In Zeiten abnehmender Gefühle

Die deutsche Autorin Jackie Thomae bastelt ein Mosaik aus Menschen, denen die Liebe verloren  geht. Deprimierend und lustig zugleich, wenn auch mit einigen Längen.

Der nicht unbedingt sympa thische Regisseur Engelhard liebt Susanne. Dann springt er völlig betrunken aus dem ersten Stock, bricht sich seine Beine – und liebt sie nicht mehr. Sein Freund Ralf Bender lässt Partnerin Doro nach zehn Jahren und ohne ein Wort der Verabschiedung sitzen, schickt nach ein paar Wochen bloß einen befreundeten Anwalt vor, um die Formalitäten zu klären, und heiratet kurz darauf Serafina. Auf der Hochzeit geht eine andere Beziehung zur Neige, jene zwischen Johannes und Vesna (die wiederum die neue Mitbewohnerin der verlassenen Doro ist, aber das wird jetzt etwas kompliziert). Ariane ist zum dritten Mal verheiratet, obwohl sie von Anfang an wusste, dass sie den dritten Mann nicht annähernd so liebt wie den zweiten. Nach einem Familienurlaub und einem Unfall trennt sie sich von Mann drei, dem Vater ihres zweiten Kindes.

Die Aufzählung der Protagonisten in Jackie Thomaes Debütroman „Momente der Klarheit“ ließe sich noch eine Weile fortsetzen. Dabei sind die einzelnen Charaktere, die wie auf einer Bühne auf- und abtreten und mehr oder weniger lose miteinander in Verbindung stehen, nicht so wichtig. Worum es wirklich geht, wird nach wenigen Kapiteln klar: um die titelgebenden Momente, in denen Menschen dämmert, dass sie nicht mehr lieben oder nicht mehr geliebt werden. Im Auto auf dem Weg zu einer Hochzeit, beim Biertrinken im Hof, während einer Party. Es geht um Beziehungen, die auseinandergehen, und um den Schmerz, den sich Menschen zufügen, die für einander einmal alles bedeutet haben. Es geht aber auch um das Ende von Freundschaften, Geschäftsbeziehungen und Geschwisterbeziehungen.

Lektüre für frisch Getrennte

Das klingt zunächst einmal furchtbar deprimierend und wie das adäquate Breitband antibiotikum für frisch Getrennte (Lese-Impetus: „Immerhin geht es nicht nur mir so“). Doch das Buch entpuppt sich als tröstende, aufmunternde Lektüre. Wenn die Ich-Erzählerin, Lydia, nach dem Ende der Affäre mit ihrer großen Liebe, Viktor, sagt: „Ich weiß, es gibt Schlimmeres, aber mir fällt im Moment nichts ein“, fühlen wir mit ihr. Und freuen uns 150 Seiten später umso mehr, dass sie doch aus dem Tal herausgefunden hat. Ihre Freundin Vesna hat gerade beschlossen, sich von Johannes zu trennen, und sagt sich: „Es wird irgendwie weitergehen. Warte ab und lache unterdessen.“

Das Erfreuliche an Jackie Thomaes Roman ist die klare Sache. Schöne Sätze treffen da aufeinander. „FAZ“-Kritikerin Johanna Adorján „wollte beim Lesen die ganze Zeit solche Sätze unterstreichen“. Sätze wie: „Mit deiner ersten Frau war es aus, als eines Abends eine Frau in eure Stammkneipe kam und sich euch gegenüber an die Bar setzte.“

Allerdings hält Thomae die Dichte an guten Sätzen nicht ohne Pausen durch. Dazwischen gibt es ärgerliche Hänger, in denen man den wechselnden Protagonisten nur mehr ungern folgt, weil die Dialoge oder Monologe so langweilig und beliebig werden. Nicht jedes Trennungspaar, nicht jede neue, auch noch so kurze Romanze ist gleich spannend und wahrhaftig gezeichnet worden. Interessant sind Thomaes Schilderungen aber deshalb, weil hier so viele verschiedene Formen des Ver- und Entliebens und des Umgangs mit eintönig gewordenen Beziehungen geschildert werden. Und weil wir uns dabei ertappen, dass wir die Sprachlosigkeit am Ende einer Beziehung in manchen Geschichten verstehen und in manchen als verwerflich empfinden.

Es ist, wie es ist. Das zeigt, es gibt bei Trennungen nichts richtig und falsch zu machen. „Auseinandergehen ist schwer“, wie die Wiener Band Wanda singt. Im Grund bleibt nur, das stumpfe Mantra, das sich Arianne (die mit dem dritten Mann) zurechtgelegt hat, anzuerkennen: „Es ist, wie es ist.“

Thomae schildert das Liebesleben von dreißig- bis vierzigjährigen Großstädtern, ohne Weichzeichner und Kitsch. Aber weniger trostlos als bei  Sibylle Berg. Dass Thomae als Fernsehautorin gearbeitet hat, erkennt man an ihrer Schreibe. Wir vermuten mal: Dieses Buch wird noch verfilmt.

NEU ERSCHIENEN
Jackie Thomae „Momente der Klarheit“
Hanser Berlin
288 Seiten
20,50 Euro

„Grace & Frankie“: Die Männer sind weg, gemeinsam

In der Scheidungscomedy „Grace & Frankie“ spielen Jane Fonda und Lily Tomlin zwei Siebzigjährige, die das späte Coming-out ihrer Männer verkraften müssen. Das ist nicht nur lustig.

Der Tisch im Nobelrestaurant ist bestellt, die Männer, seit Jahrzehnten Partner ihrer gemeinsamen Kanzlei, wollen ihren Ehefrauen Grace (Jane Fonda) und Frankie (Lily Tomlin) etwas sagen. Noch rätseln diese über den Grund des Treffens („Ich habe das Gefühl, sie werden ihren Ruhestand bekannt geben“) und verhandeln mit viel größerem Eifer ihre konträre Einstellung zu Weißbrot. Fünf Minuten später bremst Graces Ehemann, Robert (Martin Sheen), seinen Geschäftsfreund Sol Bergstein: „Ich mache es“, holt einmal tief Luft und sagt zuerst zu Grace: „Ich verlasse dich“, danach zu Frankie: „Und er verlässt dich.“ Auf die scharf zurückgezischte Frage von Grace: „Wer ist sie?“, erwidert er: „Es ist keine Sie, es ist ein Er. Es ist Sol, den ich liebe.“ Und als Frankie fragt: „Wie lang geht das schon?“, zögert ihr Mann und beide sagen: „Zwanzig Jahre.“

Die Eröffnungsszene der neuen Serie „Grace und Frankie“ (seit 8. Mai auf Netflix), die im Englischen zum Genre der Divorce-Comedy zählt, könnte Seriengeschichte schreiben. Als schmerzhaft-komische Coming-out-Szene eines alten Liebespaars, das sich nach langer, heimlicher Beziehung dazu entschließt, seine Zuneigung öffentlich zu machen. „Wir wollen heiraten, weil wir das in Kalifornien jetzt können“, sagen die Männer – und Frankie schießt zurück: „Ich weiß, ich habe Spendengalas dafür organisiert.“

Im Folgenden müssen die Kinder, Nachbarn und Freunde informiert, die gemeinsamen Häuser und Möbel verteilt werden. Aber doch ist in dieser Serie alles anders als in normalen Trennungskomödien, nicht nur, weil es hier um das Leben von vier Mittsiebzigern geht, das sich so spät noch einmal völlig wandelt, sondern weil es eben auch um den Umgang mit der anderen sexuellen Orientierung der Männer geht.

