In Zeiten abnehmender Gefühle

Die deutsche Autorin Jackie Thomae bastelt ein Mosaik aus Menschen, denen die Liebe verloren  geht. Deprimierend und lustig zugleich, wenn auch mit einigen Längen.

Der nicht unbedingt sympa thische Regisseur Engelhard liebt Susanne. Dann springt er völlig betrunken aus dem ersten Stock, bricht sich seine Beine – und liebt sie nicht mehr. Sein Freund Ralf Bender lässt Partnerin Doro nach zehn Jahren und ohne ein Wort der Verabschiedung sitzen, schickt nach ein paar Wochen bloß einen befreundeten Anwalt vor, um die Formalitäten zu klären, und heiratet kurz darauf Serafina. Auf der Hochzeit geht eine andere Beziehung zur Neige, jene zwischen Johannes und Vesna (die wiederum die neue Mitbewohnerin der verlassenen Doro ist, aber das wird jetzt etwas kompliziert). Ariane ist zum dritten Mal verheiratet, obwohl sie von Anfang an wusste, dass sie den dritten Mann nicht annähernd so liebt wie den zweiten. Nach einem Familienurlaub und einem Unfall trennt sie sich von Mann drei, dem Vater ihres zweiten Kindes.

Die Aufzählung der Protagonisten in Jackie Thomaes Debütroman „Momente der Klarheit“ ließe sich noch eine Weile fortsetzen. Dabei sind die einzelnen Charaktere, die wie auf einer Bühne auf- und abtreten und mehr oder weniger lose miteinander in Verbindung stehen, nicht so wichtig. Worum es wirklich geht, wird nach wenigen Kapiteln klar: um die titelgebenden Momente, in denen Menschen dämmert, dass sie nicht mehr lieben oder nicht mehr geliebt werden. Im Auto auf dem Weg zu einer Hochzeit, beim Biertrinken im Hof, während einer Party. Es geht um Beziehungen, die auseinandergehen, und um den Schmerz, den sich Menschen zufügen, die für einander einmal alles bedeutet haben. Es geht aber auch um das Ende von Freundschaften, Geschäftsbeziehungen und Geschwisterbeziehungen.

Lektüre für frisch Getrennte

Das klingt zunächst einmal furchtbar deprimierend und wie das adäquate Breitband antibiotikum für frisch Getrennte (Lese-Impetus: „Immerhin geht es nicht nur mir so“). Doch das Buch entpuppt sich als tröstende, aufmunternde Lektüre. Wenn die Ich-Erzählerin, Lydia, nach dem Ende der Affäre mit ihrer großen Liebe, Viktor, sagt: „Ich weiß, es gibt Schlimmeres, aber mir fällt im Moment nichts ein“, fühlen wir mit ihr. Und freuen uns 150 Seiten später umso mehr, dass sie doch aus dem Tal herausgefunden hat. Ihre Freundin Vesna hat gerade beschlossen, sich von Johannes zu trennen, und sagt sich: „Es wird irgendwie weitergehen. Warte ab und lache unterdessen.“

Das Erfreuliche an Jackie Thomaes Roman ist die klare Sache. Schöne Sätze treffen da aufeinander. „FAZ“-Kritikerin Johanna Adorján „wollte beim Lesen die ganze Zeit solche Sätze unterstreichen“. Sätze wie: „Mit deiner ersten Frau war es aus, als eines Abends eine Frau in eure Stammkneipe kam und sich euch gegenüber an die Bar setzte.“

Allerdings hält Thomae die Dichte an guten Sätzen nicht ohne Pausen durch. Dazwischen gibt es ärgerliche Hänger, in denen man den wechselnden Protagonisten nur mehr ungern folgt, weil die Dialoge oder Monologe so langweilig und beliebig werden. Nicht jedes Trennungspaar, nicht jede neue, auch noch so kurze Romanze ist gleich spannend und wahrhaftig gezeichnet worden. Interessant sind Thomaes Schilderungen aber deshalb, weil hier so viele verschiedene Formen des Ver- und Entliebens und des Umgangs mit eintönig gewordenen Beziehungen geschildert werden. Und weil wir uns dabei ertappen, dass wir die Sprachlosigkeit am Ende einer Beziehung in manchen Geschichten verstehen und in manchen als verwerflich empfinden.

