Ein Crashtest für die Fruchtbarkeit

Ein Wiener Kinderwunschzentrum will die Öffentlichkeit auf die sinkende Fertilität von Frauen ab 40 aufmerksam machen. Mit dem „Ferticheck“ könnten Frauen schon in jungen Jahren ihre Fruchtbarkeit abklären.

Claudia Hermann und Martin Sommer sind aufgeregt, aber guter Dinge. Im Oktober werden die beiden Lehrer Eltern, der gewölbte Bauch ist auch schon unter der weiten Sommerbluse erkennbar. Vor exakt einem Jahr waren sie das erste Mal im Wiener Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz bei einem Infoabend. Erleichtert seien sie gewesen, erzählt Hermann, „dass es auch noch andere junge Menschen gibt, die Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden.“ Denn Hermann ist 33 und damit für die Fortpflanzungsmedizin noch sehr jung. Trotzdem hat es aufgrund einer organischen Ursache nicht mit dem Kinderwunsch geklappt. „Auf natürlichem Weg ist bei uns eine Schwangerschaft nicht mehr möglich, also mussten wir es künstlich probieren“, erzählt Martin Sommer. Im Herbst folgte der erste Versuch einer In-vitro-Fertilisation. Ein „Riesenprozedere“, vor allem emotional rollte an: Notarielle Beglaubigung organisieren (für nicht verheiratete Paare verpflichtend), Hormone spritzen, somit Eizellen stimulieren, Ultraschall machen, Samenspende, Eizellenpunktion. „Dazwischen heißt es immer warten, aufs Ergebnis und darauf, ob der nächste Schritt überhaupt gemacht werden kann“, erinnert sich Claudia Hermann. Die nervenaufreibendste Wartezeit ist die zwischen dem Einsetzen der Eizelle und dem Anruf, ob der Körper die befruchtete Eizelle angenommen hat, das heißt, ob man schwanger ist. Bei ihnen brachte der Anruf im Herbst keine guten Nachrichten: Es hat nicht geklappt.

Sinkende Geburtenrate stoppen. So wie dem Lehrerpaar Hermann/Sommer ergeht es jährlich tausenden Paaren in Österreich. Laut Statistik Austria versuchen bis zu 30 Prozent aller Paare länger als zwölf Monate, schwanger zu werden. Dabei hat die zunehmende Infertilität nicht nur mit dem Altersanstieg der Mütter, sondern auch mit steigenden Einflüssen der veränderten Umwelt und einem ungesunden Lebensstil (Stress, Nikotin, mangelnde Bewegung) zu tun. Die Reproduktionsmediziner Andreas Obruca und Heinz Strohmer helfen in ihrem Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz jener wachsenden Gruppe an Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch. Zuletzt haben sie eine enorme Altersverschiebung unter ihren Patienten bemerkt – so hat sich in zehn Jahren das Durchschnittsalter ihrer Patientinnen um zwei Jahre auf 36,5 verschoben.

Was die Reproduktionsmediziner aber besonders verblüfft, ist das fehlende Wissen in der Bevölkerung über den Zusammenhang zwischen dem Lebensalter der Frau (und zum Teil auch des Mannes) und der Möglichkeit einer Schwangerschaft. Durch Medienberichte würde immer noch der Eindruck entstehen, es sei spielend leicht, auch nach dem 40. Lebensjahr schnell schwanger zu werden. „Tatsächlich gibt es einen Abfall der Fertilität, der dramatisch mit 38 beginnt, und mit 42 flacht die Fertilitätskurve noch einmal sehr stark ab“, sagt der Obruca.

Kampagne und Ferticheck

Er und sein Kollege haben nun eine Idee, wie man der sinkenden Geburtenrate entgegenwirken könnte: Sie wollen ein Bewusstsein für die fallende Fertilität schaffen und dafür die Politik ins Boot holen. In einem Informationsbrief an die Ministerien für Gesundheit, Frauen (beide SP) und Familie (VP) haben sie ihre Ideen formuliert: Mit einer Kampagne könnte darauf aufmerksam gemacht werden, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen in jedem Alter ein Kind bekommen. Zusätzlich weisen die Ärzte auf eine einfache Untersuchung hin, mit der man den Fruchtbarkeitsstatus der Frau messen kann. „Diese Untersuchung ist nicht völlig neu“, sagt Obruca. Jeder Gynäkologe könne sie heute bereits durchführen, doch sei sie unter niedergelassenen Ärzten und in der Bevölkerung noch zu wenig bekannt.

Der sogenannte Ferticheck umfasst einerseits eine Blutuntersuchung, bei der die Hormone im Blut – darunter das Anti-Müller-Hormon und das follikelstimulierende Hormon – analysiert werden. In einem zweiten Schritt wird ein Ultraschall des Eierstocks gemacht. Die Untersuchung hilft vor allem Patientinnen, die an einem krankhaft früh einsetzenden Wechsel, dem sogenannte Premature Ovarian Failure (POF), leiden. Ein bis zwei Frauen pro 1000 sind davon betroffen. Wenn etwa eine 30-jährige Frau, die sich mit dem Kinderkriegen noch ein paar Jahre Zeit lassen will, durch diesen Ferticheck erfährt, dass die Anzahl ihrer Eizellen gemessen an ihrem Alter schon deutlich gesunken ist, kann sie sich entscheiden, das Kinderthema nicht mehr auf die lange Bank zu schieben.