Erstes Abendessen beim Väterpaar

Als die vier erwachsenen Kinder der Paare – die zwei Töchter von Grace und Robert, die zwei Söhne von Frankie und Sol – das erste Mal gemeinsam bei den Vätern abendessen, versuchen zunächst alle betont liberal-normal mit der Situation umzugehen. Erst in der Küche traut sich Tochter Brianna (June Diana Raphael) ihren künftigen Stiefbruder Nwabudike (Baron Vaughn), der selbst gebackenen Kuchen aufwartet, anzuschreien: „Würde es um zwei andere Frauen gehen, würden wir dann Kuchen essen?“

Hier wird nicht nur der sehr unterschiedliche Umgang der zwei sehr unterschiedlichen Frauen mit der Situation geschildert. Einst waren die diszipliniert-verbissene Grace und die esoterisch-künstlerische Frankie so etwas wie beste Feindinnen, nun wurden sie vom Schicksal in das von den Männern (auch als ihr heimliches Liebesnest) vor Jahren gemeinsam erworbene Strandhaus gespült. Es geht auch um den Umgang mit dem Altern und damit, dass man für andere ab einem gewissen Alter als irrelevant gilt. Frankie tippt SMS auf ihrem Smartphone in Riesen-Schriftgröße; wenn Grace aus dem Sitzsack ihrer Tochter aufstehen will, braucht sie Hilfe.

Als ältere Frau würde man oft zur Pointe in Witzen, hat Jane Fonda gerade in einem Interview gesagt, in der Serie von „Friends“-Erfinderin Martha Kaufmann seien die Frauen aber selbst Gestalter der scharfsinnigen Pointen. Leider gleitet der Humor häufig in üblichen, aalglatten Sitcom-Slapstick, doch dank der Hauptdarstellerinnen Jane Fonda und Lily Tomlin, 77 und 75, sieht man dabei dennoch gern zu. Als sie im Supermarkt Zigaretten kaufen wollen, werden sie trotz lauten Rufens minutenlang nicht von dem jungen Mann an der Kasse gesehen. Grace ruft ihm entgegen: „Sind Sie im Koma?“ und explodiert dann furios: „Welches Tier behandelt andere Lebewesen so? Glauben Sie, es ist in Ordnung, uns zu ignorieren, nur weil, weil sie graue Haare hat?“ Danach sitzen die Frauen im Auto, lachen – und rauchen. Frankie hat die Zigaretten gestohlen. Die zwei werden es auch weiterhin lustig haben. Egal ob mit oder ohne Männer.

[Bild-Credit: Melissa Moseley/Netflix]

Google und die Medien – zuerst Feinde, jetzt Freunde

150 Millionen Euro will Google in den europäischen Journalismus investieren. Acht Zeitungen wie „Guardian“, „Zeit“ und „FAZ“ sind an Bord. Lassen sie sich kaufen?

Ein Satz sagt mehr als tausend Worte. Als Mathias Müller von Blumencron, Digital-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Nachricht über den überraschenden Deal seines Verlags mit Google vertwitterte, schrieb er: „Wir sind skeptisch optimistisch.“ Zeitungen wie der „Guardian“ und die „Financial Times“, die spanische „El Pais“ und die italienische „La Stampa“ gaben am Dienstag in London bekannt, dass sie sich an der „Digital News Initiative“ beteiligen, für die Google in den kommenden drei Jahren 150 Millionen Euro locker machen will.

Gar nicht optimistisch, dafür umso skeptischer sehen dies nicht nur die meisten anderen Medien Europas, sondern auch Wettbewerbshüter und Verlegerverbände, wie der VÖZ in Österreich. Denn es entsteht der Eindruck, Google kaufe sich bei renommierten Medienhäusern frei, um die kritischen Stimmen gegen den Digitalriesen einzudämmen. VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger sagt: „Google hat Kreide geschluckt, sein Geschäftsmodell hat der Web-Gigant jedoch beibehalten.“

Belohnung für „brave Medien“

Tatsächlich sieht der Deal bei näherer Betrachtung nach einem geschickten Marketingzug von Google aus. In Europa hat der Suchmaschinenriese einen Marktanteil von 90 Prozent – auch deswegen weht dem Unternehmen seit einiger Zeit ein rauer Wind entgegen. Die EU-Kommission hat Mitte April nach fünfjähriger Prüfung eine Kartellklage gegen Google eingebracht. Sie wirft dem Unternehmen vor, seine marktbeherrschende Stellung in Europa missbraucht zu haben. Als Frankreich vor zwei Jahren die Einnahmen von Google versteuern wollte, ließ das Unternehmen 60 Millionen Euro springen. Und die Steuerpläne waren vom Tisch. Bestechung geglückt, hieß es damals. Und schließlich haben große deutsche Verlage, wie Springer („Bild“, „Welt“) und Burda lange um eine „Lex Google“ gekämpft, ein Gesetz, das Suchmaschinenanbieter verpflichtete, für die kurzen Anreißer von Zeitungsartikeln zu bezahlen.

Das Gesetz kam 2013, doch Google drohte, die Texte einfach nicht mehr anzuzeigen – und die Verlage knickten aus Angst vor sinkenden Zugriffszahlen ihrer Webseiten ein und erteilten dem Suchmaschinenanbieter eine „widerrufliche Gratiseinwillung“. Eine peinliche Posse. Nun machen ausgerechnet Medien wie „Die Zeit“ und die „FAZ“, die sich aus der Leistungsschutzrecht-Debatte heraushielten, gemeinsame Sache mit Google. Natürlich müssen sie sich gefallen lassen, dass manche munkeln, hier würden „brave“ Medien nachträglich belohnt.

Besser Kooperation als Konfrontation – mit diesem Motto will Google Europas Verlage überzeugen. Schon bisher gab es sich bei Medientagungen gerne als hilfsbereiter Partner der (Digital-)Journalisten. Die „Digital News Initiative“ geht über die Partnerschaft mit den acht Gründungs-Medienhäusern hinaus: Google will Innovationen im digitalen Nachrichtenjournalismus finanzieren. Vorschläge dafür einreichen kann jeder Verlag, jedes Online-Medium, jedes IT-Startup. Dazu wird es Schulungen für Digital-Kompetenz geben. Es sieht so aus, als habe Google die Vision, dass irgendwann jeder Journalist sagen kann, er sei in dieser oder jener Sache von Google unterstützt worden.

