„Fortitude“: Mysteriöses Sterben in der Arktis

 

Fortitude

Bild: (c) Sky 

Der Bezahlsender Sky ließ sich sein neues Arktis-Drama „Fortitude“ Millionen kosten. Für die Mystery-Produktion wurde eigens Schnee an den Drehort in Island gebracht.

Für Schnee tut der britische Bezahlsender Sky einiges. Nicht nur bei der London-Premiere seiner neuen Serie „Fortitude“ wurden weiße Fake-Flocken angekarrt, um den Kinosaal in eine Winterlandschaft zu verwandeln. Schon bei den Dreharbeiten zur Serie im Vorjahr war der Sender aufgrund der milden Wetterlage in Island gezwungen, Schnee einfliegen zu lassen. Das hat „Fortitude“ angeblich zur teuersten Sky-Serie bisher gemacht. In britischen Medien war von Produktionskosten in Höhe von 34Millionen Euro zu lesen.

Ohne Schnee ließe sich die Geschichte von „Fortitude“ schlechter erzählen. Es ist das Porträt des gleichnamigen fiktiven Städtchens auf der Inselgruppe Spitzbergen im Arktischen Ozean. Die 700 Einwohner leben von der Naturfotografie, der (verbotenen) Eisbärenjagd, der Arktis-Forschung oder der Minenarbeit. Der Rest hält die Grundversorgung aufrecht, als Polizist, Arzt, Kellner oder Supermarktkassier. Eines Tages wird der britische Arktis-Forscher Professor Stoddart tot aufgefunden; er war einer der Gegner eines großen Eishotelprojekts. Hat ihn gar ein Eisbär in seiner Wohnung überrascht und getötet, oder war es doch ein Mensch?

 

„Fargo“ trifft auf „Twin Peaks“

Der lokale Polizeichef Andersen bekommt jedenfalls Verstärkung vom Festland – womit wir bei Grund zwei für die teure Produktion wären: die sehr prominente Besetzung. So wird der eingeflogene Detective arrogant-großstädtisch von US-Star Stanley Tucci („Hunger Games“) verkörpert. Die Rolle der Stadtchefin Hildur Odegard übernimmt Sofie Gråbøl, seit „Kommissarin Lund“ eine der bekanntesten dänischen Seriendarstellerinnen, die nun erstmals in einer britischen Produktion zu sehen ist. Bei der Premiere in London erzählte sie, sie stehe hier zum ersten Mal auf der anderen, der mächtigen Seite, auf jener der Entscheider. Zumindest zu Beginn sieht es so aus, als ob ihr diese Rolle weniger liegt als die der stillen Revoluzzer-Kommissarin. Vielleicht es ist es aber nur der langsame Einstieg von Drehbuchautor Simon Donald, der den Anfang so schleppend macht. Wir sehen sehr viel Eis und Schnee, viel Natur, häufig aus der Helikopterperspektive.

Nur behutsam nimmt die Handlung Fahrt auf, dafür umso geschickter. Geübte Serienschauer lockt man mit einer Vielzahl an mysteriösen Seitensträngen und Figuren. Also ist da etwa auch der kleine Bub, der mit seiner Spielkameradin ein undefinierbares Etwas im Eis findet und danach plötzlich schwer erkrankt. Der Partner seiner Mutter verlässt das Haus, um eine andere Frau zu treffen, und bemerkt daher nicht, dass der Bub im Fieberwahn barfuß durch den Schnee läuft und schwere Erfrierungen davonträgt. Welche Krankheit hat der Bub, und vor allem – was hat er im Eis entdeckt? Und wohin ist das Mädchen verschwunden, mit dem er draußen im Eis war?