Es ist, wie es ist. Das zeigt, es gibt bei Trennungen nichts richtig und falsch zu machen. „Auseinandergehen ist schwer“, wie die Wiener Band Wanda singt. Im Grund bleibt nur, das stumpfe Mantra, das sich Arianne (die mit dem dritten Mann) zurechtgelegt hat, anzuerkennen: „Es ist, wie es ist.“

Thomae schildert das Liebesleben von dreißig- bis vierzigjährigen Großstädtern, ohne Weichzeichner und Kitsch. Aber weniger trostlos als bei  Sibylle Berg. Dass Thomae als Fernsehautorin gearbeitet hat, erkennt man an ihrer Schreibe. Wir vermuten mal: Dieses Buch wird noch verfilmt.

NEU ERSCHIENEN
Jackie Thomae „Momente der Klarheit“
Hanser Berlin
288 Seiten
20,50 Euro

Plädoyer für das Zusammenbleiben

Berg_24760_MR1.inddEine Ehe nach 20 Jahren, eine Affäre (der Frau) und ihren ungewöhnlichen Ausgang schildert Sibylle Berg in ihrem neuen Roman. Bitter, sehr real, aber auch humorvoll.

Rasmus und Chloe sind eine Einheit und das schon seit zwanzig Jahren. Auch wenn in ihrer Liebe von Beginn an „jenes Moment fehlte, da man sich tödlich im anderen auflösen will, rasend auf seine Bettwäsche ist“, hat es das Intellektuellenpaar gut miteinander. Er arbeitet als erfolgloser Theaterregisseur, sie lebt an seiner Seite, ohne den Drang, etwas Eigenes zu schaffen. Sie haben sich aneinander gewöhnt, an Mundgeruch, grau werdendes Schamhaar und die fehlende sexuelle Anziehung. Doch die Krise beginnt, als sie sich für einen längeren Zeitraum in ein Land „mit suboptimaler Einkommensstruktur“ begeben. Ein Dritteweltland dessen Namen wir nicht erfahren, in dem Rasmus ein Theaterprojekt leitet.

Dort begegnet Chloe eines Nachts dem rothaarigen, um einiges jüngeren Masseur Benny und verliebt sich in Sekunden in ihn. Doch dort, wo Geschichten über außereheliche Abenteuer und Trennungen sonst enden, geht Sibylle Bergs Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ weiter. Das Paar reist zurück in ihr deutschsprachiges Ersteweltland, der bis dahin stumme Benny kommt wenige Wochen später nach und schläft auf dem Sofa der ehelichen Schichtbetonwohnung. Ist Ehemann Rasmus zuerst noch vor Schmerz erstarrt, beginnt er die Affäre seiner Frau nach und nach anders zu sehen: „Das Konzept der Ehe darf man doch mal überdenken, oder? Was spricht dagegen, dass die Person, mit der ich nicht verwandt bin, ein wenig Spaß hat? Gehört sie mir, weil wir ein Papier unterschrieben haben?“

Dreier-WG auf Zeit. Während also seine Frau im Wohnzimmer sexuelle Abenteuer mit ihrem Liebhaber hat, sogar Rasmus‘ Mutter Gefallen an dem exotischen Mann aus der Fremde findet, entsteht eine skurrile Wohngemeinschaft zwischen den dreien. In ihrer unverkennbar direkten Sprache arbeitet sich Berg auch in diesem Roman an ihren Lieblingsthemen ab: am körperlichen Verfall der Menschen, an der Tragödie des Alterns („Es wird schlechter, egal, was uns die Krankenkassen erzählen von einem erfüllten Alter. Die Menschen sind für die sogenannte zweite Lebenshälfte nicht geplant.“) und an der Frage, ob Sex lebensnotwendig ist oder nicht. Sie habe, erzählte Sibylle Berg vergangene Woche in der Sendung „Willkommen Österreich“ so viele Menschen in ihrer Umgebung gesehen, die sich irgendwann aus ihren sicheren Beziehungen begeben hatten, weil sie glaubten, mit einem neuen Mensch würde alles anders und lebendiger werden.

