau genommen handle es sich um eine „Krimidy“, also halb Comedy, halb Krimi. Mit „Tatort“ oder „Soko Donau“ und Co. sei sie nicht zu vergleichen. Im Vordergrund stehe zudem die Beziehung zwischen den ungleichen Brüdern.

Den Schauspielern hat die Arbeit an der Serie sichtlich Spaß gemacht. Während der Dreharbeiten in Wien und im Burgenland wohnten sie sogar im selben Haus, was die Arbeit an den Rollen erleichterte. Der gebürtige Österreicher Zirner lebt heute in München, für ihn waren die Dreharbeiten ge wissermaßen ein „Nach-Hause-Kommen“. Auch Serkan Kaya kannte Wien davor schon ein bisschen, weil er mit dem Queen-Musical „We Will Rock You“ in der Stadt gastierte. Er habe zwar ein bisschen gebraucht, sich an Wien zu gewöhnen, die Stadt dann aber umso mehr ins Herz geschlossen.

Hörbar enttäuscht sind die Schauspieler, dass die Fortsetzung der Serie noch offen ist. Der ORF muss sparen und kann nicht automatisch jede Serie fortsetzen. Dafür haben am Montag Dreharbeiten zu einer neuen Produktion begonnen: Die eingangs erwähnte Katharina Straßer und Kabarettist Thomas Stipsits, im echten Leben ein Paar und Jung eltern, stehen für „Gemischtes Doppel“ vor der Kamera. Die Regie übernimmt mit Georg Weisgram einer der Köpfe hinter der hochgelobten Web-Serie „Fauner Consulting“ (mit Manuel Rubey, Matthias Franz Stein). Diesmal also Comedy, garantiert ohne Krimi.

Die Detektive: ab 12.11.14, jeweils Mi, 20.15 h, ORF eins

(Credit: Hubert Mican/ORF)

Depression auf Twitter: Mehr als nur traurig

Logo_fisch+fleisch_RGB Dieser Text wird kein Gute-Laune-Text und das obwohl seit Dienstag Fasching ist. Denn es geht um folgendes: Seit kurzem werden auf Twitter ziemlich traurige und nachdenkliche Nachrichten verbreitet. Mit dem Hashtag #notjustsad teilen depressive Menschen ihre Erfahrungen mit dieser psychischen Krankheit. Das liest sich dann in etwa so: „Wenn man dir unterstellt, dass du dich nur in den Mittelpunkt drängen willst. #notjustsad“, „Wenn du meinst zu ertrinken, während alle um dich atmen können #notjustsad“ oder „Mein Leben ist mehr als okay und ich bin trotzdem depressiv. Nur, weil ich alles habe, was ich brauche, muss es mir nicht gut gehen.“ Ausgelöst hat diese Bekenntnis-Reihe die deutsche Bloggerin Jana Seelig, die sich auf Twitter Jenna Shotgun (@isayshotgun) nennt. Weil sie sich wieder einmal von irgendjemandem anhören musste, sie solle sich nicht so gehen lassen, reagierte sie mit einer Reihe von Tweets, wie sie Süddeutsche.de erzählte.

Darin schilderte sie ihren Alltag mit Depressionen, die bei ihr mit 22 Jahren nach langer Ursachensuche diagnostiziert wurden. Und prompt wurde ihre Tweet-Serie bemerkt, favorisiert und retweetet; eine andere Twitternutzerin brachte schließlich den Hashtag #notjustsad auf, der bereits seit 2011 vereinzelt in englischsprachigen Tweets zum Thema auftaucht. Quasi über Nacht und wie schon beim Anti-Alltagssexismus-Aufruf #Aufschrei im Vorjahr hat das deutschsprachige Twitterland eine Aufmerksamkeitskampagne mit sehr ernstem Hintergrund, der sich 48 Stunden später auch in den klassischen Medien wiederfindet. Die Sache mit der Depression ist seltsam. Obwohl von Zeit zu Zeit prominente oder spektakuläre Fälle von depressiven Menschen, die sich das Leben nehmen, durch die Medien geistern, ist das Thema immer noch Tabu.