Gekonnt spielt der Brite Christopher Eccleston (bekannt aus „Doctor Who“) den liebenswürdigen Professor Stoddart, der zwar in Folge eins stirbt, aber – ohne zu viel zu verraten – vermutlich weiterhin eine Rolle spielen wird. Bei der Premiere in London gaben alle Darsteller außer dem Amerikaner Tucci zu: Der Hauptgrund für ihre Zusage sei Schauspieler Michael Gambon gewesen. Jeder wollte mit dem britischen Theater-Sir zusammenarbeiten, der seit seinen Auftritten als Schulleiter Dumbledore in den „Harry Potter“-Filmen berühmt ist. Hier spielt er nun einen griesgrämigen, sterbenskranken Fotografen, der nichts mehr zu verlieren hat.

Was wie ein durchschnittlicher deutscher Hauptabendkrimi beginnt, entwickelt sich zu einer schräg-mysteriösen Geschichte, die Kritiker bereits zwischen „Twin Peaks“ und „Fargo“ einordnen. Dass der Schnee, wenn er erst einmal da ist, ein schwieriger Partner bei Dreharbeiten sein kann, ist leider unübersehbar: In einer Dialogszene zieren viele kleine Schneeflocken den Mantel von Stanley Tucci in der Vorderansicht – in der Rückenansicht ist der Mantel aber schneefrei. Da fehlt das Gespür für das Detail.

DIE SERIE

Nach der Horrorserie „Penny Dreadful“ und der Krimiproduktion „The Tunnel“ ist „Fortitude“ die nächste aufwendige hausgemachte Serie von Sky (Koproduzent ist US-Kabelsender Starz). Mit u.a. Sofie Gråbøl, Christopher Eccleston, Stanley Tucci. Die Originalversion ist ab heute, 27. 1., auf Sky Go, Sky Anytime, Sky Online abrufbar. Ab 3. 3. auf Deutsch.

Compliance-Hinweis: Die Autorin war auf Einladung von Sky bei der London-Premiere von „Fortitude“.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.01.2015)

Alexander von Schönburg: „Plädiere dafür, auch mit Vollidioten auszukommen“

Der Journalist und Autor Alexander von Schönburg hat eine Verteidigungsschrift auf den Small Talk verfasst. Ein Gespräch.Schönburg_Alex_von_(C) Benno Kraehahn_007.JPG_Druck

 

 

Nach der „Kunst des stilvollen Verarmens“ schreiben Sie jetzt über „die Kunst des stilvollen Mitredens“. Wieso?

Alexander von Schönburg: Verstehen Sie es bitte als Resultat einer Kapitulation. Ich wollte ursprünglich ein Buch über all das schreiben, was wir nicht wissen. Ich wollte um die Welt reisen und Wissenschaftler aus allen möglichen Disziplinen dazu befragen, was sie als letzte Geheimnisse ihrer jeweiligen Spezialgebiete betrachten. Nach kurzer Zeit musste ich aber feststellen: Es gibt keine letzten Rätsel, es gibt viel mehr Unwissen als Wissen. Mit jedem Rätsel, das die Wissenschaft gelöst hat, haben sich weitere Rätsel aufgetan. Um es mit Donald Rumsfeld zu sagen: „There are known unknowns. But there are also unknown unknowns.“ Kurz gesagt, die Welt ist so komplex geworden, dass man nur noch ackselzuckend davor steht. Und doch leben wir ja in einer Welt, in der alle glauben, immer und überall mitreden zu können. Mein Buch ist da gewissermaßen Aufschrei und Rettungsanker zugleich, weil ich inmitten dieses Überinformationschaos ein paar Themen benenne, mit denen man sich über Wasser halten kann ohne wie Vollidioten zu wirken, was wir in Wahrheit natürlich alle sind.

 Sie teilen diese Themen in drei Kategorien: Pauschalthemen wie Fußball, das Internet oder Kunst. Jokerthemen wie Adel, Jagd und Sex, die durchaus Kontroversen auslösen können und Chloroformthemen wie das FAZ-Feuilleton, New York und Fernsehserien. Bei denen geht es um nichts, aber jeder kann etwas dazu sagen.

