Mit Zeitraffer auf Klickfang: Österreich in fünf Terabyte

Peter Jablonowski und Thomas Pöcksteiner haben das „Timelapse“-Video über Österreich gedreht, das derzeit im Internet die Welt erobert.

Filmspektakel, Jablonowski, PöcksteinerFoto: Clemens Fabry

Seminararbeiten an der Uni versität können mitunter den Grundstein für die spätere berufliche Tätigkeit legen. So war das auch bei  Peter Jablonowski und Thomas Pöcksteiner. Die beiden Anfang Zwanzigjährigen studieren an der FH St. Pölten Medientechnik, vor zwei Jahren sollten sie eine Arbeit zum Thema Zeitraffer (Englisch: „time lapse“) abliefern. So entstand ein kurzer Clip mit gerafften Aufnahmen von Wien, der ihnen viel Aufmerksamkeit bescherte – und sie auf die Idee brachte, das Projekt auf Österreich auszuweiten. Das Endergebnis, ein knapp drei Minuten langes Video mit Zeitrafferbildern von Österreichs Bergen, Seen und Landeshauptstädten, unterlegt mit Kuh- wie Kirchglocken geläut und Funkaufnahmen von Felix Baumgartners Stratossprung, haben sie am vergangenen Montag auf den Videoplattformen YouTube und Vimeo hochgeladen – seither geht es in ihrem kleinen Kellerstudio nahe dem Wiener Westbahnhof rund, in dem ihre Produktionsfirma Filmspektakel residiert.

Die Dreiminuten-Hommage an Österreich wurde bereits über 1,3 Millionen Mal aufgerufen. Internationale Medien wie der britische „Independent“ schrieben über das „beautiful video“ (nicht ohne das Wort „Gemütlichkeit“ einzubauen) und Innovationsblogs wie jener der „Washington Post“ schrieben über die Technik dahinter.

Zwei Jahre haben die beiden an dem Kurzfilm gearbeitet. Dafür haben sie Alpenstraßen und Aussichtsplattformen im ganzen Land aufgesucht, an den geeigneten Plätzen das Stativ einer ihrer Spiegelreflexkameras aufgebaut und stundenlang Fotos geschossen, von der Morgendämmerung bis in die Nacht. So entstanden aus 600 Aufnahmesessions fünf Terabyte Rohmaterial, die auf insgesamt 15 Festplatten lagern. Die größte Herausforderung bei dem Projekt, sagen sie unisono, sei das Wetter gewesen. „Es kam oft vor, dass wir an einen Ort gefahren sind, und dann hat das Wetter nicht gepasst. Am Dachstein saßen wir stundenlang in der Wolke“, erzählt Jablonowski.

Den Zeitpunkt der Veröffentlichung haben die beiden unbewusst klug gewählt. Wegen des bevorstehenden Song Contest in Wien steht Österreich heuer global stärker im Mittelpunkt als sonst; und dann wurde gerade wieder die aktuellste Mercer-Studie zur Lebensqualität bekannt, bei der Wien erneut auf Platz eins landete (vor Zürich und Auckland). Ihr Video „A Taste of Austria“ wirkt nun wie der bestellte Werbeclip zum Studiensieg. Kein Wunder, dass die Österreich Werbung schon seit Längerem mit Zeitrafferfotomaterial der beiden arbeitet.

Sonnenaufgänge immer gebraucht

Noch stecken die Fotografiekünstler mitten im Masterstudium, sind sich aber sicher, dass sie auch künftig ihr Geld mit Zeitrafferprojekten verdienen wollen. Es zieht sie derzeit stark ins Ausland, weshalb sie hoffen, mit ihrer Arbeit auch Aufträge aus anderen Ländern zu bekommen – „gern auch  außerhalb Europas“, ergänzen sie und lächeln erwartungsfroh. Im Geschäft sind sie jetzt schon gut. Einige ihrer Aufnahmen wurden für die Signation der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ verwendet, und Dokumentarfilmer bestellen bei ihnen Fotomaterial. „Sonnenauf- oder -untergänge werden immer gebraucht“, sagt Jablonowski. Klicks und Aufträge kommen freilich nicht von allein. Die beiden arbeiten derzeit rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. „Wochentage gibt es nicht. Wenn uns die Kassiererin im  Supermarkt ein schönes Wochenende wünscht, wissen wir, dass Wochenende ist“, sagt Pöcksteiner.