Während in London die Details des Google-Medien-Pakts präsentiert wurden, diskutierte man in Wien bei der Präsentation des aktuellen ORF-Public-Value-Jahresberichts darüber, ob „Google, Apple und Co. die digitale Welt von morgen beherrschen“ werden. ORF-Chef Wrabetz betonte zwar, „was Google zur medialen Entwicklung beigetragen habe“, sei nicht zu unterschätzen. Dennoch würde es jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag an Werbung aus Europa abziehen. Er zweifle also, ob die 150 Millionen Euro an ausgewählte Verlage „ein Angebot auf Augenhöhe“ seien, „oder ob da nur ein paar Glasperlen an Einzelvertreter lokaler Eliten verteilt werden.

Deutlich optimistischer sind übrigens Experten wie der US-Professor Jeff Jarvis. Er glaubt an die neue Initiative, Zusammenarbeit sei besser als Protektionismus. Warnender sind die Worte von Matthew Ingram. Dem Online-„Profil“ sagte der Digitalexperte gerade wieder, wie viel Einfluss Google und Facebook schon heute auf die Verbreitung von Nachrichten haben: „Sie sind wie ein Magier, der nicht in seine Trickkiste blicken lassen will“, sagte er bezogen auf ihre undurchschaubaren Algorithmen. Bleibt die Frage, ob man mit dem Magier Geschäfte machen will, auch wenn er einem seine Tricks nie erklärt.

Der teuerste Tag

36.000 Ehen werden jedes Jahr geschlossen. Die Formel Standesamt/Kirche und zum Wirt ums Eck gilt längst nicht mehr. Ob klein oder groß, die Feier muss ungewöhnlich sein.

Irgendwann zwischen dem letzten April- und dem ersten Mai-Wochenende beginnt sie, zumindest in unseren Köpfen: die Hochsaison für das Ja-Sagen. Das Wetter ist endlich, die vielen Feiertage erleichtern das Freinehmen vor und nach dem Fest für Brautpaar, Familie und Freunde– und der Frühling steht ja immer irgendwie für Neuanfang.

Untersucht man die Zahlen der Statistik Austria, zeigt sich aber: Der Mai ist schon seit Jahren nicht mehr beliebtester Hochzeitsmonat. 2013 wurde am häufigsten im August geheiratet, 2012 und 2011 im Juni. Zudem lässt sich ein Faible für Zahlenspiele erkennen: Von 2001 bis 2012 gab es stets in jenem Monat (deutlich) mehr Hochzeiten, der numerisch zur Einerstelle der Jahreszahl passte (also: 2006 im Juni, 2010 im Oktober, aber auch im änner 2001 und im Februar 2002 waren es ungewöhnlich viele Hochzeiten für diese Jahreszeit). Spitzenreiter war der 8.8.2008.

Insgesamt geht die Zahl der Eheschließungen zurück, wenn auch nicht so dramatisch, wie viele glauben. Wurden in den 1990ern zwischen 42.000 und 45.000 Ehen pro Jahr geschlossen, sind es seit einiger Zeit 35.000 bis 39.000 (2005). Leicht gehen auch die kirchlichen Trauungen zurück: 2003 waren es noch 12.545, zehn Jahre später sind es 11.155.

 

Ein Tag ist nicht genug: Heirate lieber ungewöhnlich

In der gehobenen Mittelschicht ist es schon länger schick, kostspielige Hochzeitsgalas für mehrere hundert Gäste auszurichten.

Eine Fotoecke mit skurrilen Utensilien für die Gäste des Brautpaars gehört aktuell zur Minimalausstattung einer modernen Hochzeit. Bunte Brillen, Perücken oder Sprechblasen, in die man Glückwünsche für das Paar schreiben kann, bringen alle zum Lachen – und am Ende eines langen Tages Leichtigkeit in eine Sache, die bei vielen monatelang generalstabsmäßig geplant wurde.

Kutschenfahrt, berühmte Sänger, supergeschmackvoll dekorierte Galatische, mitternächtlicher Hotdog-Stand– die eigene Hochzeit wird in der gehobenen Mittelschicht gern als teures Großevent inszeniert, das schnell 20.000 bis 40.000Euro kostet. Das Schmalspurprogramm „Standesamt, Kirche, Wirt ums Eck“ ist schon sehr lange mehr Ausnahme als Regel. Brautpaare wollen heute nicht nur einfach vor Zeugen Ja sagen. Vielleicht, weil sie sich im Durchschnitt länger Zeit lassen mit dem Heiraten – und wenn es so weit ist, mit Ende 20, Anfang 30, will man dem bis dahin durch Studium, Auslandsaufenthalte und erste Berufsjahre ordentlich angewachsenen Freundes- und Bekanntenkreis nicht nur zeigen, wie gern man einander hat, sondern dass man verdammt noch mal eine wirklich fette Party feiern kann.

Wer schon in der Traumwohnung wohnt, am Anfang einer vielversprechenden Karriere steht und sich die gewünschten Autos, Reisen und/oder Hobbys dank Einkommen und/oder dem entsprechenden familiären Background leisten kann, der muss nur noch in der letzten Disziplin namens „Super-Wedding“ reüssieren. Also wird entweder wirklich groß in Palais, Schlössern oder (wenn auch in Österreich eher seltener) auf dem Privatgrundstück gefeiert. Oder besonders individuell, in Südfrankreich oder Italien oder an ganz speziellen Locations. Das Haus im (Neusiedler-)See der Familie Eselböck etwa lebt in den Sommermonaten gut von Hochzeiten.

Wenn ein oder beide Teile des Brautpaars eine Zeit im Ausland studiert oder gelebt haben oder nicht an ihrem Wohnort feiern, wird die Hochzeitsfeier schnell zum Dreitagesfest, in manchen Kreisen gar mit striktem Dresscode: Tracht bei der Soirée am Vorabend. Cut in der Kirche am Nachmittag. White Tie (bodenlanges Ballkleid für sie, schwarzer Frack für ihn) beim abendlichen Gala-Dinner. Sportlich-leger und mit Sonnenbrille beim Brunch am Tag danach. Dass Gäste für Outfits und Hotelzimmer selber aufkommen, ist dabei selbstverständlich.