Mein Buch ist kein Buch über Smalltalk, es ist Smalltalk. Weil dies heutzutage die einzige angemessene Tonart ist, um über die Themen unserer Zeit zu reden. Alles andere ist Hochstapelei. Wer behauptet, den Durchblick zu haben, kann nur ein Aufschneider sein. Nur im Plauderton, nur im Witz, kann man mit den Ungereimtheiten unseres Daseins umgehen, der Plauderton ist der einzige Ton, der Rechthaberei und Moralscheißerei ausschließt.

Viele Menschen tauschen sich heute mehr in digitalen als in realen Räumen aus, etwa auf Twitter. Wird dort auch Smalltalk gemacht?

Die sozialen Medien sind das Gegenteil von Kommunikation, weil sie Empathie verhindern. Im Internet können Sie jede x-beliebige Person fertig machen und anspucken ohne dabei auch nur rot zu werden. IRL, in real life, um im Internet-Speak zu bleiben, würden Sie sich so etwas niemals zu trauen. Zu recht. Regeln des zivilen Miteinanders würden einen davon abhalten. In virtuellen Räumen gelten keine Regeln des zivilen Miteinanders.

Wenn aber Smalltalk wie ein Tennis-Spiel ist, bei dem man sich Bälle unterschiedlicher Stärke zuspielt, dann geht das auf Twitter auch recht gut.

Das ist jetzt als ob Sie YouPorn mit echtem Sex vergleichen.

 Warum hat Smalltalk einen schlechten Ruf?

Alle haben Angst, seicht zu wirken. Das ist ein Erbe unserer bildungsbügerlichen Tradition. Von einem Gombrich raunte man noch, er hätte angebliche sämtliche Bücher seiner Zeit gelesen, die Enzyklopädisten der Aufklärung hatten noch den Anspruch, das gesamte Wissen der Welt in einem Werk zu sammeln, von Fragen der Philosophie und Anatomie bis hin zur Kunst des Marmeladeneinkochens. Am Ende landeten sie mehr als 70.000 Texten in 35 Bänden. Wie viele Bände müssten es heute sein, um das ganze Wissen der Welt zu sammeln? Wahrscheinlich wurden, während wir gerade sprechen, mehr Informationen online gestellt als in den letzten 10.000 Jahren Menschheitsgeschichte zusammen genommen aufgeschrieben wurde. Es gab eine Zeit, da sprachen kluge Menschen mit Autorität. Das ist vorbei. Heute gestehen kluge Menschen sich vor allem ihre Ahnungslosigkeit ein.

Wie sieht es wirklich mit aktuellen politischen Themen wie der Ukraine-Krise, Islamlischer Staat, Pegida aus. Soll man darüber reden?

Das sind ja noch die einfachen Themen. Kompliziert und langweilig wird es bei wirklichen Politikthemen wie Energieversorgung, Pensionsversicherung, Euro-Kurs der EZB… Blicken Sie da etwa durch?

Das Heikle an politischen Debatten ist ja auch, dass man schnell erfährt, welche Weltanschauung und mitunter welche radikale das Gegenüber hat.

Ich plädiere dafür, auch mit Vollidioten auf Dinnerpartys auszukommen. Mit Leuten zu plaudern, die auf der gleichen Wellenlänge liegen, ist keine Kunst. Zivilisiert und taktvoll zu bleiben, wenn der Gegenüber ein Langweiler oder ein Scheusal ist, das ist die Kür.

Wie entkommt man einer langweiligen Konversation?

Da hilft nur die paradoxe Intervention: Mit voller Aufmerksamkeit zuhören. Ein echten Gesellschaftslöwen zeichnet übrigens aus, dass er gerade scheinbar uninteressanten Menschen besondere Aufmerksamkeit schenkt und Nervensägen mit ganz ausgesuchter Herzlichkeit begegnet, allein schon um dadurch deren Charmedefizit auszugleichen.

Was langweilt Sie derzeit?

Das meiste. Langweilige Themen sind üppig. Man sollte eher über das Wenige reden, was nicht langweilt.

Und was ist das bei Ihnen?

