Der nächste Marc Zuckerberg kommt aus Europa

Logo_fisch+fleisch_RGBJede Branche hat ihre Schwächen, die Medienbranche hat Kongressitis. Kaum eine andere Profession spricht so gern und häufig über sich und den eigenen Untergang. Vergangene Woche erst wieder saßen in München deutschsprachige Medienmacher in großen Runden auf flauschigen Sofas und erzählten sich gegenseitig, wieso was nicht mehr oder nie funktionieren wird. Ein digitaler Streamingdienst à la Spotify oder ein Digitalkiosk à la iTunes sei für die Zeitungsbranche schwer bis gar nicht umsetzbar, war man sich einig. Weil: Zu teuer. Technisch schwierig. Und überhaupt. Die Rache der mutigen Einzelgänger an den voreiligen Medienmachern sind aufgehende Ideen: Just in der Nacht auf Montag wurde bekannt, dass im deutschen Nachbarland Holland gerade so ein iTunes-für-Zeitungen funktioniert. Die Rede ist von dem Startup mit dem zugegeben wenig eingängigen Namen „Blendle“.

Im Frühjahr ging der digitale Kiosk online, in dem Zeitungen und Magazine ihre Inhalte artikelweise verkaufen können. Diesen Bauchladen für Geschichten kann man sich als Mischung aus Spotify und itunes vorstellen: als soziale Plattform, auf der ich mir ein Profil anlegen und Freunden folgen kann, nur läuft der Austausch eben ausschließlich über Inhalte von Zeitungen. Interviews, Kommentare, Berichte, Reportagen. Ein Paradies für Nachrichtenjunkies. Schon kurz nachdem ich von Blendle gehört und mit den Gründern Alexander Klöpping und Marten Blankesteijn geredet hatte, war ich mir sicher, von diesen beiden Herrn und ihrer Geschäftsidee schon bald wieder zu hören. Nur sieben Monate nach dem Start und 130.000 niederländische Abonnenten später haben die ersten großen Medien-Angler angebissen: Die New York Times Company und der deutsche Axel Springer Verlag beteiligen sich gemeinsam zu 25 Prozent an Blendle und investieren drei Millionen Euro. Das ist noch eine relativ geringe Summe in der sonst so für Superlative anfälligen Digitalmedienbranche. Dennoch zeigt sich, ähnlich wie bei dem aus Schweden kommenden Spotify (das heute über 40 Millionen Nutzer hat), dass digitale Innovationen nicht immer und automatisch im Silicon Valley geboren werden müssen.

Noch steht fest, dass nur 20 Prozent der niederländischen Blendle-Abonnenten auch wirklich für Artikel bezahlen, der Rest surft gratis auf der Plattform. Ein Prozentsatz, den Digitalexperten als ungewöhnlich hoch einstufen. Aber natürlich ist längst noch nicht klar, ob Blendle außerhalb Hollands überhaupt Erfolg haben wird. Doch wenn Unternehmen wie die New York Times und Axel Springer freiwillig an Bord gehen, ist das nicht unbedingt das schlechteste Zeichen. Wer weiß, vielleicht kommt der nächste Marc Zuckberg, Steve Jobs oder Bill Gates endlich einmal aus Europa.

Die erste Frau an der Burg: Kunst kann Chefin

Logo_fisch+fleisch_RGB Sensation! Das Burgtheater hat nun also die erste Direktorin seiner auch schon wieder 126 Jahre alten Geschichte. Und tatsächlich waren sich Theaterschaffende und -kritiker selten so einig wie bei der Bestätigung von Karin Bergmann vergangene Woche. Aus der interimistischen Leiterin des Hauses am Ring wird nun die offizielle Direktorin bis 2019. Sie wird mehr als die Chefin für Notfall und Übergang. Abgesehen von Vorgänger Matthias Hartmann und dessen Vertrauten und Rechtsberatern trauen ihr so gut wie alle Kommentatoren zu, die Burg mit ruhiger Hand, wenn auch mit wenig(er) Pomp und Budget aus der Krise zu führen. Aber darum soll es hier nicht gehen. Spätestens mit der Besetzung von Karin Bergmann ist etwas andereres nicht mehr zu übersehen: Die Führungsetagen der österreichischen Kulturwelt sind erstaunlich weiblich. Und das ganz ohne Quote und in einer Branche, die im Grunde noch immer als Männerdomäne gilt. Nicht nur die Burg, auch das Volkstheater wird ab kommendem Jahr mit Anna Badora von einer Frau geführt. Und vor allem im Museumsbereich sind Frauen stark vertreten: So werden mit Sabine Haag (Kunsthistorisches Museum), Agnes Husslein (Belvedere), Karola Kraus (MUMOK) und Gabriele Zuna-Kratky (Technisches Museum) vier der größten und wichtigsten Museen des Landes von Frauen geleitet. Auch kleinere Häuser wie das Jüdische Museum (Danielle Spera), das Salzburger Museum der Moderne (Sabine Breitwieser) und das Bank Austria Kunstforum (Ingried Brugger) haben Chefinnen, die Salzburger Festspiele mit Helga Rabl-Stadler eine nimmermüde Präsidentin.

Wobei wir nicht zu früh jubeln sollten. Denn auffallend bleibt, dass die Frauendichte nur in einigen Kulturbereichen höher und nur im Museumsbereich richtig hoch ist. Die beiden Direktorinnen an Burg- und Volkstheater sind fast eine Premiere, hätte nicht Emmy Werner fast zwanzig Jahre (von 1988 bis 2005) vorgezeigt, dass auch Frauen ein Theater führen können. Weit und breit keine Frauen in Sicht sind zum Beispiel an den Klassikbühnen. An der Staatsoper gibt es nicht einmal eine künstlerische Leiterin. Und die Philharmoniker lassen Frauen gar erst seit 1997 mitmusizieren, bis heute hat das weltberühmte Orchester nur sieben Musikerinnen. Und fällt Ihnen auf Anhieb eine berühmte Dirigentin ein? (Falls ja, bitte melden. Die könnten wir zum Dirigat des Neujahrskonzerts vorschlagen.)