Dass Hochzeiten von Kindern aus bürgerlichen oder aristokratischen Familien heute in der Regel größer sind, als die ihrer Eltern vor 30 Jahren, lässt sich erklären. Weil Freundeskreise dank Studium, sozialer Netzwerke und Berufe beider Partner noch einmal größer sind als früher – und wenn man Glück hat, der Wohlstand in einer Generation sich gesteigert hat. Den Rest hat die US-Eventkultur erledigt. Wer regelmäßig die „Wedding“-Seiten der Wochenendausgabe der „New York Times“ liest, erfährt fast nur von Hochzeiten der Upper- oder Middleclass in der eben beschriebenen Dimension.

 

Das Fest für andere planen

Weddingplanner sind die Cupcake-Bäcker der Eventbranche.

Seit sechs Jahren betreibt Ingrid Loss ihre „Hochzeitswerkstatt“ in Wien Währing. Als sie begonnen hat, habe es nur 60 Mitbewerber gegeben, „heute sind es sicher an die 200“, schätzt sie. Auch Diana Gruber und Miriam Kanneberger beobachten, dass sie immer mehr Konkurrenz bekommen. Seit 15 Jahren bieten sie mit ihrer Agentur Weddingplanner Hochzeitsberatung an. Jüngst seien viele junge Unternehmer mit Dumpingpreisen auf den Markt gedrängt. Nicht zuletzt, weil man sich heute auch beim Wifi einfach zum Eventmanager ausbilden lassen kann. In der Eventbranche sind die Weddingplanner also so etwas wie die Cupcake-Bäcker in der Patisseriewelt.

Das dürfte allerdings auch an der zunehmenden Nachfrage liegen. Vom Rundum-sorglos-Paket bis zu einzeln buchbaren Leistungen wie der Organisation des Caterings, der Blumen oder der Musik wird alles angeboten. Die Komplettorganisation einer standesamtlichen Trauung beginnt in der Hochzeitswerkstatt bei 1890 Euro, bei kirchlichen Trauungen bei 2490 Euro. Maryan Yeganehfar gehört die Wiener Yamyam Event Production, die seit 2008 auch Hochzeitsplanungen anbietet, darunter häufig mehrtägige Auslandshochzeiten. Ihr Komplettpaket beginnt erst bei 30.000 Euro „und ist nach oben offen“. Wie lang braucht man, um eine Hochzeit zu planen? „Ein Jahr im Voraus ist schön, aber ich habe auch schon Hochzeiten in vier Tagen geplant“, sagt Yeganehfar. Eine echte Notsituation: Das Brautpaar brauchte dringend Hilfe, weil alle Lieferanten plötzlich abgesprungen waren.

Opa wohnt jetzt in einer WG

Wohngemeinschaften sind längst nicht nur etwas für Junge. In Österreich sind Senioren-WG zwar noch eine Seltenheit, immer mehr Menschen wollen aber im Alter nicht allein leben und suchen Mitbewohner. 

Von Anna-Maria Wallner und Eva Winroither

Wenn Veronika Kritzer ihre Ruhe haben will, klebt sie ein Post-it mit den Worten „Bitte nicht stören!“ an ihre Eingangstür. Auch ihre fünfjährige Enkelin weiß dann, dass sie die Oma jetzt nicht stören darf. Wenn Frau Kritzer ein paar Stunden später aber ihr „Glas Rotwein nicht allein trinken will“, kann sie sich Gesellschaft in ihrem Haus suchen. Die 62-jährige Pensionistin lebt allein – und irgendwie auch wieder nicht. Vor über einem Jahr hat sie mit 60 Erwachsenen und 30 Kindern den sanierten Genossenschaftsbau in der Krakauerstraße bezogen. Familien, Paare, Alleinstehende haben ihre eigenen Wohnungen, teilen sich aber 700 m2 an Gemeinschaftsräumen und verpflichten sich, Zeit für die Gemeinschaft aufzubringen. Auch Kritzers Sohn ist mit Frau und drei Kindern hier eingezogen. So kann man sich nah sein, aber nicht zu nah. „In einem Zweifamilienhaus zu wohnen, das könnten wir uns nicht vorstellen“, sagt seine Mutter. Hier kann man sich aus dem Weg gehen, aber sich unterstützen, wenn es notwendig ist.

Mit ihren Gedanken ist Kritzer nicht allein. Alternative Wohnformen für Senioren, wie Hausgemeinschaften oder WG nach dem berühmten Serienvorbild der „Golden Girls“, erleben gerade einen Aufschwung. In Filmen wie der deutsch-französischen Komödie „Und wenn wir alle zusammenziehen“ oder gerade erst in der ARD-Komödie „Alleine war gestern“ wird diese Entwicklung (wenn auch etwas zu glatt) zunehmend thematisiert. Aber auch abseits der Kinoleinwand tut sich einiges. Das liegt in erster Linie an der 68er-Generation, die schon in der Jugend alternative Wohnformen gesucht hat und nun ins Pensionsalter kommt.

Und manchmal wird aus einem früheren Mehrgenerationenprojekt langsam eine Seniorengemeinschaft. Im Wohnprojekt Dörflein in Herzogenburg etwa wurden 1987 zehn Häuser rund um einen gemeinsamen Dorfplatz gebaut. Die 30 Bewohner waren sich besonders nah, als ihre Kinder klein waren – „und jetzt rücken wir wieder zusammen, da die Ersten ins Pensionsalter kommen“, erzählt der Jurist Markus Distelberger. Heute gibt es gemeinsame Sauna-, Frühstücks- und Walkingrunden. Seit einigen Jahren betreibt er mit einem Kreis von 50 bis 100 Menschen auf einem 20.000 m2 großen Gelände am Rand von Herzogenburg auch den Garten der Generationen. Dort wird zwar nicht gemeinsam gewohnt, aber gemeinsam geackert und gegartelt. Auch die Musikerin Beatrix Neundlinger, früher Teil der Band Die Schmetterlinge, beobachtet, dass ihre Hausgemeinschaft in Wien näherrückt, „wenn jemand Hilfe braucht oder eine Operation hat“. 1984 zogen mehrere Familien in das sanierte Haus, eine ehemalige Fabrik im 18. Bezirk – jeder in seine eigene Wohnung, aber man teilte sich Sauna, Hobbyraum und die Kinderaufsicht. Nun, da die Kinder langsam ausgeflogen sind, hat die Gemeinschaft andere Prioritäten.