Ich bin im Moment ganz besessen von Houellebecqs neuem Buch. Ich lese es nicht nur langsam und genüsslich, ich lese auch alles, was darüber geschrieben wird, die Rezeption und ich begebe mich in die Neben-Avenuen, die sich darin eröffnen. Vom Wallfahrtsorts Rocamadour habe ich zum Beispiel dank Houellebecq das erste Mal erfahren. Jetzt will ich da unbedingt hin. Dann natürlich die geheime Hauptperson des Romans: Joris-Karl Huysmans! Dessen Buch „Gegen den Strich“ kommt ja als geheimnisvolles „yellow book“ im „Bildnis des Dorian Gray“ vor. Ein völlig vergessener Autor. In meinem „Kunst des stilvollen Verarmens“ spielt Huysmans Figur Des Esseintes natürlich auch eine Rolle, aber bislang war Huysmans eigentlich nur Eingeweihten ultra-katholischer Untergrund-Literatur ein Begriff.

Österreicher versus Deutsche: Wer ist der geübtere Smalltalker?

Das liegt nahe, das ist wirklich fishing for compliments.

Wieso? Wir vertragen durchaus Kritik.

Österreich profitiert nun mal davon, dass dass hier lange Zeit das Zentrum osteuropäischer und jüdischer Intelligenz war. Und so eine Hofkultur wie die in Wien gab es in Deutschland auch nie. Der olle Wilhelm hat ja versucht, Wiens Glanz zu kopieren, aber das scheiterte am Geschmack. Typisch für Deutschland ist nicht die große, zentralistische Hofkultur, typisch für uns sind all die Mini-Höfe unter denen Orte wie Darmstadt oder Braunschweig das Höchste der Gefühle waren. Diese vielen kulturellen Zentren haben auch ihren Reiz, aber es dann doch etwas anderes als Paris, London oder Wien.

Spürt man den historischen Vorteil wirklich noch? Die Wiener sind doch viel direkter und uncharmanter.

Das zeichnet alle wirklichen Großstädte aus, dass die Ureinwohner jeden Fremden, die in der Überzahl sind, verachten. Die Berliner können genauso unverschämt sein wie die Wiener. Übrigens gehe ich in Wien am liebsten in die Kaffeehäuser, in denen ich unverschämt behandelt werde, zum Beispiel in den Bräunerhof. Ich empfinde die Verachtung des Obers hier als großen Trost angesichts der „Hi, ich bin Sandy, wie heißt du, was kann ich für dich tun“-Kultur.

Wir sind mitten in der Ballsaison. Sind Bälle überhaupt ein gutes Smalltalk-Pflaster?

Ich komme ja aus der Provinz. Meine Familie kommt aus Sachsen. Für mich hat der Begriff Ballsaison in Wien etwas Einschüchterndes. Aber dann sieht man in den Zeitschriften die Bilder von diesen Bällen und man stellt fest, das sind riesengroße, geschmacklose Veranstaltung, die rein potemkinsche Funktion haben und mit authentischem Glamour nichts zu tun haben.

Kann man beim Tanzen gut Smalltalken?

Tanzen ist wie Smalltalk, nur intensiver. Zündstufe zwei sozusagen. Letztlich hat wahrscheinlich jeder zwischenmenschliche Kontakt, der prickelt, etwas mit Eros zu tun.

Ihre oberste Regel für den Smalltalk ist: Einem darf nichts peinlich sein.

Stimmt. Wenn Sie schon in einen Fettnapf treten, dann sollten Sie es mit Panache tun. Fehltritte seiner Mitmenschen bemerkt man am besten gar nicht und für die eigenen entschuldigt man sich nicht, weil man damit erst die Aufmerksamkeit darauf lenken würde, „qui s’excuse s’accuse“, hieß es bei uns immer. Wie man das Trainieren kann? Man muss sich immer wieder gesellschaftlichen Desastern ausliefern, dann verlieren sie ihren Schrecken.

Und wie gewöhnt man sich das Recht haben wollen ab?

Das ist ein großes Geheimnis. Ich meine die Frage, warum es uns so schwer fällt, einzugestehen, Unrecht zu haben. Ich glaube fast, das hat etwas mit dem Tod zu tun. Als ob das Gefühl, im Unrecht zu sein ein bisschen wie Sterben sei.