Im Roman lässt sie Chloe und Rasmus in abwechselnden Monologen über ihre Ehe, die Affäre und das Leben nachdenken. Das ist in diesem typisch Berg’schen Ton, direkt und hart, alles andere als tröstlich, aber sehr treffend. Sex wird bei ihr mitunter zu einer ekelhaften Sache. Chloe muss irgendwann erkennen, dass sie wenig mit ihrem Liebhaber Benny verbindet als die Körperlichkeit und auch diese Anziehung lässt irgendwann nach: „Wann ist meinem Unterleib die Sache nur dermaßen entglitten? Ich hatte doch gedacht, nie, nie würde mir passieren, was ich bei anderen Paaren so verabscheute. Der Verrat am Freund, nur um die Geschlechtsteile wieder zu benutzen.“

Letztlich ist Bergs Roman ein Plädoyer für das Zusammenbleiben. In treuen wie in untreuen Zeiten.

Termin: Die Autorin liest mit Dirk Stermann aus ihrem neuen Roman. Musik: Gustav. 15. März, Rabenhof, 20 Uhr.

Ein Ring, zwei Monatsgehälter

Rezension. Um jene Werberin, die 1947 den Slogan »A diamond is forever« erfand, dreht sich J. Courtney Sullivans neuer Roman. Eine Geschichte der Verlobung, etwas zu langatmig erzählt.

Endlich steht Frances Gerety auf einer großen Bühne und darf sagen, was sie sich denkt. Die Werbeagentur Ayer, für die sie mehr als 30 Jahre gearbeitet hat, und der Diamantenproduzent De Beers feiern ein halbes Jahrhundert Zusammenarbeit – und weil Frances maßgeblich für den Erfolg dieser Geschäftsbeziehung verantwortlich war, erhält sie eine späte Anerkennung.

Diese Frances Gerety gab es wirklich. Sie war eine der wenigen Frauen, die sich früh in der männlich dominierten Welt der Werbung behauptete, und wäre das nicht in Philadelphia gewesen, man könnte von der Welt der „mad men“ in New York sprechen. Der berühmte Slogan „A diamond is forever“ stammt von ihr und fiel ihr 1947 in der Nachkriegszeit ein, in der die Nachfrage für Diamantringe verschwindend gering war. Junge Frauen wollten lieber eine Waschmaschine statt einen teuren Klunker am Finger. Auch dank Frances Geretys Werbesujets wurde der Diamantring innerhalb einer Generation zum Verlobungsmuss. Und es etablierte sich die ungeschriebene, in manchen Kreisen bis heute geltende Regel, dass ein Mann mindestens zwei seiner Monatsgehälter für den Verlobungsring ausgeben soll. Ironie des Schicksals: Frances Gerety, ein Leben lang Vermarkterin diamantener Glücksversprechen, sollte selbst nie verlobt geschweige denn liiert sein.

Vier Ehen, vier Ringe

Und doch bot das Leben dieser Frau offenbar zu wenig Stoff für ein Buch. Ihre Geschichte bildet nur das Gerüst in J. Courtney Sullivans neuem Roman „Die Verlobungen“. Daneben erzählt sie viel weitläufiger und leider streckenweise auch viel langatmiger von vier Ehen bzw. Paaren zu unterschiedlichen Zeiten.

Wir begegnen Evelyn und Gerald, einem Mittelschichtspaar, das Anfang der 1970er mit ihrem Sohn, der sie mehrmals enttäuscht hat, hadert. Im Jahr 1987 lebt James, der seine Familie als Krankenwagenfahrer kaum erhalten kann und fürchtet, seine Frau, Sheila, aufgewachsen in besseren Kreisen, könnte ihn eines Tages verlassen. 25Jahre später spielt die Geschichte der Singles Delphine und Henri, die beide um die Übernahme eines kleinen Musikgeschäfts in Paris kämpfen und es von den Erben des Besitzers schließlich gemeinsam zugesprochen bekommen. Aus den Geschäftspartnern werden rasch Eheleute, deren eintöniges Leben eines Tages abrupt durch den Besuch eines jungen Violinisten aufgewirbelt wird. In der Gegenwart treffen wir auf Kate und Dan, die trotz ihrer Tochter Ava nicht heiraten wollen. Ausgerechnet die emanzipierte Kate, die die Ehe beinah für so etwas wie Folter hält, muss bei der Hochzeit ihres schwulen Cousins die Ringe bewachen.