Schon im Vorjahr fielen die Studenten mit ihrer Wien-Version der „House of Cards“-Signation auf. Dabei gibt  Jablonowski zu, dass er die US-Serie nie gesehen hat, Kompagnon Thomas kam bei einem Schönbrunnspaziergang auf die Idee zum Video, weil er fand, es gäbe so viele Plätze in Wien, die jenen in Washington ähneln. Lob für ihre Version bekamen sie von den Serienmachern von Netflix und dem Produzenten der Originalsignation, wie es sich heute gehört: mit einem freundlichen Retweet auf Twitter und einem erhobenen Daumen auf Facebook. Dass nun ihr Austria-Timelapse-Video so rasch viral ging, verdanken sie übrigens auch Armin Wolf, den sie auf Twitter direkt anschrieben. Nachdem der „ZiB 2“-Moderator das Video seinen 158.000 Followern empfahl, „ging der Rest  eigentlich von selbst“, erzählen die beiden. Das ist Mundpropaganda 5.0.

Das Video:

„A Taste of Austria“ heißt das Zeitraffervideo von Peter Jablonowski, 22, und Thomas Pöcksteiner, 23, das seit Montag über 1,3 Millionen Mal im Internet abgerufen wurde. Mehr Infos: filmspektakel.at

[Bild-Credit: Clemens Fabry/Die Presse]

David Carr ist tot: Ein Champion der Underdogs

David Carr (58), der begnadete Medienjournalist der „New York Times“, ist tot. Einst drogenabhängig, fand er über das Schreiben zurück in ein normales Leben.

Vielleicht sitzt der Schock bei Kollegen, Freunden und Lesern so tief, weil dieser Tod so überraschend kam. Oder weil dieser Mann auf so unterschiedliche Weise Großes für den Journalismus geleistet hat. Noch am späten Donnerstagnachmittag hatte David Carr an der New School in Manhattan die NSA-Aufdecker Glenn Greenwald und Laura Poitras interviewt. Lässig, in schwarzem T-Shirt und schwarzer Weste saß er mit ihnen auf der Bühne und erzählte, dass er sich am Vorabend erneut Poitras‘ Edward-Snowden-Dokumentation „Citizenfour“ angesehen habe und wieso er das Licht, das er davor ausgeschaltet hatte, wieder aufdrehen musste: „Da ist etwas an dem Film, das es schwer macht, ruhig zu schlafen.“ Ein Videomitschnitt dieses „Times Talk“ zeigt, wie einfühlsam und klug Carr mit seiner knarzigen Stimme Fragen stellte.

Wenige Stunden später kollabierte er in der Redaktion der „New York Times“ in der Eighth Avenue und verstarb noch in der Nacht in einem Spital in Manhattan. Die tiefe Betroffenheit über seinen Tod zeigt, wie viele Menschen diesen Journalisten für sich entdeckt und seine Texte gern gelesen haben. Es war auch wirklich schwer, diesen Mann zu übersehen. Seine Lebensgeschichte ist wie sein Schreiben: sehr außergewöhnlich.

David Carr kam früh mit Drogen in Berührung, und das, wie er in seiner 2008 erschienenen Autobiografie „The Night of the Gun“ erzählt, ohne besonderen Grund. Geboren und aufgewachsen im Städtchen Hopkins, Minnesota, als mittleres von sieben Kindern gütiger Eltern erlebte er eine unspektakuläre Schulzeit. Während des Studiums begann er mit Drogen zu experimentieren und blieb bei Kokain und Crack hängen. Den Abschluss in Psychologie und Journalismus schaffte er dennoch, blieb aber jahrelang drogenabhängig und dealte selbst mit Kokain und Crack. Erst nach der Geburt seiner Zwillingstöchter schaffte er den Ausstieg, zog nach New York und begann früh über Medien zu schreiben, zuerst für die Website Inside.com, später für das Magazin „Atlantic Monthly“.