Wenn sich nicht gerade ein Star wie Robin Williams oder ein bekannter Finanzmanager das Leben nimmt und sich die Öffentlichkeit, wie derzeit, an den deutschen Tormann Robert Emke erinnert, der sich vor exakt fünf Jahren das Leben nahm, wird Depression kaum angesprochen. Das Thema geht verloren zwischen den inflationären Berichten über Burnout-Kliniken oder Digital-Fasten und der verständlichen Angst, durch Suizid-Berichte Nachahmer zu animieren. Daher ist die #notjustsad-Aktion prinzipiell gut, rückt sie doch eine weit verbreitete Krankheit ins Rampenlicht. Wenn wir auf diesem Weg erfahren, dass vier Millionen Deutsche und 400.000 Österreicher davon betroffen sind.

Und wenn darüber informiert wird, wie und wo man sich helfen lassen kann. Wenn Betroffene durch die Schilderungen anderer zwar nicht richtig aufgemuntert werden, aber zumindest für kurze Zeit das Gefühl bekommen, dass sie nicht allein sind. Und wenn darüber aufgeklärt wird, dass Depressionen manchmal besser werden oder sogar ganz verschwinden können. Dennoch hinterlässt die Aktion auch ein paar Fragen: Ist wirklich jeder Tweet eine authentische Schilderung eines depressiven Menschen? Wo verläuft die Trennlinie zwischen einer durch ein punktuelles Ereignis ausgelösten Verstimmung und der klinisch diagnostizierten Krankheitsform? Und dann sind da natürlich die Trolle, die schimpfen und wettern. Weil sie mit dem „Psychomüll“ der anderen nicht behelligt werden wollen oder manchen #notjustsad-Twitterern Effekthascherei oder Jammerei unterstellen. Andere fragen obergescheit: „Schon wieder eine Kampagne der Pharmaindustrie im Gange“?

Die Bloggerin Ada Blitzkrieg, alles andere als ein Troll, aber zumindest ehrlich, stellte fest, sie fühle sich statt besser nur noch trauriger, wo sie jetzt wüsste, „dass alle anderen auch depressiv sind“. Wobei „alle anderen“ auch wieder eine Übertreibung ist. Die Tweets können Betroffenen vielleicht eine Ablenkung oder das Gefühl vermitteln, nicht allein mit ihrer Krankheit zu sein. Und allen anderen in Erinnerung rufen, dass hinter jedem noch so mutig-frechen, pointierten Twitterer in erster Linie ein Mensch steht, der Schwachstellen hat. Doch um das Thema Depression zu enttabuisieren, braucht es mehr als ein paar tausend Kurznachrichten und eine gemeinsame Klammer, zB Texte über Therapieformen und Adressen für Hilfesuchende. Die aktuelle Hashtag-Parade kann aber jedenfalls ein guter Anfang sein. Was meint ihr?

Hilfe bei Depressionen oder Suizidgedanken:

Psychiatrische Soforthilfe: 01/31330 rund um die Uhr, http://www.psd-wien.at/psd/

Telefonseelsorge (Rufnummer 142) ist kostenlos

Kriseninterventionszentrum Wien: 01 / 406 95 95  (Mo-Fr: 10 – 17 Uhr); www.kriseninterventionszentrum.at

Für Kinder und Jugendliche: Rat auf Draht (Rufnummer 147)

in Deutschland: Deutsche Depressionshilfe: kostenlose Hotline unter 0049 (0)800-3344533

Die alte Buchhandlung der Juristen: 225 Jahre rund um das Schottentor

Jubiläum. Der Kuppitsch ist mehr als eine Anlaufstelle für Wiens Jusstudenten. Die Buchhandlung hat auch eine bewegte Geschichte hinter sich.