Aber gut, immerhin bei den Museen und Theaterbühnen geht etwas weiter. Bleibt also nur die Frage, wieso es im Kunstbereich leichter ist, Frauen bis ganz oben vordringen zu lassen als etwa im Bankwesen oder im Unternehmensnetz der ÖIAG? Die Politik hat schließlich da (zumindest bei Bundestheatern und Bundesmuseen) wie dort (ÖIAG) mehr als ein Wörtchen mitzureden.

Adieu Facebook! Hallo Ello, oder was?

Logo_fisch+fleisch_RGBJetzt sind wirklich fast alle da. Der Physikprofessor, der einen in der Oberstufe so gequält hat, die Klassenkollegin aus der Volksschule, die man seither eigentlich nicht vermisst hat, die Gastmutter aus dem Spanisch-Austauschprogramm, ja, sogar der Chef und seine Sekretärin und der Vater der Ex-Freundin. Marc Zuckerberg, der stets so harmlos dreinblickende Gründer von Facebook, hat sie alle angelockt und so existieren im Achtmillionen-Einwohner-Land Österreich mittlerweile auch schon gut 3,5 Millionen Facebook-Konten. Natürlich sind wir auch hier wie überall sonst im Land, nämlich überaltert. Aber auch die Jungen sind hier, ganz anders als gern behauptet wird – oder sind 1,8 Millionen Nutzer unter 30 etwa nichts? Es macht jedenfalls den Eindruck, dass die Unkenrufe vom langsamen Sterben des alles dominierenden Netzwerk etwas voreilig waren. Oder doch nicht? Es könnte sein, dass sich die Facebook-Chatrooms bald in Windeseile leeren werden und Marc Zuckerberg mit seinem börsennotierten Unternehmen Probleme bekommt. Den Eindruck bekommt man zumindest, wenn man den Hype um ein quietschneues Netzwerk beobachtet. Ello heißt die geheimnisvolle US-Plattform, bei der man sich zuerst einmal auf einer Liste eintragen lassen muss, um überhaupt eine Einladung für die Registrierung zu bekommen. Das Logo ist ein schwarzer runder Kreis mit einem weißen Smiley-Strichmund.

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Viel mehr Auskunft kann ich selbst noch nicht geben. Denn ich habe mich zwar, neugierig wie ich bin, sofort auf die Warteliste setzen lassen, werde seither aber nur in regelmäßigen Abständen informiert, dass man sich noch in der Beta-Phase befindet und die eifrig arbeitenden Mitarbeiter von Ello alles daran tun, die unzähligen Anfragen, die seit einiger Zeit eintrudeln, zu bearbeiten. Auch meine Anfrage ist darunter, ich soll mich bitte noch schön brav gedulden. Menschen, die schon eine Einladung erhalten haben, geben unterschiedliche Auskunft. Für die einen zählt vor allem der Reiz, als Erste einen neuen virtuellen Raum betreten zu dürfen. (Es soll übrigens ein schlichter, schwarz-weißer Raum sein.) Für die anderen, die Ehrlichen, ist es in diesem Raum aber vor allem eines: langweilig! Weil da wo sie sind, kaum jemand anderer ist. Manche nennen Ello bereits das „Öko“- oder „Bio-Facebook“. Weil es werbefrei und ohne Sortieralgorithmus funktioniert und sich an den Datenschutz seiner Nutzer hält. Umgekehrt sind die Benutzerregeln etwas lax, so muss zum Beispiel niemand seinen echten Namen eingeben. Es ist also ein Facebook ohne negative Eigenschaften.

Schön, denke ich mir, vor allem, weil ich gelesen habe, dass man zwar wie beim großen, kommerziellen Bruder mit „Friends“ befreundet sein kann. Wenn einem aber die ständigen Updates der Großtante oder des Ex-Kollegen auf die Nerven gehen, gibt es die Möglichkeit, diese Nervensägen in den sogenannten „Noise“-Ordner zu schieben. Dort wo Lärm drauf steht, muss ich aber eben nicht ständig hineinschauen, wenn ich nicht will. Dass das Ello-Like „Love“ heißen soll ist hingegen alles andere als kreativ. Vergeben wir nicht schon bei Instagram und Pinterest virtuelle Liebe in Form von kleinen Herzchen.

Alles in allem bringt mich der plötzliche Ello-Wahnsinn vor allem durcheinander. Und ich frage mich: Warum sind wir auf der Suche nach neuen virtuellen Räumen und wundern uns, dass wir dort alleine sind? Wieso ist immer das Neue, Unbekannte spannend? Und wieso drehen wir nicht unsere Smartphones ab und gehen in den Wald, wenn wir Einsamkeit und Stille suchen? Wieso verbinde ich mich in der digitalen Welt nicht einfach mit wem und wann ich will? Die Freundschaftsanfrage der Ex-Kollegin und des Physikprofessors muss ich nicht annehmen. Auf Facebook nicht und auf Ello nicht. Denn auch dort werden sie hinkommen, wenn alle anderen da sind.

