Phänomedial: Nachschub aus Borgen-Land

Oxford Diaries. Es muss Liebe sein: Wie die Briten der dänischen Politserie „Borgen“ verfallen – und sich Dänemark aus Dank für diese Zuneigung mit einer „Downton-Abbey“-Fortsetzung revanchiert.

Vergangenen Samstag ging auch in England die dänische Serie „Borgen“ zu Ende. Und das war nicht zu übersehen. Die Wochenendzeitungen waren voll mit huldigenden Abschiedskritiken („Daily Telegraph“) oder ganzseitigen Analysen, warum sich britische Politiker ein Vorbild an der Hauptfigur Birgitte Nyborg nehmen und so wie diese in der dritten und letzten Staffel eine neue Partei gründen sollten. Ganz vorne an der Fan-Front steht der „Guardian“, der schon früh die Liebe zur dänischen TV-Welt entdeckt hat und seit Staffel 1 einen Serienblog betreibt. Anfang November versuchte das Blatt zu erklären, „Why Britain loves Borgen“, blieb dann aber leider überraschende oder zumindest amüsante Erkenntnisse schuldig. Dabei wäre es so einfach: Auch in England mag man starke Frauen, sympathische Charaktere und den manchmal etwas zu gutmenschelnden Politikstil. Zudem vermute ich mal, die Briten mögen das lustige Gekluckse der Dänen, denn die Serie wird auf BBC4 (anders als bei uns) nicht synchronisiert, sondern nur Englisch untertitelt. Die Zuneigung scheint aber wirklich besonders groß, BBCs Radio 4 stahlt dieser Tage die gleichnamige Hörspielreihe, die von den „Borgen“-Machern produziert wurde.

Neuer Stoff aus Dänemark: Krieg und Familie

Und jetzt kommt Nachschub aus Borgen-Land. Gleich zwei neue Serien aus der Werkstatt des dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks DR sollen 2014 in England auf Sendung gehen. Während sich die ganze Welt an den Ersten Weltkrieg vor 100 Jahren erinnert, blickt Dänemark noch 50 Jahre weiter zurück – auf den Deutsch-Dänischen Krieg im Jahr 1864, die zweite kriegerische Auseinandersetzung nach 1848-1850, in der auch das Kaisertum Österreich an der Seite des Königtums Preußen um das Herzogtum Schleswig kämpfte.

Die Serie heißt wie das Kriegsjahr und dreht sich um die zwei Brüder Peter und Larst und ihre Liebe zur selben Frau, der schönen (na klar), aber ebenso gescheiten Inge – all das spielt vor, mitten und abseits des Schlachtfeldes. Auf einer zweiten Ebene begibt sich der Plot in die Gegenwart und lässt die junge Frau Claudia, deren Bruder als Soldat in Afghanistan ums Leben kam, das Tagebuch von Inge finden und ihre Geschichte nacherzählen. Natürlich spielt auch hier wieder der halbe „Borgen“- und „Killing“-Cast eine Rolle, unter anderem Pilou Asbæk (Kasper in „Borgen“) und sogar Side Babette Knudsen (die Hauptfigur aus „Borgen“) in einer kleinen Nebenrolle. Dass Dänemark klein und die Schauspieler in fast jeder Produktion auftauchen haben auch die Briten erkannt. Der „Guardian“ schlüsselte unlängst die wichtigsten Schauspieler und ihre Serienfiguren in einer Grafik auf und fragte dazu: „Are there actually more than 14 actors working in Scandinavian noir drama?“. „1864“ dürfte eher Stoff für den deutschsprachigen Markt sein.

Serie Nummer zwei aus dem Haus DR startet im Jänner in Dänemark und „Arvingerne“ („Die Erben“), auf Englisch „The Legacy“, hat großes Potenzial, wieder ein Hit zu werden. Wie als kleines Dankeschön an die treuen britischen „Borgen“- und „The Killing“-Fans bezeichnen die Macher der Serie auch das britische „Downton Abbey“ als wichtigen Einfluss für ihre Produktion. Aber auch Ang Lees Film „Der Eissturm“ (1997) über die eisige Kälte in einer amerikanischen Kleinfamilie (Kevin Kline, Sigourney Weaver) sei Inspiration gewesen. Schließlich knüpft „Arvingerne“ auch ein bisschen an Thomas Vinterbergs Dogma95-Film „Das Fest“ an – freilich etwas leichtfüßiger und massentauglich.

Im Mittelpunkt steht die exzentrische Künstlerin Veronika Grønnegaard, die in der Pilotfolge von ihrer unheilbaren Krebskrankheit erfährt. In Rückblicken und Szenen am ländlichen Familiensitz werden die vier erwachsenen Kinder der Künstlerin und ihre Beziehungen beleuchtet. Dunkle Geheimnisse sind da natürlich vorprogrammiert. „The Legacy“ sei „ein modernes Familienporträt“ und ein „Sittenbild der 68er-Generation und ihrer Kinder“, heißt es im Pressetext. Und das klingt tatsächlich ein bisschen wie die dänische Fortsetzung von „Downton Abbey“. Bleibt eigentlich nur mehr dem ORF zu raten, diesmal schneller zuzuschlagen als bei „Borgen“.

Kleiner Nachtrag: Auch der „Guardian“ ist im Ranking-Fieber und hat vor dem Jahreswechsel noch ein „Best TV of 2013“ veröffentlicht. Siehe da, auf Platz eins landet nicht eine der üblichen Serien-Liebkinder wie „Game of Thrones“ (Platz 4) oder „Breaking Bad“ (Platz 2), sondern wieder eine nicht-englischsprachige Produktion, nämlich die hierzulande noch eher unbekannte französische Horrorserie „The Returned“ (Les Revenants) über die Kollegin Heide Rampetzreiter bereits vor ein paar Wochen geschrieben hat. Die von Canal+ produzierte Serie, die erst im November in Frankreich ausgestrahlt wurde, spielt in einem französischen Bergdorf in dem eines Tages Verstorbene im Kreis ihrer Familie auftauchen. Glaubt man dem britischen Blatt ist das die klassischste TV-Produktion des Jahres gewesen.  

Leon de Winter: „Junge Männer wollen Tiere töten“

In seinem jüngsten Roman lässt Leon de Winter den 2004 ermordeten Filmemacher Theo van Gogh auferstehen. Vor seinem Wien-Besuch spricht der holländische Starautor über seinen einstigen Feind van Gogh.

Bereits zum zweiten Mal bauen Sie einen Ihrer Romane (nach „Ein Recht auf Rückkehr“ nun „Ein gutes Herz“) rund um eine Herztransplantation auf. Erklären Sie mir bitte Ihr Faible für dieses Organ.
Leon de Winter: Sie wissen offenbar mehr über meine Arbeit als ich. Ich habe keine Ahnung, wieso mich das Herz anzieht. Es ist Quell vieler Symbole und zwar nicht nur in westlichen Kulturen. Immer wird es mit der Liebe verbunden, aber auch mit der Seele. Für Schriftsteller hatte es immer schon eine große Anziehungskraft.

Es gab also keinen konkreten Anlass, sich mit der Herzchirurgie auseinanderzusetzen?
Ich habe mein eigenes Herz noch, falls Sie das meinen. Aber mein Cousin war einer der ersten Herztransplantationsspezialisten in Holland und hat mir sehr viele Geschichten erzählt; auch davon, wie ein neues Herz das Leben und die Persönlichkeit eines Patienten verändern kann. Das gab den ersten Anstoß, darüber zu schreiben.

