Löschen oder liken

Die neuen Geschäftsbedingungen von Facebook verunsichern manche Nutzer. Dabei seien sie nicht neu, sagen Experten und geben Tipps, wie man mit der Datensammelei leben kann.

„Folgen, posten, hiden, hosten/ich muss ins Netz, bin am Verdursten/Ich muss Freunde filtern, Bild aus, Bild an/Ich muss Jesus liken, Learjets ordern.“ So singen die Krawallmacher der Hamburger Band Deichkind in ihrem neuen Lied „Like mich am Arsch“. Es ist eine spaßige Digitalkritik, die unser Verhalten in sozialen Netzwerken verblödelt. Aber selbst bei den humorig-intelligenten Texten von Deichkind kommt ein Aspekt der Social-Media-Nutzung gar nicht vor: nämlich das, was Unternehmen wie Facebook, Google und Co. hinter unserem Rücken mit unseren Daten machen.

Seit wenigen Tagen erntet Facebook vor allem in Europa wieder Kritik. Mit 1. Februar hat der Social-Media-Riese, der in Österreich mittlerweile mehr als 3,4 Millionen Nutzer hat, seine allgemeinen Geschäftsbedingungen geändert. Ab sofort wertet Facebook auch die Daten seiner Nutzer von WhatsApp und Instagram aus und führt sie mit Ergebnissen von GPS-, Bluetooth-, Wifi- und Zahlungsvorgängen zusammen. So will es den Nutzern noch gezielter Werbung anbieten. Zwar hat Facebook diese Ausweitung seiner Datensammelaktivitäten angekündigt, doch das bedeutet nicht, dass die AGB auch Geltung haben. Wie schon bisher setzt sich das Silicon-Valley-Imperium von Marc Zuckerberg darüber hinweg und geht davon aus, dass jeder User den neuen AGB automatisch mit der Nutzung des Netzwerks zustimmt.

Digital Detox? Vergangene Woche listeten Foren und Blogs zahlreiche Ratschläge auf, wie man sich gegen den Datenzugriff von Facebook wehren kann. Doch fragt man bei Digitalexperten genauer nach, erklären sie einem: Machen könne man dagegen eigentlich nichts. Judith Denkmayr, Gründerin der auf Social Media spezialisierten Wiener Agentur Digital Affairs, sagt: „Wenn ich im Internet bin, muss ich davon ausgehen, dass ich beobachtet werde und Spuren hinterlasse.“ Die Aufregung um die AGB-Änderung von Facebook kann sie zwar nachvollziehen, doch gibt sie zu bedenken, dass sich die öffentliche Kritik stets auf die großen Unternehmen Google und Facebook konzentriert. Dabei werde außer Acht gelassen, dass so gut wie alle Internetunternehmen mittels Cookies und über andere Plattformen an Daten der Internetnutzer herankommen. „Facebook und Google sind zwar die großen Mächtigen, die unter besonderer Beobachtung stehen, aber andere Unternehmen machen es deswegen nicht weniger.“

Was also soll man tun, aussteigen oder radikales Digital-Detoxing betreiben? Judith Denkmayr hat einen anderen Zugang: „Wir müssen lernen, damit umzugehen.“ Denn auch, wenn es durchaus Sinn ergeben würde, nicht mehr mit dem Handy zu telefonieren, wenn man glaubt, dass das schädlich für das Gehirn ist, sei das einfach nicht praktikabel. Jeder Einzelne müsse sich selbst fragen, wie wichtig ihm Datensicherheit ist, wie viel Informationen er von sich preisgeben will. Es kann beispielsweise aufschlussreich sein, sich auf Facebook unter den Einstellungen eine Kopie der gespeicherten Daten zuschicken zu lassen. Allerdings gilt zu bedenken: Vieles, was dort gespeichert ist, ist überhaupt nicht relevant oder nützlich für Facebook. Und noch etwas sei vielen Nutzern nicht bewusst, sagt Denkmayr: „Es bringt mir auch nichts, wenn ich nicht meinen echten Namen angebe. Facebook ist mein Name nämlich egal, die Daten sind viel wichtiger.“

Nicht neu. Auch Max Schrems, der österreichische Jurist, der seit Jahren datenschutzrechtlich gegen Facebook vorgeht, versteht die Aufregung um die jüngste AGB-Änderung nicht recht. Dass Facebook auch Daten von Drittseiten auswertet, hat er bereits 2011 angezeigt. Zudem würde Facebook jedes halbe Jahr seine Geschäftsbedingungen ändern.

Auch er sagt, ähnlich wie Denkmayr: „Entweder man wird Einsiedler und benutzt das Internet nicht mehr, oder man lebt mit dem Bewusstsein, dass das eigene Tun gespeichert wird.“ Und er räumt mit einer weit verbreiteten Mär auf: Jeder Nutzer kann seine Einstellungen auf Facebook so programmieren, dass andere Menschen möglichst wenig von der eigenen Aktivität mitbekommen. Es habe auch Sinn, sich mit diesen Einstellungen genauer zu beschäftigen. Doch was den meisten nicht bewusst ist: „Auch wenn ich alle meine Aktivitäten nur für mich sichtbar mache, liest einer immer noch mit: Facebook!“ Man könne also verhindern, dass Freunde oder Fremde Postings lesen oder hochgeladene Fotos sehen können, ebenso kann man abstellen, Werbung zu sehen, „aber die Datensammelei von Facebook kann ich nie ausschalten.“ Ebenso unmöglich zu verhindern ist es, dass Facebook und andere Unternehmen über meine Freunde, also Dritte, Daten von mir sammeln. Denn die meisten Apps greifen mittlerweile auf die Kontakte der Smartphone-Nutzer zu. Wenn ich also in geschätzten 100 Adressbüchern von Bekannten und Freunden gespeichert bin, tauche ich in hunderten Apps auf.

Auch wenn es etwas abgeklärt wirkt, was die Digitalexperten proklamieren, sind Denkmayr und Schrems naturgemäß skeptisch gegenüber Facebook. Noch dazu, weil sich das börsenotierte Unternehmen gerade von einem sozialen Netzwerk zu einem allgemeinen IT-Anbieter wandelt, der vor allem eines will: noch mehr Geld verdienen. Die „New York Times“ beschrieb das Netzwerk mit einem laut bellenden Hund, der auf einen zurennt, von dem man aber nie genau sagen könne, ob er mit einem spielen oder einen fressen wolle. Für Denkmayr stellt sich die Frage, ob Facebook es sich wegen der ständigen AGB-Änderungen und Algorithmusspielereien „nicht irgendwann mit seinen Usern verscherzen wird“. Doch wie gesagt: All die anderen Internetriesen machen es nicht viel anders.

Credit: Clemens Fabry

(Presse am Sonntag, 8.2. 2015)

„Zuhause ist da, wo meine Bücher sind“

Rachman-Tom-c-Alessandra-RizzoWie sind Sie auf die Idee zu Ihrem zweiten Roman „Der Aufstieg und Fall großer Mächte“ gekommen, einem Roman über die verrückte Welt der 30-jährigen Tooly, die sich allein durch viele Länder schlägt?

Tom Rachman: Zuerst war da dieses Bild von einem kleinen Mädchen, das in einem Raum sitzt mit einem alten und einem jüngeren Mann. Stunden vergehen, niemand kommt, um das Mädchen abzuholen. Irgendwann begreifen die Männer, dass sie sich um dieses Kind kümmern müssen. Diese seltsame Szene warf einige Fragen auf: Wer ist dieses Kind? Wer hat es dort allein gelassen? Was würde mit ihr passieren, wenn sie allein bleibt? Ich habe einige Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass ich diese Fragen nur beantworten kann, wenn ich ein Buch schreibe.

Eine gewisse Heimatlosigkeit verbindet die Figuren in Ihrem Buch. Das erinnert an Ihre Lebensgeschichte. Sie sind in London geboren, in Kanada aufgewachsen, haben in New York, Sri Lanka, Indien und Rom gelebt und wohnen jetzt wieder in London.

Ihre spezielle Geschichte ist nicht meine Geschichte, aber viele Fragen, die sie beschäftigen, sind solche, die ich mir auch gestellt habe.  Bis zu meinem siebenten Lebensjahr fühlte ich mich englisch und als Teil einer Gruppe. Danach wusste ich nicht mehr, wer oder was ich war. Als ich mit sieben nach Vancouver zog, lernte ich, dass ich einen anderen Akzent habe und eben kein Kanadier war, aber Engländer war ich auch nicht mehr. Ich habe schon sehr früh nicht gewusst, wohin ich gehöre. Und das wurde durch meine Familie verstärkt, die stets so empfand, weil sie nie sehr sesshaft war. Meine Vorfahren lebten in Australien, China, Südafrika, Argentinien, Brasilien und in der Schweiz. Mein Vater wurde in Afrika geboren, meine Mutter in Wales und ihre Eltern kamen aus unterschiedlichen Ländern. Vor allem in meiner Jugend bis zu meinen frühen Zwanzigern habe ich stets nach einer Gruppe gesucht, zu der ich gehöre. Nach und nach habe ich begriffen, dass es so eine Gruppe vielleicht gar nicht gibt für mich. Das führte zu vielen Fragen: Wer formt dich? Ist es deine Familie, sind es deine Freunde oder bist es einfach du?