 

Translation:
Adieu Facebook! Hello Ello, or what?
Now they are almost all here. The bullying physics teacher, the classmate from primary school (missed by no one), the host mother from the Spanish forein exchainge programme, even the boss and the ex-girlfriend’s dad.
Marc Zuckerberg, the ever so innocent looking founding father of Facebook, has lured them all in; thus, there are already more than 3.5 million facebook accounts in Austria, a land of a mere 8 million souls. Of course we are in Austria as overaged in Facebook land as we are in the real world. But contrary to popular opinion, the youngsters are here too – 1.8 million Facebook users under the age of 30 are not nothing, right?
All those prophecies of doom about the network’s impending death seem to have been rather rash. Or maybe not? It may be that the Facebook chatrooms will soon empty as fast as a theatre after a fire alarm and Marc Zuckerberg’s market-listed enterprise may tumble into oblivion. This is the impression one gets when observing the hype around a brand new social network. This mysterious American platform answers to the name of Ello and seems to be really exclusive: one even has to sign up to request and invitation to register. The logo is a round, black disc with a white smiley mouth inside.
This is all the information I am able to provide for now. To satisfy my curiosity I have already requested an invitation, but now the only messages I receive are about them being in the beta phase and about their incredibly busy employees who supposedly spend all their time and energy answering the inpouring requests. Mine is among them, thank you for your patience.
People who have received invites give various accounts of their experiences. For some it is all about the thrill of being one of the first to enter this new virtual space. (It is a minimalist, black and white space.) For the others, the more honest ones, this new space is merely one thing: boring. Because there is hardly anyone there. Ello has already been nicknamed the “organic Facebook“ by some. Because it is free of ads and those ominous algorythms that determine who sees what in their timeline. And it abides by privacy policies. On the other hand, the user regulations are a bit lax; for instance, members don’t have to state their real name. So it is like Facebook without the bad stuff. Nice, I think, especially after reading that one can be friends with “friends“, just like in Facebook. But when one is annoyed by a plethora of great aunty’s or the former colleague’s status updates, one has the option to dump the buggers in the so-called “noise folder“. And one is not forced to look at that noise label all the time, either. A little less creative is the Ello version of the “Like“ Button. It is called “Love“. Aren’t Pinterest and Instagram already peppered with virtual, heart-shaped love?
All in all this whole Ello craze triggers mainly one thing for me: confusion. And I ask myself: why do we search for new virtual spaces and are surprised that we are all alone when we get there? Why is it always the new and unknown that excites us the most? Why don’t we turn off our smartphones and venture out into the woods if we are yearning for some quiet time alone? Why don’t we connect with whomever we want, whenever we want in the digital world? I don’t have to accept the friend request by my old physics teacher or the former colleague. Neither in Facebook nor in Ello. Because they will go there too, eventually, when everone else is there.

 

Red mit mir! Die Generation Selfie bekommt eine Standpauke

Logo_fisch+fleisch_RGBWir wollen nicht belehrt werden, eigentlich von niemandem. Nicht von unserem Bundes-Fischer-Heinzi oder der Innenministerin, schon gar nicht von selbst ernannten Experten für eigentlich eh alles und am allerwenigsten von Prominenten, die mit unserem Leben so viel zu tun haben wie die Wiener Copacabana mit dem Originalstrand in Rio de Janeiro. Seit sich Schauspielerin Gwyneth Paltrow dazu berufen fühlt, immer und überall Ernährungs- und Entpartnerungstips zu geben, hat sie rapide an Beliebtheit verloren.

Und jetzt also Kirsten Dunst. Die Schauspielerin, die schon die verwöhnte Dann-Sollen-Sie-Doch-Kuchen-Essen-Herzogin Marie Antoinette verkörpert hat und sich in Lars von Triers „Melancholia“ schmerzhaft der titelgebenden Stimmung auslieferte, will der Generation Selfie den Spiegel vorhalten. Sie tut das mit einem zweieinhalb Minuten langen Kurzfilm namens „Inspirational“, der seit kurzem durch das Netz geistert (Copyright: Filmemacher Matthew Frost).

Darin sieht man die Schauspielerin vor ihrer Villa vermutlich irgendwo in Los Angeles auf den soeben bestellten Uber-Fahrer warten, als sie von zwei jungen, vorbeifahrenden Frauen erkannt wird: „Are you Kirsten Dunst?“, fragen die, stürzen unter lauten „Cool! Cool!“-Rufen aus dem Auto und zücken ferngesteuert ihre Smartphones. Ohne zu fragen knipsen sie Selfies mit „Kirsten, Fucking!, Dunst“. Die weiß kaum wie ihr geschieht, fragt die zwei freundlich: „Do you wanna talk or anything? You can ask me a question.“ – „Wollt ihr vielleicht mit mir reden? Mich irgendetwas fragen?“. Stille. Ungläubige Blicke. „Kannst Du mich taggen?“, fragt eine der Frauen bevor sie wieder ins Auto steigt und jubelt, sie habe bereits 15 Likes für ihr Kirsten-Dunst-Selfie bekommen.

Gut, wir haben die Botschaft verstanden. Zwei oberflächliche junge Frauen haben sich die Chance auf eine Plauderei mit einem Star entgehen lassen, weil sie nur an der Trophäe Selfie interessiert waren. Und die dummen Frauen, das sind gewissermaßen wir alle. Die ständige Knipserei ist tatsächlich zur Verhaltens-Epidemie geworden. Auf Konzerten, am Strand, in den Bergen oder beim Rundgang durch das Museum of Modern Art in New York oder das Van Gogh-Museum in Amsterdam sieht man Menschen, die Fotos von sich und der Umgebung oder den Gemälden machen anstatt die Situation zu genießen oder das Bild auf sich wirken zu lassen. Wir ehrlich und selbstkritisch ist, gibt zu, dass er den Drang schöne Situationen fotografisch festzuhalten, durchaus kennt. Und am Ende nachzählt, wie viel Daumen oder Instagram-Herzerln er von seinen Freunden bekommen hat.

Kirsten Dunsts Video soll uns zwar an den Kalenderspruch „Seize the Moment“ erinnern, ist aber auch ein bisschen wehleidig. Hier übt eine Prominente Kritik an der neuen Ungezwungenheit von Fans. Selfies mit Prominenten haben die Autogramme abgelöst – und während man den Star noch brav um seine werte Unterschrift auf einem Stück Papier bitten musste, passiert es häufig, dass sich Fans ihre Selfies ganz ungefragt abholen. Die „Downton Abbey“-Darsteller Allen Leech (alias Tom Branson) und Rob James-Collier (Butler Thomas) erzählten unlängst in einem Interview, es komme immer wieder vor, dass sich Fans im Pub neben sie stellen, auf den Handyauslöser drücken und sich mit einem „Cheers, Mate“ verziehen. Die beiden nehmen’s (noch) mit Humor.