All dies kommt dankenswerterweise ohne zuckersüße Kitschglasur aus, soll es doch eher daran erinnern, dass nicht auf jede rührende Ringübergabe eine erfüllte und problemfreie Ehe folgt. Der Verlobungsring spielt stets nur eine Randrolle. Einmal ist er vier Karat groß, einmal verschwindend klein, einmal gehütetes Erbstück, er wird mehrmals gestohlen, einmal verloren, einmal als Kette um den Hals getragen.

Trotzdem bleiben in der Fülle an Charakteren und Jahrzehnten die Figuren seltsam schablonenhaft. Richtig ärgerlich ist aber, dass der Roman trotz seiner Länge (580 Seiten) und neben den bis ins kleinste Detail beschriebenen Paarungen, die wirklich interessanten Dinge auslässt: Als etwa Frances Gerety bei der Firmenehrung auf die Bühne tritt und ihre Dankesrede hält, erfahren wir nicht, was sie den „mad men“ ihrer Zeit zu sagen hat. Dabei hätten wir das so gern gehört. 

Neu erschienen

J. Courtney Sullivan
„Die Verlobungen“, übersetzt von Henriette Heise,
Zsolnay Verlag
590 Seiten
22,60 Euro

(„Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 09.02.2014)

„Knoi“: Dieses Buch glaubt an sich

Rezension. Die Figuren in „Knoi“ sind ähnlich verzweifelt und verbittert wie in Braunschlag. David Schalko hat ein Anti-Beziehungsbuch mit Krimi- und Science-Fiction-Elementen geschrieben.

Es gibt da diesen Elektrotrack von einem deutschen DJ, schon einige Jahre alt, dennoch unvergessen. Er heißt „Dieses Lied glaubt an sich“, und tatsächlich entfaltet das zunächst leise und monoton stampfende Elektrostück erst im letzten Drittel, genau genommen bei Minute 4:05, sein volles Klangspektrum. Auch über David Schalkos jüngsten Roman „Knoi“ ließe sich sagen: „Dieses Buch glaubt an sich“. Denn obwohl auf den ersten Seiten die wichtigsten Figuren und der Name des Buches erklärt werden, braucht der Leser, bis er in diese verschachtelte, fast surreale Geschichte findet, in der Personen plötzlich auftauchen und wieder verschwinden, andere mehrere Namen oder Fantasienamen haben. Erst spät beginnt der Plot, einen mitzureißen. 

Knoi, Zonz, Waks und Faha – das sind die fantasievollen Bezeichnungen, die der etwas merkwürdige Bub Max seinen Eltern und deren engsten Freunden gibt. „Lutz sei eben ein Waks, Rita eine Faha und Jennifer eine Zonz“, heißt es da. Unweigerlich fühlt man sich bei der Beschreibung des titelgebenden Knoi (eigentlich Hauptfigur Jakob) an den Autor erinnert: „Ein Knoi war ein freundliches Wesen, das stets von einer gewissen Müdigkeit geplagt wurde.“ David Schalko sprach schon öfter über seine Müdigkeit in Interviews. Wer sich erst einmal, mit Stift und Zettel ausgerüstet, einen Überblick verschafft hat über die Protagonisten und deren Fantasienamen, der taucht in ein Labyrinth aus Beziehungen zwischen zwar schrägen, in ihrer Schrägheit aber äußerst realistischen Personen ein.