Dank Doku zum Star seines Blattes

Erst spät, nämlich 2002, begann er als Wirtschaftsjournalist für die „New York Times“ zu schreiben und konzentrierte sich bald auf die Medienindustrie. In seiner montäglichen Kolumne „The Media Equation“ besprach er in sehr direktem, amüsanten Ton die Entwicklungen der Medien- und Digitalbranche und setzte einen neuen Standard in der Medienberichterstattung.

Dabei gelang ihm vor allem eines: Texte über die eigene Zeitung, so wie erst im Frühling 2014 über den plötzlichen Abgang von Chefredakteurin Jill Abramson oder die Streichung von 100 Stellen in der Redaktion, waren stets so ehrlich und distanziert verfasst, als würde er über die Konkurrenz schreiben. Auch an Kritik sparte er dabei nicht.
Carr schrieb aber auch über den Kulturbetrieb, förderte Independent-Kinofilme wie den Film „Juno“ über eine Teenager-Mutterschaft und war maßgeblich daran beteiligt, dass Lena Dunhams Serie „Girls“ bekannt wurde. Die Regisseurin und Autorin verabschiedete sich am Freitag in einem berührenden Post auf Instagram von ihm, dem „champion of underdogs and wild ones“.

Zu seinen amüsantesten Texten zählte „The Carpetbagger“, eine Rubrik, in der er während der Filmfestivalsaison launig über Ereignisse auf dem roten Teppich (red carpet) berichtete. Dank der Dokumentation „Page One: Inside the New York Times“ (2011) wurde er schließlich zum Star des Blattes. Die Macher der Doku hatten den Mann mit dem storchenähnlichen Aussehen zum kauzig-liebenswerten Hauptdarsteller gemacht, der inner- und außerhalb der Redaktion die Freuden des Journalistendaseins pries. Arthur Ochs Sulzberger junior, der Eigentümer des Blattes, würdigte Carr am Freitag „als einen der begabtesten Journalisten“ des Hauses. Chefredakteur Dean Baquet nannte ihn in einer E-Mail an die Redaktion „our biggest champion and one of the leaders of our newsroom“.

Im Nachwort seiner Autobiografie schrieb Carr: „Heute lebe ich ein Leben, das ich eigentlich nicht verdiene, aber fühlen wir uns nicht alle wie Schwindler? Der Trick ist, dankbar zu sein und zu hoffen, dass die Freude nicht zu früh endet.“ Ausgerechnet für ihn kam das Ende früh. David Carr war erst 58, hatte vor Jahren Lymphkrebs besiegt und hätte gern noch mehr Zeit mit seiner Frau Jill Carr und den drei Töchtern Maddie, Erin und Meagan verbracht. Dass er aber praktisch in der Redaktion, für die er so gelebt und gewerkt hatte, starb, ist vielleicht kein Zufall.

Die Rückkehr der Arabella Kiesbauer

IMG_6864Eurovison Song Contest 15. Lang war sie die bekannteste Moderatorin des ORF, zuletzt ist es ruhiger um sie geworden. Nun kehrt sie im Frauentrio auf die große Bühne zurück.

Eine kleine Überraschung hat es also doch gegeben. Ei gentlich waren viele davon ausgegangen, das Moderatorenteam für den Eurovision Song Contest 2015 zu kennen. So oft waren zuletzt Alice Tumler, Mirjam Weichselbraun und Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst genannt worden. Doch bei der Präsentation im ORF-Zentrum am Küniglberg am Freitag tauchte plötzlich ein vierter Name auf: Arabella Kiesbauer.