Kirsten Dunst macht jedenfalls einen Punkt, wenn sie uns sagen will, dass wir vor lauter Selbstdarstellungssucht in sozialen Netzwerken nicht die unglaublichsten Momente im realen Leben vorüberziehen lassen sollen. Paradox ist nur, dass sie das ausgerechnet mit einem Kurzfilm tut, der nun in sozialen Netzwerken rauf- und runtergespielt wird. Andererseits: anders würde ihn die Zielgruppe vermutlich gar nicht finden.

Phänomedial: „The Leftovers“ – Kettenrauchen gegen das Verschwinden

Das neue postapokalyptische Drama mit einigen Serienstars dürfte rasch treue und geduldige Fans finden.

HBO

Das einjährige Baby, Papst Benedikt XVI., Jennifer Lopez, die Ehefrau des Nachbarns und Salman Rushdie – sie alle sind plötzlich weg. Zwei Prozent der Bevölkerung – also 140 Millionen Menschen und damit jeder fünfzigste Mensch – sind an diesem 14. Oktober vor drei Jahren spurlos verschwunden. Keiner weiß, warum und wohin. Das ist das ebenso rätselhafte wie beunruhigende Setting der neuen HBO-Serie „The Leftovers“, die am Sonntag in den USA angelaufen ist.

Drei Jahre sind seit diesem Tag vergangen und die Welt ist eine andere geworden. Die „Zurückgebliebenen“, wie die Serie wohl etwas missverständlich auf Deutsch heißen könnte (besser wäre wohl: „Die Übriggebliebenen“ oder wörtlich: „Die Reste“), kämpfen mit und gegen das Unerklärliche, jeder auf seine Weise. Der eine erschießt wahllos streunende Hunde und Rehe, andere bleiben nach außen kontrolliert, tauchen aber Nachts im Pool unter – nur dort kann man so laut und lang schreien ohne gehört zu werden. Wieder andere schließen sich der sektenartigen Gemeinschaft namens „Guilty Remnants“ (die schuldigen Übriggebliebenen) an, deren Mitglieder weiße Gewänder tragen, kettenrauchen und nicht mehr miteinander sprechen, sondern nur schriftlich kommunizieren. Sie glauben, dass die Menschheit schuld an dem Verschwinden von Teilen der Bevölkerung ist und halten eine Rückkehr der Verschollenen für ausgeschlossen. Allen anderen, die weiterhin nach einer Erklärung für dieses Mysterium suchen, werfen sie Zeitverschwendung vor. Der Sekte angeschlossen hat sich auch die Ehefrau von Hauptfigur Kevin Garvey (gespielt von Justin Theroux). Als Polizeichef des fiktiven Städtchens Mapleton im US-Bundesstaat New York ist er einer von jenen, die herausfinden wollen, was passiert ist. Nebenbei versucht er seine Frau in sein Leben zurückzuholen, während seine Teenager-Tochter sich isoliert, sein erwachsener Sohn nicht mehr mit ihm spricht.

Die neue Serienware von „Lost“-Autor Damon Lindelof weckt Erinnerungen an die französischen Serie „Les Revenants“ („Die Zurückgekehrten“) und die US-Produktion „Under the Dome“. Wieder werden die Bewohner eines kleinen Städtchens Zeugen und Opfer eines übernatürlichen Ereignisses. Apokalyptische Settings wie diese folgen einem einfachen Rezept: ist der Zuseher in der Pilotfolge einmal infiziert, bleibt er bis zum Ende dran, um das Geheimnis hinter den myteriösen Umständen zu erfahren. Von Folge zu Folge wird ein bisschen mehr verraten, doch das große Ganze wird erst später oder sogar in der nächsten Staffel präsentiert.

HBO/Paul Schirald

„The Leftovers“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des US-Bestseller-Autors Tom Perotta und wartet gleich mit mehreren bekannten Darstellern auf. Die Frau von Polizist Kevin Garvey etwa wird von Amy Brenneman dargestellt, manchen vielleicht noch bekannt aus der Anwaltsserie „Für alle Fälle Amy“ und dem „Grey’s Anatomy“-Spinoff „Private Practice“. In dieser Rolle dürfte sie an ihren schauspielerischen Grenzen stoßen, immerhin darf sie keinen einzigen Satz sprechen. Ebenfalls dabei ist Liv Taylor.

Die 72-minütige Pilotfolge war tatsächlich mitreißend und durchaus komplex. Die Serie könnte also rasch eine treue Fangemeinde erreichen, obwohl zum Auftakt am Sonntag in den USA nur 1,8 Millionen zusehen wollten. Einziger Minuspunkt (nach der ersten Folge): Die Stimmung in „The Leftovers“ ist trist und würde eher zu nebligen Novembertagen als in die Sommermonate passen. Zudem werden wir die vielen Stars genau beobachten. Mal sehen, ob sie halten was ihr Star-Appeal verspricht.

SkyGo zeigt die Serie seit 30. Juni im Originalton. Ab Herbst läuft die Serie auf Sky Atlantic HD in synchronisierter Fassung.

Phänomedial: Nachschub aus Borgen-Land

Oxford Diaries. Es muss Liebe sein: Wie die Briten der dänischen Politserie „Borgen“ verfallen – und sich Dänemark aus Dank für diese Zuneigung mit einer „Downton-Abbey“-Fortsetzung revanchiert.