Das trifft auch auf Tooly zu. Sie schöpft ihre Stärke vor allem aus sich selbst.

Ja, und sie verändert sich ständig. Schon als kleines Mädchen fragt sie sich immer wieder: Wer will ich jetzt sein? Auch ich habe mich jedes Jahr nach den Ferien gefragt, wer ich heuer sein möchte. Ich war jedes Jahr jemand anderer. Einmal gehörte ich zu den coolen Kindern in der Klasse, ein anderes Mal zu den fleißigen, im nächsten Jahr war ich nur auf Musik konzentriert. Ich wollte immer Schriftsteller werden und als ich jünger war, hatte ich stets Angst, dass ich das gar nicht könnte, weil mir so etwas wie Heimat fehlte. Viele berühmte Schriftsteller haben eine Kulisse für ihr Schreiben: Charles Dickens hatte London, William Faulkner den Süden von Amerika, Proust sein kleines Dorf.

Diese frühe Angst war offensichtlich unberechtigt.

Als ich meinen ersten Roman schrieb, ist mir aufgefallen, dass alle Figuren verloren und heimatlos waren. Seither denke ich, vielleicht ist das einfach mein Kontext. Und das Thema Heimatlosigkeit ist heute sicher relevanter als vor 200 Jahren. Heute ist es ganz normal, dass du in einer anderen Stadt oder einem anderen Land aufwächst als deine Ururgroßeltern, dass dein Partner aus einem anderen Land kommt und deine Kinder drei Sprachen sprechen.

Gibt es heute ein Zuhause für Sie?

Zuhause ist da, wo meine Bücher und meine Freunde sind. Da die aber in der ganzen Welt verstreut leben, ist es einfacher, meinen Büchern zu folgen.

Trotzdem haben Sie sich entschieden, wieder in Ihrem Geburtsland England zu leben.

Ich bin immer wieder für kurze Zeit zurückgekehrt, aber ich hatte Jahrzehnte nur eine vage Idee von dem Land. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, wieder dort zu leben. Meine Freundin ist Italienerin, ich war allerdings Italien müde und wollte woanders leben, aber nicht so weit weg von ihr. Da erschien mir London passend.

Das Buch spielt in vielen verschiedenen Ländern, auch in einigen, in denen Sie nie gelebt haben. Wieso haben Sie genau diese gewählt?

Ich habe Länder ausgesucht, die entweder im Zentrum des Weltgeschehens stehen oder ganz weit davon entfernt sind. Die Handlung spielt zum Beispiel in New York kurz vor den Anschlägen 2001. Die Flugzeugabstürze kommen nie vor, aber der Leser weiß, dass sie passieren werden. Ich schildere eine Zeit, in der vor allem junge Menschen diese Haltung hatten, dass das Leben in Manhattan richtig langweilig sei. New York war gentrifiziert, nicht mehr so gefährlich, jeder sprach davon, dass es die Hauptstadt der Welt war. Es lag so eine Selbstzufriedenheit in der Luft. Niemand ahnte, dass sich das so schnell ändern würde. Dagegengesetzt habe ich Bangkok im Jahr 1988 – also Asien zu einer Zeit, als dieser Kontinent noch nicht einen solchen Aufschwung wie heute erlebt hat. Ich mag es, diese verschiedenen Perioden und Zeiten durcheinanderzumischen. Und zuletzt habe ich mich für Wales entschieden, den Geburtsort meiner Mutter. Vielleicht auch, damit ich einen Grund für lange Spaziergänge in Wales hatte.

Es ist paradox, dass wir in einer globalisierten Welt leben, in der Reisen und das Übersiedeln in andere Länder für viele so einfach sind und auf der anderen Seite so viele Probleme mit Flüchtlingsströmen aus Krisenregionen wie Syrien oder Afrika haben.

Das ist vielleicht das größte Paradoxon der Gegenwart. Es gibt da dieses Buch aus den 1980ern, das hieß „Jihad versus McWorld“. Damals erhielt es keine große Beachtung, aber das Szenario ist heute eingetreten: Wir haben eine geteilte Welt. Es gibt viele Gruppen, die sich in kleine Identitäten unterteilen und einander bekriegen – und auf der anderen Seite eine Masse von Menschen, die durch die Globalisierung überall Zugang hat. Im Westen kann heute jeder überallhin und auf der anderen Seite gibt es Flüchtlinge, die keinen Platz finden. Dahinter steckt die berechtigte Frage, was mit existierenden Kulturen passiert. Es gibt die Angst, dass zu viele neue Menschen die eigene Kultur zerstören. Und das ist mein zentrales Thema: Brauchen wir eine Kultur und eine Gruppe, zu der wir uns zugehörig fühlen?

Was haben Sie Neues über England gelernt, seit Sie hier wieder leben?

Ich lerne viel über England, aber ich empfinde es noch immer nicht als mein Land. Ich denke von keinem Land, es ist meines. Es gibt viele Länder, deren Kulturen ich schätze und die Einfluss auf mich haben. Was mir vor allem die britische Politik gezeigt hat, ist, dass es überall auf der Welt eine Frustration über die Demokratie gibt. Die Menschen wollen sich nicht mehr mit ihrer Machtlosigkeit zufriedengeben. Obwohl es immer so war, dass in Demokratien die Mehrheit entscheidet, gibt es den Unwillen der Minderheit, das zu akzeptieren. Das hat auch der Unabhängigkeitswunsch von Schottland gezeigt oder der Aufstieg der Tea Party in den USA.

Könnte Wales auch irgendwann die Unabhängigkeit von England fordern?

Es gibt eine nationalistische Bewegung in Wales. Aber nach der Niederlage für Schottland sind solche Versuche eher von Misserfolg gekrönt.

Ihr erster Roman „Die Unperfekten“ nahm 2009 einige der Entwicklungen der Printmedien vorweg. Welche Reaktionen bekamen Sie auf das Buch?

Viele Journalisten erzählten mir, sie würden die Charaktere aus der Zeitungsredaktion wiedererkennen. Aber das Interessante war: Das erzählten sie mir überall auf der Welt.

Heißt das, Zeitungsredaktionen sind überall gleich?

Vielleicht. Oder es heißt, dass es einen bestimmten Menschenschlag gibt, der in Zeitungsredaktionen landet. Oder es ist der Job, der diese Menschen nach einer gewissen Zeit alle gleich formt.

Für Sie war dieser Roman der Eintritt in einen neuen Beruf. Sie legten das Reporterleben ab und wurden Schriftsteller.

Eigentlich war es umgekehrt: Ich wollte immer Schriftsteller werden und begann im Journalismus, weil ich Erfahrungen sammeln wollte, über die ich schreiben könnte. Direkt nach der Universität war ich 22 und viel zu jung und unerfahren, um Romane zu schreiben, die irgendjemand lesen würde. Mit 29 habe ich mich wieder an meinen eigentlichen Berufswunsch erinnert und mich ans Bücherschreiben gemacht.

 

Herr Rachmann, darf man Sie auch fragen…

1. . . welcher Autor Sie am meisten beeinflusst hat?

So viele! Aber den größten Einfluss hatte wahrscheinlich Charles Dickens. Seine Geschichten wurden mir als Kind vorgelesen und ich zitiere Dickens oft in „Aufstieg und Fall großer Mächte“. George Orwell mochte ich als Teenager. Graham Greene, Virginia Woolf und Bruce Chatwin entdeckte ich in meiner Studentenzeit. Leo Tolstoi, Jane Austen, Anton Tschechow und Katherine Mansfield bedeuten mir viel. Zuletzt haben mich „Stoner“ von John Williams, „The Blue Fox“ von Sjón und „Man with a Blue Scarf“ von Martin Gayford begeistert.

2. . . was Literatur und Journalismus gemein haben?

Derzeit stehen sowohl der Literatur- als auch der Medienbetrieb vor den gleichen technologischen Herausforderungen. Beide erleben den größten Transformationsprozess seit ihrem Bestehen. Es ist zwar eine unsichere, aber auch fruchtbringende Zeit – und Journalisten und Autoren können wenigstens darüber schreiben.

„Fortitude“: Mysteriöses Sterben in der Arktis

 

Fortitude

Bild: (c) Sky 

Der Bezahlsender Sky ließ sich sein neues Arktis-Drama „Fortitude“ Millionen kosten. Für die Mystery-Produktion wurde eigens Schnee an den Drehort in Island gebracht.