Beziehungswirrwarr

Da ist Jakob (oder eben Knoi), der vom Schreibtisch aus Reiseführer schreibt und früher mit Rita zusammen war, jetzt aber mit Jennifer liiert ist, die seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Rita, „die nie bei sich selbst wohnte, sondern immer bei jemandem anderen“, hat sich den egozentrischen Zahnarzt Lutz ausgesucht, der gern gesunde Zähne anbohrt und noch lieber mit betäubten Frauen schläft. Max, der gemeinsame Sohn, erfindet nicht nur Fanatasienamen, sondern auch eine imaginäre Hündin namens Luise. Bis die eines Tages tot ist. Weiters gibt es Eltern, die vor Gleichgültigkeit die Abwesenheit ihres zwar erwachsenen, aber immer noch Sohnes nicht bemerken. Paartherapeutinnen, die sich in ihre männlichen Klienten verlieben, und verlassene Ehefrauen, die an schwerer Lichtkrankheit leiden. Eine Rolle spielt auch der kleine Ort Rohrbach, der an David Schalkos fiktiven Serienort Braunschlag erinnert. So wie die Figuren aus „Knoi“ in ihrer Verzweiflung und Ich-Bezogenheit, ihrer Sehnsucht nach der ewigen Liebe in einer weiteren Staffel der Serie gar nicht auffallen würden, so gut würden sie dorthin passen.

„Knoi“ ist das bisher anspruchsvollste Buch von David Schalko. Dabei lebt es weniger von der Geschichte, die gegen Ende hin auch kriminalistische Elemente enthält, als von seinen fein gemeißelten Sätzen, die Beziehungsdilemmata und Verhaltensmuster treffend auf den Punkt bringen. Jakobs Eltern etwa werden so beschrieben: „Die Köpfe haben sie geschüttelt. So wie sie ihr Leben lang die Köpfe geschüttelt hatten. Zuerst über die eigene Existenz, dann über die der anderen […].“ Keine Beziehung ist hier perfekt, keine Figur sympathisch – nicht einmal das Kind Max ist liebenswürdig. In vielen Sätzen schwingt Zynismus mit, ein Stil, der an die Werke der deutschen Autorin Sibylle Berg erinnert.

Doch völlig hoffnungslos sind Schalkos Figuren nicht. Solange es „Zazu“ zwischen ihnen gibt. Wieder ein Fantasiewort, das die Schwingungen zwischen Menschen beschreiben soll. Zazu ist wie der Kitt, der zwei Menschen zusammenhält. Erst wenn es sich verflüchtigt, sind sie einsam und allein. Doch selbst im Gefängnis kann man Händchen halten und lieben. Im Grunde ist ganz egal, wen, solange man sich selbst sein eigenes Festland bleibt, wie die Figuren feststellen. Ein verrücktes, ein verwirrendes Buch, aber eines, das wie der Elektrotrack von Oliver Koletzki in Erinnerung bleiben wird.

Termin: Buchpräsentation am Do, 26.9. mit David Schalko, den Musikern Kyrre Kvam, Florian Horwath und Schauspieler Manuel Rubey. Rabenhof, 20 h, 15 Euro.

David Schalko: „Knoi“. Verlag Jung und Jung, 271 Seiten, 22 Euro.

(„Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 22.09.2013)

Liebeskomödie: Burn-out? Haben jetzt alle!

Rezension. René Freund erzählt in „Liebe unter Fischen“ von einem erschöpften Dichter, der auf einer Berghütte allzu leicht wieder zu Lebens-, Liebes- und Schreibfreude findet.

Das Herz rast, und keiner weiß warum. Die Ärztin empfiehlt dem sensiblen Dichter drei Dinge: Psychotherapie, Meditation – und Ruhe. „Gehen Sie in die Stille. In eine Berghütte zum Beispiel“. Selten kam ein Burn-out-Syndrom so beiläufig und fast schon empörend harmlos daher wie in dem neuen Roman des Österreichers René Freund. 

Seine Hauptfigur, der Dichter Fred Firneis, steckt in einer Schaffenskrise. Er bunkert sich in seiner Berliner Wohnung ein, in der Spüle wachsen Pilze, im Wohnzimmer stapeln sich Pizzakartons, deren Inhalt er wahlweise mit Jack Daniels, Smirnoff oder Bordeaux hinunterspült. Es lebe das Burn-out-Klischee! Doch René Freund hält sich nicht lange mit Depression und Verzweiflung auf. Er lässt seinen Dichter kollabieren, und weil die Ärztin ihm ohnehin Stille rät und seine Verlegerin Susanne – oh Zufall! – eine kleine Hütte in den österreichischen Bergen geerbt hat, folgt er dem Rat. Die schwer verschuldete Verlegerin träumt derweil schon vom Nachschub in Versmaßen, der sich wie der letzte Lyrikband wieder 150.000-mal verkaufen lässt.