Vergangenen Samstag ging auch in England die dänische Serie „Borgen“ zu Ende. Und das war nicht zu übersehen. Die Wochenendzeitungen waren voll mit huldigenden Abschiedskritiken („Daily Telegraph“) oder ganzseitigen Analysen, warum sich britische Politiker ein Vorbild an der Hauptfigur Birgitte Nyborg nehmen und so wie diese in der dritten und letzten Staffel eine neue Partei gründen sollten. Ganz vorne an der Fan-Front steht der „Guardian“, der schon früh die Liebe zur dänischen TV-Welt entdeckt hat und seit Staffel 1 einen Serienblog betreibt. Anfang November versuchte das Blatt zu erklären, „Why Britain loves Borgen“, blieb dann aber leider überraschende oder zumindest amüsante Erkenntnisse schuldig. Dabei wäre es so einfach: Auch in England mag man starke Frauen, sympathische Charaktere und den manchmal etwas zu gutmenschelnden Politikstil. Zudem vermute ich mal, die Briten mögen das lustige Gekluckse der Dänen, denn die Serie wird auf BBC4 (anders als bei uns) nicht synchronisiert, sondern nur Englisch untertitelt. Die Zuneigung scheint aber wirklich besonders groß, BBCs Radio 4 stahlt dieser Tage die gleichnamige Hörspielreihe, die von den „Borgen“-Machern produziert wurde.

Neuer Stoff aus Dänemark: Krieg und Familie

Und jetzt kommt Nachschub aus Borgen-Land. Gleich zwei neue Serien aus der Werkstatt des dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks DR sollen 2014 in England auf Sendung gehen. Während sich die ganze Welt an den Ersten Weltkrieg vor 100 Jahren erinnert, blickt Dänemark noch 50 Jahre weiter zurück – auf den Deutsch-Dänischen Krieg im Jahr 1864, die zweite kriegerische Auseinandersetzung nach 1848-1850, in der auch das Kaisertum Österreich an der Seite des Königtums Preußen um das Herzogtum Schleswig kämpfte.

Die Serie heißt wie das Kriegsjahr und dreht sich um die zwei Brüder Peter und Larst und ihre Liebe zur selben Frau, der schönen (na klar), aber ebenso gescheiten Inge – all das spielt vor, mitten und abseits des Schlachtfeldes. Auf einer zweiten Ebene begibt sich der Plot in die Gegenwart und lässt die junge Frau Claudia, deren Bruder als Soldat in Afghanistan ums Leben kam, das Tagebuch von Inge finden und ihre Geschichte nacherzählen. Natürlich spielt auch hier wieder der halbe „Borgen“- und „Killing“-Cast eine Rolle, unter anderem Pilou Asbæk (Kasper in „Borgen“) und sogar Side Babette Knudsen (die Hauptfigur aus „Borgen“) in einer kleinen Nebenrolle. Dass Dänemark klein und die Schauspieler in fast jeder Produktion auftauchen haben auch die Briten erkannt. Der „Guardian“ schlüsselte unlängst die wichtigsten Schauspieler und ihre Serienfiguren in einer Grafik auf und fragte dazu: „Are there actually more than 14 actors working in Scandinavian noir drama?“. „1864“ dürfte eher Stoff für den deutschsprachigen Markt sein.

Serie Nummer zwei aus dem Haus DR startet im Jänner in Dänemark und „Arvingerne“ („Die Erben“), auf Englisch „The Legacy“, hat großes Potenzial, wieder ein Hit zu werden. Wie als kleines Dankeschön an die treuen britischen „Borgen“- und „The Killing“-Fans bezeichnen die Macher der Serie auch das britische „Downton Abbey“ als wichtigen Einfluss für ihre Produktion. Aber auch Ang Lees Film „Der Eissturm“ (1997) über die eisige Kälte in einer amerikanischen Kleinfamilie (Kevin Kline, Sigourney Weaver) sei Inspiration gewesen. Schließlich knüpft „Arvingerne“ auch ein bisschen an Thomas Vinterbergs Dogma95-Film „Das Fest“ an – freilich etwas leichtfüßiger und massentauglich.

Im Mittelpunkt steht die exzentrische Künstlerin Veronika Grønnegaard, die in der Pilotfolge von ihrer unheilbaren Krebskrankheit erfährt. In Rückblicken und Szenen am ländlichen Familiensitz werden die vier erwachsenen Kinder der Künstlerin und ihre Beziehungen beleuchtet. Dunkle Geheimnisse sind da natürlich vorprogrammiert. „The Legacy“ sei „ein modernes Familienporträt“ und ein „Sittenbild der 68er-Generation und ihrer Kinder“, heißt es im Pressetext. Und das klingt tatsächlich ein bisschen wie die dänische Fortsetzung von „Downton Abbey“. Bleibt eigentlich nur mehr dem ORF zu raten, diesmal schneller zuzuschlagen als bei „Borgen“.

Kleiner Nachtrag: Auch der „Guardian“ ist im Ranking-Fieber und hat vor dem Jahreswechsel noch ein „Best TV of 2013“ veröffentlicht. Siehe da, auf Platz eins landet nicht eine der üblichen Serien-Liebkinder wie „Game of Thrones“ (Platz 4) oder „Breaking Bad“ (Platz 2), sondern wieder eine nicht-englischsprachige Produktion, nämlich die hierzulande noch eher unbekannte französische Horrorserie „The Returned“ (Les Revenants) über die Kollegin Heide Rampetzreiter bereits vor ein paar Wochen geschrieben hat. Die von Canal+ produzierte Serie, die erst im November in Frankreich ausgestrahlt wurde, spielt in einem französischen Bergdorf in dem eines Tages Verstorbene im Kreis ihrer Familie auftauchen. Glaubt man dem britischen Blatt ist das die klassischste TV-Produktion des Jahres gewesen.  

Phänomedial: Der E-Mail-Voyeurismus der Miranda July

Warum Miranda July E-Mails verschickt und was wir aus dieser Kunstinstallation im Posteingang lernen können.