Für Schnee tut der britische Bezahlsender Sky einiges. Nicht nur bei der London-Premiere seiner neuen Serie „Fortitude“ wurden weiße Fake-Flocken angekarrt, um den Kinosaal in eine Winterlandschaft zu verwandeln. Schon bei den Dreharbeiten zur Serie im Vorjahr war der Sender aufgrund der milden Wetterlage in Island gezwungen, Schnee einfliegen zu lassen. Das hat „Fortitude“ angeblich zur teuersten Sky-Serie bisher gemacht. In britischen Medien war von Produktionskosten in Höhe von 34Millionen Euro zu lesen.

Ohne Schnee ließe sich die Geschichte von „Fortitude“ schlechter erzählen. Es ist das Porträt des gleichnamigen fiktiven Städtchens auf der Inselgruppe Spitzbergen im Arktischen Ozean. Die 700 Einwohner leben von der Naturfotografie, der (verbotenen) Eisbärenjagd, der Arktis-Forschung oder der Minenarbeit. Der Rest hält die Grundversorgung aufrecht, als Polizist, Arzt, Kellner oder Supermarktkassier. Eines Tages wird der britische Arktis-Forscher Professor Stoddart tot aufgefunden; er war einer der Gegner eines großen Eishotelprojekts. Hat ihn gar ein Eisbär in seiner Wohnung überrascht und getötet, oder war es doch ein Mensch?

 

„Fargo“ trifft auf „Twin Peaks“

Der lokale Polizeichef Andersen bekommt jedenfalls Verstärkung vom Festland – womit wir bei Grund zwei für die teure Produktion wären: die sehr prominente Besetzung. So wird der eingeflogene Detective arrogant-großstädtisch von US-Star Stanley Tucci („Hunger Games“) verkörpert. Die Rolle der Stadtchefin Hildur Odegard übernimmt Sofie Gråbøl, seit „Kommissarin Lund“ eine der bekanntesten dänischen Seriendarstellerinnen, die nun erstmals in einer britischen Produktion zu sehen ist. Bei der Premiere in London erzählte sie, sie stehe hier zum ersten Mal auf der anderen, der mächtigen Seite, auf jener der Entscheider. Zumindest zu Beginn sieht es so aus, als ob ihr diese Rolle weniger liegt als die der stillen Revoluzzer-Kommissarin. Vielleicht es ist es aber nur der langsame Einstieg von Drehbuchautor Simon Donald, der den Anfang so schleppend macht. Wir sehen sehr viel Eis und Schnee, viel Natur, häufig aus der Helikopterperspektive.

Nur behutsam nimmt die Handlung Fahrt auf, dafür umso geschickter. Geübte Serienschauer lockt man mit einer Vielzahl an mysteriösen Seitensträngen und Figuren. Also ist da etwa auch der kleine Bub, der mit seiner Spielkameradin ein undefinierbares Etwas im Eis findet und danach plötzlich schwer erkrankt. Der Partner seiner Mutter verlässt das Haus, um eine andere Frau zu treffen, und bemerkt daher nicht, dass der Bub im Fieberwahn barfuß durch den Schnee läuft und schwere Erfrierungen davonträgt. Welche Krankheit hat der Bub, und vor allem – was hat er im Eis entdeckt? Und wohin ist das Mädchen verschwunden, mit dem er draußen im Eis war?

Gekonnt spielt der Brite Christopher Eccleston (bekannt aus „Doctor Who“) den liebenswürdigen Professor Stoddart, der zwar in Folge eins stirbt, aber – ohne zu viel zu verraten – vermutlich weiterhin eine Rolle spielen wird. Bei der Premiere in London gaben alle Darsteller außer dem Amerikaner Tucci zu: Der Hauptgrund für ihre Zusage sei Schauspieler Michael Gambon gewesen. Jeder wollte mit dem britischen Theater-Sir zusammenarbeiten, der seit seinen Auftritten als Schulleiter Dumbledore in den „Harry Potter“-Filmen berühmt ist. Hier spielt er nun einen griesgrämigen, sterbenskranken Fotografen, der nichts mehr zu verlieren hat.

Was wie ein durchschnittlicher deutscher Hauptabendkrimi beginnt, entwickelt sich zu einer schräg-mysteriösen Geschichte, die Kritiker bereits zwischen „Twin Peaks“ und „Fargo“ einordnen. Dass der Schnee, wenn er erst einmal da ist, ein schwieriger Partner bei Dreharbeiten sein kann, ist leider unübersehbar: In einer Dialogszene zieren viele kleine Schneeflocken den Mantel von Stanley Tucci in der Vorderansicht – in der Rückenansicht ist der Mantel aber schneefrei. Da fehlt das Gespür für das Detail.

DIE SERIE

Nach der Horrorserie „Penny Dreadful“ und der Krimiproduktion „The Tunnel“ ist „Fortitude“ die nächste aufwendige hausgemachte Serie von Sky (Koproduzent ist US-Kabelsender Starz). Mit u.a. Sofie Gråbøl, Christopher Eccleston, Stanley Tucci. Die Originalversion ist ab heute, 27. 1., auf Sky Go, Sky Anytime, Sky Online abrufbar. Ab 3. 3. auf Deutsch.

Compliance-Hinweis: Die Autorin war auf Einladung von Sky bei der London-Premiere von „Fortitude“.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 29.01.2015)

Alexander von Schönburg: „Plädiere dafür, auch mit Vollidioten auszukommen“

Der Journalist und Autor Alexander von Schönburg hat eine Verteidigungsschrift auf den Small Talk verfasst. Ein Gespräch.Schönburg_Alex_von_(C) Benno Kraehahn_007.JPG_Druck

 

 

Nach der „Kunst des stilvollen Verarmens“ schreiben Sie jetzt über „die Kunst des stilvollen Mitredens“. Wieso?

Alexander von Schönburg: Verstehen Sie es bitte als Resultat einer Kapitulation. Ich wollte ursprünglich ein Buch über all das schreiben, was wir nicht wissen. Ich wollte um die Welt reisen und Wissenschaftler aus allen möglichen Disziplinen dazu befragen, was sie als letzte Geheimnisse ihrer jeweiligen Spezialgebiete betrachten. Nach kurzer Zeit musste ich aber feststellen: Es gibt keine letzten Rätsel, es gibt viel mehr Unwissen als Wissen. Mit jedem Rätsel, das die Wissenschaft gelöst hat, haben sich weitere Rätsel aufgetan. Um es mit Donald Rumsfeld zu sagen: „There are known unknowns. But there are also unknown unknowns.“ Kurz gesagt, die Welt ist so komplex geworden, dass man nur noch ackselzuckend davor steht. Und doch leben wir ja in einer Welt, in der alle glauben, immer und überall mitreden zu können. Mein Buch ist da gewissermaßen Aufschrei und Rettungsanker zugleich, weil ich inmitten dieses Überinformationschaos ein paar Themen benenne, mit denen man sich über Wasser halten kann ohne wie Vollidioten zu wirken, was wir in Wahrheit natürlich alle sind.

 Sie teilen diese Themen in drei Kategorien: Pauschalthemen wie Fußball, das Internet oder Kunst. Jokerthemen wie Adel, Jagd und Sex, die durchaus Kontroversen auslösen können und Chloroformthemen wie das FAZ-Feuilleton, New York und Fernsehserien. Bei denen geht es um nichts, aber jeder kann etwas dazu sagen.

Mein Buch ist kein Buch über Smalltalk, es ist Smalltalk. Weil dies heutzutage die einzige angemessene Tonart ist, um über die Themen unserer Zeit zu reden. Alles andere ist Hochstapelei. Wer behauptet, den Durchblick zu haben, kann nur ein Aufschneider sein. Nur im Plauderton, nur im Witz, kann man mit den Ungereimtheiten unseres Daseins umgehen, der Plauderton ist der einzige Ton, der Rechthaberei und Moralscheißerei ausschließt.

Viele Menschen tauschen sich heute mehr in digitalen als in realen Räumen aus, etwa auf Twitter. Wird dort auch Smalltalk gemacht?

Die sozialen Medien sind das Gegenteil von Kommunikation, weil sie Empathie verhindern. Im Internet können Sie jede x-beliebige Person fertig machen und anspucken ohne dabei auch nur rot zu werden. IRL, in real life, um im Internet-Speak zu bleiben, würden Sie sich so etwas niemals zu trauen. Zu recht. Regeln des zivilen Miteinanders würden einen davon abhalten. In virtuellen Räumen gelten keine Regeln des zivilen Miteinanders.

Wenn aber Smalltalk wie ein Tennis-Spiel ist, bei dem man sich Bälle unterschiedlicher Stärke zuspielt, dann geht das auf Twitter auch recht gut.

Das ist jetzt als ob Sie YouPorn mit echtem Sex vergleichen.