Der im Jahr 2004 ermordete Künstler und Filmemacher Theo van Gogh hat Sie zu seinen Lebzeiten oft beleidigt und kritisiert. Sie galten als Erzfeinde. Warum macht man so jemanden zur Hauptfigur seines Buches?
Ursprünglich wollte ich gar keinen Roman über Theo van Gogh schreiben, sondern einen spektakulären Mainstream-Thriller. Nach dem Geiseldrama in einer Schule in Beslan 2004, also im selben Jahr, in dem Theo van Gogh starb, überlegte ich, wie es wäre, würde so etwas in Holland passieren. In meiner Geschichten hätten die Terroristen im Austausch für die Geiseln die Freilassung von van Goghs Mörder, Mohammed Bouyeri, gefordert. Doch ich wollte die alten Geschichten ruhen lassen, ich wollte mich nicht mehr mit van Gogh auseinandersetzen. Zufällig stolperte ich dann aber auf YouTube über einen Ausschnitt aus einer TV-Show, in der van Gogh behauptete, ich hätte einen Fetisch für Stacheldraht. Das hat mich so wütend und machtlos gemacht, dass ich doch über ihn schreiben wollte.

 Sie vermischen Realität und Fiktion so sehr, dass man bei dieser Geschichte im Buch glaubt, sie sei frei erfunden. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht schon viel früher von dieser Diffamierung erfahren haben.
Das hat mich auch überrascht. Der Grund war wohl, dass wir zu dieser Zeit nicht in Holland lebten, und keiner meiner Freunde erzählte mir das.

Hätte ihm das Buch gefallen?
Er hätte es geliebt und wahrscheinlich verfilmen wollen. Und ich hätte vermutlich gesagt: „Gut, warum nicht?“

Das beschreibt Ihre paradoxe Beziehung ganz gut: Sie konnten einander nicht leiden, dabei waren Sie politisch gar nicht so weit voneinander entfernt, etwa wenn es um Kritik des Islam geht.
Es gab einige Dinge, die wir ähnlich sahen, aber die Art, wie er seine Meinung äußerte, war unzivilisiert, viel zu aggressiv und oft widerlich. Ich muss gestehen, ich habe ihn nie getroffen und nie mit ihm gesprochen. Ich weiß also nicht, wie er wirklich wahr. Am nächsten kam ich ihm in meiner Vorstellung beim Schreiben dieses Romans.

Trotzdem gehen Sie in Ihrem Buch nicht besonders hart mit ihm ins Gericht. Er kommt eigentlich ganz gut weg.
Stimmt, ich habe völlig versagt in diesem Punkt. Ich habe wirklich versucht, ihn so schrecklich, hysterisch und hässlich wie möglich zu machen. Je mehr ich mich mit ihm beschäftigt habe, desto mehr begann ich, ihn und seine Verrücktheit zu mögen und zu verstehen, welche Person er gern gewesen wäre. Doch sein Selbstzerstörungstrieb stand ihm im Weg: Er trank zu viel, nahm Drogen und war sehr unglücklich in seinen Beziehungen. 

Auch Sie selbst spielen im Roman „Ein gutes Herz“ eine Rolle – als übergewichtiger, egozentrischen Autor mit langen Nasenhaaren, der von der weiblichen Hauptfigur stehen gelassen wird. Wieso sind Sie Teil des Romans, und wieso ist dieser Leon de Winter beinah verachtenswerter als Theo van Gogh?
Ich habe mich zum ersten Mal in einen Roman hineingeschrieben, und das lag nur an Theo. Ich wusste, wenn ich über ihn schreibe, kann ich mich nicht außen vor lassen. Ich hätte mich natürlich auch als James-Bond-artigen Kerl beschreiben können, das wäre auch lustig gewesen. Aber ich entschied mich anders. Ich brauchte einen Typen wie mich, der ein ziemlicher Kotzbrocken ist, kein angenehmer Kerl. Es war ein großer Spaß, diesen Charakter zu beschreiben, der zufällig meinen Namen trägt.

Das Leitthema des Romans ist, wieso junge Migranten zweiter, dritter Generation Terroristen werden. Im Buch hat das meist ganz persönliche, weniger religiöse Gründe.
Das war für mich bei der Recherche auch interessant: Es gibt fast immer persönliche Gründe, warum jemand so radikal wird. Es ist nie die religiöse Passion allein. Der Anführer der Terroristen im Buch tut alles aus Rache an seinem Vater, der ihn und die Familie als Krimineller im Stich gelassen hat. Dazu kommt, dass Terrorismus ein bisschen wie Rock’n’Roll ist: Du übst Gewalt aus, und das wird von einer Weltreligion legitimiert. Heutzutage darfst du kein Macho mehr sein, aber als radikaler Muslim darfst du gewalttätig und männlich sein. Das ist attraktiv für manche junge Männer. Sie können die Stars in ihren eigenen virtuellen Spielen sein.

Sie glauben also, dass die Krise des modernen Mannes dazu führt, dass junge Männer Terroristen werden?
Manche unserer Soldaten, die aus Kriegsgebieten heimkommen, leiden an einem posttraumatischen Stresssyndrom. Ich frage mich: Haben die Taliban das auch, wenn sie in ihre Dörfer zurückkehren, oder werden sie als Helden verehrt? Für manche, nicht alle, junge Männer ist es attraktiv, auf dem Schlachtfeld maskulin zu sein. 

Aber die Attraktion Krieg gab es doch schon immer.
Natürlich – und die Männer zogen in den Krieg und erlebten Solidarität in einem rein männlichen Umfeld. Diese Art von Kriegen gibt es nicht mehr – Gott sei Dank.

Protagonisten Ihrer Romane sind oft schwache, unentschlossene Männer. Sind die Männer wirklich so bemitleidenswert und unbeholfen?
Unsere modernen Sozialstaaten sind weiblich. Männliche Qualitäten, die wir mit Konkurrenzdenken oder Aggression verbinden, werden, so gut es geht, unterdrückt. Das ist primär gut, weil unsere Städte deshalb so sicher sind wie nie zuvor. Doch junge Männer wollen auf die Jagd gehen, Tiere töten und Abenteuer erleben. Das Einzige, was wir unseren jungen Männern heute geben können, sind virtuelle Spiele. Das Leben dieser Männer spielt sich heute vorwiegend in ihren abgedunkelten Zimmern ab, wo sie Computerspiele spielen. Junge Frauen sind einfach viel ehrgeiziger. Sie können den ganzen Tag in einem Klassenraum sitzen und sich konzentrieren, für Buben ist das Folter. Wir leugnen, dass es viele junge Männer gibt, die frustriert sind. 

Und was ist Ihre Lösung für dieses Problem?
Eine Lösung wäre, wieder getrennte Schulen einzuführen und Stundenpläne, die auf männliche Lernbedingungen Rücksicht nehmen. In dieser wundervollen Welt der Emanzipation und des Feminismus haben wir übersehen, dass Buben wirklich Buben sind und nicht Mädchen mit einem Problem.

Von welcher wundervollen Welt der Emanzipation sprechen Sie? Für junge Frauen beginnt spätestens bei der Familiengründung die Zeit, in der sie zurückstecken müssen.
Das leugne ich nicht. Niemand hat gesagt, dass das Paradies auf uns wartet.

Neben van Gogh und Ihnen kommen auch der Rechtspopulist Geert Wilders, der Amsterdamer Bürgermeister und Ihre Frau in Ihrem Buch vor. Was hat Sie gereizt, so stark Wahrheit und Fiktion zu trennen?
Am liebsten hätte ich nur reale Personen eingebaut, nur bei den Kriminellen wurde das ein bisschen gefährlich, also habe ich sie anders genannt. Und um Probleme mit meiner Frau zu verhindern, habe ich eine fiktive Freundin für Leon de Winter gefunden. 

