In Zeiten abnehmender Gefühle

Die deutsche Autorin Jackie Thomae bastelt ein Mosaik aus Menschen, denen die Liebe verloren  geht. Deprimierend und lustig zugleich, wenn auch mit einigen Längen.

Der nicht unbedingt sympa thische Regisseur Engelhard liebt Susanne. Dann springt er völlig betrunken aus dem ersten Stock, bricht sich seine Beine – und liebt sie nicht mehr. Sein Freund Ralf Bender lässt Partnerin Doro nach zehn Jahren und ohne ein Wort der Verabschiedung sitzen, schickt nach ein paar Wochen bloß einen befreundeten Anwalt vor, um die Formalitäten zu klären, und heiratet kurz darauf Serafina. Auf der Hochzeit geht eine andere Beziehung zur Neige, jene zwischen Johannes und Vesna (die wiederum die neue Mitbewohnerin der verlassenen Doro ist, aber das wird jetzt etwas kompliziert). Ariane ist zum dritten Mal verheiratet, obwohl sie von Anfang an wusste, dass sie den dritten Mann nicht annähernd so liebt wie den zweiten. Nach einem Familienurlaub und einem Unfall trennt sie sich von Mann drei, dem Vater ihres zweiten Kindes.

Die Aufzählung der Protagonisten in Jackie Thomaes Debütroman „Momente der Klarheit“ ließe sich noch eine Weile fortsetzen. Dabei sind die einzelnen Charaktere, die wie auf einer Bühne auf- und abtreten und mehr oder weniger lose miteinander in Verbindung stehen, nicht so wichtig. Worum es wirklich geht, wird nach wenigen Kapiteln klar: um die titelgebenden Momente, in denen Menschen dämmert, dass sie nicht mehr lieben oder nicht mehr geliebt werden. Im Auto auf dem Weg zu einer Hochzeit, beim Biertrinken im Hof, während einer Party. Es geht um Beziehungen, die auseinandergehen, und um den Schmerz, den sich Menschen zufügen, die für einander einmal alles bedeutet haben. Es geht aber auch um das Ende von Freundschaften, Geschäftsbeziehungen und Geschwisterbeziehungen.

Lektüre für frisch Getrennte

Das klingt zunächst einmal furchtbar deprimierend und wie das adäquate Breitband antibiotikum für frisch Getrennte (Lese-Impetus: „Immerhin geht es nicht nur mir so“). Doch das Buch entpuppt sich als tröstende, aufmunternde Lektüre. Wenn die Ich-Erzählerin, Lydia, nach dem Ende der Affäre mit ihrer großen Liebe, Viktor, sagt: „Ich weiß, es gibt Schlimmeres, aber mir fällt im Moment nichts ein“, fühlen wir mit ihr. Und freuen uns 150 Seiten später umso mehr, dass sie doch aus dem Tal herausgefunden hat. Ihre Freundin Vesna hat gerade beschlossen, sich von Johannes zu trennen, und sagt sich: „Es wird irgendwie weitergehen. Warte ab und lache unterdessen.“

Das Erfreuliche an Jackie Thomaes Roman ist die klare Sache. Schöne Sätze treffen da aufeinander. „FAZ“-Kritikerin Johanna Adorján „wollte beim Lesen die ganze Zeit solche Sätze unterstreichen“. Sätze wie: „Mit deiner ersten Frau war es aus, als eines Abends eine Frau in eure Stammkneipe kam und sich euch gegenüber an die Bar setzte.“

Allerdings hält Thomae die Dichte an guten Sätzen nicht ohne Pausen durch. Dazwischen gibt es ärgerliche Hänger, in denen man den wechselnden Protagonisten nur mehr ungern folgt, weil die Dialoge oder Monologe so langweilig und beliebig werden. Nicht jedes Trennungspaar, nicht jede neue, auch noch so kurze Romanze ist gleich spannend und wahrhaftig gezeichnet worden. Interessant sind Thomaes Schilderungen aber deshalb, weil hier so viele verschiedene Formen des Ver- und Entliebens und des Umgangs mit eintönig gewordenen Beziehungen geschildert werden. Und weil wir uns dabei ertappen, dass wir die Sprachlosigkeit am Ende einer Beziehung in manchen Geschichten verstehen und in manchen als verwerflich empfinden.

Es ist, wie es ist. Das zeigt, es gibt bei Trennungen nichts richtig und falsch zu machen. „Auseinandergehen ist schwer“, wie die Wiener Band Wanda singt. Im Grund bleibt nur, das stumpfe Mantra, das sich Arianne (die mit dem dritten Mann) zurechtgelegt hat, anzuerkennen: „Es ist, wie es ist.“

Thomae schildert das Liebesleben von dreißig- bis vierzigjährigen Großstädtern, ohne Weichzeichner und Kitsch. Aber weniger trostlos als bei  Sibylle Berg. Dass Thomae als Fernsehautorin gearbeitet hat, erkennt man an ihrer Schreibe. Wir vermuten mal: Dieses Buch wird noch verfilmt.

NEU ERSCHIENEN
Jackie Thomae „Momente der Klarheit“
Hanser Berlin
288 Seiten
20,50 Euro