 Warum hat Smalltalk einen schlechten Ruf?

Alle haben Angst, seicht zu wirken. Das ist ein Erbe unserer bildungsbügerlichen Tradition. Von einem Gombrich raunte man noch, er hätte angebliche sämtliche Bücher seiner Zeit gelesen, die Enzyklopädisten der Aufklärung hatten noch den Anspruch, das gesamte Wissen der Welt in einem Werk zu sammeln, von Fragen der Philosophie und Anatomie bis hin zur Kunst des Marmeladeneinkochens. Am Ende landeten sie mehr als 70.000 Texten in 35 Bänden. Wie viele Bände müssten es heute sein, um das ganze Wissen der Welt zu sammeln? Wahrscheinlich wurden, während wir gerade sprechen, mehr Informationen online gestellt als in den letzten 10.000 Jahren Menschheitsgeschichte zusammen genommen aufgeschrieben wurde. Es gab eine Zeit, da sprachen kluge Menschen mit Autorität. Das ist vorbei. Heute gestehen kluge Menschen sich vor allem ihre Ahnungslosigkeit ein.

Wie sieht es wirklich mit aktuellen politischen Themen wie der Ukraine-Krise, Islamlischer Staat, Pegida aus. Soll man darüber reden?

Das sind ja noch die einfachen Themen. Kompliziert und langweilig wird es bei wirklichen Politikthemen wie Energieversorgung, Pensionsversicherung, Euro-Kurs der EZB… Blicken Sie da etwa durch?

Das Heikle an politischen Debatten ist ja auch, dass man schnell erfährt, welche Weltanschauung und mitunter welche radikale das Gegenüber hat.

Ich plädiere dafür, auch mit Vollidioten auf Dinnerpartys auszukommen. Mit Leuten zu plaudern, die auf der gleichen Wellenlänge liegen, ist keine Kunst. Zivilisiert und taktvoll zu bleiben, wenn der Gegenüber ein Langweiler oder ein Scheusal ist, das ist die Kür.

Wie entkommt man einer langweiligen Konversation?

Da hilft nur die paradoxe Intervention: Mit voller Aufmerksamkeit zuhören. Ein echten Gesellschaftslöwen zeichnet übrigens aus, dass er gerade scheinbar uninteressanten Menschen besondere Aufmerksamkeit schenkt und Nervensägen mit ganz ausgesuchter Herzlichkeit begegnet, allein schon um dadurch deren Charmedefizit auszugleichen.

Was langweilt Sie derzeit?

Das meiste. Langweilige Themen sind üppig. Man sollte eher über das Wenige reden, was nicht langweilt.

Und was ist das bei Ihnen?

Ich bin im Moment ganz besessen von Houellebecqs neuem Buch. Ich lese es nicht nur langsam und genüsslich, ich lese auch alles, was darüber geschrieben wird, die Rezeption und ich begebe mich in die Neben-Avenuen, die sich darin eröffnen. Vom Wallfahrtsorts Rocamadour habe ich zum Beispiel dank Houellebecq das erste Mal erfahren. Jetzt will ich da unbedingt hin. Dann natürlich die geheime Hauptperson des Romans: Joris-Karl Huysmans! Dessen Buch „Gegen den Strich“ kommt ja als geheimnisvolles „yellow book“ im „Bildnis des Dorian Gray“ vor. Ein völlig vergessener Autor. In meinem „Kunst des stilvollen Verarmens“ spielt Huysmans Figur Des Esseintes natürlich auch eine Rolle, aber bislang war Huysmans eigentlich nur Eingeweihten ultra-katholischer Untergrund-Literatur ein Begriff.

Österreicher versus Deutsche: Wer ist der geübtere Smalltalker?

Das liegt nahe, das ist wirklich fishing for compliments.

Wieso? Wir vertragen durchaus Kritik.

Österreich profitiert nun mal davon, dass dass hier lange Zeit das Zentrum osteuropäischer und jüdischer Intelligenz war. Und so eine Hofkultur wie die in Wien gab es in Deutschland auch nie. Der olle Wilhelm hat ja versucht, Wiens Glanz zu kopieren, aber das scheiterte am Geschmack. Typisch für Deutschland ist nicht die große, zentralistische Hofkultur, typisch für uns sind all die Mini-Höfe unter denen Orte wie Darmstadt oder Braunschweig das Höchste der Gefühle waren. Diese vielen kulturellen Zentren haben auch ihren Reiz, aber es dann doch etwas anderes als Paris, London oder Wien.

Spürt man den historischen Vorteil wirklich noch? Die Wiener sind doch viel direkter und uncharmanter.

Das zeichnet alle wirklichen Großstädte aus, dass die Ureinwohner jeden Fremden, die in der Überzahl sind, verachten. Die Berliner können genauso unverschämt sein wie die Wiener. Übrigens gehe ich in Wien am liebsten in die Kaffeehäuser, in denen ich unverschämt behandelt werde, zum Beispiel in den Bräunerhof. Ich empfinde die Verachtung des Obers hier als großen Trost angesichts der „Hi, ich bin Sandy, wie heißt du, was kann ich für dich tun“-Kultur.

Wir sind mitten in der Ballsaison. Sind Bälle überhaupt ein gutes Smalltalk-Pflaster?

Ich komme ja aus der Provinz. Meine Familie kommt aus Sachsen. Für mich hat der Begriff Ballsaison in Wien etwas Einschüchterndes. Aber dann sieht man in den Zeitschriften die Bilder von diesen Bällen und man stellt fest, das sind riesengroße, geschmacklose Veranstaltung, die rein potemkinsche Funktion haben und mit authentischem Glamour nichts zu tun haben.

Kann man beim Tanzen gut Smalltalken?

Tanzen ist wie Smalltalk, nur intensiver. Zündstufe zwei sozusagen. Letztlich hat wahrscheinlich jeder zwischenmenschliche Kontakt, der prickelt, etwas mit Eros zu tun.

Ihre oberste Regel für den Smalltalk ist: Einem darf nichts peinlich sein.

Stimmt. Wenn Sie schon in einen Fettnapf treten, dann sollten Sie es mit Panache tun. Fehltritte seiner Mitmenschen bemerkt man am besten gar nicht und für die eigenen entschuldigt man sich nicht, weil man damit erst die Aufmerksamkeit darauf lenken würde, „qui s’excuse s’accuse“, hieß es bei uns immer. Wie man das Trainieren kann? Man muss sich immer wieder gesellschaftlichen Desastern ausliefern, dann verlieren sie ihren Schrecken.

Und wie gewöhnt man sich das Recht haben wollen ab?

Das ist ein großes Geheimnis. Ich meine die Frage, warum es uns so schwer fällt, einzugestehen, Unrecht zu haben. Ich glaube fast, das hat etwas mit dem Tod zu tun. Als ob das Gefühl, im Unrecht zu sein ein bisschen wie Sterben sei.

Unlängst hat in der Presse ein Riedel-Glas-Erbe erzählt, dass er nicht mit Menschen reden würde, die den Unterschied zwischen Pinot Noir und Cabernet nicht kennen. Ist das in Ordnung?

Es ist vor allem ein fantastisches Statement, weil es Widerspruch auslöst. Von solchen Sätzen lebt ein guter Smalltalk.

Der Wein ist bei Ihnen kein Smalltalk-Thema.

Die gesamte Genusskultur nervt mich. Ich esse und trinke auch gerne, aber diese Vernarrtheit in das Essen und das rechte Glas zum rechten Wein finde ich parvenuhaft. Genuss macht nur Spaß, wenn man dabei nonchalante bleibt und dem ganzen nicht so eine Bedeutung beimisst.

Wo liegt die Grenze zwischen Smalltalk und Diskussion?

Smalltalk kann immer nur der Auftakt zu einem guten Gespräch sein. Mein liebstes sind gute Streitgespräche, mit einem Drink in der Hand statt mit Messer zwischen den Zähnen natürlich. Aber Diskussionen, bei denen man den Dingen auf den sogenannten Grund gehen will, finde ich meist ermüdend.

Kommt man zu Weihnachten oder sonst im Kreise der Familie mit Smalltalk weiter?

Smalltalk ist eine unterschätzte, wichtige Kulturtechnik unserer Zivilisation, eine die im Zeitalter der elektronischen Kommunikation bedroht ist – aber es gibt einen einzigen Ort, an dem Smalltalk überhaupt nicht weiterhilft. Die Familie. In der Familie kennt jeder Deinen Bullshit, da kann man niemanden blenden. Deswegen ist Familie ja so ein wunderbarer Ort, und zugleich manchmal ein Ort des Horrors.

