Happy Birthday, Joan Didion!

Zum 80. Geburtstag der wunderbaren US-amerikanischen Autorin gratuliere ich mit einem Foto aus der heutigen „Süddeutschen“ und mit meiner Rezension eines ihrer jüngsten Bücher vom 18. 3. 2012, „Presse am Sonntag“

Didi

Die Trauer in Worte fassen

Zuerst starb ihr Mann, zwei Jahre später die Tochter. In »Blaue Stunden« versucht Joan Didion sowohl den Verlust der Tochter als auch die Beziehung zu ihr aufzuarbeiten.

„Lässt für die Sterblichen größeres Leid sich erdenken, als sterben zu sehen die Kinder?“ Der Satz stammt von Euripides. Joan Didion hat daraus ihre eigene Version gemacht: „Wenn wir von Sterblichkeit reden, reden wir von unseren Kindern“, sagt sie, und wer würde dieser Frau widersprechen? Drei Mal innerhalb von fünf Jahren stand die heute 77-Jährige vor der marmornen Urnenwand in der Manhattaner Kathedrale St. John the Divine, um die Asche einer ihrer Liebsten zu beweinen: 2001 war es die ihrer Mutter, 2003 die ihres Ehemannes und 2005 die ihrer Tochter.

Als ihr Ehemann, der bekannte Journalist und Autor John Gregory Dunne, mit dem sie mehr als 40 Jahre zusammenlebte, am 30. Dezember 2003 einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, liegt ihre gemeinsame Adoptivtochter Quintana Roo im künstlichen Koma auf der Intensivstation.

Zweites Buch über das Sterben

Den schmerzvollen Verlust ihres Mannes und die Sorge um die in Lebensgefahr befindliche Tochter beschrieb Didion bereits 2005 in ihrem hochgelobten Werk „Das Jahr magischen Denkens“, das sie als Autorin weltbekannt gemacht hat. In ihrem neuen Buch „Blaue Stunden“ erzählt sie, was ihr danach eine Zeit lang dabei half, weiterzuleben, „in Schwung zu bleiben“, wie sie es nennt: Ein Freund hatte die Idee, das „Jahr magischen Denkens“ als Ein-Personen-Stück auf den Broadway zu bringen. Vanessa Redgrave spielte die Hauptrolle (und kam mit dem Stück im Sommer 2008 auch nach Salzburg). Joan Didion mochte die Arbeit am Theater, die Proben, aber vor allem das Stück selbst – weil der Ausgang der Geschichte offen blieb: Als sie das „Jahr magischen Denkens“ beendet hatte, war Quintana noch am Leben.

Sieben Monate später war sie tot. Das zweite Buch über den Verlust eines geliebten Menschen, über das Sterben ihrer Tochter, hat nicht nur viel länger gedauert, es hat der psychisch wie physisch angeschlagenen Autorin auch mehr Kraft geraubt. Ihre klare, sehr direkte Sprache hat sie aber nicht verloren. Knapp und eindringlich, mit Vorliebe zur Satzteilwiederholung, schildert sie die Krankengeschichte ihrer Tochter, den Moment, in dem ihr klar wurde, dass ihr Kind sterben wird, und die Zeit der Trauer, die sie noch immer nicht überwunden hat. Interessant ist: Didions Sprache ist so schnörkellos, ihr Stil so frei von Selbstmitleid, fast apathisch, dass man sich nie dabei ertappt, Mitleid zu empfinden oder eine Träne der Rührung zu verdrücken.

Erinnerungsmosaik

Die Erzählung hat, anders als das „Jahr“ keine Chronologie. „Blaue Stunden“ ist ein Mosaik aus Erinnerungen, der Titel bezieht sich auf die lange Dämmerung im Sommer, die bei Didion gegen Ende „ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit“ auslöst. Von Quintanas Hochzeit im Sommer 2003, nur wenige Monate bevor sie ins Koma fällt, wechselt Didion zu jenem Tag im März 1966 als sie die neugeborene Quintana aus dem Krankenhaus abholen konnten. Sie schildert, wie Quintana mit Anfang 30 Kontakt mit ihren leiblichen Eltern und ihrer Schwester aufnimmt und dadurch nachhaltig verstört wird, und sie zeichnet das Bild einer sehr einfühlsamen, frühreifen und gleichermaßen selbstbewussten wie unsicheren Tochter, die sich ihrerseits Sorgen um die eigene Mutter machte: „Sie betrachtete mich als jemanden, der selbst Hilfe brauchte“, schreibt Didion an einer Stelle.

Letztlich ist das Buch auch der Versuch, Zeugnis über das Elternsein abzulegen (Waren wir gute Eltern?) und das Altwerden (Wen kann ich bei einem Notfall anrufen?), die eigene Sterblichkeit zu erkennen. Antworten findet Joan Didion keine, aber ihr beim Denken zuzuhören, hilft dabei, eigene Antworten auf diese Fragen zu bekommen. 

(Credit: Screenshot App der  Süddeutschen Zeitung/AP Photo/Kathy Willens)