Unlängst hat in der Presse ein Riedel-Glas-Erbe erzählt, dass er nicht mit Menschen reden würde, die den Unterschied zwischen Pinot Noir und Cabernet nicht kennen. Ist das in Ordnung?

Es ist vor allem ein fantastisches Statement, weil es Widerspruch auslöst. Von solchen Sätzen lebt ein guter Smalltalk.

Der Wein ist bei Ihnen kein Smalltalk-Thema.

Die gesamte Genusskultur nervt mich. Ich esse und trinke auch gerne, aber diese Vernarrtheit in das Essen und das rechte Glas zum rechten Wein finde ich parvenuhaft. Genuss macht nur Spaß, wenn man dabei nonchalante bleibt und dem ganzen nicht so eine Bedeutung beimisst.

Wo liegt die Grenze zwischen Smalltalk und Diskussion?

Smalltalk kann immer nur der Auftakt zu einem guten Gespräch sein. Mein liebstes sind gute Streitgespräche, mit einem Drink in der Hand statt mit Messer zwischen den Zähnen natürlich. Aber Diskussionen, bei denen man den Dingen auf den sogenannten Grund gehen will, finde ich meist ermüdend.

Kommt man zu Weihnachten oder sonst im Kreise der Familie mit Smalltalk weiter?

Smalltalk ist eine unterschätzte, wichtige Kulturtechnik unserer Zivilisation, eine die im Zeitalter der elektronischen Kommunikation bedroht ist – aber es gibt einen einzigen Ort, an dem Smalltalk überhaupt nicht weiterhilft. Die Familie. In der Familie kennt jeder Deinen Bullshit, da kann man niemanden blenden. Deswegen ist Familie ja so ein wunderbarer Ort, und zugleich manchmal ein Ort des Horrors.

Presse am Sonntag, 25.1.2015

Serien im Wandel: 2015 gibt es Fernsehstoff für jeden Geschmack

MADAM SECRETARY

„Homeland“ trifft „House of Cards“: Téa Leoni spielt in der CBS-Serie „Madam Secretary“ die US-Außenministerin. / Bild: (c) CBS Entertainment 

Dass Serien auch anspruchsvolle Kunstform sein können, haben TV-Sender, Filmregisseure und sogar Autoren längst erkannt. Mittlerweile fällt es schwer, den Überblick über die besten Serien zu behalten. 2015 wird jedenfalls das Jahr der Fortsetzungen. Neue Produktionen suchen die Nische.

 (Die Presse am Sonntag)

Es gab eine Zeit, da war es verhältnismäßig einfach, den Überblick über hervorragende Serien zu behalten, die so gut oder sogar besser als Filme waren. Vor 15 Jahren begann diese Zeit, die bis heute als goldene Ära des Fernsehens bezeichnet wird – mit dem Start des Mafia-Familiendramas „Sopranos“. Preisgekrönte, hoch gelobte Serien konnte man lange an einer Hand abzählen. Die Drogenfahnder aus Baltimore in „The Wire“, die Bestattungsfamilie aus „Six Feet Under“ und der krebskranke Crystal-Meth-Dealer Walter White aus „Breaking Bad“ ebneten den Weg für eine neue Serienform.

Dass erfolgreiche Serien nicht immer Sitcoms sein, die Lacher nicht immer aus dem Off kommen müssen, wissen Drehbuchautoren, TV-Sender und Regisseure heute. Seit Mitte der 2000er-Jahre wuchs die Zahl der aufwendig gestalteten Serien rasant. Schauspielstars wie Claire Danes („Homeland“) und Kevin Spacey („House of Cards“) rissen und reißen sich um attraktive Hauptrollen. Und mancher Darsteller, der seine Karriere im Fernsehen begann und im Kinofilm-Genre weniger Erfolg hatte, kehrte zurück: Joshua Jackson, in den Neunzigern der scheue Pacey in „Dawsons‘ Creek“, spielt nun an der Seite von „The Wire“-Darsteller Dominic West im Seitensprung-Drama „The Affair“. Mit an Bord ist auch Maura Tierney, ein bekanntes Gesicht aus „Emergency Room“, der Mutter heutiger Arztserien.