Presse am Sonntag, 25.1.2015

Serien im Wandel: 2015 gibt es Fernsehstoff für jeden Geschmack

MADAM SECRETARY

„Homeland“ trifft „House of Cards“: Téa Leoni spielt in der CBS-Serie „Madam Secretary“ die US-Außenministerin. / Bild: (c) CBS Entertainment 

Dass Serien auch anspruchsvolle Kunstform sein können, haben TV-Sender, Filmregisseure und sogar Autoren längst erkannt. Mittlerweile fällt es schwer, den Überblick über die besten Serien zu behalten. 2015 wird jedenfalls das Jahr der Fortsetzungen. Neue Produktionen suchen die Nische.

 (Die Presse am Sonntag)

Es gab eine Zeit, da war es verhältnismäßig einfach, den Überblick über hervorragende Serien zu behalten, die so gut oder sogar besser als Filme waren. Vor 15 Jahren begann diese Zeit, die bis heute als goldene Ära des Fernsehens bezeichnet wird – mit dem Start des Mafia-Familiendramas „Sopranos“. Preisgekrönte, hoch gelobte Serien konnte man lange an einer Hand abzählen. Die Drogenfahnder aus Baltimore in „The Wire“, die Bestattungsfamilie aus „Six Feet Under“ und der krebskranke Crystal-Meth-Dealer Walter White aus „Breaking Bad“ ebneten den Weg für eine neue Serienform.

Dass erfolgreiche Serien nicht immer Sitcoms sein, die Lacher nicht immer aus dem Off kommen müssen, wissen Drehbuchautoren, TV-Sender und Regisseure heute. Seit Mitte der 2000er-Jahre wuchs die Zahl der aufwendig gestalteten Serien rasant. Schauspielstars wie Claire Danes („Homeland“) und Kevin Spacey („House of Cards“) rissen und reißen sich um attraktive Hauptrollen. Und mancher Darsteller, der seine Karriere im Fernsehen begann und im Kinofilm-Genre weniger Erfolg hatte, kehrte zurück: Joshua Jackson, in den Neunzigern der scheue Pacey in „Dawsons‘ Creek“, spielt nun an der Seite von „The Wire“-Darsteller Dominic West im Seitensprung-Drama „The Affair“. Mit an Bord ist auch Maura Tierney, ein bekanntes Gesicht aus „Emergency Room“, der Mutter heutiger Arztserien.

Einiges hat sich gedreht: Heute machen Serien Stars, was man u.a. bei der Langzeitproduktion „Mad Men“ sehen kann, die 2015 mit Staffel sieben zu Ende geht. Hauptdarsteller wie Jon Hamm (spielt Werber Don Draper) und Christina Hendricks (Joan Harris) müssen sich danach keine Sorgen um neue Rollen machen. Ganz ähnlich funktioniert das für die Darsteller im Mittelalter-Fantasy-Epos „Game of Thrones“. Noch dazu, weil sie dort schnell wieder weg sind, wenn ihr Protagonist plötzlich zu Tode kommt.

Wurden bisher oft literarische Stoffe zu Serien gemacht („Game of Thrones“ basiert auf den Büchern von George R.R. Martin, das Kannibalistendrama „Hannibal“ auf dem Roman von Thomas Harris), hat der Literaturbetrieb umgekehrt begriffen, wie er am Erfolg mancher Serienhits mitnaschen kann. Neuerdings bewerben Verlage ihre Romane mit Slogans wie: „Für Fans von Homeland“ oder „Freunde von ,Game of Thrones‘ werden es lieben“.

Binge-Watching-Rekord. Während es also längst schick ist, gewissen Serien zu verfallen und den eigenen Binge-Watching-Rekord zu verkünden (wie viele Folgen einer Serie sehe ich am Stück?), unterzieht sich das Genre langsam einem Wandel: Serien werden jetzt beinah wie am Fließband produziert. Selbst erfahrene TV-Kritiker wie die „New Yorker“-Autorin Emily Nussbaum müssen bei den obligaten Jahresrück- und -vorschauen zugeben, dass sie nicht mehr alles sehen können, was auf den Markt kommt. Und natürlich muss man sagen: Längst ist nicht jede Serie beste Erzählkunst auf hohem Niveau. Die britische Adelsreihe „Downton Abbey“ bleibt trotz der feinen Kostüme und Maggie Smiths Pointen eine Soap-Opera. Wenn auch eine, die süchtig macht. Nussbaum empfiehlt übrigens, 2015 nicht „Downton“, sondern der US-Serie „Outlander“ eine Chance zu geben.

Der Ausblick auf 2015 zeigt vor allem: Das Serienjahr wird eines der Fortsetzungen. Allein im ersten Quartal kehren viele Hits für eine zweite, dritte, vierte usw. Staffel zurück: Heute startet in den USA die HBO-Serie „Girls“ mit und von Lena Dunham. Ende Februar geht der Netflix-Glücksgriff „House of Cards“ in Runde drei. Auch die Gefängnisserie „Orange Is The New Black“ und die Krimi-Groteske „Fargo“, beide Netflix, kommen wieder. Und die beste Serie aus 2014, die auf mehreren Zeitebenen erzählte Kriminalgeschichte „True Detective“ mit Woody Harrelson und Matthew McConaughey geht weiter. Hier wagt sich HBO mit einer sogenannten Anthologieserie sogar in ein neues Subgenre: Jede Staffel hat neue Protagonisten und eine neue Handlung. Das ist die aktuelle Königsdisziplin für Serienmacher, schließlich muss das Publikum in jeder Staffel neu gewonnen werden.

Was die Massenproduktion der Serien mit sich bringt, ist Diversität. Das Motto der TV-Sender lautet: Wir bieten für jeden etwas. Comicfiguren werden zum Leben erweckt, das Comedygenre boomt, Vampir- und Horrorproduktionen ebenso. Waren die Helden früher Serien vor allem Männer, gibt es mittlerweile eine lange Reihe von Serien mit Heldinnen. CBS warf im Herbst mit „Madam Secretary“ eine Art „House of Cards für Frauen“ auf den Markt. Hauptfigur Elizabeth McCord (gespielt von Téa Leoni) übernimmt als zweifache Mutter und College-Professorin das Amt der US-Außenministerin und muss sich mit geleakten diplomatischen Akten und der CIA herumschlagen, darf dabei aber viel freundlicher sein als Frank Underwood.

Zurück auf die Leinwand. Der Erfolg im Fernsehen macht erfinderisch: Vor dem Start der fünften „Game of Thrones“-Staffel werden die beiden letzten Folgen von Staffel vier in den USA in Imax-Kinos gezeigt. Damit will man bewusst einen Kontrapunkt zum Binge-Watching-Effekt setzen, der diese Serie erst populär gemacht hat. Besser eine Folge genussvoll auf der großen Leinwand ansehen als eine ganze Staffel daheim mit dem Laptop auf dem Schoss.

„Game of Thrones“ lässt sich übrigens wie „The Walking Dead“ als einer der letzten „Blockbuster“ dieser TV-Ära bezeichnen. Vieles, was 2015 neu herauskommt oder in Runde zwei geht, ist Stoff für die Nische, etwa das Transgenderdrama „Transparent“. Einiges glaubt man bereits zu kennen: Der Ende Jänner startende britische Arktis-Krimi „Fortitude“ (mit Stanley Tucci, Sofie Gråbøl) erinnert an das ebenso eiskalte „Fargo“. 2015 werden aber auch Experimente gewagt: „Cancer“ soll eine Art Biografie der Krankheit werden. Ungebrochen ist die Lust der Filmregisseure am Serienmachen: Martin Scorsese will nach „Boardwalk Empire“ (ging 2014 nach fünf Staffeln zu Ende) für HBO das Leben der Siebziger in New York beleuchten. Was dann doch wieder Potenzial hätte, ein Massenhit zu werden.

 

Aktuelle Serienstarts:

In den USA laufen demnächst folgende Fortsetzungen an: „Girls“ (heute, 11. 1.), „Portlandia“ (8. 1.), „The Walking Dead“ (8. 2.), „House of Cards“ (27. 2.), „Game of Thrones“ (Staffel vier ab 13. 1. auf RTL II, ab 12. 4. Staffel fünf in den USA).

Neu sind u. a.: „Twelve Monkeys“ (ab 16. 1.), „The Fall“ (ab 16. 1. mit „Axte X“-Star Gillian Anderson), das Arktis-Drama „Fortitude“ (ab 29. 1. auf Sky), „Better Call Saul“, „Cancer“ (30. 3.), eine Bio der Krankheit.

Neue Serien im ORF: „Die Vorstadtweiber“ (ab 12. 1. 20.15 h, ORF eins), David Schalkos „Altes Geld“ kommt voraussichtlich im Frühjahr auf DVD auf den Markt, erst im Herbst ins Fernsehen.

Gute Reise, Kurt!

Seit April kämpfte Investigativjournalist Kurt Kuch nicht nur gegen seinen Lungenkrebs, sondern für einen strengeren Nichtraucherschutz. Den Kampf gegen den Krebs hat er nun mit 42 verloren, seine Initiative wird weiterleben.