Des Dichters Burn-out wird später nur mehr an einer Stelle erwähnt (auf den Klappentext hat es der Begriff als werbewirksames Reizwort natürlich dennoch geschafft.) Dann nämlich, als der gar nicht mehr so erschöpfte Dichter dem Förster August erklärt, warum es ihn in die Berge verschlagen hat: „Ich hatte ein Burn-out.“ „Ein was?“ „Burn-out. Ausgebrannt.“ „Ach so, das“, sagt August. „Haben jetzt alle“, erwidert der Dichter. Damit ist alles gesagt.

Putzfimmel in der Berghütte

An einer wirklich schweren Erschöpfungsdepression kann der Dichter Fred gar nicht gelitten haben, so schnell wie der in der Bergluft wieder zu Kräften kommt. Zuerst überkommt ihn in der verstaubten Hütte seiner Verlegerin ein unerklärlicher Putzfimmel, der nicht nur das alte Holzhaus, sondern auch seine Seele im Nu wieder zum Glänzen bringt. Von Speck, Bauernbrot und den „Elbtaler Gewürzkräutern“, die er mit August raucht, erquickt, beginnt er seiner Verlegerin Briefe zu schreiben. Sein Handy hat er nämlich längst im nahen Elbsee versenkt.

Auf Glattauers Spuren

Der zweite Hinweis auf dem Klappentext, auf Daniel Glattauers E-Mail-Liebesroman „Gut gegen Nordwind“, verrät, was sich der Verlag von diesem Buch wünscht: einen ähnlichen Erfolg. Zufall oder nicht, dass Autor René Freund darin die Verlagswelt aufs Korn nimmt. Um ihren Dichter wieder zum Schreiben zu bewegen, nimmt die Verlegerin Susanne alles in Kauf.

In dem Bergidyll taucht plötzlich die geheimnisvolle Mara auf. Mit seltsamem Akzent (slowakisch?) und Doppel-s-Fehler stellt sie sich als „Gewäzzerwizzenschaftlerin“ vor, die das Fortpflanzungsverhalten der Elbsee-Fische Phoxinus phoxinus erforscht. Da wird über das Sexleben dieser Elbtaler Minipiranhas philosophiert – und schwupp, ist die Kreativität des Dichters zurück.

„Liebe unter Fischen“, das verrät der kurz angerissene Plot, ist eine simpel gestrickte, aber liebenswürdige Liebeskomödie. Dazu kommen ein Hauch sanfte Gegenwartskritik (die Smartphones, die mit ihren Menschen durch die Straßen laufen!), etwas Landlustidealisierung und eine Handvoll angedeuteter Identitätskrisen. Statt E-Mails werden hier altmodisch Briefe geschrieben, was nur deshalb nicht romantisch ist, weil sie an die Verlegerin, nicht die Herzensdamen adressiert sind. Aber erraten: Die Liebe setzt sich am Ende auch ohne elektronische Herzschmerzkorrespondenz durch. Der Titel im Frühjahrsprogramm wohl auch.

Neu erschienen

René Freund

„Liebe unter Fischen“, Deuticke, 206 Seiten, 18,40 Euro

 („Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 10.02.2013)

„Kuckucksmädchen“: Die Nester der anderen

Rezension. Lohmann macht es ihrer entscheidungsschwachen Protagonistin zu leicht, ihr Männerproblem zu lösen.

Einer der ersten war Florian Illies. Als der deutsche Journalist im Jahr 2000 in seinem Buch „Generation Golf“ Beobachtungen über die in den 1970er-Jahren geborenen, in materieller Sorglosigkeit, zwischen Nutella und „Wetten, dass…“ aufgewachsenen Gleichaltrigen machte, wurde er nicht nur zum Bestsellerautor – er hatte dem deutschen Buchmarkt nebenbei zu einem neuen Verkaufstrend verholfen: dem Generationenbuch oder -roman. 