Einiges hat sich gedreht: Heute machen Serien Stars, was man u.a. bei der Langzeitproduktion „Mad Men“ sehen kann, die 2015 mit Staffel sieben zu Ende geht. Hauptdarsteller wie Jon Hamm (spielt Werber Don Draper) und Christina Hendricks (Joan Harris) müssen sich danach keine Sorgen um neue Rollen machen. Ganz ähnlich funktioniert das für die Darsteller im Mittelalter-Fantasy-Epos „Game of Thrones“. Noch dazu, weil sie dort schnell wieder weg sind, wenn ihr Protagonist plötzlich zu Tode kommt.

Wurden bisher oft literarische Stoffe zu Serien gemacht („Game of Thrones“ basiert auf den Büchern von George R.R. Martin, das Kannibalistendrama „Hannibal“ auf dem Roman von Thomas Harris), hat der Literaturbetrieb umgekehrt begriffen, wie er am Erfolg mancher Serienhits mitnaschen kann. Neuerdings bewerben Verlage ihre Romane mit Slogans wie: „Für Fans von Homeland“ oder „Freunde von ,Game of Thrones‘ werden es lieben“.

Binge-Watching-Rekord. Während es also längst schick ist, gewissen Serien zu verfallen und den eigenen Binge-Watching-Rekord zu verkünden (wie viele Folgen einer Serie sehe ich am Stück?), unterzieht sich das Genre langsam einem Wandel: Serien werden jetzt beinah wie am Fließband produziert. Selbst erfahrene TV-Kritiker wie die „New Yorker“-Autorin Emily Nussbaum müssen bei den obligaten Jahresrück- und -vorschauen zugeben, dass sie nicht mehr alles sehen können, was auf den Markt kommt. Und natürlich muss man sagen: Längst ist nicht jede Serie beste Erzählkunst auf hohem Niveau. Die britische Adelsreihe „Downton Abbey“ bleibt trotz der feinen Kostüme und Maggie Smiths Pointen eine Soap-Opera. Wenn auch eine, die süchtig macht. Nussbaum empfiehlt übrigens, 2015 nicht „Downton“, sondern der US-Serie „Outlander“ eine Chance zu geben.

Der Ausblick auf 2015 zeigt vor allem: Das Serienjahr wird eines der Fortsetzungen. Allein im ersten Quartal kehren viele Hits für eine zweite, dritte, vierte usw. Staffel zurück: Heute startet in den USA die HBO-Serie „Girls“ mit und von Lena Dunham. Ende Februar geht der Netflix-Glücksgriff „House of Cards“ in Runde drei. Auch die Gefängnisserie „Orange Is The New Black“ und die Krimi-Groteske „Fargo“, beide Netflix, kommen wieder. Und die beste Serie aus 2014, die auf mehreren Zeitebenen erzählte Kriminalgeschichte „True Detective“ mit Woody Harrelson und Matthew McConaughey geht weiter. Hier wagt sich HBO mit einer sogenannten Anthologieserie sogar in ein neues Subgenre: Jede Staffel hat neue Protagonisten und eine neue Handlung. Das ist die aktuelle Königsdisziplin für Serienmacher, schließlich muss das Publikum in jeder Staffel neu gewonnen werden.

Was die Massenproduktion der Serien mit sich bringt, ist Diversität. Das Motto der TV-Sender lautet: Wir bieten für jeden etwas. Comicfiguren werden zum Leben erweckt, das Comedygenre boomt, Vampir- und Horrorproduktionen ebenso. Waren die Helden früher Serien vor allem Männer, gibt es mittlerweile eine lange Reihe von Serien mit Heldinnen. CBS warf im Herbst mit „Madam Secretary“ eine Art „House of Cards für Frauen“ auf den Markt. Hauptfigur Elizabeth McCord (gespielt von Téa Leoni) übernimmt als zweifache Mutter und College-Professorin das Amt der US-Außenministerin und muss sich mit geleakten diplomatischen Akten und der CIA herumschlagen, darf dabei aber viel freundlicher sein als Frank Underwood.