Das Weihnachtsfest konnte er noch daheim mit seiner Familie im Südburgenland feiern. Aber er wusste, dass er nach den Feiertagen wieder ins Krankenhaus musste, für die nächste Runde im Kampf gegen seinen Krebs. Früher als geplant wurde Kurt Kuch kurz vor dem Jahreswechsel ins Spital eingeliefert – doch die Zuversicht behielt er bis zum Schluss. In seinem letzten Facebook-Eintrag am Silvestertag schrieb er: „Wir lassen uns das Feiern nicht nehmen, zumal der beste Teil unseres Lebens noch nicht vorbei ist!“

Kämpferisch gab sich Kurt Kuch ab Tag eins seiner Krebsdiagnose. Mit stechenden Rückenschmerzen und Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall begab er sich Anfang April ins Krankenhaus und wurde von der Diagnose Lungenkrebs überrascht. In Interviews erzählte er später, er habe damals begriffen, dass er nur mehr zwei, drei Wochen zu leben gehabt hätte, wenn man den Tumor nicht erkannt hätte. Der Schock saß tief, doch Kuch fasste Mut und entschloss sich, gegen den Krebs zu kämpfen und mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Dem „Falter“ erklärte der Investigativjournalist wieso er das tat: „Ich kann nicht von allen absolute Transparenz einfordern, und wenn’s um mich selber geht, dann ist Schluss, dann zieh ich mich ins Schneckenhaus zurück.“

Fuck Cancer. Mit dem Hashtag #FuckCancer informierte er seine Freunde und Kollegen via Facebook und Twitter über die Fortschritte seiner Therapie. Und die gab es. Der Tumor wurde kleiner, im Sommer war Kuch sogar metastasenfrei. Mit seiner Frau und der gemeinsamen zwölfjährigen Tochter reiste er nach England und in die Karibik, genoss den ersten Sieg über die Krankheit. Aber nicht nur den engsten Freunden gegenüber, sondern auch in Interviews blieb er ehrlich. Der Tumor werde mit großer Wahrscheinlichkeit wieder kommen. Das war ihm bewusst.

Und er kam wieder. Der Kampf begann von vorne. In der Zwischenzeit hatte Kuch beschlossen, auch an anderer Front zu kämpfen. Er unterstützte die Initiative „Don’t smoke“, die sich für einen stärkeren Nichtraucherschutz in Österreich einsetzt. Und er hörte nicht auf, unter anderem in „News“, dem Magazin für das er fast 20 Jahre lang schrieb, darauf aufmerksam zu machen, dass er seine Krankheit vor allem seiner 25-jährigen Kettenraucherei zu verdanken hatte. Drei Packerl Marlboro hatte er jahrelang geraucht.

Kurt Kuch war ein Vollblutjournalist. Seine berufliche Laufbahn begann er Anfang der Neunzigerjahre als Aktivist der Oberwarter Antifa-Bewegung und beim OHO, dem offenen Haus Oberwart. Der „Falter“ bezeichnete ihn erst vor wenigen Tagen in einem Porträt als „eine Art Pressesprecher der Region“, der nach dem Rohrbombenattentat, bei dem vier Roma getötet wurden, unermüdlich im Einsatz war. Zuletzt schrieb er an einem Buch zum zwanzigsten Jahrestag der Anschläge im Jahr 2015. Seit 1996 schrieb er für das Wochenmagazin „News“ und deckte Skandale wie die Telekom-Affäre und die geheimen Briefkasten-Firmen des damaligen Raiffeisen-Bankers Herbert Stepic auf. Gerade erst wurde er vom Branchenmagazin „Journalist“ – wieder – zum Investigativjournalisten des Jahres gekürt.

Öffentlicher Abschied. Noch mehr Anerkennung erhielt er aber für seinen Kampf gegen die Krankheit und das Rauchen. Jeder Status-Update auf Facebook wurde tausendfach geliked, für jede Behandlung erhielt er persönlichen Zuspruch. Diese Anteilnahme habe ihm Kraft gegeben, „ein solcher Energieschub ist einfach unbezahlbar“, erzählte er der „Presse“ in einem Interview zu seinem 42. Geburtstag im August.

So öffentlich Kuch gegen seine Krankheit kämpfte, so öffentlich wurde auch sein Tod am Samstag. Hunderte Freunde und Wegbegleiter verabschiedeten sich tief betroffen auf seiner Facebook-Seite mit persönlichen Worten wie „Gute Reise, Kurt!“ oder „Mach’s gut, Kurt“. Sein Einsatz gegen das Rauchen steckte auch an, in jüngster Zeit beschlossen viele Freunde und Kollegen, das Rauchen aufzugeben; Restaurantbetreiber kündigten an, ihre Lokale zu Nichtraucherlokalen zu machen. Kurt Kuch hat seinen persönlichen Kampf in der Nacht auf Samstag verloren. Es sieht aber so aus, als würde die #FuckCancer-Kampagne weiterleben.
Mehr Infos: www.dontsmoke.at

Phänomedial: Es fehlt der frische Wind auf Highclere Castle

Sechs Gründe, warum uns die fünfte Staffel von „Downton Abbey“ enttäuscht hat – und die eine Sache, die uns am Ende doch noch vertröstet zurückließ.

Ein bisschen viel hatte Julian Fellows, der Drehbuchautor und Regisseur der Adels-Serie „Downton Abbey“ für die fünfte Staffel versprochen. Den Butler Carson ließ er in der ersten Folge sagen: „I feel a shaking of the ground I stand on“ – und wir hatten uns schon gefreut, dass da ein bisschen frische Luft in die seit Staffel drei träge gewordene Serie und in die alten Gemäuer von Highclere Castle kommen würde. Upstairs wie Downstairs.

Nach der Weihnachtsfolge, die der britische Privatsender ITV seit 2010 traditionell am Christtag ausstrahlt, müssen wir aber sagen: Staffel fünf und vor allem die Christmas-Episode haben ziemlich enttäuscht. Die für Herbst 2015 angekündigte Staffel sechs muss da schon gehörig aufdrehen, damit wir selbiges wieder tun. Hier sind sechs Gründe, warum „Downton Abbey“ langweilig wird – und die eine Sache, die uns am Ende doch noch vertröstet hat.

1. Politik ist – immer noch – ein Nebenschauplatz

Wir kennen nun wirklich jede noch so kleine Eigenschaft und (fast) alle Geheimnisse der Bewohner von Downton Abbey sowie der Dienstboten unter der Treppe. Für ein paar ernste Themen zwischendurch oder Politik – wie in Staffel eins und zwei rund um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs – wäre also Sendeplatz genug. Nein, wir wollen kein „House of Cards“ aus der Serie machen, wir wissen schon, dass es in den Adelskreisen nur selten um Politik oder die Probleme der Gesellschaft ging und eher um Dinnerparties und Heiratspläne, aber kaum ein Wort zu politischen oder gesellschaftlichen Umschwüngen außer in der eingangs erwähnten Folge eins? Das finden wir dann doch ein wenig realitätsfremd. Schließlich befinden wir uns im Jahr 1924, aber abgesehen von den zarten Hinweisen auf das Erstarken der Sozialisten und der Wahl des ersten sozialistischen Premierministers Großbritanniens wird nicht viel politisiert.

2. Der Kriminalfall rund um Anna und John Bates ist noch immer nicht gelöst

Zuerst war es er, nun wird plötzlich die stets so brave Anna des Mordes an Alex Green, dem Kammerdiener von Lord Gillingham, verdächtigt. Und sie muss sogar für kurze Zeit hinter Gitter. Unsere Nerven aber liegen bei diesem Paar schon etwas blank, so viel Steine wie ihnen in den Weg gelegt werden. Nach dem Krimi um Bates Ex-Frau in den ersten beiden Staffeln haben wir nun wirklich genug von Alibis, Gefängnissen und Polizeiverhören. Die Kriminalfalldichte hätte der Regisseur etwas gerechter unter den Protagonisten aufteilen können.

3. Tom Branson ist immer noch da

Wir haben aufgehört zu zählen. Folge um Folge, Staffel um Staffel kündigte Tom Branson (gespielt von Allen Leech) seinen Abgang an. Als ehemaliger Chaffeur, der seit der Hochzeit mit der jüngsten Crawley-Tochter Sybil (die bei der Geburt des gemeinsamen Kindes in Staffel drei starb) „upstairs“ lebt, fühlt er sich immer noch nicht als vollwertiges Mitglied der Crawley-Familie. Also will er mit Tochter Sybbie ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nach Amerika, auswandern. Am Ende der jüngsten Staffel macht er immer mehr Ernst damit. Wir glaubens erst, wenn er wirklich weg ist – und geben zu: er wird nicht nur Lord Grantham als umsichtigem Liegenschaftsverwalter fehlen. Im realen Leben ist er übrigens bestens befreundet mit Rob James-Collier, dem Darsteller des in der Serie so fies-grantigen Dieners Thomas Barrow. Schade fanden wir übrigens auch, dass Toms zarte Liebe zur Dorflehrerin Sarah Bunting auch auf Druck von Lord Grantham schon wieder aus war bevor sie überhaupt beginnen konnte. Einmal Chauffeur-Schlossbewohner-und-zurück. Das wärs doch gewesen. Oder kommt da noch was?