Montag für Montag war sie in meinem Posteingang: eine E-Mail von Miranda July. Die herrlich verrückte US-amerikanische Autorin und Filmemacherin („Future“) hat 20 Wochen lang eine Mail an all jene verschickt, die auf der Webseite „We think alone“ darum baten. Was daran so speziell sein soll? Die E-Mails standen Woche für Woche unter einem anderen Motto und waren eine Sammlung elektronischer Briefe von mehr oder weniger bekannten Menschen, die nie dazu bestimmt waren, von irgendwem anderen gelesen zu werden als dem Empfänger. Das ist wie eine Kunstinstallation im Posteingang. Die Erfinderin und Hauptfigur von „Girls“, Lena Dunham, entschuldigte sich da etwa in Woche 18, die unter dem Motto stand „An email thats an apology“, bei einer Person, sie bei einer Party ignoriert zu haben. Wir wissen nicht, ob das ein mühsamer Fan, ein alter Schulfreund oder die Lektorin eines Verlages war und bei welcher Party sich Lena Dunham offenbar so daneben benommen hat. Der Leser bekommt nur einen kleinen Ausschnitt in eine moderne Briefkultur und darf sich dabei fühlen als würde er durch das Schlüsselloch ins Leben eines anderen Menschen blicken.

Miranda July kontert mit ihrem Digital-Projekt, das sie für das Stockholmer Museum Magasin 3 entwickelt hat, der „Ich gebe alles von mir preis“-Mentalität in sozialen Netzwerken: Ihre E-Mail-Schreiber offenbaren mit ihren digitalen Nachrichten, bei denen meist der Empfänger unkenntlich gemacht wurde, vermeintlich alles – und gleichzeitig nichts. Denn was hat der Leser davon, wenn er weiß, dass Schauspielerin Kirsten Dunst irgendetwas nicht fertig stellen konnte, weil sie ein Wochenende in New York und Atlanta verbrachte oder der israelische Autor Etgar Keret seine Lesetour canceln muss, weil er nicht aus Israel ausreisen kann? Vielleicht das tröstliche Gefühl, dass auch Drehbuchautorinnen, Hollywood-Stars und Basketball-Spieler wie Kareem Abdul-Jabbar Fehler machen, fluchen, einsam sind, hin und wieder Angst und jedenfalls immer wieder auch Computerprobleme haben. Miranda July sagt zwar, ihr E-Mail-Projekt erlaubte ihr endlich zu tun, was sie immer schon wollte: die E-Mails ihrer Freunde zu lesen und so ihren Voyeurismus zu befriedigen. Doch für den Social-Media-verwöhnten Leser sind diese Korrespondenzen beinahe langweilig: keine Fotos, keine Namen, keine Skandale (wobei, einen kleinen Skandal gab es doch, weil Lena Dunham in ihrem Mail über Geld preisgab, 24.000 Dollar für ein Sofa auszugeben). Es sind nur kleine, sehr gewöhnliche Notizen aus einem Leben, das zufälligerweise von einem bekannten Menschen gelebt wird.

Natürlich kann man Miranda Julys Newsletter auch als neue Form des Blogs interpretieren: eine Dosis fremdes Leben pro Woche, nicht so schillernd wie auf Facebook, nicht so altklug wie auf Twitter, ohne Pinterest-Bilder und Instagram-Filter -stattdessen ein paar schnell geschriebene Zeilen, mal ungeduldig, mal sehnsüchtig-sentimental, dann wieder distanziert oder sehr vertraut, meistens informell, nicht selten mit Rechtschreibfehlern und ohne Punktation. Vielleicht ist Miranda Julys Digital-Projekt eine simple Huldigung auf die ursprünglichste Kommunikationsform im Netz: die E-Mail. Oder als nicht besonders hintergründiger Protest gegen den US-Geheimdienst NSA, nach dem Motto: Lest doch unsere Mails, nichts darin ist wirklich von Bedeutung.

Eine kleine Randnotiz zum Schluss: Manche Dinge erfährt man einfach zu spät und kann sie daher auch nur spät mit anderen teilen. Ich selbst habe von Miranda Julys E-Mail-Newsletter erst vor einigen Wochen gehört und wollte mir zuerst ein Bild von der Sache machen, bevor ich darüber berichte. Ein anderer Blog ist dieser Tag online gegangen, der zumindest eine Zeit lang beobachtet gehört: Auf der Webseite der FAZ schreiben zwölf Autorinnen abwechselnd unter dem Titel „Ich. Heute. 10 vor 8“ über ihren Alltag. Darunter sind Autorinnen wie Annika Reich, Nora Bossong oder Elisabeth Ruge.

Kennen Sie noch andere Digital-Projekte wie Miranda Julys „We think alone“ oder lesenswerte, neue Blogs? Ich freu mich über Hinweise.  

Phänomedial: „Downton Abbey“ und der „Below-Stairs-Schick“

Oxford Diaries. Beobachtungen aus der britischen Medienwelt. Teil I: Wie die Briten das Leben im Untergeschoss entdecken.

Woran man erkennt, dass man in einem angloamerikanischen Land ist? Neben nicht funktionierenden Heizungen und viel zu viel nackter Haut, die man trotz Nieselregens und 10 Grad Außentemperatur zu Gesicht bekommt, in erster Linie an der leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Serien. Ich weile zwar nicht in der Wiege der TV-Serie, den USA, stelle aber fest, dass auch die Briten einen großen Hang zur Neverending Story am Schirm haben. Da prangt „Homeland“-Figur Bic Brody (Schauspieler Damian Lewis) auf dem Titelblatt des Wochenendmagazins des „Guardian“, nur wenige Tage davor, an einem ganz gewöhnlichen Mittwoch, bringt das Blatt in seiner täglichen Beilage „g2“ einen Schwerpunkt zur Krise der Seifenopern-Serie à la „East Enders“ oder „Coronation Street“ („Soaps are like printed newspapers or the British Monarchy – the only question is qhen they will do the equivalent of stopping the presses…“) und schon in der Früh um acht wird in einer BBC-Radioshow eine Stunde lang über die jüngste Folge von „Downton Abbey“ diskutiert als ginge es um den Ausgang der nächsten Parlamentswahlen.