Stimmt es, dass sich der (echte) Anwalt Bram Moszkowicz und seine Frau nach Erscheinen des Buches wirklich getrennt haben, wie Sie es im Buch vorhersagten?
Ja, sie hat ihn drei Monate nach der Veröffentlichung verlassen. Und es ist noch ein bisschen verrückter: Ich schrieb, dass sie eine neue Talkshow mit einem bekannten Moderator hat – vor zwei Wochen hörte ich, dass die beiden nun wirklich darüber reden. 

Steckbrief

Leon de Winter, geb. 1954, ist einer der bekanntesten Autoren der Niederlande. Seine Eltern überlebten den Holocaust. Werke: „Hoffmanns Hunger“, „Zionoco“, „Recht auf Rückkehr“ und zuletzt „Ein gutes Herz“. Er ist mit der Autorin Jessica Durlacher verheiratet, die beiden haben zwei Söhne. 

Lesung in Wien 
Leon de Winter ist Gast auf der Wiener Buchmesse (21.–24.11.) und liest am 22.11. im Rabenhof aus seinem jüngsten Roman. „Presse“-Kolumnistin Sibylle Hamann moderiert (20h, 15Euro).

Dieses Interview entstand im Rahmen von Eurotours 2013, einem Projekt der Europapartnerschaft, finanziert von der EU.
Infos: www.zukunfteuropa.at

 („Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 17.11.2013)

Phänomedial: Der E-Mail-Voyeurismus der Miranda July

Warum Miranda July E-Mails verschickt und was wir aus dieser Kunstinstallation im Posteingang lernen können.

Montag für Montag war sie in meinem Posteingang: eine E-Mail von Miranda July. Die herrlich verrückte US-amerikanische Autorin und Filmemacherin („Future“) hat 20 Wochen lang eine Mail an all jene verschickt, die auf der Webseite „We think alone“ darum baten. Was daran so speziell sein soll? Die E-Mails standen Woche für Woche unter einem anderen Motto und waren eine Sammlung elektronischer Briefe von mehr oder weniger bekannten Menschen, die nie dazu bestimmt waren, von irgendwem anderen gelesen zu werden als dem Empfänger. Das ist wie eine Kunstinstallation im Posteingang. Die Erfinderin und Hauptfigur von „Girls“, Lena Dunham, entschuldigte sich da etwa in Woche 18, die unter dem Motto stand „An email thats an apology“, bei einer Person, sie bei einer Party ignoriert zu haben. Wir wissen nicht, ob das ein mühsamer Fan, ein alter Schulfreund oder die Lektorin eines Verlages war und bei welcher Party sich Lena Dunham offenbar so daneben benommen hat. Der Leser bekommt nur einen kleinen Ausschnitt in eine moderne Briefkultur und darf sich dabei fühlen als würde er durch das Schlüsselloch ins Leben eines anderen Menschen blicken.

Miranda July kontert mit ihrem Digital-Projekt, das sie für das Stockholmer Museum Magasin 3 entwickelt hat, der „Ich gebe alles von mir preis“-Mentalität in sozialen Netzwerken: Ihre E-Mail-Schreiber offenbaren mit ihren digitalen Nachrichten, bei denen meist der Empfänger unkenntlich gemacht wurde, vermeintlich alles – und gleichzeitig nichts. Denn was hat der Leser davon, wenn er weiß, dass Schauspielerin Kirsten Dunst irgendetwas nicht fertig stellen konnte, weil sie ein Wochenende in New York und Atlanta verbrachte oder der israelische Autor Etgar Keret seine Lesetour canceln muss, weil er nicht aus Israel ausreisen kann? Vielleicht das tröstliche Gefühl, dass auch Drehbuchautorinnen, Hollywood-Stars und Basketball-Spieler wie Kareem Abdul-Jabbar Fehler machen, fluchen, einsam sind, hin und wieder Angst und jedenfalls immer wieder auch Computerprobleme haben. Miranda July sagt zwar, ihr E-Mail-Projekt erlaubte ihr endlich zu tun, was sie immer schon wollte: die E-Mails ihrer Freunde zu lesen und so ihren Voyeurismus zu befriedigen. Doch für den Social-Media-verwöhnten Leser sind diese Korrespondenzen beinahe langweilig: keine Fotos, keine Namen, keine Skandale (wobei, einen kleinen Skandal gab es doch, weil Lena Dunham in ihrem Mail über Geld preisgab, 24.000 Dollar für ein Sofa auszugeben). Es sind nur kleine, sehr gewöhnliche Notizen aus einem Leben, das zufälligerweise von einem bekannten Menschen gelebt wird.

Natürlich kann man Miranda Julys Newsletter auch als neue Form des Blogs interpretieren: eine Dosis fremdes Leben pro Woche, nicht so schillernd wie auf Facebook, nicht so altklug wie auf Twitter, ohne Pinterest-Bilder und Instagram-Filter -stattdessen ein paar schnell geschriebene Zeilen, mal ungeduldig, mal sehnsüchtig-sentimental, dann wieder distanziert oder sehr vertraut, meistens informell, nicht selten mit Rechtschreibfehlern und ohne Punktation. Vielleicht ist Miranda Julys Digital-Projekt eine simple Huldigung auf die ursprünglichste Kommunikationsform im Netz: die E-Mail. Oder als nicht besonders hintergründiger Protest gegen den US-Geheimdienst NSA, nach dem Motto: Lest doch unsere Mails, nichts darin ist wirklich von Bedeutung.

Eine kleine Randnotiz zum Schluss: Manche Dinge erfährt man einfach zu spät und kann sie daher auch nur spät mit anderen teilen. Ich selbst habe von Miranda Julys E-Mail-Newsletter erst vor einigen Wochen gehört und wollte mir zuerst ein Bild von der Sache machen, bevor ich darüber berichte. Ein anderer Blog ist dieser Tag online gegangen, der zumindest eine Zeit lang beobachtet gehört: Auf der Webseite der FAZ schreiben zwölf Autorinnen abwechselnd unter dem Titel „Ich. Heute. 10 vor 8“ über ihren Alltag. Darunter sind Autorinnen wie Annika Reich, Nora Bossong oder Elisabeth Ruge.

Kennen Sie noch andere Digital-Projekte wie Miranda Julys „We think alone“ oder lesenswerte, neue Blogs? Ich freu mich über Hinweise.  

Phänomedial: „Downton Abbey“ und der „Below-Stairs-Schick“

Oxford Diaries. Beobachtungen aus der britischen Medienwelt. Teil I: Wie die Briten das Leben im Untergeschoss entdecken.

Woran man erkennt, dass man in einem angloamerikanischen Land ist? Neben nicht funktionierenden Heizungen und viel zu viel nackter Haut, die man trotz Nieselregens und 10 Grad Außentemperatur zu Gesicht bekommt, in erster Linie an der leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Serien. Ich weile zwar nicht in der Wiege der TV-Serie, den USA, stelle aber fest, dass auch die Briten einen großen Hang zur Neverending Story am Schirm haben. Da prangt „Homeland“-Figur Bic Brody (Schauspieler Damian Lewis) auf dem Titelblatt des Wochenendmagazins des „Guardian“, nur wenige Tage davor, an einem ganz gewöhnlichen Mittwoch, bringt das Blatt in seiner täglichen Beilage „g2“ einen Schwerpunkt zur Krise der Seifenopern-Serie à la „East Enders“ oder „Coronation Street“ („Soaps are like printed newspapers or the British Monarchy – the only question is qhen they will do the equivalent of stopping the presses…“) und schon in der Früh um acht wird in einer BBC-Radioshow eine Stunde lang über die jüngste Folge von „Downton Abbey“ diskutiert als ginge es um den Ausgang der nächsten Parlamentswahlen.