Seither werden Jahr für Jahr hunderte Bücher auf den Markt gespült, die zwanghaft eine bestimmte Gruppe von Menschen unter einem besonderen Schlagwort zusammenfassen wollen. Die heißen dann „Generation Doof“, „Generation Man müsste mal“ und „Generation Laminat“ oder werden, wie von Journalistin Nina Pauer, gleich in eine „Gruppentherapie“ geschickt. Ganz weit oben auf der Liste dieser Sachbücher standen zuletzt Werke über den distanzlosen Umgang mit sozialen Medien und Smartphones, die nach Meinung diverser Autoren eine rastlose, Burn-out-anfällige Jugend heranwachsen lässt.

Die „Generation Option“ hat die 31-jährige Autorin Eva Lohmann für ihren neuen Roman genauer unter die Lupe genommen. Das zumindest verspricht der Klappentext. Tatsächlich geht es in „Kuckucksmädchen“ um die ganz konkrete Geschichte von Wanda. Die 30-Jährige löst im Brotberuf die Haushalte fremder Menschen auf und ist seit drei Jahren mit ihrem Freund Jonathan zusammen. Als der ihr eines Abends über ein Thai-Curry-Huhn gebeugt einen Heiratsantrag macht und nach dem Tod ihrer Großeltern plötzlich eine große Wohnung für die Familiengründung vorhanden wäre, gerät Wanda in Panik. Sie weiß doch nicht, ob Jonathan der Mann ist, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen will.

Das Herz, das spricht

Die reichlich banale Geschichte bekommt zusätzlich eine surreale, aber vor allem lästige Komponente durch Wandas geschwätzige innere Stimme. Es ist ihr vorlautes, bockiges Herz, das in den unpassendsten Momenten mit Wanda zu sprechen beginnt – und es bringt sie auf die Idee, ihre früheren Partner aufzusuchen. Sie besucht also Philipp und seine schwangere Freundin Larissa; danach Max, seine Frau Anouk und die Zwillinge in ihrer plüschig-bunten Heile-Welt-Wohnung und verbringt ein Wochenende mit Ilya. Noch bevor sie Kurzzeitschwarm Clemens persönlich antrifft, begegnet ihr dessen Freundin Mila, die sich als kollegiale Gesprächspartnerin mit therapeutischen Fähigkeiten entpuppt. Mila ist es auch, die Wanda nach ihrer rastlosen Beobachtermission zu den gemachten Nestern ihrer früheren Liebhaber mit sehr einfachen Ratschlägen weiterhilft. Es sei letztlich ganz egal, mit welchem Mann sie ein eigenes Nest baut und Kinder bekommt. „Am Ende sterben wir alle. Wir müssen einfach nur die Angst ablegen, es falsch zu machen. Die Angst vor falschen Entscheidungen.“ Auch wenn das Happy End in diesem nicht sehr tief gehenden Buch immer absehbar war, hinterlässt einen das uninspirierte Ende enttäuscht: Weil schon Protagonistin Wanda schon diese wenigen Sätze reichen, um zu erkennen, dass sie es mit ihrem Jonathan versuchen will.

Dieses Buch ist kein Generationenbuch und das Beste daran ist noch: Es versucht nicht einmal, eines zu sein. Denn Unentschlossenheit ist kein Symptom einer bestimmten Altersgruppe, es ist ein Wesenszug, den manche Menschen mehr und andere weniger oder überhaupt nicht haben. So einfach wie in diesem Plot lässt sie sich im realen Leben nicht immer vertreiben.

(„Die Presse am Sonntag“, Print-Ausgabe, 25.11.2012)

Tom Rachman: Ein Nachruf auf die Zeitung

In seinem Debütroman porträtiert Tom Rachman „Die Unperfekten“ einer englischsprachigen Zeitungsredaktion in Rom, die ihre letzten Atemzüge macht. Ein Journalistenroman, der auch Nichtjournalisten gefallen könnte.

Vielleicht ist es für Zeitungsleser nicht die angenehmste Nachricht. Vielleicht haben sie es aber ohnehin schon immer geahnt: Zeitungen werden von Menschen gemacht, die nicht perfekt sind. Das ist nicht nur in Tom Rachmans Roman so. Das ist einfach so.