Betreute WG

Dass alternative Seniorenbetreuung zusätzlich oder abseits von Altersheimen künftig eine große Rolle spielen wird, wissen NGOs schon längst. In Wien betreiben Wiener Hilfswerk, Caritas und Samariterbund (und die Stadt selbst) einige mehr oder weniger betreute WG. Ein Angebot, das langsam auf Nachfrage stößt: Der ehemalige Museumsmitarbeiter Johann Paternusch entschied sich etwa schnell dafür, in einer Senioren-WG zu wohnen. „Ich hab’s mit dem Blutdruck, da ist eine eigene Wohnung nicht mehr so gut, wenn man hinfällt. Hier hat man eine Hilfe“, erzählt er. Der 73-Jährige lebt seit vier Jahren in einer Senioren-WG des Wiener Hilfswerks. Zuerst im vierten Bezirk, seit Kurzem in einer neu gebauten WG nahe der U3-Station Enkplatz. Hier wohnt er mit Johanna Spielauer, einer 80-jährigen Wienerin mit schneeweißen Haaren und großen braunen Augen, die nach einer schweren Rückenoperation auf eine Gehhilfe angewiesen ist. Die WG hat sogar Platz für acht Senioren, bald soll ein neuer Bewohner einziehen. Wer hier wohnen will, muss allerdings mobil sein und sich selbst versorgen können. Eine Heimhilfe kommt zwar, „aber wenn etwas passiert, müssen sie sich zuerst selbst helfen können“, sagt Julia Gaviano, die die sechs Senioren-WG des Hilfswerks als Sozialarbeiterin betreut.

Dass er nicht rund um die Uhr bewacht wird, gefällt Paternusch hier besonders. „Im Altersheim ist man in gewisser Hinsicht eingesperrt“, sagt er. Hier aber könne er kommen und gehen, wann er will, auch in der Nacht. Und mit seiner Mitbewohnerin Johanna hat er, wie er sagt, „ein gutes Einvernehmen“. Auch das Zusammenleben in seiner ersten WG im vierten Bezirk, in der er mit zwei Männern, 85 und 75 Jahre alt, lebte, habe sehr gut funktioniert. „Man muss sich in jeder Lebensphase, ob alt oder jung, zusammenraufen“, sagt er. Gemeinsam hätten die drei Männer geschaut, dass Küche und Bad sauber gehalten wurden, ganz ohne Putz- oder Badezeitenplan. „Den Dreck, den ich mache, den muss ich auch wegräumen“, sagt Paternusch und klingt dabei wie ein Student, der den neuen Mitbewohnern die Regeln für das Zusammenleben erklärt.

Fingerspitzengefühl

Es sind die gleichen Regeln wie unter jungen oder mitteljungen Leuten, an die sich Senioren-WG halten müssen – und die gleichen Probleme, über die sie stolpern. Natürlich werden die gemeinsamen Unternehmungen mit zunehmendem Alter und schlechterem Gesundheitszustand der Bewohner weniger; alte Gewohnheiten lassen sich schwerer ändern. Überhaupt erfordert es Fingerspitzengefühl, die richtigen Bewohner zusammenzubringen.

Denn auch wenn das Thema „Zusammenwohnen im Alter in Mode kommt, nicht alle Bewohner, die Interesse an den WG bekunden, würden auch dazu passen, erzählt Sozialarbeiterin Gaviano. Beim Hilfswerk würden sich etwa immer mehr Menschen melden, die schwere psychische Problemen haben. „Das kann man den anderen nicht zumuten.“ Auch müsse manchen Menschen erst klargemacht werden, wie das Leben in einer WG funktioniert: Es gibt keine Bedienung wie im Altersheim, kein Programm, der Alltag wird nicht von extern strukturiert. Und manchmal passen Menschen auch einfach nicht zusammen. „Die Toleranz ist im Alter auch nicht mehr so hoch.“

Und so wie unter Jungen gibt es auch unter älteren Menschen jene, die sich selbst als nicht unbedingt WG-tauglich sehen. Mirsada Fazlic wohnte nach einem Schlaganfall in einer Hilfswerk-WG, möchte aber unbedingt wieder allein wohnen. „Ich will nicht so viel mit älteren Menschen zusammen sein“, sagt sie. Johann Paternusch hingegen will seine WG nicht mehr verlassen. „Meine vorletzte Station ist hier“, sagt er. „Dann kommt der Friedhof.“ [*]

Alternative Wohnformen: Adressen und Filme

Senioren-WG. Einen Überblick über organisierte Senioren-WGs gibt es auf www.wien.gv.at Das Wiener Hilfswerk betreibt derzeit etwa sechs WG. Plätze sind noch frei: www.hilfswerk.at.

Mehrgenerationenprojekte gibt es viele, und es werden immer mehr: etwa das Wohnprojekt Krakauerstraße, Wien (www.wohnprojekt-wien.at). Oder das Gemeinschaftsprojekt Brot in Kalksburg (www.brot-kalksburg.at). Derzeit sind in beiden Projekten alle Wohnungen vergeben.

Gleichgesinnte für eine private WG kann man über Kleinanzeigen oder im Freundeskreis suchen.  

Garten der Generationen: Hier wird nicht zusammen gewohnt, aber ein 20.000 m2 großer Garten am Rand von Herzogenburg bestellt: gartendergenerationen.net

Filmkomödien zum Thema: Die britische Komödie „Best Exotic Marigold Hotel“ (mit u. a. Maggie Smith) und das französisch-deutsche Pendant „Und wenn wir alle zusammen ziehen?“ (mit u. a. Jane Fonda) waren Vorlage für die deutsche Komödie „Alleine war gestern“, die gerade in der ARD lief (Bild rechts), ist noch bis Donnerstag in der Mediathek abrufbar. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Beatrice Meier.

Mit Zeitraffer auf Klickfang: Österreich in fünf Terabyte

Peter Jablonowski und Thomas Pöcksteiner haben das „Timelapse“-Video über Österreich gedreht, das derzeit im Internet die Welt erobert.

Filmspektakel, Jablonowski, PöcksteinerFoto: Clemens Fabry

Seminararbeiten an der Uni versität können mitunter den Grundstein für die spätere berufliche Tätigkeit legen. So war das auch bei  Peter Jablonowski und Thomas Pöcksteiner. Die beiden Anfang Zwanzigjährigen studieren an der FH St. Pölten Medientechnik, vor zwei Jahren sollten sie eine Arbeit zum Thema Zeitraffer (Englisch: „time lapse“) abliefern. So entstand ein kurzer Clip mit gerafften Aufnahmen von Wien, der ihnen viel Aufmerksamkeit bescherte – und sie auf die Idee brachte, das Projekt auf Österreich auszuweiten. Das Endergebnis, ein knapp drei Minuten langes Video mit Zeitrafferbildern von Österreichs Bergen, Seen und Landeshauptstädten, unterlegt mit Kuh- wie Kirchglocken geläut und Funkaufnahmen von Felix Baumgartners Stratossprung, haben sie am vergangenen Montag auf den Videoplattformen YouTube und Vimeo hochgeladen – seither geht es in ihrem kleinen Kellerstudio nahe dem Wiener Westbahnhof rund, in dem ihre Produktionsfirma Filmspektakel residiert.

Die Dreiminuten-Hommage an Österreich wurde bereits über 1,3 Millionen Mal aufgerufen. Internationale Medien wie der britische „Independent“ schrieben über das „beautiful video“ (nicht ohne das Wort „Gemütlichkeit“ einzubauen) und Innovationsblogs wie jener der „Washington Post“ schrieben über die Technik dahinter.