So nüchtern klangen einst öffentliche Anzeigen zu Firmenjubiläen: „Über die Geschichte der Firma Kuppitsch, die im Kulturleben der Stadt Wien immerhin eine Rolle gespielt zu haben scheint, ist mit Ausnahme der trockenen Daten nicht viel zu schreiben.“ Dies sind die Worte einer undatierten Anzeige der Österreichisch-Ungarischen Buchhändler-Correspondenz, die wohl in den späten Zehner-Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen sein muss. Die trockenen Daten der Buchhandlung Kuppitsch wurden in den vergangenen hundert Jahren um viele gar nicht trockene Geschichten angereichert. Nur der Satz „Jurisprudenz ist die Hauptstärke der Firma“ trifft heute (zumindest teilweise) immer noch zu, schließlich ist der Kuppitsch an der Ecke Schottengasse/
Helferstorferstraße nach wie vor erste Anlaufstelle für Jusstudenten und Professoren aus dem benachbarten Juridicum.

Das vergangene Jahrhundert war für den Kuppitsch, der diesen Herbst sein 225-jähriges Bestehen feiert, jedenfalls turbulenter als die ersten hundert Jahre. „Und es ist erstaunlich, wie wenig man im Grunde aus der 225-jährigen Geschichte weiß. Vermutlich hat sich in 200 Jahren nicht so viel getan wie in 25“, sagt Michael Kratochvil, der die Buchhandlung seit einigen Jahren leitet. Gegründet wurde die Buchhandlung 1789, und sie befand sich damals noch an der Adresse Schottenring 8. Erst 1821 trat Matthäus Kuppitsch in das Geschäft ein und gab ihm seinen heutigen Namen. Nach einigen Besitzerwechseln begann 1886 der jüdische Lehrbub Arnold Schlesinger als Gehilfe, übernahm 1902 die Firma und führte sie bis zum Anschluss Österreichs 1938, bei dem die Buchhandlung arisiert wurde. Schlesingers Frau nahm sich aufgrund der Umstände ein Jahr später das Leben. 1942 starb auch Schlesinger, bis  heute ist unklar, ob er ebenfalls den Freitod wählte oder durch das NS-Regime zu Tode kam. Besser erging es Schlesingers Tochter Margarete und ihrem Mann Otto Günther – sie konnten das Konzentrationslager Dachau durch glückliche Umstände verlassen und ihnen gelang die Ausreise in die USA. 1950 kehrten die beiden mit ihren Töchtern Zita und Monika nach Wien zurück und sie traten wieder in die Buchhandlung ein. Der Kuppitsch ist eines der wenigen Geschäfte, das nach dem Zweiten Weltkrieg restituiert wurden.

Mann mit Buchhändler-Gen

Heute gehört die Buchhandlung den zwei Töchtern der Familie Günther und ihren Nachkommen. Geschäftsleiter ist seit einigen Jahren Michael Kratochvil, der selbst aus einer Salzburger Buchhändlerfamilie kommt. Eigentlich, fällt ihm auf, ist der Buchhandel in Wien und ganz generell fest in weiblicher Hand. Da ist er als Mann zwischen den durchaus bekannten Wiener Buchhändler-Persönlichkeiten Anna Jeller, Rotraut Schöberl und Petra Hartlieb fast eine Ausnahme. Stören tut das den dreifachen Familienvater nicht.

Seit 16 Jahren werkt er für den Kuppitsch. Seither wurde die kleine Dependance im Jonas-Reindl aufgegeben (dort ist jetzt ein Sushi-Stand) – die Zweigstelle im Alten AKH gibt es noch -, der zweite Stock im Stammgeschäft ausgebaut, dort finden heute regelmäßig Veranstaltungen statt. Bis heute ist der Kuppitsch eine der wenigen Buchhandlungen, die ein vollwertiges CD-Sortiment und eine ziemlich gut sortierte Zeitschriftenecke haben. Dass der Kuppitsch einen Onlineshop hat und auch E-Books verkauft, ist für Kratochvil selbstverständlich. „Der Leser sollte entscheiden dürfen, wie er sein Buch lesen möchte, und auf die Beratung des Buchhändlers trotzdem nicht verzichten müssen. Auch wenn wir lieber ein Buch über den Ladentisch reichen, statt per E-Mail einen Download-Link verschicken.“ Kratochvil ist kein lauter Kämpfer gegen den globalen Konkurrenten Amazon, sondern sieht sich als sanfter Aufklärer.