Apropos „Downton Abbey“: Die Briten sind besessen von der Serie rund um die adelige Familie Cowley und deren Bedientesten. Sonntagabend um 21 Uhr läuft sie bereits in der vierten Staffel und ihren großen Erfolg verdankt sie auch der Tatsache, dass es in England keine „Am-Sonntag-schauen-wir-Tatort-Tradition“ gibt. Offenbar haben die Briten eine Welt wiederentdeckt, die trotz Monarchie und jüngster Baby-Prinz-George-Euphorie jahrzehntelang völlig verdrängt wurde: The Life Below Stairs, also das Leben im Untergeschoss. Unzählige Bücher erzählen vom zum Teil katastrophalen Leben der Dienstmädchen, Nannies und Butler bei wohlhabenden und aristokratischen Herrschaften. Aber nicht nur die Verlage sind auf den Below-Stairs-Schick aufgesprungen, auch die Einrichtungshäuser und Souvenierläden. 

Dort bekommt man nun Putz- und Küchenutensilien, die nicht einmal mehr die eigene Großmutter benutzt hat. Teppichklopfer, Scheuerbürsten und Staubwedel in Retro-retro-Optik sind genauso in wie Badeschüsseln, Puderdosen und Stecktücher. In den Souvenirläden diverser Paläste und Schlösser wurden ganze Abteilungen nach dem Motto „Below Stairs“ eingerichtet. Für die Briten ist die Serie mit all ihren Begleiterscheinungen auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Immerhin waren 1911 mehr als 1,3 Millionen Menschen in England und Wales „unter den Stufen“ als Bedienstete vor allem in Mittelstandsfamilien von Ärzten oder Rechtsanwälten tätig. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete die Dienstbotentradition für die Masse, nur mehr die sehr reiche oder sehr adelige Oberschicht leistete sich Angestellte – und tut es bis heute. 

„Downton Abbey“ trägt also dazu bei, dass sich die Briten an ihre Groß- und Urgroßeltern erinnern und die Nostalgie führt stellenweise sogar dazu, dass die Landflucht kurzzeitig gestoppt wird. Zumindest im 2500-Seelen-Ort Bampton in West Oxfordshire wollen die Jungen plötzlich lieber in der Heimat bleiben. Hier wird der Großteil von „Downton Abbey“ gedreht, was die Grundstückspreise rasch steigen ließ. Eine weitsichtige Immobilienfirma hat im Frühjahr mehrere Grundstücke gekauft und will dort schnell bis zu 300 neue Häuser errichten, die günstiger als die bestehenden sein soll.

Diese Identifikation mit einer Serie ist für Österreicher mitunter schwer vorstellbar. Den Ort „Braunschlag“ gibt es gar nicht, somit kann niemand dort hinziehen, wobei das vermutlich ohnehin keiner wollen würde. Und auch von einer massenhaften Übersiedlung nach Kaisermühlen Ende der 1990er-Jahre ist mir bis heute nicht bekannt. Die liebste Serie der Österreicher war damals aber der gleichnamige „Blues“. 

Hinweis: Seit 10. Oktober darf ich dank dem Alfred-Geiringer-Stipendium der Austria Presse Agentur ein paar Monate in Oxford am Reuters Institute for the Study of Journalism studieren und neue Ideen sammeln. Hier möchte ich in den kommenden Wochen meine Erlebnisse und Erfahrungen teilen.

„Knoi“: Dieses Buch glaubt an sich

Rezension. Die Figuren in „Knoi“ sind ähnlich verzweifelt und verbittert wie in Braunschlag. David Schalko hat ein Anti-Beziehungsbuch mit Krimi- und Science-Fiction-Elementen geschrieben.

Es gibt da diesen Elektrotrack von einem deutschen DJ, schon einige Jahre alt, dennoch unvergessen. Er heißt „Dieses Lied glaubt an sich“, und tatsächlich entfaltet das zunächst leise und monoton stampfende Elektrostück erst im letzten Drittel, genau genommen bei Minute 4:05, sein volles Klangspektrum. Auch über David Schalkos jüngsten Roman „Knoi“ ließe sich sagen: „Dieses Buch glaubt an sich“. Denn obwohl auf den ersten Seiten die wichtigsten Figuren und der Name des Buches erklärt werden, braucht der Leser, bis er in diese verschachtelte, fast surreale Geschichte findet, in der Personen plötzlich auftauchen und wieder verschwinden, andere mehrere Namen oder Fantasienamen haben. Erst spät beginnt der Plot, einen mitzureißen. 

Knoi, Zonz, Waks und Faha – das sind die fantasievollen Bezeichnungen, die der etwas merkwürdige Bub Max seinen Eltern und deren engsten Freunden gibt. „Lutz sei eben ein Waks, Rita eine Faha und Jennifer eine Zonz“, heißt es da. Unweigerlich fühlt man sich bei der Beschreibung des titelgebenden Knoi (eigentlich Hauptfigur Jakob) an den Autor erinnert: „Ein Knoi war ein freundliches Wesen, das stets von einer gewissen Müdigkeit geplagt wurde.“ David Schalko sprach schon öfter über seine Müdigkeit in Interviews. Wer sich erst einmal, mit Stift und Zettel ausgerüstet, einen Überblick verschafft hat über die Protagonisten und deren Fantasienamen, der taucht in ein Labyrinth aus Beziehungen zwischen zwar schrägen, in ihrer Schrägheit aber äußerst realistischen Personen ein.

Beziehungswirrwarr

Da ist Jakob (oder eben Knoi), der vom Schreibtisch aus Reiseführer schreibt und früher mit Rita zusammen war, jetzt aber mit Jennifer liiert ist, die seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Rita, „die nie bei sich selbst wohnte, sondern immer bei jemandem anderen“, hat sich den egozentrischen Zahnarzt Lutz ausgesucht, der gern gesunde Zähne anbohrt und noch lieber mit betäubten Frauen schläft. Max, der gemeinsame Sohn, erfindet nicht nur Fanatasienamen, sondern auch eine imaginäre Hündin namens Luise. Bis die eines Tages tot ist. Weiters gibt es Eltern, die vor Gleichgültigkeit die Abwesenheit ihres zwar erwachsenen, aber immer noch Sohnes nicht bemerken. Paartherapeutinnen, die sich in ihre männlichen Klienten verlieben, und verlassene Ehefrauen, die an schwerer Lichtkrankheit leiden. Eine Rolle spielt auch der kleine Ort Rohrbach, der an David Schalkos fiktiven Serienort Braunschlag erinnert. So wie die Figuren aus „Knoi“ in ihrer Verzweiflung und Ich-Bezogenheit, ihrer Sehnsucht nach der ewigen Liebe in einer weiteren Staffel der Serie gar nicht auffallen würden, so gut würden sie dorthin passen.

„Knoi“ ist das bisher anspruchsvollste Buch von David Schalko. Dabei lebt es weniger von der Geschichte, die gegen Ende hin auch kriminalistische Elemente enthält, als von seinen fein gemeißelten Sätzen, die Beziehungsdilemmata und Verhaltensmuster treffend auf den Punkt bringen. Jakobs Eltern etwa werden so beschrieben: „Die Köpfe haben sie geschüttelt. So wie sie ihr Leben lang die Köpfe geschüttelt hatten. Zuerst über die eigene Existenz, dann über die der anderen […].“ Keine Beziehung ist hier perfekt, keine Figur sympathisch – nicht einmal das Kind Max ist liebenswürdig. In vielen Sätzen schwingt Zynismus mit, ein Stil, der an die Werke der deutschen Autorin Sibylle Berg erinnert.