Zwei Jahre haben die beiden an dem Kurzfilm gearbeitet. Dafür haben sie Alpenstraßen und Aussichtsplattformen im ganzen Land aufgesucht, an den geeigneten Plätzen das Stativ einer ihrer Spiegelreflexkameras aufgebaut und stundenlang Fotos geschossen, von der Morgendämmerung bis in die Nacht. So entstanden aus 600 Aufnahmesessions fünf Terabyte Rohmaterial, die auf insgesamt 15 Festplatten lagern. Die größte Herausforderung bei dem Projekt, sagen sie unisono, sei das Wetter gewesen. „Es kam oft vor, dass wir an einen Ort gefahren sind, und dann hat das Wetter nicht gepasst. Am Dachstein saßen wir stundenlang in der Wolke“, erzählt Jablonowski.

Den Zeitpunkt der Veröffentlichung haben die beiden unbewusst klug gewählt. Wegen des bevorstehenden Song Contest in Wien steht Österreich heuer global stärker im Mittelpunkt als sonst; und dann wurde gerade wieder die aktuellste Mercer-Studie zur Lebensqualität bekannt, bei der Wien erneut auf Platz eins landete (vor Zürich und Auckland). Ihr Video „A Taste of Austria“ wirkt nun wie der bestellte Werbeclip zum Studiensieg. Kein Wunder, dass die Österreich Werbung schon seit Längerem mit Zeitrafferfotomaterial der beiden arbeitet.

Sonnenaufgänge immer gebraucht

Noch stecken die Fotografiekünstler mitten im Masterstudium, sind sich aber sicher, dass sie auch künftig ihr Geld mit Zeitrafferprojekten verdienen wollen. Es zieht sie derzeit stark ins Ausland, weshalb sie hoffen, mit ihrer Arbeit auch Aufträge aus anderen Ländern zu bekommen – „gern auch  außerhalb Europas“, ergänzen sie und lächeln erwartungsfroh. Im Geschäft sind sie jetzt schon gut. Einige ihrer Aufnahmen wurden für die Signation der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ verwendet, und Dokumentarfilmer bestellen bei ihnen Fotomaterial. „Sonnenauf- oder -untergänge werden immer gebraucht“, sagt Jablonowski. Klicks und Aufträge kommen freilich nicht von allein. Die beiden arbeiten derzeit rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. „Wochentage gibt es nicht. Wenn uns die Kassiererin im  Supermarkt ein schönes Wochenende wünscht, wissen wir, dass Wochenende ist“, sagt Pöcksteiner.

Schon im Vorjahr fielen die Studenten mit ihrer Wien-Version der „House of Cards“-Signation auf. Dabei gibt  Jablonowski zu, dass er die US-Serie nie gesehen hat, Kompagnon Thomas kam bei einem Schönbrunnspaziergang auf die Idee zum Video, weil er fand, es gäbe so viele Plätze in Wien, die jenen in Washington ähneln. Lob für ihre Version bekamen sie von den Serienmachern von Netflix und dem Produzenten der Originalsignation, wie es sich heute gehört: mit einem freundlichen Retweet auf Twitter und einem erhobenen Daumen auf Facebook. Dass nun ihr Austria-Timelapse-Video so rasch viral ging, verdanken sie übrigens auch Armin Wolf, den sie auf Twitter direkt anschrieben. Nachdem der „ZiB 2“-Moderator das Video seinen 158.000 Followern empfahl, „ging der Rest  eigentlich von selbst“, erzählen die beiden. Das ist Mundpropaganda 5.0.

Das Video:

„A Taste of Austria“ heißt das Zeitraffervideo von Peter Jablonowski, 22, und Thomas Pöcksteiner, 23, das seit Montag über 1,3 Millionen Mal im Internet abgerufen wurde. Mehr Infos: filmspektakel.at

[Bild-Credit: Clemens Fabry/Die Presse]

Plädoyer für das Zusammenbleiben

Berg_24760_MR1.inddEine Ehe nach 20 Jahren, eine Affäre (der Frau) und ihren ungewöhnlichen Ausgang schildert Sibylle Berg in ihrem neuen Roman. Bitter, sehr real, aber auch humorvoll.

Rasmus und Chloe sind eine Einheit und das schon seit zwanzig Jahren. Auch wenn in ihrer Liebe von Beginn an „jenes Moment fehlte, da man sich tödlich im anderen auflösen will, rasend auf seine Bettwäsche ist“, hat es das Intellektuellenpaar gut miteinander. Er arbeitet als erfolgloser Theaterregisseur, sie lebt an seiner Seite, ohne den Drang, etwas Eigenes zu schaffen. Sie haben sich aneinander gewöhnt, an Mundgeruch, grau werdendes Schamhaar und die fehlende sexuelle Anziehung. Doch die Krise beginnt, als sie sich für einen längeren Zeitraum in ein Land „mit suboptimaler Einkommensstruktur“ begeben. Ein Dritteweltland dessen Namen wir nicht erfahren, in dem Rasmus ein Theaterprojekt leitet.

Dort begegnet Chloe eines Nachts dem rothaarigen, um einiges jüngeren Masseur Benny und verliebt sich in Sekunden in ihn. Doch dort, wo Geschichten über außereheliche Abenteuer und Trennungen sonst enden, geht Sibylle Bergs Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ weiter. Das Paar reist zurück in ihr deutschsprachiges Ersteweltland, der bis dahin stumme Benny kommt wenige Wochen später nach und schläft auf dem Sofa der ehelichen Schichtbetonwohnung. Ist Ehemann Rasmus zuerst noch vor Schmerz erstarrt, beginnt er die Affäre seiner Frau nach und nach anders zu sehen: „Das Konzept der Ehe darf man doch mal überdenken, oder? Was spricht dagegen, dass die Person, mit der ich nicht verwandt bin, ein wenig Spaß hat? Gehört sie mir, weil wir ein Papier unterschrieben haben?“

Dreier-WG auf Zeit. Während also seine Frau im Wohnzimmer sexuelle Abenteuer mit ihrem Liebhaber hat, sogar Rasmus‘ Mutter Gefallen an dem exotischen Mann aus der Fremde findet, entsteht eine skurrile Wohngemeinschaft zwischen den dreien. In ihrer unverkennbar direkten Sprache arbeitet sich Berg auch in diesem Roman an ihren Lieblingsthemen ab: am körperlichen Verfall der Menschen, an der Tragödie des Alterns („Es wird schlechter, egal, was uns die Krankenkassen erzählen von einem erfüllten Alter. Die Menschen sind für die sogenannte zweite Lebenshälfte nicht geplant.“) und an der Frage, ob Sex lebensnotwendig ist oder nicht. Sie habe, erzählte Sibylle Berg vergangene Woche in der Sendung „Willkommen Österreich“ so viele Menschen in ihrer Umgebung gesehen, die sich irgendwann aus ihren sicheren Beziehungen begeben hatten, weil sie glaubten, mit einem neuen Mensch würde alles anders und lebendiger werden.