Sie stand im Vorfeld auf keiner Spekulationsliste. Vermutlich, weil die gebürtige Wienerin mit deutsch-ghanaischen Wurzeln nicht mehr für den ORF, sondern für die private Konkurrenz arbeitet. Doch für den aktuellen Arbeitgeber ATV, bei dem sie die Kuppelshow „Bauer sucht Frau“ moderiert, ist ihr ORF-Engagement kein Problem. Im Gegenteil, die Personalie lässt sich als logische Fortsetzung der jüngsten Annäherung zwischen dem großen Öffentlich-Rechtlichen und dem kleinen Privaten interpretieren. Gemeinsam bewarben sich die Sender um die Rechte an der Euro League 2015 (die dann an Puls4 und das Sportportal sportnet.at gingen), vor wenigen Wochen trat ATV aus dem VÖP aus, jener Vereinigung Österreichs Privatsender, die ein Gegengewicht zum staatlich subventionierten ORF bilden will. Und am Freitag lobte ATV-Chef Martin Gastinger die Bestellung Kiesbauers als „beste Wahl“ für den Song Contest. Aber auch für Kiesbauer persönlich ist das Engagement eine Chance, sich nach der Geburt ihrer Kinder (eine Tochter, ein Sohn) und Ausflügen ins Privatfernsehen wieder mehr an ihren ersten Arbeitgeber zu binden.

Die heute 45-Jährige war lang eine der prominentesten Moderatorinnen des Landes. Ihre Karriere begann sie Ende der Achtzigerjahre mit der Jugendsendung „X-Large“, fünf Jahre später hatte sie auf Pro7 ihren eigenen Nachmittags-Talk. Der brachte ihr zwar schnell große Bekanntheit ein, rückte sie aber auch in die Trash-Ecke.

Signal für Frauenpower

Beim ORF fiel die Wahl aus mehreren Gründen auf sie. Ihre internationale Herkunft steht einer Show, die weltweit 200 Millionen Menschen sehen, gut an. Dazu kommt die Tatsache, dass die ehemalige Lycée-Schülerin neben Englisch auch fließend Französisch und Spanisch spricht (wie Kollegin Tumler auch). Zudem war sie als Langzeitmoderatorin der ORF-Sing-Talentshow „Starmania“ bei den ersten Bühnenschritten von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst dabei. Seit der von Franz Fuchs an sie adressierten Briefbombe, bei der ihre Assistentin verletzt wurde, gilt Kiesbauer außerdem als eine, die sich gegen Rassismus und für Zivilcourage einsetzt.

Und nun also die ganze große (öffentlich-rechtliche) Showbühne. An der Seite von Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler. Die drei werden die Hauptmoderation der drei Shows (zwei Semifinale und das Finale am 23. Mai 2015) übernehmen. Im sogenannten Green Room hinter der Bühne, also dort, wo die Künstler aus allen Kandidatenländern Platz nehmen, wird Vorjahressiegerin Conchita Wurst moderieren. In den sozialen Netzwerken formulierten manche liebevoll und in Anlehnung an die US-Sitcom: „Three and a Half Women für den Song Contest“.

ORF-Fernseh-Direktorin Kathrin Zechner will mit der Women-only-Besetzung ein Signal setzen. Frauen seien heute wie gestern keine Bedrohung, sagte sie bei der Präsentation am Freitag. Und Weichselbraun ergänzte: Früher habe man immer geglaubt, es brauche einen Mann, der eine Show trägt. Bisher haben schon immer wieder Frauen allein den Song Contest moderiert, aber noch nie waren es drei.

In der Öffentlichkeit wurde die Tripelbesetzung am Freitag nicht nur positiv aufgenommen. In den sozialen Netzwerken taten sie manche als langweilig und vorhersehbar ab. Auch wenn es Applaus für die Entscheidung gab, nur Frauen moderieren zu lassen, fragten sich einige, warum der Song-Contest-Kommentator Andi Knoll vergessen wurde. Im ORF versicherte man, es werde noch viele andere Rollen bei diesem Event geben, die es noch zu besetzen gilt. Die Namen werde man im neuen Jahr bekannt geben.