Doch völlig hoffnungslos sind Schalkos Figuren nicht. Solange es „Zazu“ zwischen ihnen gibt. Wieder ein Fantasiewort, das die Schwingungen zwischen Menschen beschreiben soll. Zazu ist wie der Kitt, der zwei Menschen zusammenhält. Erst wenn es sich verflüchtigt, sind sie einsam und allein. Doch selbst im Gefängnis kann man Händchen halten und lieben. Im Grunde ist ganz egal, wen, solange man sich selbst sein eigenes Festland bleibt, wie die Figuren feststellen. Ein verrücktes, ein verwirrendes Buch, aber eines, das wie der Elektrotrack von Oliver Koletzki in Erinnerung bleiben wird.

Termin: Buchpräsentation am Do, 26.9. mit David Schalko, den Musikern Kyrre Kvam, Florian Horwath und Schauspieler Manuel Rubey. Rabenhof, 20 h, 15 Euro.

David Schalko: „Knoi“. Verlag Jung und Jung, 271 Seiten, 22 Euro.

(„Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 22.09.2013)

Phänomedial: Klassentreffen in Berlin

headerphaenomedial_1365065982562208 Jedes Jahr das selbe Szenario: im Mai ist der Terminkalender voll mit Medienpreisen und -tagungen. Das liegt in erster Linie am Tag der Pressefreiheit (3. Mai). Der wird in Österreich stets mit Preisverleihungen (Concordia Preise) und Verlegertagungen (VÖZ) begangen, während uns Reporter ohne Grenzen daran erinnert, wie gut es Journalisten in unseren Breiten im Vergleich zu anderen Ländern geht.

Danach folgt nahtlos der European Newspaper Congress. Auch heuer sind ab 5. Mai einige hundert Journalisten aus ganz Europa in Wien und sprechen über Zukunftstrends der Branche. Wobei man sagen muss: Die Themenvielfalt der letzten Jahre lässt etwas zu wünschen übrig. Auch heuer wird wieder über Tablet-Trends gesprochen und u.a. „Die Zeit“ vorgestellt. Als ob es da noch viel zum Vorstellen gäbe. Das spannendste Panel dürfte jenes am Montagvormittag werden, bei dem „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters, „FAZ“-Geschäftsführer Tobias Trevisan mit Ex-„Presse“-Chef Michael Fleischhacker und „Kurier“-Chef Helmut Brandstätter darüber diskutieren, wie sich Medienhäuser in Zukunft finanzieren werden. Gerne hören würde ich auch den Vortrag von Emily Bell, Professorin an der Columbia Journalism Graduate School in New York, über das Ende der Nachrichtenindustrie und ihre These, was danach kommt. 

Montag ist Österreicher-Tag

Allerdings werde ich da schon auf dem Weg nach Berlin sein, wo am Montag das Klassentreffen der Internetgemeinde, die Re:publica beginnt. Erfreulich, dass auch einige Österreicher auf der dreitägigen Digitalmesse vortragen: Digital-Stratege Yussi Pick erzählt Montagnachmittag, was wir von den USA-Wahlkämpfen lernen können und die beiden Wiener Kommunikationswissenschaftler und Autoren der ersten Twitter-Politik-Studie Axel Maireder und Julian Ausserhofer analysieren ein paar Stunden später das Verhältnis von Twitter und Politik. Jus-Student Max Schrems spricht am Mittwoch über seinen Datenschutz-Kampf gegen Facebook.

Dass Sascha Lobo auch heuer wieder einen Überraschungsvortrag halten darf, spricht für sein hervorragendes Verkaufstalent, aber auch dafür, dass sich in der deutschsprachigen Internetgemeinde bisher keine ähnlich schillernde und polarisierende Identifikationsfigur gefunden hat. Neugierig bin ich trotzdem, worüber der Mann mit dem roten Irokesenschnitt und Schnauzbart diesmal sprechen wird. Auf spiegel.de kann man übrigens seinen Vortrag aus dem Vorjahr nachschauen. Weitere prominente Gäste unter den 450 Vortragenden sind u.a.: die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez und die britische Bloggerin und Autorin Laurie Penny (zuletzt erschien die feministische Dialektik „Fleischmarkt“, sie wird über „Cyber Sexim“ sprechen) und die isländische Piratenpartei-Chefin Birgitta Jénsdóttir – was auf die erfreuliche Tendenz hinweist, dass der Anteil an Frauen unter den Vortragenden bei der Re:publica im siebenten Jahr deutlich gestiegen ist.

Beim Klicken durch das Programm verliert man schnell den Überblick, nicht selten sind zeitgleich mehrere Vorträge, die mich interessieren. Jedenfalls nicht verpassen möchte ich:

* den Doppelvortrag der Kulturwissenschaftler Mercedes Bunz und Dietrich Diederichsen: „Immer dieses Internet“ (Mo, 17.30 – 18.30 Uhr., Stage 2)

* Die Diskussion „Ohne Jauch gehts auch“ zur Zukunft der Talkshow (Dienstag, 20 – 21 Uhr, Stage 1)

* Die Diskussion „Digital by Default – Digital Natives im Journalismus“ mit den Online-Chefs von u.a. Süddeutsche.de, Spiegel.de (Mittwoch, 16.15 – 17.15 Uhr, Stage 2)

Schräg-interessant klingt auch der Vortrag von Politikberaterin Teresa Bücker: „Der Montag liebt dich“, die Session von Web-Entwickler Felix Schwenzler: „10 Vorschläge, um die Welt zu verbessern“ und der Vortrag über „Cat Memes“ von der Social Media Beraterin Kate Miltner.

Zwei Nachlesen zum European Newspaper Congress. Einmal positiv und einmal nachdenklich:

Zuerst zum Positiven: „Die Presse am Sonntag“ hat gleich zwei Preise beim diesjährigen Newspaper Congress abgeräumt. Einen für die Jubiläumsausgabe im März 2012, für die Gastchefredakteur Tobias Moretti zuständig war. Und einen in der Kategorie „Alternative Storytelling“ für eine Doppelseite über Qualitätsserien, die mein Kollege und Filmkritiker Christoph Huber gemeinsam mit dem Feuilleton gestaltet hat. Gratulation!

Da ich diesmal nicht persönlich dabei war, lese ich mit Spannung Erfahrungsberichte anderer. Gerade ist mir jener eher triste Bericht vom enc13 von Petra Sorge untergekommen, die den Kongress für Cicero-online besucht hat und festgestellt hat, dass die Zeitungsbranche noch im Gestern verharrt. Ihr Vorschlag: Man hätte die Besucher des Newspaper Congress zur Republica schicken sollen und umgekehrt. 

 

Phänomedial: Kommt jetzt die deutsche HuffPo?

headerphaenomedial_1365065982562208 „Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde“ – dieses Zitat des griechischen Mathematikers Archimedes hat Ariana Huffington Mittwochabend via Twitter gepostet. Beinah zeitgleich hat das deutsche Branchenmagazin „Horizont“ ein Gerücht gestreut.