Im Roman lässt sie Chloe und Rasmus in abwechselnden Monologen über ihre Ehe, die Affäre und das Leben nachdenken. Das ist in diesem typisch Berg’schen Ton, direkt und hart, alles andere als tröstlich, aber sehr treffend. Sex wird bei ihr mitunter zu einer ekelhaften Sache. Chloe muss irgendwann erkennen, dass sie wenig mit ihrem Liebhaber Benny verbindet als die Körperlichkeit und auch diese Anziehung lässt irgendwann nach: „Wann ist meinem Unterleib die Sache nur dermaßen entglitten? Ich hatte doch gedacht, nie, nie würde mir passieren, was ich bei anderen Paaren so verabscheute. Der Verrat am Freund, nur um die Geschlechtsteile wieder zu benutzen.“

Letztlich ist Bergs Roman ein Plädoyer für das Zusammenbleiben. In treuen wie in untreuen Zeiten.

Termin: Die Autorin liest mit Dirk Stermann aus ihrem neuen Roman. Musik: Gustav. 15. März, Rabenhof, 20 Uhr.

Anne Frank: Eine Jugend im Hinterhaus

70 Jahre nach dem Tod von Anne Frank im Konzentrationslager wird ihre Geschichte zum ersten Mal von einem deutschen Team verfilmt. Ein behutsamer Film eines aus Afghanistan stammenden Muslims.

Es ist bei Weitem nicht der erste Film über das Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank, das sich im Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie über zwei Jahre in einem Hinterhaus in der Amsterdamer Prinsengracht versteckt hielt. Glaubt man dem Wikipedia-Eintrag, dann wurde ihre Geschichte und das nach der Deportation gerettete Tagebuch bereits 18 Mal verfilmt. Trotzdem ist der Film, der heute, Mittwoch in der ARD (20.15 Uhr) zu sehen ist, eine Premiere. Denn es ist die erste deutsche Produktion, die nun 70 Jahre nach Anne Franks Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen ins Fernsehen kommt. Ursprünglich war sogar noch ein zweiter Film geplant. Das ZDF wollte eine Mini-Serie produzieren, doch das Projekt musste gestoppt werden, weil der in Basel ansässige Anne-Frank-Fonds sein Einverständnis verwehrte.

Nun also stattdessen die ARD und ein Dokudrama in Spielfilmlänge. Verantwortlich dafür ist der aus Afghanistan stammende deutsche Muslim Walid Nakschbandi, was, wie der „Spiegel“ diese Woche betonte, eine schöne Symbolik hat „in einer Zeit, die von Islamismus und neuem Antisemitismus geprägt ist“. Gemeinsam mit Regisseur Raymon Ley entschied der Produzent, Anne Franks Geschichte aus der Sicht des Vaters Otto zu erzählen, der das Konzentrationslager als Einziger seiner Familie überlebt hatte. So beginnt „Meine Tochter Anne Frank“ auch mit Ottos Rückkehr nach Amsterdam kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dort trifft er auf Miep Gies, die treue Seele, die der Familie im Versteck geholfen hatte und die Annes Tagebuch retten konnte. Gemeinsam überlegen sie, ob das Tagebuch veröffentlicht werden soll. „Ich weiß nicht, ob das Anne recht wäre. Es ist doch ihr Tagebuch“, sagt Miep Gies. Doch Otto wendet ein: „Aber es ist auch ein Dokument.“ Er entschloss sich zur Veröffentlichung, strich aber die teils harten Passagen, in denen Anne mit ihrer Mutter haderte. Erst viel später wurden auch diese Stellen aus dem Buch publiziert, im Film werden daher auch die Spannungen zwischen Mutter und Tochter gezeigt.

Es ist ziemlich viel, was Produzent und Regisseur da in einen 90 Minuten langen Film packen wollten: Das schwierige Leben der insgesamt acht Personen im Versteck wird ebenso geschildert wie die Angst vor dem Verrat, aber der rote Faden bleibt Annes Heranwachsen, ihr Umgang mit Sexualität und ihre Schwärmerei für den ebenfalls versteckten Peter, Sohn von Auguste und Hermann Pels. Doch auch Otto Franks langsamem Zurückfinden in ein normales Leben wird Raum gegeben, parallel dazu mimt Axel Milberg einen holländischen Journalisten, der jenen uneinsichtigen Polizisten aufsucht, der Familie Frank verhaftet hat. Und dazwischen kommen Zeitzeugen zu Wort, ehemalige Schulkollegen und Freundinnen von Anne.

Ein anderer Blick auf die Geschichte

Irgendwo musste also gekürzt werden. Das Filmteam entschied sich, den genauen Hergang des Versteckfindens und -einrichtens sowie die Verhaftung und Deportation der Familie nur in wenigen Bildern anzudeuten. Hauptdarstellerin Mala Emde gibt eine aufmüpfige, aber auch nachdenkliche Anne Frank. Seltsam erscheint bisweilen, dass sie die Tagebuchauszüge vor sich hin sprechen muss, wenn sie in ihrem schmalen Zimmer, das sie mit Ansichtkarten von Stars schmückte, am Schreibtisch sitzt. Insgesamt entsteht ein dennoch anderer Blick auf Anne Franks Geschichte. Vielleicht gehört da dazu, dass der Film – anders als die geplatzte ZDF-Produktion, die sich an ein junges Publikum wenden wollte – Wissen voraussetzt.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 18.02.2015)

Gefangen in der Fernsehfalle

„So denkt Österreich“. Der Privatsender ATV beginnt ausgerechnet 30 Jahre nach Spiras „Alltagsgeschichten“ damit, dem Volk auf das Maul zu schauen.

Die Friseurin Renate zum Beispiel sammelt Glasfrösche, und nur wenn sie die kleine grüne Figur, die lachend auf dem Rücken liegt, in die Kamera hält, hellt sich ihr Gemüt auf. Sonst gibt es nicht viel zu lachen. „Die Welt ist scheinbar langweilig“, sagt sie an ihrem Wohnzimmertisch sitzend und erklärt, wie sie darauf gekommen ist: Die Menschen hätten eben „nix im Schädel mehr als wie Sex“. Da würden 14-Jährige Gleichaltrige vergewaltigen und „Pfaffen“ aus der Kirche, aus der sie lang ausgetreten ist, „Kinder ficken“.