Apropos „Downton Abbey“: Die Briten sind besessen von der Serie rund um die adelige Familie Cowley und deren Bedientesten. Sonntagabend um 21 Uhr läuft sie bereits in der vierten Staffel und ihren großen Erfolg verdankt sie auch der Tatsache, dass es in England keine „Am-Sonntag-schauen-wir-Tatort-Tradition“ gibt. Offenbar haben die Briten eine Welt wiederentdeckt, die trotz Monarchie und jüngster Baby-Prinz-George-Euphorie jahrzehntelang völlig verdrängt wurde: The Life Below Stairs, also das Leben im Untergeschoss. Unzählige Bücher erzählen vom zum Teil katastrophalen Leben der Dienstmädchen, Nannies und Butler bei wohlhabenden und aristokratischen Herrschaften. Aber nicht nur die Verlage sind auf den Below-Stairs-Schick aufgesprungen, auch die Einrichtungshäuser und Souvenierläden. 

Dort bekommt man nun Putz- und Küchenutensilien, die nicht einmal mehr die eigene Großmutter benutzt hat. Teppichklopfer, Scheuerbürsten und Staubwedel in Retro-retro-Optik sind genauso in wie Badeschüsseln, Puderdosen und Stecktücher. In den Souvenirläden diverser Paläste und Schlösser wurden ganze Abteilungen nach dem Motto „Below Stairs“ eingerichtet. Für die Briten ist die Serie mit all ihren Begleiterscheinungen auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Immerhin waren 1911 mehr als 1,3 Millionen Menschen in England und Wales „unter den Stufen“ als Bedienstete vor allem in Mittelstandsfamilien von Ärzten oder Rechtsanwälten tätig. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete die Dienstbotentradition für die Masse, nur mehr die sehr reiche oder sehr adelige Oberschicht leistete sich Angestellte – und tut es bis heute. 

„Downton Abbey“ trägt also dazu bei, dass sich die Briten an ihre Groß- und Urgroßeltern erinnern und die Nostalgie führt stellenweise sogar dazu, dass die Landflucht kurzzeitig gestoppt wird. Zumindest im 2500-Seelen-Ort Bampton in West Oxfordshire wollen die Jungen plötzlich lieber in der Heimat bleiben. Hier wird der Großteil von „Downton Abbey“ gedreht, was die Grundstückspreise rasch steigen ließ. Eine weitsichtige Immobilienfirma hat im Frühjahr mehrere Grundstücke gekauft und will dort schnell bis zu 300 neue Häuser errichten, die günstiger als die bestehenden sein soll.

Diese Identifikation mit einer Serie ist für Österreicher mitunter schwer vorstellbar. Den Ort „Braunschlag“ gibt es gar nicht, somit kann niemand dort hinziehen, wobei das vermutlich ohnehin keiner wollen würde. Und auch von einer massenhaften Übersiedlung nach Kaisermühlen Ende der 1990er-Jahre ist mir bis heute nicht bekannt. Die liebste Serie der Österreicher war damals aber der gleichnamige „Blues“. 

Hinweis: Seit 10. Oktober darf ich dank dem Alfred-Geiringer-Stipendium der Austria Presse Agentur ein paar Monate in Oxford am Reuters Institute for the Study of Journalism studieren und neue Ideen sammeln. Hier möchte ich in den kommenden Wochen meine Erlebnisse und Erfahrungen teilen.

Phänomedial: Klassentreffen in Berlin

headerphaenomedial_1365065982562208 Jedes Jahr das selbe Szenario: im Mai ist der Terminkalender voll mit Medienpreisen und -tagungen. Das liegt in erster Linie am Tag der Pressefreiheit (3. Mai). Der wird in Österreich stets mit Preisverleihungen (Concordia Preise) und Verlegertagungen (VÖZ) begangen, während uns Reporter ohne Grenzen daran erinnert, wie gut es Journalisten in unseren Breiten im Vergleich zu anderen Ländern geht.

Danach folgt nahtlos der European Newspaper Congress. Auch heuer sind ab 5. Mai einige hundert Journalisten aus ganz Europa in Wien und sprechen über Zukunftstrends der Branche. Wobei man sagen muss: Die Themenvielfalt der letzten Jahre lässt etwas zu wünschen übrig. Auch heuer wird wieder über Tablet-Trends gesprochen und u.a. „Die Zeit“ vorgestellt. Als ob es da noch viel zum Vorstellen gäbe. Das spannendste Panel dürfte jenes am Montagvormittag werden, bei dem „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters, „FAZ“-Geschäftsführer Tobias Trevisan mit Ex-„Presse“-Chef Michael Fleischhacker und „Kurier“-Chef Helmut Brandstätter darüber diskutieren, wie sich Medienhäuser in Zukunft finanzieren werden. Gerne hören würde ich auch den Vortrag von Emily Bell, Professorin an der Columbia Journalism Graduate School in New York, über das Ende der Nachrichtenindustrie und ihre These, was danach kommt. 

Montag ist Österreicher-Tag

Allerdings werde ich da schon auf dem Weg nach Berlin sein, wo am Montag das Klassentreffen der Internetgemeinde, die Re:publica beginnt. Erfreulich, dass auch einige Österreicher auf der dreitägigen Digitalmesse vortragen: Digital-Stratege Yussi Pick erzählt Montagnachmittag, was wir von den USA-Wahlkämpfen lernen können und die beiden Wiener Kommunikationswissenschaftler und Autoren der ersten Twitter-Politik-Studie Axel Maireder und Julian Ausserhofer analysieren ein paar Stunden später das Verhältnis von Twitter und Politik. Jus-Student Max Schrems spricht am Mittwoch über seinen Datenschutz-Kampf gegen Facebook.

Dass Sascha Lobo auch heuer wieder einen Überraschungsvortrag halten darf, spricht für sein hervorragendes Verkaufstalent, aber auch dafür, dass sich in der deutschsprachigen Internetgemeinde bisher keine ähnlich schillernde und polarisierende Identifikationsfigur gefunden hat. Neugierig bin ich trotzdem, worüber der Mann mit dem roten Irokesenschnitt und Schnauzbart diesmal sprechen wird. Auf spiegel.de kann man übrigens seinen Vortrag aus dem Vorjahr nachschauen. Weitere prominente Gäste unter den 450 Vortragenden sind u.a.: die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez und die britische Bloggerin und Autorin Laurie Penny (zuletzt erschien die feministische Dialektik „Fleischmarkt“, sie wird über „Cyber Sexim“ sprechen) und die isländische Piratenpartei-Chefin Birgitta Jénsdóttir – was auf die erfreuliche Tendenz hinweist, dass der Anteil an Frauen unter den Vortragenden bei der Re:publica im siebenten Jahr deutlich gestiegen ist.