„Die Presse“, Print am 20.12.2014. Credit: Wallner

Happy Birthday, Joan Didion!

Zum 80. Geburtstag der wunderbaren US-amerikanischen Autorin gratuliere ich mit einem Foto aus der heutigen „Süddeutschen“ und mit meiner Rezension eines ihrer jüngsten Bücher vom 18. 3. 2012, „Presse am Sonntag“

Didi

Die Trauer in Worte fassen

Zuerst starb ihr Mann, zwei Jahre später die Tochter. In »Blaue Stunden« versucht Joan Didion sowohl den Verlust der Tochter als auch die Beziehung zu ihr aufzuarbeiten.

„Lässt für die Sterblichen größeres Leid sich erdenken, als sterben zu sehen die Kinder?“ Der Satz stammt von Euripides. Joan Didion hat daraus ihre eigene Version gemacht: „Wenn wir von Sterblichkeit reden, reden wir von unseren Kindern“, sagt sie, und wer würde dieser Frau widersprechen? Drei Mal innerhalb von fünf Jahren stand die heute 77-Jährige vor der marmornen Urnenwand in der Manhattaner Kathedrale St. John the Divine, um die Asche einer ihrer Liebsten zu beweinen: 2001 war es die ihrer Mutter, 2003 die ihres Ehemannes und 2005 die ihrer Tochter.

Als ihr Ehemann, der bekannte Journalist und Autor John Gregory Dunne, mit dem sie mehr als 40 Jahre zusammenlebte, am 30. Dezember 2003 einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, liegt ihre gemeinsame Adoptivtochter Quintana Roo im künstlichen Koma auf der Intensivstation.

Zweites Buch über das Sterben

Den schmerzvollen Verlust ihres Mannes und die Sorge um die in Lebensgefahr befindliche Tochter beschrieb Didion bereits 2005 in ihrem hochgelobten Werk „Das Jahr magischen Denkens“, das sie als Autorin weltbekannt gemacht hat. In ihrem neuen Buch „Blaue Stunden“ erzählt sie, was ihr danach eine Zeit lang dabei half, weiterzuleben, „in Schwung zu bleiben“, wie sie es nennt: Ein Freund hatte die Idee, das „Jahr magischen Denkens“ als Ein-Personen-Stück auf den Broadway zu bringen. Vanessa Redgrave spielte die Hauptrolle (und kam mit dem Stück im Sommer 2008 auch nach Salzburg). Joan Didion mochte die Arbeit am Theater, die Proben, aber vor allem das Stück selbst – weil der Ausgang der Geschichte offen blieb: Als sie das „Jahr magischen Denkens“ beendet hatte, war Quintana noch am Leben.

Sieben Monate später war sie tot. Das zweite Buch über den Verlust eines geliebten Menschen, über das Sterben ihrer Tochter, hat nicht nur viel länger gedauert, es hat der psychisch wie physisch angeschlagenen Autorin auch mehr Kraft geraubt. Ihre klare, sehr direkte Sprache hat sie aber nicht verloren. Knapp und eindringlich, mit Vorliebe zur Satzteilwiederholung, schildert sie die Krankengeschichte ihrer Tochter, den Moment, in dem ihr klar wurde, dass ihr Kind sterben wird, und die Zeit der Trauer, die sie noch immer nicht überwunden hat. Interessant ist: Didions Sprache ist so schnörkellos, ihr Stil so frei von Selbstmitleid, fast apathisch, dass man sich nie dabei ertappt, Mitleid zu empfinden oder eine Träne der Rührung zu verdrücken.