Es spricht viel Wut aus den derben Worten von Frau Renate, deren Sätze über die EU, Kirche und Medien mitunter so verwirrend wirken, dass man sich nicht sicher ist, ob da beim Schnitt der Sendung einiges schiefgelaufen ist oder Rage einiges durcheinanderbringt. ATV-Senderchef Martin Gastinger nennt die neue Reportagereihe „So denkt Österreich“, die seit der Vorwoche jeden Montagabend ausgestrahlt wird, „ein Erlebnis“. Ein durchaus bekanntes Erlebnis, will man hinzufügen. Exakt vor 30 Jahren begannen im ORF die „Alltagsgeschichten“. Schon Elisabeth T. Spira musste immer wieder Kritik für ihren Sozialvoyeurismus einstecken. Heute gibt es keine Alltags-, sondern nur mehr sommerliche und quotenstarke „Liebesgeschichten“.

Und jetzt begibt also auch ATV sich in die Wohnungen von zahnlosen Obdach- oder Arbeitslosen und Frühpensionisten. Ähnlich wie bei Spira fragt man sich: Warum werden hier fast ausschließlich gescheiterte Existenzen befragt? Wenn die Sendung „Österreich denkt“ heißt, ließe sich auch ein breites Spektrum an Österreichern statt der immer gleichen einfachen Seelen befragen, die aufgeganselt durch die Präsenz der Kamera sofort in die Ausländer-und-EU-sind-schlecht- oder in die Frauen-gehören-geprügelt-Falle tappen. Überraschungen erfährt man hier keine, ein Erlebnis ist das auch nicht. Das ist so 1995, das will niemand mehr sehen. (awa)

„So denkt Österreich“, montags, 21.20 Uhr, ATV

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.02.2015)

David Carr ist tot: Ein Champion der Underdogs

David Carr (58), der begnadete Medienjournalist der „New York Times“, ist tot. Einst drogenabhängig, fand er über das Schreiben zurück in ein normales Leben.

Vielleicht sitzt der Schock bei Kollegen, Freunden und Lesern so tief, weil dieser Tod so überraschend kam. Oder weil dieser Mann auf so unterschiedliche Weise Großes für den Journalismus geleistet hat. Noch am späten Donnerstagnachmittag hatte David Carr an der New School in Manhattan die NSA-Aufdecker Glenn Greenwald und Laura Poitras interviewt. Lässig, in schwarzem T-Shirt und schwarzer Weste saß er mit ihnen auf der Bühne und erzählte, dass er sich am Vorabend erneut Poitras‘ Edward-Snowden-Dokumentation „Citizenfour“ angesehen habe und wieso er das Licht, das er davor ausgeschaltet hatte, wieder aufdrehen musste: „Da ist etwas an dem Film, das es schwer macht, ruhig zu schlafen.“ Ein Videomitschnitt dieses „Times Talk“ zeigt, wie einfühlsam und klug Carr mit seiner knarzigen Stimme Fragen stellte.

Wenige Stunden später kollabierte er in der Redaktion der „New York Times“ in der Eighth Avenue und verstarb noch in der Nacht in einem Spital in Manhattan. Die tiefe Betroffenheit über seinen Tod zeigt, wie viele Menschen diesen Journalisten für sich entdeckt und seine Texte gern gelesen haben. Es war auch wirklich schwer, diesen Mann zu übersehen. Seine Lebensgeschichte ist wie sein Schreiben: sehr außergewöhnlich.

David Carr kam früh mit Drogen in Berührung, und das, wie er in seiner 2008 erschienenen Autobiografie „The Night of the Gun“ erzählt, ohne besonderen Grund. Geboren und aufgewachsen im Städtchen Hopkins, Minnesota, als mittleres von sieben Kindern gütiger Eltern erlebte er eine unspektakuläre Schulzeit. Während des Studiums begann er mit Drogen zu experimentieren und blieb bei Kokain und Crack hängen. Den Abschluss in Psychologie und Journalismus schaffte er dennoch, blieb aber jahrelang drogenabhängig und dealte selbst mit Kokain und Crack. Erst nach der Geburt seiner Zwillingstöchter schaffte er den Ausstieg, zog nach New York und begann früh über Medien zu schreiben, zuerst für die Website Inside.com, später für das Magazin „Atlantic Monthly“.

Dank Doku zum Star seines Blattes

Erst spät, nämlich 2002, begann er als Wirtschaftsjournalist für die „New York Times“ zu schreiben und konzentrierte sich bald auf die Medienindustrie. In seiner montäglichen Kolumne „The Media Equation“ besprach er in sehr direktem, amüsanten Ton die Entwicklungen der Medien- und Digitalbranche und setzte einen neuen Standard in der Medienberichterstattung.

Dabei gelang ihm vor allem eines: Texte über die eigene Zeitung, so wie erst im Frühling 2014 über den plötzlichen Abgang von Chefredakteurin Jill Abramson oder die Streichung von 100 Stellen in der Redaktion, waren stets so ehrlich und distanziert verfasst, als würde er über die Konkurrenz schreiben. Auch an Kritik sparte er dabei nicht.
Carr schrieb aber auch über den Kulturbetrieb, förderte Independent-Kinofilme wie den Film „Juno“ über eine Teenager-Mutterschaft und war maßgeblich daran beteiligt, dass Lena Dunhams Serie „Girls“ bekannt wurde. Die Regisseurin und Autorin verabschiedete sich am Freitag in einem berührenden Post auf Instagram von ihm, dem „champion of underdogs and wild ones“.

Zu seinen amüsantesten Texten zählte „The Carpetbagger“, eine Rubrik, in der er während der Filmfestivalsaison launig über Ereignisse auf dem roten Teppich (red carpet) berichtete. Dank der Dokumentation „Page One: Inside the New York Times“ (2011) wurde er schließlich zum Star des Blattes. Die Macher der Doku hatten den Mann mit dem storchenähnlichen Aussehen zum kauzig-liebenswerten Hauptdarsteller gemacht, der inner- und außerhalb der Redaktion die Freuden des Journalistendaseins pries. Arthur Ochs Sulzberger junior, der Eigentümer des Blattes, würdigte Carr am Freitag „als einen der begabtesten Journalisten“ des Hauses. Chefredakteur Dean Baquet nannte ihn in einer E-Mail an die Redaktion „our biggest champion and one of the leaders of our newsroom“.

Im Nachwort seiner Autobiografie schrieb Carr: „Heute lebe ich ein Leben, das ich eigentlich nicht verdiene, aber fühlen wir uns nicht alle wie Schwindler? Der Trick ist, dankbar zu sein und zu hoffen, dass die Freude nicht zu früh endet.“ Ausgerechnet für ihn kam das Ende früh. David Carr war erst 58, hatte vor Jahren Lymphkrebs besiegt und hätte gern noch mehr Zeit mit seiner Frau Jill Carr und den drei Töchtern Maddie, Erin und Meagan verbracht. Dass er aber praktisch in der Redaktion, für die er so gelebt und gewerkt hatte, starb, ist vielleicht kein Zufall.