„Und so bleibt Euer Toni der Größte“

Der Boulevard, vor allem die „Krone“, schießt scharf gegen die Medien, die den Akt Toni Sailer aufrollen.


Eine Lanze will der Schriftsteller und Polen-Kenner Martin Pollack für den 2009 verstorbenen Toni Sailer nicht brechen. Doch an dem von „Standard“, Dossier und Ö1 veröffentlichten Akt zum Vergewaltigungsskandal im polnischen Zakopane 1974 mache ihn etwas „stutzig“, schreibt er. Dass sich die aufwendig recherchierte Geschichte „vor allem auf polnische Unterlagen aus jener Zeit beruft“, rieche für ihn „verdächtig nach dem polnischen Geheimdienst“, der dem Skistar vielleicht eine Falle gelegt hat. Bemerkenswert ist, wo Pollack das schreibt, schreiben kann: auf der Gastkommentarseite des „Standard“. So geht man mit fundierter Kritik und Zweifeln an einer lang zurückliegenden Sache um, bei der die meisten Beteiligten tot sind.

Wie man nicht damit umgeht, zeigt die „Kronen Zeitung“. Seit Tagen reiten Redakteure des Blattes zur Verteidigung des Volkshelden aus. Ein Verhalten, das man vom Medienpartner des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) gewohnt ist. Sobald Kritik, ob berechtigt oder nicht, an Vertretern des mächtigen Verbandes geübt wird, schießt die „Krone“ scharf. Auch diesmal: Es sei eine „riesige Sauerei, Toni Sailer anzupatzen“, schrieb Online-Sportchef Max Mahdalik mit Furor, noch dazu „zufällig genau vor den Kitzbühel-Rennen“, als ob der Hahnenkamm-Zirkus durch den Akt Sailer getrübt werden könnte. In der Sonntag-„Krone“ folgte eine nicht gerade meinungspluralistische Kolumnentrias zum Thema. Zuerst rügte Chefredakteur Klaus Herrmann die „Qualitätsmedien“ und „publizistischen Aufdecker“, dass sie „das Andenken an den Jahrhundertsportler besudeln“. Kolumnist Heinz Sichrovsky wagte, etwas weniger verbissen, ein Gedankenexperiment: Wenn sich die [*]MeToo-Bewegung nun „in Ermangelung weiterer lebender Delinquenten auf die Toten“ verlege, wäre schon bei der Schöpfungsgeschichte zu beginnen. Zum Beispiel bei Gott, der den Menschen „in einen tiefen Schlaf fallen ließ und einer seiner Rippen nahm“. Sichrovsky dazu: „Wer hinter diesen abseitigen Praktiken nicht Organhandel unter Einsatz von K.-o.-Tropfen vermutet, ist naiv.“

Vier Seiten weiter schrieb Michael Jeannée seinen dritten Brief zum Thema in vier Tagen, diesmal an die „liebe Familie Sailer“. Darin teilt er gegen seinen Lieblingsfeind „Kurier“ aus. Er sei in den Siebzigern „noch ein österreichisches Journal gewesen, das mit der ,Krone‘ auf journalistischer Augenhöhe um die Vorherrschaft auf dem Zeitungsmarkt kämpfte“. Zu diesem Lob veranlasste ihn der derzeit viel geteilte und viel kritisierte „Kurier“-Kommentar aus 1975 („Nun soll endlich Gras wachsen über Zakopane“), in dem ein damaliger Sportredakteur Sailer verteidigte: Der Vorfall sei „eine saudumme Männerg’schicht'“ gewesen, „mit einem unguten professionellen Weibsstück und einem Niagarafall von Alkohol“. Dem schließt sich  Jeannée im Jahr 2018 an: „Das war’s. Nicht mehr und nicht weniger. Und so bleibt Euer Toni der Größte.“ Alles andere sei eine „widerliche, weil durch nichts gerechtfertigte Demontage des dreifachen Olympiasiegers“.

Auch das Konkurrenzblatt „Österreich“ kann seine Haltung zum Thema nicht verbergen. Toni Sailers Bruder kam im Interview mit Wolfgang Fellner den Suggestivfragen kaum aus: „Da wurden dubiose Akten über deinen Bruder ausgegra ben [. . .] Wie reagiert man da?“

Subtext, Die Presse, 23.1. 2018