Es sehe nämlich so aus, dass die deutschsprachige Ausgabe des Online- und Bloggerportals „Huffington Post“ nun bald Realität werden könnte. Vielleicht hat Arianna Huffington, die Gründerin und Chefin mit dem Archimedes-Zitat versteckt andeuten wollen, dass sie und ihr Team weiter daran arbeiten, „die Erde zu bewegen“. Nicht sehr wahrscheinlich, das stimmt. Aber der Zufall ist zumindest erwähnenswert.

Schon seit zwei Jahren sucht das in den USA durchaus erfolgreiche Webprojekt (mit rund 44 Millionen Lesern pro  Monat) einen deutschen Partner. Internationale Ableger der rein werbefinanzierten Seite gibt es seit 2011 bereits in Kanada, England und Frankreich, 2012 kam auch eine spanischsprachige Ausgabe dazu. Die französische HuffPo leitet übrigens Anne Sinclai, die aparte Frau von Dominique Strauss-Kahn. Nur in Deutschland war die Suche nach einem Geschäftspartner bisher äußerst zäh. Das liegt laut Experten vor allem daran, dass die Marke HuffPo im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannt ist und erst mit viel Marketingbudget bekannt gemacht werden müsste. 

Horizont.net will nun erfahren haben, dass die Digitaltochter von Burda, Tomorrow Focus (ToFo), die deutsche „HuffPo“ vermarkten wird. Und immerhin hat das Unternehmen eine ähnlich eingängige und kurze Abkürzung. Es sei jedoch völlig unklar, ob es bei der Vermarktung bleibe oder ob die Konzernschwester Burda auch gleich die Redaktion übernehmen werde, schreibt Horizont.net. Bisher sollen sich bereits Axel Springer und Bertelsmann/Gruner+Jahr für die HuffPo interessiert haben. Doch die Angst, den eigenen Nachrichtenportalen damit zu große Konkurrenz zu machen, hatte offenbar überwogen. Es wird spannend, ob sich der eher im Klatsch („Bunte“), TV- und Illustrierten („Superillu“)-Bereich etablierte Burda-Verlag auf so ein nachrichtenfokussiertes Internetmedium einlässt.

Nachtrag: Nur wenige Tage nachdem der deutsche Horizont das Gerücht über den Start der deutschen „Huffington Post“ gestreut hatte, wurde es bestätigt. Aus dem Gerücht wurden Tatsachen: Die Burda-Tochter Tomorrow Focus und die „Huffington Post“ machen gemeinsame Sache. Anregungen zu meinem Blogeintrag gabs übrigens auch: Der Burda-Verlag sei durchaus logischer Partner für den deutschen „HuffPo“-Start. Einerseits weil er bereits das Blogportal Science-Blogs.de betreiben, Erfahrung im Blogwesen gäbe es also, meinte @fatmike182 auf Twitter. Und Eco-Kollege Nikolaus Jilch findet sowieso, dass die „Huffington Post“ ein reines Boulevardmedium ist, der Weg zu Burdas bunten Gazetten sei da ja wohl nicht weit

Phänomedial: Die Sache mit Katja Riemann

headerphaenomedial_1365065982562208 Zufälle gibt’s: Da schau ich mir Samstagabend den Fernsehfilm „Verratene Freunde“ mit dem etwas überschätzten Heino Ferch, dem herausragend guten Matthias Brandt (ja, der Sohn von SPD-Politiker Willy Brandt) und der aufbrausenden Katja Riemann an – und am nächsten Morgen, beim Frühstück, blickt mir aus allen deutschen Sonntagszeitungen das Gesicht der blond gelockten Riemann entgegen. Weil sie nämlich unlängst Gast in einer deutschen Vorabend-Show war. Riemanns künstlerischen Weg habe ich zuletzt ein bisschen aus den Augen verloren, nach dem verrückten Knastausreißer-Film „Bandits“ (Wer erinnert sich noch an die trotzige Interpretation des Volksliedes: „Wenn ich ein Vöglein wär, …“ durch die vier Damen Jasmin Tabatabei, Nicolette Krebitz, Jutta Hoffmann und eben Riemann?) in mein Herz geschlossen. Auch in der Verfilmung von Erica Fischers Roman „Rosenstraße“, einer Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen während der Nazizeit, hat sie mir gefallen.

Aber gut, zurück zur aktuellen Geschichte: „DAS!“ auf dem Regionalsender NDR muss eine Fernsehshow sein, die irgendwo zwischen „Vera“ und der Jahreszeiten-Vorabendshow auf ORF 2 liegt. Belangloser Quatsch, aufgehübscht mit berühmten Gästen. Riemann war da also bei Hinnerk (Was für ein Name!) Baumgarten zu Gast am roten Sofa – und zeigte von Anfang an ihren Unwillen, bei dieser etwas seichten, schleimigen Plauderei einzusteigen. Anlass für ihren Besuch war ihre Rolle in der aktuellen Verfilmung des Bernhard Schlink-Romans „Das Wochenende“, in dem es um einen RAF-Terroristen geht, der sein erstes Wochenende nach der Haft bei seinen früheren Freunden verbringt. Da spielen auch Tobias Moretti und Sebastian Koch mit. (Schlink ist übrigens Jurist und hat auch den sehr bekannten, ebenfalls verfilmten Roman „Der Vorleser“ geschrieben).

„DAS!“-Moderator Baumgarten fragte also, wie es sein kann, dass die blondgelockte Riemann in dem Film eine Frau mit glatten, dunklen Haaren spielt und war baß erstaunt über die einfache Erklärung „Das war eine Perücke“ . Als er sie später fragte, ob sie so abhängig von einem Mann sein könnte wie die Frau, die sie in dem Film „Verratene Freunde“ spielt (eben jener Film, den ich Samstagabend in der Arte-Mediathek nachschaute), sagte sie: „Haben Sie diese Frage jetzt im Ernst gestellt?“ Und den kurzen Einspieler über ihre Heimat, in dem auch eine ihrer früheren Lehrerinnen zu Wort kam, nannte sie „wahnsinnig peinlich“. Sie wisse gar nicht, was sie darauf sagen soll, es sei ihr so unangenehm, dass da Menschen dazu gezwungen wurden, etwas über sie zu sagen. Der Moderator war offensichtlich überfordert mit der Situation, die 45-minütige Sendung eigentlich nicht mehr zu retten.

Nachkritik am Wochenende

Am Wochenende wurde dann Nachkritik gemacht: „Bild“ und „Spiegel“ empörten sich über Riemanns Verhalten, es gehöre nun einmal dazu, wenn man PR für einen neuen Film, ein Buch oder eine CD wolle, dass man dumme Fragen beantworten müsse. Die „Welt am Sonntag“ zeigte sich eher belustigt über die Posse und erinnerte bloß daran, dass Riemann schon öfter die Kratzbürstige gegeben hatte. Treffend resümierte Johanna Adorjan in der „FAS“: „Ich habe nicht gesehen, dass sich Riemann in irgendeiner Form daneben benommen hat. Sie hat sich nur nicht an die Vereinbarung gehalten, die da lautet: ‚Wir bei DAS (und bestimmt nicht nur hier) machen voll verblödetes Fernsehen für all die voll verblödeten Leute, die sich das ansehen.'“ 

Die lachende Alexa Henning von Lange

Ich musste an „Willkommen Österreich“ denken, weil dort ja auch immer berühmte Persönlichkeiten hinpilgern, um ihre neuesten Erzeugnisse zu bewerben. Meistens ergibt sich daraus ein ganz lustiges Gespräch, weil die Moderatoren Grissemann und Stermann sich und die Gäste nicht besonders ernst nehmen und nie mehr Zeit als zehn Minuten pro Gast einplanen. Aber einmal, da war bei ihnen auch eine deutsche Dame zu Gast, die einfach keine Antworten auf ihre Fragen geben wollte: die deutsche Autorin Alexa Henning von Lange („Peace“). Auf jede Frage antwortete sie mit einem lauten, hysterischen Lachen, wenn sie unterbrochen wurde, sagte sie: „Ihr hört nicht zu“ und nach wenigen Minuten resümierte sie: „Diese Unterhaltung ist extrem konfus“, legte dann aber nach: „Ich liebe dieses Gespräch“. Grissemann nannte sie irgendwann freundlich „wirr“ – und sie seufzte auf die Frage „Was hast du zum Geburtstag bekommen?“: „Ah, schöne Fragen“. Der Höhepunkt war, als sie erzählte: „Ich habe einen Freund“. Pause. „Wie heißt er noch?“ Insgesamt war das dennoch eine der unterhaltsamsten Sendungen von „WÖ“.