Erinnerungsmosaik

Die Erzählung hat, anders als das „Jahr“ keine Chronologie. „Blaue Stunden“ ist ein Mosaik aus Erinnerungen, der Titel bezieht sich auf die lange Dämmerung im Sommer, die bei Didion gegen Ende „ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit“ auslöst. Von Quintanas Hochzeit im Sommer 2003, nur wenige Monate bevor sie ins Koma fällt, wechselt Didion zu jenem Tag im März 1966 als sie die neugeborene Quintana aus dem Krankenhaus abholen konnten. Sie schildert, wie Quintana mit Anfang 30 Kontakt mit ihren leiblichen Eltern und ihrer Schwester aufnimmt und dadurch nachhaltig verstört wird, und sie zeichnet das Bild einer sehr einfühlsamen, frühreifen und gleichermaßen selbstbewussten wie unsicheren Tochter, die sich ihrerseits Sorgen um die eigene Mutter machte: „Sie betrachtete mich als jemanden, der selbst Hilfe brauchte“, schreibt Didion an einer Stelle.

Letztlich ist das Buch auch der Versuch, Zeugnis über das Elternsein abzulegen (Waren wir gute Eltern?) und das Altwerden (Wen kann ich bei einem Notfall anrufen?), die eigene Sterblichkeit zu erkennen. Antworten findet Joan Didion keine, aber ihr beim Denken zuzuhören, hilft dabei, eigene Antworten auf diese Fragen zu bekommen. 

(Credit: Screenshot App der  Süddeutschen Zeitung/AP Photo/Kathy Willens)

 

Die alte Buchhandlung der Juristen: 225 Jahre rund um das Schottentor

Jubiläum. Der Kuppitsch ist mehr als eine Anlaufstelle für Wiens Jusstudenten. Die Buchhandlung hat auch eine bewegte Geschichte hinter sich.

So nüchtern klangen einst öffentliche Anzeigen zu Firmenjubiläen: „Über die Geschichte der Firma Kuppitsch, die im Kulturleben der Stadt Wien immerhin eine Rolle gespielt zu haben scheint, ist mit Ausnahme der trockenen Daten nicht viel zu schreiben.“ Dies sind die Worte einer undatierten Anzeige der Österreichisch-Ungarischen Buchhändler-Correspondenz, die wohl in den späten Zehner-Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen sein muss. Die trockenen Daten der Buchhandlung Kuppitsch wurden in den vergangenen hundert Jahren um viele gar nicht trockene Geschichten angereichert. Nur der Satz „Jurisprudenz ist die Hauptstärke der Firma“ trifft heute (zumindest teilweise) immer noch zu, schließlich ist der Kuppitsch an der Ecke Schottengasse/
Helferstorferstraße nach wie vor erste Anlaufstelle für Jusstudenten und Professoren aus dem benachbarten Juridicum.

Das vergangene Jahrhundert war für den Kuppitsch, der diesen Herbst sein 225-jähriges Bestehen feiert, jedenfalls turbulenter als die ersten hundert Jahre. „Und es ist erstaunlich, wie wenig man im Grunde aus der 225-jährigen Geschichte weiß. Vermutlich hat sich in 200 Jahren nicht so viel getan wie in 25“, sagt Michael Kratochvil, der die Buchhandlung seit einigen Jahren leitet. Gegründet wurde die Buchhandlung 1789, und sie befand sich damals noch an der Adresse Schottenring 8. Erst 1821 trat Matthäus Kuppitsch in das Geschäft ein und gab ihm seinen heutigen Namen. Nach einigen Besitzerwechseln begann 1886 der jüdische Lehrbub Arnold Schlesinger als Gehilfe, übernahm 1902 die Firma und führte sie bis zum Anschluss Österreichs 1938, bei dem die Buchhandlung arisiert wurde. Schlesingers Frau nahm sich aufgrund der Umstände ein Jahr später das Leben. 1942 starb auch Schlesinger, bis  heute ist unklar, ob er ebenfalls den Freitod wählte oder durch das NS-Regime zu Tode kam. Besser erging es Schlesingers Tochter Margarete und ihrem Mann Otto Günther – sie konnten das Konzentrationslager Dachau durch glückliche Umstände verlassen und ihnen gelang die Ausreise in die USA. 1950 kehrten die beiden mit ihren Töchtern Zita und Monika nach Wien zurück und sie traten wieder in die Buchhandlung ein. Der Kuppitsch ist eines der wenigen Geschäfte, das nach dem Zweiten Weltkrieg restituiert wurden.