Kritiker wie der Journalist Andreas Bernard (siehe Interview) wittern hier reine Geschäftemacherei eines Kinderwunschzentrums. Andreas Obruca verneint und sagt: „Im Gegenteil.“ Sein Zentrum sei nicht die richtige Anlaufstelle für den Ferticheck und hätte auch gar nicht genügend Kapazität. Zu ihnen würden zudem nur Frauen kommen, die bereits einen unerfüllten Kinderwunsch haben. Seine Idee sei lediglich, den Ferticheck bekannter zu machen, so dass ihn möglichst viele niedergelassene Ärzte anbieten können. Und der Wunsch an die Politik sei, die Untersuchung, die rund 100 Euro kostet (je 50 Euro für Hormonbestimmung und Ultraschall), finanziell zu unterstützen, damit möglichst viele Frauen diesen Test machen können. „Jeder Frau, der man die Pille verschreibt, sollte man den Ferticheck anbieten.“

Wie klingt so ein Test für eine Frau wie Claudia Hermann, bei der im Jänner der zweite IvF-Versuch endlich funktioniert hat? „Ich bin da zweigeteilt“, sagt sie. Es sei enorm wichtig, über die sinkende Fertilität aufzuklären – andererseits haben sie ihre Erfahrungen mit Zahlen geprägt: „Die Gefahr sehe ich, dass man diversen Zahlen zu viel Beachtung schenkt und eine Maschinerie von Kontrollen und Tests beginnt. Zudem geht Natürlichkeit, Vertrauen in den Körper verloren.“

Vorsorge wie beim Krebsabstrich

Andreas Obruca vergleicht den Ferticheck mit einer Vorsorgeunterschung wie dem Krebsabstrich des Gebärmutterhalses (PAP-Test). Durch diese von der Krankenkasse bezahlte Routineuntersuchung konnte die Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebs deutlich reduziert werden. „Natürlich wird auch der Ferticheck, wenn der Befund nicht in Ordnung ist, zu einem Denkprozess führen. Das soll es ja sogar, weil ich dann noch Zeit habe, etwas zu tun.“ Wobei der Reproduktionsmediziner einräumt, dass mit dem Ferticheck auch nicht alle Fehlerquellen im Körper einer Frau gefunden werden.

Ähnlich wie Claudia Hermann spricht die zweifache Mutter Manuela offen über ihre Erfahrungen mit IvF. Sohn Yannik ist fünf und natürlich gezeugt worden, damals war seine Mutter 40. Der Wunsch nach einem zweiten Kind war groß, doch auf natürlichem Weg ging das nicht mehr. Also entschied sie sich für eine IvF-Behandlung, die schon beim ersten Mal klappte. Tochter Amelie ist heute acht Monate alt. Für Manuela ist der künstliche Eingriff ganz normal gewesen. „Ab dem Zeitpunkt, in dem ich wusste, es hat funktioniert, war es wie eine ganz normale Schwangerschaft.“ Sie habe nur noch mehr gelernt, welches Geschenk es ist, ein Kind zu bekommen. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass die Fertilität ab dem 40. Lebensjahr absinkt. „Sonst hätte ich vielleicht schneller versucht, ein zweites Kind zu bekommen“, sagt sie. Den Ferticheck hält sie daher für sinnvoll.

Und die Politik, wie reagiert die auf den Vorschlag? Aus den Ministerien kommen wohlwollend-zurückhaltende Antworten. Im Familienministerium heißt es zwar: „Die Kinder, die sich Familien wünschen, sollen auch geboren werden“, man verweist aber lieber auf anerkannte medizinische Methoden wie IvF. Und das Gesundheitsministerium bestätigt nur, dass Information der Bevölkerung ein wichtiges Erfordernis sei, um Menschen ein gesundes Leben zu ermöglichen. Ein freundliches Abnicken der Forderungen, mehr ist das nicht. Verständlich, wenn man bedenkt, dass die Politik in der Reproduktionsmedizin zuerst andere Hausaufgaben zu erledigen hat: Im Jänner hat der VfGH das sogenannte Lesbenverbot im Fortpflanzungsmedizingesetz, also das Verbot der künstlichen Befruchtung bei gleichgeschlechtlichen Paaren, aufgehoben. Das Gesetz wurde bisher noch nicht entsprechend geändert.

99 Ideen für Österreich: Die Idee

Andreas Obruca und Heinz Strohmer sind Ärzte am Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz. 

Ihr Vorschlag gegen die sinkende Geburtenrate: 1. Eine Kampagne soll die Öffentlichkeit über den Abfall der Fertilität ab dem 38. Lebensjahr informieren. 2. Es wäre wünschenswert, wenn die Politik den Ferticheck (Ermittlung des Fruchtbarkeitsstatus ) finanziell unterstützen würde.

„Presse am Sonntag“, 20. Juli 2014