Zurück auf die Leinwand. Der Erfolg im Fernsehen macht erfinderisch: Vor dem Start der fünften „Game of Thrones“-Staffel werden die beiden letzten Folgen von Staffel vier in den USA in Imax-Kinos gezeigt. Damit will man bewusst einen Kontrapunkt zum Binge-Watching-Effekt setzen, der diese Serie erst populär gemacht hat. Besser eine Folge genussvoll auf der großen Leinwand ansehen als eine ganze Staffel daheim mit dem Laptop auf dem Schoss.

„Game of Thrones“ lässt sich übrigens wie „The Walking Dead“ als einer der letzten „Blockbuster“ dieser TV-Ära bezeichnen. Vieles, was 2015 neu herauskommt oder in Runde zwei geht, ist Stoff für die Nische, etwa das Transgenderdrama „Transparent“. Einiges glaubt man bereits zu kennen: Der Ende Jänner startende britische Arktis-Krimi „Fortitude“ (mit Stanley Tucci, Sofie Gråbøl) erinnert an das ebenso eiskalte „Fargo“. 2015 werden aber auch Experimente gewagt: „Cancer“ soll eine Art Biografie der Krankheit werden. Ungebrochen ist die Lust der Filmregisseure am Serienmachen: Martin Scorsese will nach „Boardwalk Empire“ (ging 2014 nach fünf Staffeln zu Ende) für HBO das Leben der Siebziger in New York beleuchten. Was dann doch wieder Potenzial hätte, ein Massenhit zu werden.

 

Aktuelle Serienstarts:

In den USA laufen demnächst folgende Fortsetzungen an: „Girls“ (heute, 11. 1.), „Portlandia“ (8. 1.), „The Walking Dead“ (8. 2.), „House of Cards“ (27. 2.), „Game of Thrones“ (Staffel vier ab 13. 1. auf RTL II, ab 12. 4. Staffel fünf in den USA).

Neu sind u. a.: „Twelve Monkeys“ (ab 16. 1.), „The Fall“ (ab 16. 1. mit „Axte X“-Star Gillian Anderson), das Arktis-Drama „Fortitude“ (ab 29. 1. auf Sky), „Better Call Saul“, „Cancer“ (30. 3.), eine Bio der Krankheit.

Neue Serien im ORF: „Die Vorstadtweiber“ (ab 12. 1. 20.15 h, ORF eins), David Schalkos „Altes Geld“ kommt voraussichtlich im Frühjahr auf DVD auf den Markt, erst im Herbst ins Fernsehen.

Gute Reise, Kurt!

Seit April kämpfte Investigativjournalist Kurt Kuch nicht nur gegen seinen Lungenkrebs, sondern für einen strengeren Nichtraucherschutz. Den Kampf gegen den Krebs hat er nun mit 42 verloren, seine Initiative wird weiterleben.

Das Weihnachtsfest konnte er noch daheim mit seiner Familie im Südburgenland feiern. Aber er wusste, dass er nach den Feiertagen wieder ins Krankenhaus musste, für die nächste Runde im Kampf gegen seinen Krebs. Früher als geplant wurde Kurt Kuch kurz vor dem Jahreswechsel ins Spital eingeliefert – doch die Zuversicht behielt er bis zum Schluss. In seinem letzten Facebook-Eintrag am Silvestertag schrieb er: „Wir lassen uns das Feiern nicht nehmen, zumal der beste Teil unseres Lebens noch nicht vorbei ist!“