Mann mit Buchhändler-Gen

Heute gehört die Buchhandlung den zwei Töchtern der Familie Günther und ihren Nachkommen. Geschäftsleiter ist seit einigen Jahren Michael Kratochvil, der selbst aus einer Salzburger Buchhändlerfamilie kommt. Eigentlich, fällt ihm auf, ist der Buchhandel in Wien und ganz generell fest in weiblicher Hand. Da ist er als Mann zwischen den durchaus bekannten Wiener Buchhändler-Persönlichkeiten Anna Jeller, Rotraut Schöberl und Petra Hartlieb fast eine Ausnahme. Stören tut das den dreifachen Familienvater nicht.

Seit 16 Jahren werkt er für den Kuppitsch. Seither wurde die kleine Dependance im Jonas-Reindl aufgegeben (dort ist jetzt ein Sushi-Stand) – die Zweigstelle im Alten AKH gibt es noch -, der zweite Stock im Stammgeschäft ausgebaut, dort finden heute regelmäßig Veranstaltungen statt. Bis heute ist der Kuppitsch eine der wenigen Buchhandlungen, die ein vollwertiges CD-Sortiment und eine ziemlich gut sortierte Zeitschriftenecke haben. Dass der Kuppitsch einen Onlineshop hat und auch E-Books verkauft, ist für Kratochvil selbstverständlich. „Der Leser sollte entscheiden dürfen, wie er sein Buch lesen möchte, und auf die Beratung des Buchhändlers trotzdem nicht verzichten müssen. Auch wenn wir lieber ein Buch über den Ladentisch reichen, statt per E-Mail einen Download-Link verschicken.“ Kratochvil ist kein lauter Kämpfer gegen den globalen Konkurrenten Amazon, sondern sieht sich als sanfter Aufklärer.

Amazon schade auch dem Finanz- und Wirtschaftsstandort Österreich, weil das Unternehmen hier keine Steuern bezahle, keine Arbeitsplätze schaffe. Er glaubt, die Leser würden umdenken, wenn ihnen das bewusst werde. Zudem würden sie die Bücher über den Onlineshop jeder österreichischen Buchhandlung schneller bekommen als via Amazon, die ihre Bücher aus Deutschland schicken. Gerade während der soeben angelaufenen BuchWien und Lesefestwoche könne man das gar nicht oft genug wiederholen.

Zehn Jahre Familienabenteuer: Wenn eine Buchhändlerin schreibt

Porträt. Petra Hartlieb betreibt mit ihrem Mann seit 2004 die gleichnamige Buchhandlung in Wien Währing. Jetzt hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben.

index2Noch vor dem Verkaufsstart steht fest, dass nicht mehr viel schiefgehen kann: Die zweite Auflage ist bereits in Vorbereitung, die ersten Kritiken im privaten Umfeld sind überschwänglich (mit einer kleinen Ausnahme, aber dazu später mehr) und die Stammkunden fragen ständig, wann das Buch nun – bitte, endlich! – erscheint. Wobei, eine Sache könnte die Stimmung noch trüben: wenn das Buch öfter als E-Book verkauft wird als über den Ladentisch. Denn wenn schon ein Buchhändler-Selbsterfahrungsreport, dann sollte der auch da besorgt werden, wo er entstanden ist: in der Buchhandlung.

Wer im geschäftigsten Teil Währings wohnt, in der Gegend zwischen Bezirksamt in der Martinstraße und Kutschkermarkt, wird Petra Hartlieb und ihre Familie längst kennen. Allen anderen sei sie kurz vorgestellt: Petra und Oliver Hartlieb betreiben die gleichnamige Buchhandlung in der Währinger Straße. Das Paar übersiedelte 2004 aus Olivers Heimat Deutschland nach Wien und pachtete spontan jene leer stehende Buchhandlung, die es heute betreibt. Mit ihrer Tochter zogen sie in die Wohnung darüber, in der geschätzte 5000 Bücher mehrere Zimmer zieren. Zehn Jahre, einen Riesenumbau und ein zweites Geschäft später (Hartliebs Bücher 2 in der Porzellangasse ist auf französische und italienische Literatur spezialisiert), entschloss sich Petra Hartlieb, ein Buch über das Familienabenteuer zu schreiben.