YouTube-Hit Katja Riemann

Dagegen war die Sendung mit Katja Riemann wirklich eine Qual. Trotzdem schließe ich mich Adorjans Analyse in der „FAZ“ mit einer kleinen Einschränkung an: Gut, dass Riemann direkt – und offenbar live – Kritik geübt hat. Sie hatte offenbar Lust, mit dem Moderator wie mit einem flüchtigen Bekannten auf einer Party zu diskutieren – leider war der darauf nicht vorbereitet. Nach etwas Kalkül riecht die ganze Aktion aber schon: Nun ist Riemann, gerade mit einem neuen Kino- und einem TV-Film on Air, wieder in aller Munde. Der Mitschnitt der „DAS!“-Sendung wurde auf YouTube bis Sonntagabend 150.000 Mal angeklickt. Lassen wir noch einige Tage vergehen, dann sind es wahrscheinlich deutlich mehr Klicks als die NDR-Sendung Zuseher hatte. Der Schauspielerin kann das nur Recht sein.

Nachtrag vom 29.3. (für alle, die das Thema noch interessiert): Der Shitstorm, in den Katja Riemann nach ihrem TV-Auftritt geraten war, hatte eine solche Heftigkeit erreicht, dass die gute Dame ihre Facebook-Seite und die Kommentarfunktion auf ihrer Webseite sperren und eine Erklärung vorlegen musste. Darin gab sie ihr Erstaunen über die Reaktionen auf das Interview zum Ausdruck und entschuldigte sich indirekt: „Ich habe wahrhaft bessere Interviews gegeben. It needs two to Tango, das ist klar!“. Das deutsche Feuilleton beruhigte sich tagelang nicht und fand viel Für und weniger Wider zu diesem Medienskandälchen. Interessierten sei hier noch der Kommentar von Stefan Niggemeier im „Spiegel“ (nr. 13/25.3.2013 – gibts leider nicht online) empfohlen, in dem er erklärte, wieso es ihm leid tut, dass er mit seinem Blogeintrag und dem Zusammenschnitt „die falsche Debatte“ ausgelöst hat: „Das habe ich nicht gewollt. Das habe ich aber auch nicht kommen sehen.“ Ein interessanter Aspekt stand da auch drin: Veronica Ferres saß einen Tag nach Riemann auf dem „DAS!“-Sofa und ließ sich bereitwillig von Hinnerk Baumgarten befragen.

„Sie hatte einen schlechten Tag“

Bei einem Interview mit Claudia Stöckl für die Jubiläums-„Presse am Sonntag“ zum vierten Geburtstag am vergangenen Sonntag habe ich – auf Wunsch von Gast-Ressortleiter Hubert von Goisern – Ö3-Frühstückerin gefragt, wie sie den Riemann-Auftritt fand – und das hat sie geantwortet:

Verstehen Sie die Reaktion von Katja Riemann auf die teilweise platten Fragen in der Talkshow „DAS!“?
Claudia Stöckl: Nein, ich verstehe die Reaktionen nicht wirklich. Katja Riemann ist ein Profi – und der Moderator hat nach der Frisur-Frage, die vielleicht kein guter Einstieg war, gleich nach der Definition ihrer Rolle gefragt. Er hat also alles getan, um ihr sofort die Möglichkeit zu geben, PR für ihren Film zu machen. Es ist selten, dass Medienprofis ihres Kalibers sich durch die Fragen des Gegenübers so aus dem Konzept bringen lassen, die meisten erzählen, was ihnen wichtig ist, egal was gefragt wird. Sie hatte offensichtlich einen schlechten Tag.

Wie würden Sie reagieren, wenn ein Gast eine solche Abwehrhaltung einnimmt?
Ich habe das alles schon erlebt. Ben Becker hat mich bei unserem Frühstück öfter darauf hingeweisen, dass ich die falschen Fragen stelle; Nena war unglücklich, als ich zu sehr nach ihrer Mutterrolle fragte und wollte abbrechen und Lena Meyer-Landrut hat meistens „Kein Kommentar“ auf verschiedenste Fragen gesagt. Ich habe gelernt das Interview, so genug Material vorhanden, so zu spielen wie es war und mich möglichst nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Wie man am Riemann-Beispiel sieht, sorgt eine Talksendung auch mit unbeantworteten Fragen für Gesprächsstoff – und warum sollen die HörerInnen nicht auch wissen, dass es schwierige Interviewpartner gibt oder diejenigen, die einen als unvobereitet oder unpassend empfinden? Es ist auch interessant auf welche Seite sich die Hörerschaft schlägt, meistens polarisieren Begegnungen dieser Art extrem.

War der Fragestil von Hinnerk Baumgarten in Ordnung? (Es ging u.a. um ihre Frisur in einem neuen Film)
Ja ich fand seine Fragen sehr in Ordnung. Was ist so schlimm nach einer Frisur in einem Film, die komplett anders ist als im Leben, zu fragen? Warum muss das Match lauten: wie stelle ich dich, den Fragesteller, bloß? Man kann ja höflich, lustig oder kurz darauf antworten – sonst war die Sendung mit Zuspielungen gewissenhaft vorbereitet, allerdings war da die Stimmung schon unter dem Nullpunkt.

Und hier gibts das komplette Interview mit Stöckl.

Einzelkinder: Geboren für Reihe eins

Erich Kästner und Jean Paul Sartre, Robert Musil und Elfriede Jelinek – viele berühmte Schriftsteller, Astronauten und Journalisten sind Einzelkinder. Sie erzählen uns von ihren guten und schlechten Erfahrungen.

16.02.2013 | 18:22 |  von Anna-Maria Wallner (Die Presse)

Einzelkinder sind nicht mehr oder weniger berühmt als Geschwisterkinder. Wer das behauptet, ist so ernst zu nehmen wie einer, der mit Marilyn Monroe, Marlene Dietrich und Madonna zu beweisen versucht, dass nur blonde Frauen Karriere im Showbiz machen. So wie auch braunhaarige Schauspielerinnen und schwarzhaarige Sängerinnen Erfolg haben, so werden auch Zweitgeborene oder Nesthäkchen berühmte Autoren, Regisseure oder Wissenschaftler. Trotzdem fallen Einzelkinder gerade in der Literatur häufig auf – zumindest dann, wenn sie wie Elfriede Jelinek darüber schreiben.
Eine kleine Umfrage unter Feuilletonkollegen ergab, welches das berühmteste Einzelkind unter den berühmten Einzelkindern ist: Jean-Paul Sartre. Der Existenzialist galt sein Leben lang als „typisches Einzelkind“. In seiner 1964 erschienenen autobiografischen Schrift „Les Mots“ („Wörter“) erinnert er sich an seine Kindheit: „Es genügt, dass ich eine Tür aufmache, um selbst das Gefühl zu haben, ich vollzöge eine Erscheinung.“ Doch Sartre ist nicht nur Einzelkind, er ist vaterlos und wächst mit seiner Mutter Anne-Marie bei deren Vater Charles, also seinem Opa, auf. Ein promovierter Deutschlehrer, den seine eigenen Kinder langweilten, der aber den Enkel abgöttisch liebt. Abgeschottet von der Außenwelt erlebt Sartre seine Kindheit als permanente Berufung zum Wunderkind. 