Und gerade Rachman muss es wissen. Er war jahrelang Journalist, zuletzt Autor der „International Herold Tribune“, davor Rom-Korrespondent der New Yorker Nachrichtenagentur Associated Press, sein Bruder Gideon Rachman ist Chefauslandskommentator der „Financial Times“. Tom Rachman weiß also, wovon er schreibt. In seinem Debütroman „Die Unperfekten“, der in den USA hymnisch gelobt wurde und soeben auf Deutsch erschienen ist, skizziert er die Protagonisten einer englischsprachigen Zeitungsredaktion in Rom.

Da ist der ideenarme und fast mittellose Paris-Korrespondent Lloyd Burko, der eine Geschichte erfindet, um sich ein paar Euro zu verdienen (Tom Kummer lässt grüßen). Da sind der verkannte Nachrufschreiber Arthur Gopal und die karriereorientierte Chefredakteurin Kathleen Solson und ihr engster Vertrauter, der intelligente Chefkorrektor Herman Cohen. Letzterer verewigt die sprachlichen Fehltritte seiner Kollegen in einem elektronischen Nachschlagewerk, das er selbst „die Bibel“ nennt. Rachman porträtiert die Journalisten mit ihren skurrilen Macken, zeigt die schwer auflösbaren Hierarchien, die in einer Redaktion herrschen, und liefert, als Gegenpol zum Berufsalltag, sehr detaillierte Einblicke in die Privatleben der einzelnen Figuren.


Die Existenz der Zeitung.
Während die erste Hälfte des Buches noch wie ein belangloser, stellenweise bemüht witziger Episodenroman wirkt, entwickelt sich der Plot ab der Mitte zu einem spannenden Drama, in dem es weniger um die Menschen als vielmehr um die Existenz der Zeitung an sich geht. Es liest sich wie ein ehrlich berührter Nachruf auf die Zeitungsbranche.

Rachman erzählt gewissermaßen eine Geschichte in der Geschichte. Vordergründig geht es um den aufreibenden Alltag in einer Printredaktion der Jetztzeit (zwischen 2006 und 2007). Tatsächlich aber erzählt der Autor am Beispiel seiner kleinen römischen Zeitung vom langsamen Scheitern einer in die Krise geratenen Branche. Vermutlich hat er seiner Modellzeitung auch deshalb keinen Namen gegeben. Das Blatt bleibt den ganzen Roman hindurch namenlos. Es steht für so viele kleine und auch größere Zeitungen, die in den vergangenen Jahren vom Tod bedroht waren.

Am Ende jedes Kapitels hüpft Rachman weit zurück. Zuerst in die Gründerjahre der Zeitung rund um 1954, als der reiche Amerikaner Cyrus Ott die „Zeitung“ aus dem Boden stampft, die zu Beginn aus nicht mehr als vier Seiten besteht, aber rasch auf zwölf Seiten und eine Auflage von 15.000 Stück anwächst. Dann in die Sechzigerjahre, in denen der gottgleiche Verleger stirbt. Sein Sohn übernimmt dessen Agenden widerwillig, setzt aber den richtigen Chefredakteur ein. Der führt die Zeitung in den Siebzigerjahren in ihre Hochblüte, beschert ihr Auszeichnungen und einen glänzenden Ruf bis in die großen Redaktionen in Washington und New York. Was auch nicht ewig währt. Der Enkel fährt den Karren im Jahr 2007 an die Wand.

Natürlich bleibt auch genug Platz für die Schilderung des simplen Journalistenalltags von der Redaktionskonferenz bis zum Blattschluss. Da werden „Seiten gebaut“ und Warnungen ausgesprochen, wie viel jede Minute Verspätung beim Redaktionsschluss kostet. Journalisten kennen das. Aber ist „Die Unperfekten“ deswegen nur für Branchenkenner lesenswert?

Die ehrliche Antwort lautet: vermutlich schon. Wobei zur Verteidigung des Autors zu sagen ist: Der Zeitungsleser kommt bei ihm nicht zu kurz. Auch eine treue Leserin porträtiert er. Und die hoffnungsvolle Antwort darf daher wohl lauten: Der wahre Zeitungsleser interessiert sich auch für den Gesundheitszustand der Branche. Und damit auch für dieses Buch.

Tom Rachman
Die Unperfekten

dtv Premium

400 Seiten

15,40 Euro

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.09.2010)