Amazon schade auch dem Finanz- und Wirtschaftsstandort Österreich, weil das Unternehmen hier keine Steuern bezahle, keine Arbeitsplätze schaffe. Er glaubt, die Leser würden umdenken, wenn ihnen das bewusst werde. Zudem würden sie die Bücher über den Onlineshop jeder österreichischen Buchhandlung schneller bekommen als via Amazon, die ihre Bücher aus Deutschland schicken. Gerade während der soeben angelaufenen BuchWien und Lesefestwoche könne man das gar nicht oft genug wiederholen.

Serienschau: „Transparent“ – Papa trägt Frauenkleider

"Transparent", Foto: Amazon

Auch die größten Kritiker des Onlineversandhändlers Amazon werden zugeben müssen: Die neue Serie „Transparent“ hat was – und ist ein klarer Angriff auf Netflix.

"Transparent", Foto: Amazon
„Transparent“, Foto: Amazon

Es sind vor allem negative Schlagzeilen, mit denen der US-amerikanische Onlineversandhändler Amazon zuletzt aufgefallen ist. Mitarbeiterstreiks in Deutschland, globale Proteste gegen das Aussterben des Buchhandels und die Übernahme der US-amerikanischen Zeitung „Washington Post“ haben das Image des Konzerns beschädigt. Man ist zunächst also skeptisch zurückhaltend, wenn man hört, dass der Onlinesupermarkt jetzt auch Serien produziert.

Eröffnet wurden die Amazon Studios bereits 2010, seit gut einem Jahr werden Online-Serien wie die Polit-Comedy „Alphahouse“ beinah wie am Paketzustellungsfließband produziert (und bei Nichterfolg auch wieder eingestellt). Ende September ging die jüngste Streamingserie „Transparent“ online. Und bisher müssen auch die größten Amazon-Kritiker zugeben, dass dem Onlinehändler damit eine unterhaltsame Independent-Serie aus der Feder von Jill Soloway („Afternoon Delight“) gelungen ist.

Vordergründig geht es darin um Familienvater Mort Pfefferman (grandios gespielt von Jeffrey Tambor, bekannt aus den Serien „Arrested Development“ und „Larry Sanders Show“ und den „Hangover“-Filmen)  der mit fast siebzig Jahren beschließt, endlich offen als Frau zu leben. Der erste Anlauf, seine drei erwachsenen Kinder, allesamt in ihren Dreißigern, über sein weibliches Ich Mora aufzuklären, scheitert. Stattdessen erklärt er, er werde die Familienvilla im Westen von Los Angeles verkaufen. Die Kinder, die zuvor noch ungerührt spekuliert haben, ob ihr Vater an Krebs erkrankt sei, zanken sich um das Haus. Erst nach und nach erfahren die Kinder von seinem jahrzehntelang geheim gehaltenen Wunsch, sich als Frau zu geben. Wir Zuseher sehen in Rückblenden, wie er diesem Wunsch jahrzehntelang nur heimlich in Hotelzimmern nachgab. Nur seine Ex-Frau wusste von „dieser kleinen Sache“, die er da hatte.

Schon bald wird klar, worum es in dieser Serie eigentlich geht: Während der Vater spät, aber doch weiß, wie er leben will, kämpfen seine Kinder in der Mitte ihres Lebens um den richtigen Platz. Ohne zu viel zu verraten, sei hier ein kleiner Abriss über die Hauptfiguren gegeben: Sarah, die älteste Tochter der wohlhabenden, jüdisch-säkularen Familie Pfefferman, vergrub nach dem Studium sowohl ihre lesbischen Neigungen als auch sämtliche berufliche Ambitionen im Vorgarten ihrer schicken Villa. Als zweifache Mutter und Ehefrau eines wohlhabenden Mannes und trotz Haushaltshilfe und Kindermädchen vom Hausfrauendasein überfordert, trifft sie auf ihre einstige Jugendliebe Tammy und verliebt sich Hals über Kopf in sie.