4. Lady Mary ist noch immer allein

Liebe wird überbewertet. So denkt nicht nur die Pointen-schleudernde Großmutter Dowager Countess of Grantham, grandios gespielt von Maggie Smith. Auch Lady Mary (Michelle Dockery) hat nach dem plötzlichen Tod von Ehemann Matthew (Dan Stevens) am Ende der dritten Staffel noch immer keinen passenden Nachfolger gefunden. Aus dem Duell zwischen den ebenso smarten wie hübschen Herren Lord Gillingham und Charles Blake stieg am Ende keiner der beiden als Sieger aus. Dabei hat sich Lady Mary sehr modern mit einem der beiden auf außerehelichen Sex eingelassen – was damals vermutlich gar nicht unüblich war, aber im britischen Aristokratie herrschte eben (wie in allen anderen Klassen noch mehr) immer die Gefahr, dass so ein Techtelmechtel auffliegt und der Ruf so richtig ruiniert wäre. Erst in der Weihnachtsfolge taucht zaghaft ein neuer Mann auf Marys Bildfläche auf. Wir vermuten: in Staffel sechs wird wieder geheiratet. Aber wieso dauert das so lange? Romantik mag überbewertet sein, aber sie ist das Salz dieser in die Jahre gekommenen Serie. Also, bitte wieder mehr davon.

5. Lord Grantham wird alt

Ein bisschen wunderlich und rückschrittlich war Pater famillias Lord Grantham (gespielt von Hugh Bonneville) eigentlich von Anfang an. Aber in den letzten beiden Staffeln wurde er noch konservativer und ja, alt. Zuletzt plagte ihn ein Magengeschwür, die harmlose Flirterei seiner Frau Cora mit dem kunstversierten Simon Bricker (gesoielt von Richard E. Grant) vertrug er gar nicht. Würde er sich nicht immer wieder von den Töchtern, seiner Frau oder seiner Mutter seine vorgefertigten Meinungen zu bestimmten Dingen ausreden lassen, wir hätten ihn längst zum Dolm der Serie ernannt. In Staffel fünf überrascht er allerdings im Umgang mit seiner bisher so stiefmütterlich behandelten Tochter Lady Edith und dem Kind, das sie adoptiert – und beweist: dieser Mann hat doch ein bisschen Gespür für Zwischentöne.

6. Sorry, Brits, aber die Amerikaner fehlten

In Staffel fünf kam kein einziger Besuch aus Übersee. Nicht der faule Bruder von Cora (Paul Giamatti), geschweige denn die Mutter Martha Levinson, grandios gespielt von Shirley MacLaine. Es gab überhaupt keinen Besuch und keinen Special Guest. Dabei hieß es irgendwann im Herbst, George Clooney würde in der Weihnachtsfolge einen amerikanischen Gast spielen. Das tat er dann aber nur in einem kleinen Sketch, den das Team für karitative Zwecke drehte. Uns fehlten die zänkischen Dialoge zwischen der britischen Dowager Countess und der amerikanischen Lady, die sich aufgrund ihrer Kulturunterschiede so gar nicht mögen.

– und die eine Sache, die uns am Ende doch noch schmunzeln ließ und mit Plot und Cast der lauwarmen Staffel fünf vertröstet hat: die soll hier, weil doch ohnehin schon so viel gespoilert wurde, nicht komplett verraten werden, weil sie erst so spät (als vorhersehbarer Cliffhanger für die nächste Staffel) am Ende der Weihnachtsfolge passiert. Nur so viel: manchmal braucht die Liebe sehr sehr lange bis sie sich entfalten kann. Vor allem unter der Treppe.

Soziale Netzwerke haben kein Taktgefühl

Eigentlich wollte ich über das Prokrastinieren schreiben, damit kenne ich mich schließlich aus. Und zum Beispiel darüber, welche Ratschläge dieses eine Online-Magazin den sogenannten „heavy procrastinators“ unlängst gegeben hat, damit die 2015 endlich! wirklich! ein für alle Mal! Schluss mit der Aufschieberitis machen. Doch dann fiel mir auf, dass ich damit zugeben würde, meinen Vorsatz aus dem letzten Blogeintrag („Nicht mehr auf die billigen Ratschlag-Fallen im Netz hereinfallen“) noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt zu haben und außerdem gibt es immer wichtigere Dinge, als über das Prokrastinieren zu sinnieren.

Facebook zum Beispiel hat während des vergangenen Weihnachtsfestes wieder einmal ungefragt Daten und Fotos seiner Millionen Kunden zu kleinen „Year in Review“-Kollagen gemacht. Und massenweise drückten die Kunden nach der Durchsicht „ihres Jahres“ auf „Teilen“ und überschwemmten die Timelines ihrer Freunde mit ihrem persönlichen Jahresrückblick, die meisten ohne wenigstens die standardisierte Zeile „Es war ein großartiges Jahr. Danke, dass Du ein Teil davon warst“ zu löschen. Noch bevor der erste Satiriker darauf reagieren konnte, entschuldigte sich Facebook in den USA für die kleinen Pannen, die so ein selbstloser Kundendienst auslösen kann, wenn man den Algorithmus nur machen lässt.

Im Jahresrückblick eines amerikanischen Webdesigners fand sich nämlich nicht nur ein Foto seiner im vergangenen Jahr verstorbenen Tochter, es war vor allem das Titelbild. Nun war die Tochter und ihr Verlust mit Sicherheit prägender Teil seines vergangenen Jahres, dennoch zeigt die Geschichte, dass soziale Netzwerke oder Suchmaschinen eben kein Taktgefühl haben. Autonome Internetnutzer wissen das, sie veröffentlichen vermutlich auch keine heiklen oder sehr berührenden Fotos auf Facebook – und wenn doch, drücken sie nicht auf den „Teilen“-Knopf beim Jahresrückblick, auch wenn ihnen das soziale Netzwerk das täglich fünf Mal anbietet. Und allen anderen kann man auch nicht vorwerfen, sich in einem Selbstdarstellungsmedium des neuesten Selbstdarstellungswerkzeugs zu bedienen.

Interessant ist vielmehr, dass sich der Social-Media-Riese so rasch für die Unsensibilität entschuldigt hat, die sein ungesteuerter Algorithmus ausgelöst hat. Der österreichische Jurist Max Schrems, der seit Jahren gegen Datenschutzvergehen des Netzwerks vorgeht, hat so weit bekannt bisher noch keine Entschuldigung geschweige denn ein Einlenken in den wichtigen beanstandeten Punkten bekommen. In diesem Fall aber entschuldigte sich ein Produktmanager der Firma gegenüber der „Washington Post“. Die App, die diese Rückblicke generiert hat, sei für viele Menschen perfekt, aber in diesem einen Fall habe sie dem Nutzer mehr Trauer als Freude gebracht. Vielleicht ahnt Facebook, dass sich in den kommenden Tagen, wenn immer mehr Kunden ihren Jahresrückblick veröffentlichen, auch diese Pannen häufen werden und hat einfach Angst vor einem Shitstorm zwischen den Jahren? Oder das Unternehmen weiß, dass es das fehlende Taktgefühl seiner Algorithmen nur mit betonter Höflichkeit und Sensibilität wett machen kann.

Die Rückkehr der Arabella Kiesbauer

IMG_6864Eurovison Song Contest 15. Lang war sie die bekannteste Moderatorin des ORF, zuletzt ist es ruhiger um sie geworden. Nun kehrt sie im Frauentrio auf die große Bühne zurück.

Eine kleine Überraschung hat es also doch gegeben. Ei gentlich waren viele davon ausgegangen, das Moderatorenteam für den Eurovision Song Contest 2015 zu kennen. So oft waren zuletzt Alice Tumler, Mirjam Weichselbraun und Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst genannt worden. Doch bei der Präsentation im ORF-Zentrum am Küniglberg am Freitag tauchte plötzlich ein vierter Name auf: Arabella Kiesbauer.