Buchhändlerhorror: Adventzeit

Dabei kommt Hartlieb ihr journalistischer Hintergrund und eine gewisse Schreibroutine zugute – mit dem Berliner Literaturkritiker Claus-Ulrich Bielefeld schreibt sie seit einigen Jahren Wien-Berlin-Krimis. Nachdem sie ihre Familienmitglieder, neben Mann, Tochter und Hund auch den bereits erwachsenen Sohn, um Erlaubnis gefragt hatte, sie in ihre Geschichte einbauen zu dürfen, war für Hartlieb das Schwierigste, „den richtigen Ton und die richtige Erzählperspektive zu finden“. Sie wollte nicht betulich oder abgehoben klingen, aber auch keine dritte Person ihr Leben erzählen lassen. Also entschied sie sich für die Ich-Form und eine flott-flapsige Sprache. Herausgekommen ist ein kurzweiliger Report über die harten Anfangszeiten in der neuen Nachbarschaft, das stressige Weihnachtsgeschäft, für das sich bereits ab Anfang November die Bücherkisten in der Wohnung stapeln, Softwareprobleme und lange Spaziergänge mit dem Hund. Obwohl man zwischen den Zeilen spürt, wann die Selbstständigkeit im Buchhändlergewerbe und die Verantwortung für mittlerweile zwölf Mitarbeiter an die Substanz gehen, ist das Buch rundum positiv. Und das ist er, der kleine Kritikpunkt, den sich Hartlieb von lieben Freunden und Schriftstellerkollegen anhören muss: Ihre Schilderungen seien fast unglaubwürdig optimistisch, stets stehe bei Problemen ein Nachbar oder Kunde bereit, immer löse sich alles in Wohlgefallen auf. Hartlieb ist das bewusst und sie erinnert ihre liebevollen Kritiker, dass sie hier von wahren Kunden, Mitarbeitern, Familienmitgliedern schreibt. Selbst wenn es gröbere Probleme gegeben haben sollte, hätte sie die unmöglich ganz originalgetreu schildern können.

 Was Hartlieb schon länger umtreibt, ist der Kampf gegen den Onlinehändler Amazon. Sie glaubt, dass die Buchhändlerbranche mittlerweile ein neues Selbstbewusstsein erlangt hat. „Dank der Berichterstattung über das Thema und wegen der Kritik an Amazon.“ Mit ihrem Buch wollte sie auch ihren Buchhändlerkollegen ein Denkmal setzen. Schon vor dem Verkaufsstart bekam sie rührende Post von Kollegen aus Deutschland. Das Interesse an ihrem Buch ist vor allem dort groß. Die Kollegen (und Konkurrenten) in Österreich sind da wohl noch ein bisschen zurückhaltender.

Wie gut vernetzt Hartlieb in Wien ist, zeigt auch ihre Fangemeinde unter Kreativen. Mit Daniel Glattauer tauscht sie sich regelmäßig aus, Kabarettist Thomas Maurer wohnt in der Nähe, ebenso Regisseur David Schalko. Letzterer besorgte sich stets kiloweise Bücher bei Hartliebs. Die Buchhändlerin, neugierig wie sie ist, fragte, was er beruflich mache. Seither sind die beiden befreundet.

BUCHPRÄSENTATION

„Meine wundervolle Buchhandlung“
von Petra Hartlieb ist ab sofort erhältlich (DuMont, 208 Seiten, 18,50 Euro). Das Buch wird am 27. Oktober in der Wiener Hauptbücherei vorgestellt (19 Uhr; Moderation: David Schalko). Die Autorin liest außerdem bei der Buch Wien am 14. November (Messe Wien, 13.15 Uhr).