Kämpferisch gab sich Kurt Kuch ab Tag eins seiner Krebsdiagnose. Mit stechenden Rückenschmerzen und Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall begab er sich Anfang April ins Krankenhaus und wurde von der Diagnose Lungenkrebs überrascht. In Interviews erzählte er später, er habe damals begriffen, dass er nur mehr zwei, drei Wochen zu leben gehabt hätte, wenn man den Tumor nicht erkannt hätte. Der Schock saß tief, doch Kuch fasste Mut und entschloss sich, gegen den Krebs zu kämpfen und mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Dem „Falter“ erklärte der Investigativjournalist wieso er das tat: „Ich kann nicht von allen absolute Transparenz einfordern, und wenn’s um mich selber geht, dann ist Schluss, dann zieh ich mich ins Schneckenhaus zurück.“

Fuck Cancer. Mit dem Hashtag #FuckCancer informierte er seine Freunde und Kollegen via Facebook und Twitter über die Fortschritte seiner Therapie. Und die gab es. Der Tumor wurde kleiner, im Sommer war Kuch sogar metastasenfrei. Mit seiner Frau und der gemeinsamen zwölfjährigen Tochter reiste er nach England und in die Karibik, genoss den ersten Sieg über die Krankheit. Aber nicht nur den engsten Freunden gegenüber, sondern auch in Interviews blieb er ehrlich. Der Tumor werde mit großer Wahrscheinlichkeit wieder kommen. Das war ihm bewusst.

Und er kam wieder. Der Kampf begann von vorne. In der Zwischenzeit hatte Kuch beschlossen, auch an anderer Front zu kämpfen. Er unterstützte die Initiative „Don’t smoke“, die sich für einen stärkeren Nichtraucherschutz in Österreich einsetzt. Und er hörte nicht auf, unter anderem in „News“, dem Magazin für das er fast 20 Jahre lang schrieb, darauf aufmerksam zu machen, dass er seine Krankheit vor allem seiner 25-jährigen Kettenraucherei zu verdanken hatte. Drei Packerl Marlboro hatte er jahrelang geraucht.

Kurt Kuch war ein Vollblutjournalist. Seine berufliche Laufbahn begann er Anfang der Neunzigerjahre als Aktivist der Oberwarter Antifa-Bewegung und beim OHO, dem offenen Haus Oberwart. Der „Falter“ bezeichnete ihn erst vor wenigen Tagen in einem Porträt als „eine Art Pressesprecher der Region“, der nach dem Rohrbombenattentat, bei dem vier Roma getötet wurden, unermüdlich im Einsatz war. Zuletzt schrieb er an einem Buch zum zwanzigsten Jahrestag der Anschläge im Jahr 2015. Seit 1996 schrieb er für das Wochenmagazin „News“ und deckte Skandale wie die Telekom-Affäre und die geheimen Briefkasten-Firmen des damaligen Raiffeisen-Bankers Herbert Stepic auf. Gerade erst wurde er vom Branchenmagazin „Journalist“ – wieder – zum Investigativjournalisten des Jahres gekürt.

Öffentlicher Abschied. Noch mehr Anerkennung erhielt er aber für seinen Kampf gegen die Krankheit und das Rauchen. Jeder Status-Update auf Facebook wurde tausendfach geliked, für jede Behandlung erhielt er persönlichen Zuspruch. Diese Anteilnahme habe ihm Kraft gegeben, „ein solcher Energieschub ist einfach unbezahlbar“, erzählte er der „Presse“ in einem Interview zu seinem 42. Geburtstag im August.

So öffentlich Kuch gegen seine Krankheit kämpfte, so öffentlich wurde auch sein Tod am Samstag. Hunderte Freunde und Wegbegleiter verabschiedeten sich tief betroffen auf seiner Facebook-Seite mit persönlichen Worten wie „Gute Reise, Kurt!“ oder „Mach’s gut, Kurt“. Sein Einsatz gegen das Rauchen steckte auch an, in jüngster Zeit beschlossen viele Freunde und Kollegen, das Rauchen aufzugeben; Restaurantbetreiber kündigten an, ihre Lokale zu Nichtraucherlokalen zu machen. Kurt Kuch hat seinen persönlichen Kampf in der Nacht auf Samstag verloren. Es sieht aber so aus, als würde die #FuckCancer-Kampagne weiterleben.
Mehr Infos: www.dontsmoke.at