Sie stand im Vorfeld auf keiner Spekulationsliste. Vermutlich, weil die gebürtige Wienerin mit deutsch-ghanaischen Wurzeln nicht mehr für den ORF, sondern für die private Konkurrenz arbeitet. Doch für den aktuellen Arbeitgeber ATV, bei dem sie die Kuppelshow „Bauer sucht Frau“ moderiert, ist ihr ORF-Engagement kein Problem. Im Gegenteil, die Personalie lässt sich als logische Fortsetzung der jüngsten Annäherung zwischen dem großen Öffentlich-Rechtlichen und dem kleinen Privaten interpretieren. Gemeinsam bewarben sich die Sender um die Rechte an der Euro League 2015 (die dann an Puls4 und das Sportportal sportnet.at gingen), vor wenigen Wochen trat ATV aus dem VÖP aus, jener Vereinigung Österreichs Privatsender, die ein Gegengewicht zum staatlich subventionierten ORF bilden will. Und am Freitag lobte ATV-Chef Martin Gastinger die Bestellung Kiesbauers als „beste Wahl“ für den Song Contest. Aber auch für Kiesbauer persönlich ist das Engagement eine Chance, sich nach der Geburt ihrer Kinder (eine Tochter, ein Sohn) und Ausflügen ins Privatfernsehen wieder mehr an ihren ersten Arbeitgeber zu binden.

Die heute 45-Jährige war lang eine der prominentesten Moderatorinnen des Landes. Ihre Karriere begann sie Ende der Achtzigerjahre mit der Jugendsendung „X-Large“, fünf Jahre später hatte sie auf Pro7 ihren eigenen Nachmittags-Talk. Der brachte ihr zwar schnell große Bekanntheit ein, rückte sie aber auch in die Trash-Ecke.

Signal für Frauenpower

Beim ORF fiel die Wahl aus mehreren Gründen auf sie. Ihre internationale Herkunft steht einer Show, die weltweit 200 Millionen Menschen sehen, gut an. Dazu kommt die Tatsache, dass die ehemalige Lycée-Schülerin neben Englisch auch fließend Französisch und Spanisch spricht (wie Kollegin Tumler auch). Zudem war sie als Langzeitmoderatorin der ORF-Sing-Talentshow „Starmania“ bei den ersten Bühnenschritten von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst dabei. Seit der von Franz Fuchs an sie adressierten Briefbombe, bei der ihre Assistentin verletzt wurde, gilt Kiesbauer außerdem als eine, die sich gegen Rassismus und für Zivilcourage einsetzt.

Und nun also die ganze große (öffentlich-rechtliche) Showbühne. An der Seite von Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler. Die drei werden die Hauptmoderation der drei Shows (zwei Semifinale und das Finale am 23. Mai 2015) übernehmen. Im sogenannten Green Room hinter der Bühne, also dort, wo die Künstler aus allen Kandidatenländern Platz nehmen, wird Vorjahressiegerin Conchita Wurst moderieren. In den sozialen Netzwerken formulierten manche liebevoll und in Anlehnung an die US-Sitcom: „Three and a Half Women für den Song Contest“.

ORF-Fernseh-Direktorin Kathrin Zechner will mit der Women-only-Besetzung ein Signal setzen. Frauen seien heute wie gestern keine Bedrohung, sagte sie bei der Präsentation am Freitag. Und Weichselbraun ergänzte: Früher habe man immer geglaubt, es brauche einen Mann, der eine Show trägt. Bisher haben schon immer wieder Frauen allein den Song Contest moderiert, aber noch nie waren es drei.

In der Öffentlichkeit wurde die Tripelbesetzung am Freitag nicht nur positiv aufgenommen. In den sozialen Netzwerken taten sie manche als langweilig und vorhersehbar ab. Auch wenn es Applaus für die Entscheidung gab, nur Frauen moderieren zu lassen, fragten sich einige, warum der Song-Contest-Kommentator Andi Knoll vergessen wurde. Im ORF versicherte man, es werde noch viele andere Rollen bei diesem Event geben, die es noch zu besetzen gilt. Die Namen werde man im neuen Jahr bekannt geben.

„Die Presse“, Print am 20.12.2014. Credit: Wallner

Die verpatzte Schluss-Wette: ein Adieu mit drei Fragen

EinmLogo_fisch+fleisch_RGBal noch „Wetten, dass..?“. Bevor die Show ab übermorgen von allen Kanälen verschwindet. Nicht einmal in den Jahresrückblicken wird sie eine Rolle spielen. Denn Dezember-Ereignisse werden dort gern ausgelassen, weil sogar TV-Show-Regisseure einsehen, dass man sich nicht an etwas erinnern muss, was gerade erst passiert ist. Niemand will weiter auf den einhauen, der ohnehin schon erledigt in der Ecke liegt. Aber drei kleine Fragen musss man nach finalen Show am vergangenen Samstag doch noch stellen dürfen:

Waren die Tränen von Markus Lanz echt?
Er soll zum Schluss sogar Tränen in den Augen gehabt haben. Das stand in so gut wie jeder Show-Kritik und in so manchem Liveticker. Ich selbst, das geb ich zu, war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr live dabei, kann mich also nur auf die Überlieferungen der anderen verlassen, wenn es um die Tränen von Markus Lanz geht. Fraglich ist also, wieso jemand so nah am Wasser gebaut ist, der weniger als drei von knapp 34 Show-Jahren gestaltet hat? Noch dazu, wenn nicht einmal Publikum und Gäste wehmütig wurden. Im Gegenteil, so gut wie jeder Gast (außer der Hunde-Leck-Wetten-Paul) schien sich in seinem Unwohlsein mit dem Satz zu trösten: „Gut, ist ja bald vorbei“. War es auch bei Lanz die Erleichterung, die ihn zum Weinen brachte? Der Kummer, dass er diesen Showtanker letzlich einfach nicht steuern konnte? Oder die Erkenntnis, dass sein Spitzengage ab 2015 ausbleiben wird? So traurig muss er gar nicht sein, bleibt er dem ZDF doch erhalten. Wie bisher wird er weiterhin drei Mal pro Woche den Spätabend mit seiner Talkshow füllen. Was uns zur nächsten Frage führt:

Wieso hat sich Lanz nicht auf das wichtigste Gespräch der Sendung vorbereitet?
Bis Samstagabend galt: Markus Lanz kann kleine Talkshow. Kann Gespräch. Aber kann nicht stadiongroße Hallen bespielen. Kann nicht witzig sein. Ausgerechnet bei der Schluss-Wettshow am Samstag zeigte er, dass er auch eklatante Schwächen im ernsten Gespräch hat. Zumindest hätte man sich erwarten dürfen, dass der Moderator ein respektvolles Gespräch mit Samuel Koch hinbekommt. Der junge Mann ist seit dem Unfall bei seiner Wette (mit Springschuhen über ein fahrendes Auto hüpfen) im Dezember 2010 gelähmt und hat nur eine Rolle in Til Schweigers jüngstem Film. Der im Rollstuhl sitzende Samuel Koch aber war gelassener als der Moderator und selbstironisch. Er spielte etwa darauf an, dass er sich bei seinem letzten Besuch nicht von den Leuten hinter den Kameras und den Kulissen verabschieden konnte: „Ich bin da ja irgendwie frühzeitig gegangen, da hatte ich einen steifen Hals an dem Abend.“ Doch Lanz, der den jungen Mann schon ungelenk begrüßte und seine Fragen äußerst kompliziert formulierte, wusste nicht, mit diesem Humor umzugehen – und versprach sich dann auch noch: „Und du hast offensichtlich nicht nur deinen Humor verloren.“ Die deutschen Medien schlachten diese Peinlichkeit nun genüsslich aus und bringen Gesprächsprotokolle. Die Wett-Show hat sich Lanz auch wegen dieses Gesprächs so richtig verpatzt.

Was ist lost mit Thomas Gottschalk?
Damit hat nun wirklich jeder gerechnet, selbst jene, die behaupten, die Show „nur ein oder zwei Mal“ oder „nie“ in ihrem Leben gesehen zu haben: Am Ende hätte der blondgelockte Thomas Gottschalk noch einmal einen seiner Karo- oder Samt- oder Lackanzüge (oder alle drei hintereinander) ausführen und ein paar Blödeleien ablassen sollen. Aber nein. Gottschalk fehlte ebenso wie Ur-Wetten,dass-Vater Frank Elstner. Eigentlich hätte man sich gedacht, dass sich Gottschalk einen Überraschungsbesuch nicht nehmen lassen würde, immerhin hat er die Show mehr als die Hälfte ihrer Lebenszeit moderiert. Aber offenbar sind da seit seinem Abgang Ende 2011 tiefere Gräben zwischen ihm und dem Sender ZDF entstanden oder er ist enttäuscht, dass sein Sendungs-Baby unter Lanz zu Ende ging. Wir wissen es nicht. Aber eine Show, noch dazu eine, bei der sich alles ums Erinnern und Rückschau halten drehte, ohne die beiden bekanntesten Gastgeber, wirkt wie eine Jubiläumsfeier ohne Jubilar. Die letzte Show jedenfalls hat gezeigt, dass die Sendung niemandem abgehen wird.