Die unerträgliche Leichtigkeit des Scheiterns

Logo_fisch+fleisch_RGB Ist Euch vielleicht auch schon aufgefallen. Dass das Scheitern seit einiger Zeit so richtig in Mode gekommen ist. Es ist die häufigste Ausrede für den geringeren digitalen oder technologischen Fortschritt, den der deutschsprachige Raum im Vergleich zu Amerika oder Asien vorzuweisen hat. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner aller Gegenwartspessimisten. Egal, ob bei den Technologiegesprächen im Tiroler Bergdorf Alpbach, beim Wiener Startup-Großfestival Pioneers in der Hofburg, in Essay-Sammelbänden, am Titel der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsfeuilletons „Brandeins“ oder bei Gastauftritten weit gereister Medien- und Digitalexperten: Immer fällt irgendwann das berühmte Beckett-Zitat. Immer können sich Vortragende und Diskutanten darauf einigen, dass es um dieses „Try again. Fail again. Fail better“ geht. Und immer wird seufzend festgestellt, dass es Österreich an einer gesunden Fail-Kultur mangelt. 

Das mag sein. Aber keiner hat mir bisher erklären können, was eine gesunde Fail-Kultur eigentlich ist. Anstatt ständig romantisch das Scheitern als Mittel zum Zweck oder wie Thomas Edison, der Erfinder oder Verbesserer von Glühbirne, Telefon und Gramophon, als schmerzhaften Weg zum Erfolg zu bezeichnen, wäre mir wohler, wenn die vielen Strategen und Trendexperten konkreter werden würden. Ich will Beispiele sehen! Welcher Manager darf sich noch weiterhin in seinem Chefsessel drehen, wenn er nicht die zuvor selbst gesteckten Ergebnisse bringt? Welcher TV-Chef darf sich bei sinkenden Quoten, welcher Zeitungsmanager bei sinkender Verkaufsauflage längere Zeit auf der Fail-Better-Floskel ausruhen (es sei denn ihm gehört Sender oder Zeitung)? Scheitern ist nicht immer ein fruchtbringender Lernprozess, der uns weiser, reifer und besser macht. Manchmal ist es sogar existenziell bedrohlich, lebensverändernd oder zumindest himmelschreiend unfair. Nicht nur bei der vierten verpassten Bürgerlich-Recht-Prüfung oder dem „Leider nein“ beim Führerschein-Zweitantritt. Etwa, wenn der Pitch beim Großkunden zum dritten Mal an das Konkurrenzunternehmen geht, eine Operation zu schweren Komplikationen führt und und und. Das Scheitern-Argument klingt ein bisschen wie die sinnentleerte Tröst-Floskel der Großeltern an ihre Enkel, die erste Erfahrungen mit Blut, Schmerz oder sonst irgendeiner unangenehmen körperlichen Blessur machen: „Bis du heiratest, ist es wieder gut.“ Weil niemand kann genau sagen, wo das Scheitern aufhört und das Gewinnen beginnt. 

Daher freu ich mich auf den ersten Vortrag, bei dem der Redner ehrlich zugibt, dass man in manchen Punkten eben nicht unbedingt Scheitern sollte. Auf das erste Panel, bei dem auch mal erklärt wird, wie denn diese in Österreich angeblich so wenig verbreitete Fail-Kultur gelernt werden kann. Im Fachjargon nennt man das vielleicht „Differenzierung“. Denn wir Österreicher sind zwar vielleicht keine Experten im gesunden Umgang mit Scheitern, aber Meister im „Schauen wir mal, dann werden wir schon sehen“-Denken. Eine weitere Ausrede für dieses austriakische Laissez-faire haben wir eigentlich nicht gebraucht.