Beim Klicken durch das Programm verliert man schnell den Überblick, nicht selten sind zeitgleich mehrere Vorträge, die mich interessieren. Jedenfalls nicht verpassen möchte ich:

* den Doppelvortrag der Kulturwissenschaftler Mercedes Bunz und Dietrich Diederichsen: „Immer dieses Internet“ (Mo, 17.30 – 18.30 Uhr., Stage 2)

* Die Diskussion „Ohne Jauch gehts auch“ zur Zukunft der Talkshow (Dienstag, 20 – 21 Uhr, Stage 1)

* Die Diskussion „Digital by Default – Digital Natives im Journalismus“ mit den Online-Chefs von u.a. Süddeutsche.de, Spiegel.de (Mittwoch, 16.15 – 17.15 Uhr, Stage 2)

Schräg-interessant klingt auch der Vortrag von Politikberaterin Teresa Bücker: „Der Montag liebt dich“, die Session von Web-Entwickler Felix Schwenzler: „10 Vorschläge, um die Welt zu verbessern“ und der Vortrag über „Cat Memes“ von der Social Media Beraterin Kate Miltner.

Zwei Nachlesen zum European Newspaper Congress. Einmal positiv und einmal nachdenklich:

Zuerst zum Positiven: „Die Presse am Sonntag“ hat gleich zwei Preise beim diesjährigen Newspaper Congress abgeräumt. Einen für die Jubiläumsausgabe im März 2012, für die Gastchefredakteur Tobias Moretti zuständig war. Und einen in der Kategorie „Alternative Storytelling“ für eine Doppelseite über Qualitätsserien, die mein Kollege und Filmkritiker Christoph Huber gemeinsam mit dem Feuilleton gestaltet hat. Gratulation!

Da ich diesmal nicht persönlich dabei war, lese ich mit Spannung Erfahrungsberichte anderer. Gerade ist mir jener eher triste Bericht vom enc13 von Petra Sorge untergekommen, die den Kongress für Cicero-online besucht hat und festgestellt hat, dass die Zeitungsbranche noch im Gestern verharrt. Ihr Vorschlag: Man hätte die Besucher des Newspaper Congress zur Republica schicken sollen und umgekehrt. 

 

Phänomedial: Kommt jetzt die deutsche HuffPo?

headerphaenomedial_1365065982562208 „Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde“ – dieses Zitat des griechischen Mathematikers Archimedes hat Ariana Huffington Mittwochabend via Twitter gepostet. Beinah zeitgleich hat das deutsche Branchenmagazin „Horizont“ ein Gerücht gestreut.

Es sehe nämlich so aus, dass die deutschsprachige Ausgabe des Online- und Bloggerportals „Huffington Post“ nun bald Realität werden könnte. Vielleicht hat Arianna Huffington, die Gründerin und Chefin mit dem Archimedes-Zitat versteckt andeuten wollen, dass sie und ihr Team weiter daran arbeiten, „die Erde zu bewegen“. Nicht sehr wahrscheinlich, das stimmt. Aber der Zufall ist zumindest erwähnenswert.

Schon seit zwei Jahren sucht das in den USA durchaus erfolgreiche Webprojekt (mit rund 44 Millionen Lesern pro  Monat) einen deutschen Partner. Internationale Ableger der rein werbefinanzierten Seite gibt es seit 2011 bereits in Kanada, England und Frankreich, 2012 kam auch eine spanischsprachige Ausgabe dazu. Die französische HuffPo leitet übrigens Anne Sinclai, die aparte Frau von Dominique Strauss-Kahn. Nur in Deutschland war die Suche nach einem Geschäftspartner bisher äußerst zäh. Das liegt laut Experten vor allem daran, dass die Marke HuffPo im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt ist und erst mit viel Marketingbudget bekannt gemacht werden müsste. 

Horizont.net will nun erfahren haben, dass die Digitaltochter von Burda, Tomorrow Focus (ToFo), die deutsche „HuffPo“ vermarkten wird. Und immerhin hat das Unternehmen eine ähnlich eingängige und kurze Abkürzung. Es sei jedoch völlig unklar, ob es bei der Vermarktung bleibe oder ob die Konzernschwester Burda auch gleich die Redaktion übernehmen werde, schreibt Horizont.net. Bisher sollen sich bereits Axel Springer und Bertelsmann/Gruner+Jahr für die HuffPo interessiert haben. Doch die Angst, den eigenen Nachrichtenportalen damit zu große Konkurrenz zu machen, hatte offenbar überwogen. Es wird spannend, ob sich der eher im Klatsch („Bunte“), TV- und Illustrierten („Superillu“)-Bereich etablierte Burda-Verlag auf so ein nachrichtenfokussiertes Internetmedium einlässt.

Nachtrag: Nur wenige Tage nachdem der deutsche Horizont das Gerücht über den Start der deutschen „Huffington Post“ gestreut hatte, wurde es bestätigt. Aus dem Gerücht wurden Tatsachen: Die Burda-Tochter Tomorrow Focus und die „Huffington Post“ machen gemeinsame Sache. Anregungen zu meinem Blogeintrag gabs übrigens auch: Der Burda-Verlag sei durchaus logischer Partner für den deutschen „HuffPo“-Start. Einerseits weil er bereits das Blogportal Science-Blogs.de betreiben, Erfahrung im Blogwesen gäbe es also, meinte @fatmike182 auf Twitter. Und Eco-Kollege Nikolaus Jilch findet sowieso, dass die „Huffington Post“ ein reines Boulevardmedium ist, der Weg zu Burdas bunten Gazetten sei da ja wohl nicht weit