Die dominante Mutter. Eine Kindheit allein mit der Mutter oder zumindest stark geprägt durch die Mutter erlebten auffallend viele spätere berühmte Schriftsteller: Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek etwa litt sehr unter der strengen Hand ihrer Mutter, die sie zur Hochbegabung drillte, was Jelinek in ihrem Roman „Die Klavierspielerin“ verarbeitete. Die deutsche Frauenrechtlerin Alice Schwarzer wuchs als Einzelkind bei den Großeltern auf, ihre junge Mutter war für sie eher wie eine Schwester – doch für Schwarzer war, wie in ihrer 2011 erschienenen Autobiografie „Lebenslauf“ zu lesen ist, das Dasein als Solokind überhaupt kein Problem.
Einzelkind war auch Erich Kästner. Und Robert Musil, den das nicht hinderte, in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ eine erotische Geschwisterliebe zwischen Ulrich und Agathe zu beschreiben. Auch der vorletzte Literaturnobelpreisträger, der Lyriker Tomas Tranströmer, ist Einzelkind, was die Theorie unterstreicht, dass Kinder ohne Geschwister häufig in schreibenden oder wissenschaftlichen Berufen landen, weil sie sich allein beschäftigen müssen und früh eine Vorliebe für Lesen und Schreiben entwickeln.

Von Elvis bis Heike Makatsch. Natürlich finden sich auch außerhalb der Literatur berühmte Solokinder: Staatsmänner wie Alexander der Große, Franklin D. Roosevelt, Jimmy Carter, Wissenschaftler wie der österreichische Physiker Erwin Schrödinger, Stars wie Elvis Presley. Die Schauspielerin Heike Makatsch schrieb in einem Essay für das Magazin „Neon“: „Alles, was ich während meines Heranwachsens getan habe, geschah unter genauer Observation meiner Eltern. Meinen Exklusivstatus hätte ich gerne für einen unprätentiösen Platz in einem größeren Familienverbund aufgegeben.“ Eine andere öffentliche Person, die Chefin der Bayreuther Festspiele Katharina Wagner, wiederum hat ihre Kindheit offenbar genossen: „Ich wurde als Kind ganz normal behandelt, war aber als Einzelkind viel unter Erwachsenen, das fand ich nicht befremdlich. Eher fand ich es eigenartig, unter Kindern zu sein.“

Einzelkinder im Weltall. Eine wirklich amüsante Häufung von Einzelkindern gab es in den 1960er-Jahren in der Nasa. Gleich alle drei Besatzungsmitglieder der Apollo 8 waren Solokinder, was die „New York Times“ 1968 zu folgender Überschrift veranlasste: „Each Astronaut is an Only Child.“ Und tatsächlich waren 21 von 23 Apollo-Astronauten Einzelkinder. William Anders, eines der Apollo-8-Mitglieder, sagte damals: „Ich glaube, ich wäre nicht da, wo ich heute stehe, wenn ich kein Einzelkind wäre.“ Die „New York Times“ resümierte damals: Einzelkinder wollen besonders hoch hinaus – und die meisten von ihnen würden das auch schaffen.

Geschwisterhass. Übrigens auch Geschwisterkinder lassen uns an ihren Erfahrungen mit ihren Brüdern und Schwestern teilhaben. Wie „Die Zeit“ 2011 erinnerte, beschrieb Regisseur Ingmar Bergman, zweites von drei Kindern, die Geburt seiner jüngeren Schwester so: „Eine fette, missgestaltete Person spielt plötzlich die Hauptrolle. Ich werde aus dem Bette meiner Mutter vertrieben, mein Vater strahlt angesichts des brüllenden Bündels“.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 17.02.2013)

Phänomedial: Warum wir jetzt bloggen!

phaenomedialdritterversuchEigentlich sind wir viel zu spät. Die Zeit der Blogs ist vorbei, behaupten deutsche Medienexperten. Aber vielleicht reizt uns gerade das.

Eigentlich sind wir viel zu spät. Die Zeit der Blogs ist vorbei. Das behaupten zumindest einige deutsche Medienexperten und Medien, die ein solches Krisengerede gerne aufnehmen und weitertragen. Aber vielleicht reizt uns gerade das: Wir fangen an, wenn alle anderen schon wieder aufhören. Wir legen los, wenn allen anderen der Atem ausgegangen ist.

Wer wir sind? Heide Rampetzreiter, Maciej Palucki und Anna-Maria Wallner. Drei Redakteure von „Die Presse“ und DiePresse.com, die Online wie auch Print für die Bereiche Medien und Kultur verantwortlich sind. Die den größten Teil des Tages vor ihren Bildschirmen sitzen und dort Webmedien und soziale Netzwerke beobachten, den Datenstrom filtern, der via Nachrichtenagenturen und Onlinemedien hereinkommt. Wenn unsere Augen danach  nicht völlig müde vom Bildschirmstarren sind, geht es zu Hause weiter: Livediskussionen und Filme schauen, nebenbei twittern, die neuesten Spielfilme oder Dokumentationen auf Presse-DVDs sichten, Blogs und Bücher lesen oder die neuesten Folgen der aktuellen Lieblings-Serie (am besten im Original) konsumieren.

Wenn im hektischen Alltag noch Zeit bleibt, wollen wir in Zukunft hier unsere Beobachtungen aus dem Mediendschungel aufschreiben. Kleine Notizen aus der Branche, Kritiken über neue Printprodukte, Blogs, Sachbücher oder TV-Sendungen, Phänomene aus der Medienbranche.

Die Debatte über die Blogs in der Krise, die Anfang des Jahres von dem deutschen Journalisten und Autor Eric Kubitz ins Rollen gebracht worden war, war dann übrigens ebenso schnell wieder zu Ende wie sie begonnen hatte. Natürlich gab es einige empörte Blogger, die wortreich dagegen protestierten, das Blogwesen sei in der Krise, weil Google weniger oft auf Blogs verweise und Twitter oder Google+ viele User animieren würden, direkt Informationen und Kommentare zu verbreiten. Was wir aus der Netz-Debatte gelernt haben? Solche selbstreferenziellen Diskussionen gehören in einem nicht gerade uneitlen Gewerbe dazu. Seit dem ersten großen Blog-Hype 2003 sind viele digitale Chronisten mit ihren Plattformen eingegangen, viele neue dazugekommen, aber vor allem: die meisten noch immer putzmunter und lebendig. Nicht selten werden berühmte Journalisten wie Theodor Herzl (wie von „ZiB“-Anchor Armin Wolf in der gleichnamigen Vorlesung im Frühjahr 2012 erwähnt) oder Karl Kraus als Paradebeispiele für unabhängige, unkonventionelle Schreiber herangezogen, die, würden sie heute leben, vermutlich Blogger wären.

Lange Rede, kurzer Sinn: „Blog is Pop“, wie Blogger Thomas Gigold von Medienrauschen zur Blogdebatte im Jänner meinte. Wir haben was zu sagen und deswegen legen wir jetzt los.