„Fargo“: Gorillas im Schnee

Die grandios düstere Serie „Fargo“ bekommt eine zweite Staffel, allerdings mit neuen Darstellern. Was schade ist. Billy Bob Thornton und Martin „Hobbit“ Freeman werden fehlen.

Wer hat sich das nicht schon einmal gewünscht? Dass plötzlich ein großer, starker Mann auftaucht, zuhört und in Großer-Bruder-Manier die Probleme für einen löst. Für den Versicherungsangestellten Lester Nygaard – grandios tollpatschig gespielt von Martin Freeman (bekannt als Hobbit und als Sherlocks Assistent Dr. Watson in der gleichnamigen Serie) – erfüllt sich dieser Wunsch im unerwartetsten Augenblick. Mit blutiger Nase sitzt er in der Notfallambulanz, gedemütigt vom ehemaligen Schultyrannen Sam Hess, der ihm soeben vor seinen Söhnen bewiesen hat, dass er wie einst auf dem Schulhof der Stärkere ist. In der Ambulanz kommt er ins Gespräch mit diesem unbekannten nuschelnden Mann in klobigen Stiefeln und schwarzem Mantel – und plötzlich fragt dieser: „Wollen Sie, dass ich ihn töte?Ja oder nein.“ Lester, der Loser, gibt natürlich keine Antwort, das Angebot sieht er als dumme Blödelei.

Zwei Tage später ist Sam Hess tot – und wir sind mittendrin in der eiskalten Welt von „Fargo“. Angelehnt an den gleichnamigen Oscar-gekrönten Film der Coen-Brüder Ethan und Joel erzählt die zehnteilige Miniserie von einer Reihe von Verbrechen in und um das 13.000-Seelen-Örtchen Bemidji im US-Bundesstaat Minnesota. Dabei hat die Produktion mit ihrem Filmvorbild nur die eisig-morbide Stimmung gemeinsam. Es ist Winter, der Schnee liegt meterhoch, wer in Unterhosen durch den Wald läuft, erfriert.

Zehn Teile hatte die erste Staffel, die in den USA Mitte Juni zu Ende ging. Seit Dienstag ist bekannt, dass der Kabelsender FX eine zweite Staffel für Herbst 2015 plant. Die 18Emmy-Nominierungen, auch für die vier Hauptdarsteller, dürften den Sender motiviert haben. Doch FX, der die Serie gemeinsam mit den Coen-Brüdern produziert hat, geht einen mutigen Weg: Die neue Staffel erzählt eine völlig neue Geschichte und spielt zu einer anderen Zeit, daher werden lauter neue Darsteller gecastet. Das könnte sich als Fehlgriff erweisen, denn Staffel eins lebt vor allem von den Hauptdarstellern, wie Allison Tolman, die die zunächst noch einfältig wirkende Polizistin mimt, die plötzlich Hartnäckigkeit entwickelt.

„What if you’re right, and they’re wrong“

Zuallererst aber von der kongenialen Paarung Billy Bob Thornton und Martin Freeman. Ersterer spielt den eiskalten, abgeklärten Stiefelträger und Auftragskiller Lorne Malvo, Letzterer den eingangs erwähnten Underdog Lester, der von Bruder, Ehefrau, Chef und besagtem Ex-Schulkollegen untergebuttert wird. In einer Schlüsselszene in Folge eins erklärt der Bösewicht dem Verlierer bei Filterkaffee in einem typischen US-Diner sein Weltbild: „Dein Problem ist, dass du dein Leben lang geglaubt hast, es gibt Regeln. Die gibt es aber nicht. Wir waren immer Gorillas, die sich nahmen, was sie wollten, und es verteidigt haben.“ Was nach platten Klosprüchen („Nur der Stärkste überlebt“) klingt, verursacht dank Thorntons düsterer Mimik und dunklem Timbre trotzdem angenehme Gänsehaut– und entpuppt sich für Serienfigur Lester als lang ersehnter Befreiungsschlag. Plötzlich erkennt er den tieferen Sinn jenes Plakats, das im Keller an der Wand hängt: Ein roter Fisch schwimmt unter lauter orangen Fischen, darüber steht: „What if you’re right, and they’re wrong.“ Was also ist, wenn du, der ewige Underdog, recht hast, und alle anderen irren? Das ist eine schöne, beinahe kitschige Botschaft, auf der die Serie aufbaut. Und es ist wie ein Präludium für die darauffolgende blutrünstige Reise durch das winterliche Minnesota.

Manchen mag das zu brutal sein, selbst hartgesottenen „Game of Thrones“-Fans wird hier, in diesem viel realeren Setting, plötzlich zu viel gemordet. Dabei kommt der Tod in „Fargo“ zwar häufig (und häufig ohne Vorwarnung), aber immer ohne Grusel-und-Graus-Effekt. Anders als beim Kopf-ab-Gemetzel von „Game of Thrones“ wird beinah sauber getötet. Serienpuristen werden „Fargo“ mögen. Ganz beiläufig werden hier wunderschöne Szenen von Schnee (und Blut im Schnee), Eis und US-amerikanischem Kleinstadtleben gezeigt. Und die Ironie zieht sich bis in kleinste Details. So zum Beispiel in das Insert, das zu Beginn jeder Folge aufscheint: „This is a true story.“ Es ist reine Fiktion.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 23.07.2014)

(Credit: FX/Fargo)