 

Intimes Familiendiagramm

Bruder Josh ist als Musikproduzent vor allem an seiner Karriere interessiert, hat aber Schwierigkeiten, sich länger an ein und dieselbe Frau zu binden. Was mitunter an dem ungesunden Verhältnis zu seiner ehemaligen Babysitterin liegen könnte, mit der er seit seinem 15. Lebensjahr eine sexuelle Beziehung hat. Nesthäkchen Ally ist zwar „out of the box smart“, wie ihr Vater sagt, „aber sie hat Schwierigkeiten, irgendwo anzukommen“. Ohne Job und ohne festen Partner schlittert sie durch ihren Alltag. Fans der Serie „Girls“ wird die Darstellerin der Ally als verrückte Schwester von Adam bekannt sein – Schauspielerin Gaby Hoffmann allein lohnt es, „Transparent“ anzusehen. Ein bisschen unrealistisch und deshalb ärgerlich ist bloß, wie schnell sich die Familienmitglieder daran gewöhnen, dass ihr Vater plötzlich als Frau auftritt; auch die Trennungen, Partnerwechsel und sogar eine Abtreibung gehen fast schon kalifornisch „easy“ und ohne allzu große Szenen über die Bühne. So funktioniert  das im echten Leben selten. Wenn Tochter Sarah mit ihrem Dad, der jetzt eigentlich eine zweite Mum ist, am Poolrand sitzt und über „all those crazy things“ spricht, lobt sie beiläufig den Nagellack auf seinen Fußnägeln: „Schöne Farbe“. Bei der Kosmetikerin waren sie natürlich schon. Da geht es viel um Oberflächliches, wäre da nicht die Szene, als Mora und ihre Töchter zum ersten Mal gemeinsam auf die Damentoilette gehen und Mora von einer anderen Frau attackiert wird, die ihre halbwüchsigen, kichernden Töchter vor „diesem Perversen“ schützen will. 

Auch wenn sich selten vorhersagen lässt, wie sich Serien entwickeln, steht jetzt schon fest: „Transparent“ wird sicher kein massentauglicher Hit wie der Fantasy-Mehrreiher „Game of Thrones“, der CIA-Thriller „Homeland“ oder die Adelsschmonzette „Downton Abbey“, dürfte aber jedenfalls Fixstarter bei der nächsten Emmy-Verleihung sein – und in Fortsetzung gehen. Staffel zwei ist längst fixiert.

„Transparent“ ist eine weitere unterhaltsame Visitenkarte des aufgeklärten, liberalen A-Schicht-Amerikas. Hier darf jeder leben, wie und lieben, wen er will, auch wenn manche – wie Familienvater Mort – erst mit siebzig Jahren ihren Neigungen folgen. Dem kommerziell orientierten Unternehmen Amazon darf man allerdings unterstellen, den Plot bewusst superliberal und provokant (mit vielen Sexszenen) angelegt zu haben, um Netflix Konkurrenz zu machen. Schließlich ist der Onlinesender in den USA nach dem Politdrama „House of Cards“ noch viel erfolgreicher mit der Frauengefängnis-Serie „Orange is the New Black“, in der die Hauptfigur lesbisch ist. Amazon legt nun mit einem Transgender-Papi, einer lesbischen Tochter und einem Sohn mit einem sexuellen Mutterkomplex nach.

„Transparent“ ist die Westküsten-Fortsetzung der Ostküsten-Serie „Girls“. Wie bei den fünf bis zehn Jahre jüngeren Mädchen aus Manhattan drehen sich die Figuren um die Frage: Wie soll man leben? Die hochgradig neurotische, aber lustige Suche der Darsteller nach der Antwort darauf, unterlegt mit einem sehr feinen Folk- und Rock-Soundtrack (u.a. mit dem passenden Song „Your Mess is Mine“ von Vance Joy), gespickt mit lustigen Dialogen zwischen den Familienmitgliedern (grandios auch die Ex-Frau von Mort alias Mora Pfefferman) ist sehenswert. Mit Amazons Ausbeutung seiner Mitarbeiter und den Auswirkungen auf den Buchhandel muss man trotzdem nicht einverstanden sein.

Transparent. Zehn Folgen à 30 Minuten. Seit Mitte November alle Folgen über Amazon Prime auch in Österreich abrufbar.

Die unerträgliche Leichtigkeit des Scheiterns

Logo_fisch+fleisch_RGB Ist Euch vielleicht auch schon aufgefallen. Dass das Scheitern seit einiger Zeit so richtig in Mode gekommen ist. Es ist die häufigste Ausrede für den geringeren digitalen oder technologischen Fortschritt, den der deutschsprachige Raum im Vergleich zu Amerika oder Asien vorzuweisen hat. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner aller Gegenwartspessimisten. Egal, ob bei den Technologiegesprächen im Tiroler Bergdorf Alpbach, beim Wiener Startup-Großfestival Pioneers in der Hofburg, in Essay-Sammelbänden, am Titel der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsfeuilletons „Brandeins“ oder bei Gastauftritten weit gereister Medien- und Digitalexperten: Immer fällt irgendwann das berühmte Beckett-Zitat. Immer können sich Vortragende und Diskutanten darauf einigen, dass es um dieses „Try again. Fail again. Fail better“ geht. Und immer wird seufzend festgestellt, dass es Österreich an einer gesunden Fail-Kultur mangelt. 

Das mag sein. Aber keiner hat mir bisher erklären können, was eine gesunde Fail-Kultur eigentlich ist. Anstatt ständig romantisch das Scheitern als Mittel zum Zweck oder wie Thomas Edison, der Erfinder oder Verbesserer von Glühbirne, Telefon und Gramophon, als schmerzhaften Weg zum Erfolg zu bezeichnen, wäre mir wohler, wenn die vielen Strategen und Trendexperten konkreter werden würden. Ich will Beispiele sehen! Welcher Manager darf sich noch weiterhin in seinem Chefsessel drehen, wenn er nicht die zuvor selbst gesteckten Ergebnisse bringt? Welcher TV-Chef darf sich bei sinkenden Quoten, welcher Zeitungsmanager bei sinkender Verkaufsauflage längere Zeit auf der Fail-Better-Floskel ausruhen (es sei denn ihm gehört Sender oder Zeitung)? Scheitern ist nicht immer ein fruchtbringender Lernprozess, der uns weiser, reifer und besser macht. Manchmal ist es sogar existenziell bedrohlich, lebensverändernd oder zumindest himmelschreiend unfair. Nicht nur bei der vierten verpassten Bürgerlich-Recht-Prüfung oder dem „Leider nein“ beim Führerschein-Zweitantritt. Etwa, wenn der Pitch beim Großkunden zum dritten Mal an das Konkurrenzunternehmen geht, eine Operation zu schweren Komplikationen führt und und und. Das Scheitern-Argument klingt ein bisschen wie die sinnentleerte Tröst-Floskel der Großeltern an ihre Enkel, die erste Erfahrungen mit Blut, Schmerz oder sonst irgendeiner unangenehmen körperlichen Blessur machen: „Bis du heiratest, ist es wieder gut.“ Weil niemand kann genau sagen, wo das Scheitern aufhört und das Gewinnen beginnt. 

Daher freu ich mich auf den ersten Vortrag, bei dem der Redner ehrlich zugibt, dass man in manchen Punkten eben nicht unbedingt Scheitern sollte. Auf das erste Panel, bei dem auch mal erklärt wird, wie denn diese in Österreich angeblich so wenig verbreitete Fail-Kultur gelernt werden kann. Im Fachjargon nennt man das vielleicht „Differenzierung“. Denn wir Österreicher sind zwar vielleicht keine Experten im gesunden Umgang mit Scheitern, aber Meister im „Schauen wir mal, dann werden wir schon sehen“-Denken. Eine weitere Ausrede für dieses austriakische Laissez-faire haben wir eigentlich nicht gebraucht.