Die klein-kleinen Debatten über den ORF sollten ein Ende haben

Die Schweizer werden am Sonntag gegen das Aus der Rundfunkgebühren stimmen. Bei uns wird die Debatte weitergehen. Hoffentlich nicht so wie bisher.

Die Stimmung in Europas nationalen Rundfunkhäusern ist angespannt. Am kommenden Sonntag sind die Schweizer aufgerufen, für oder gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühr zu stimmen. Die sogenannte No-Billag-Initiative (Billag ist die Schweizer GIS) hat in vielen EU-Ländern eine neue Debatte über Sinn und Unsinn der öffentlich-rechtlichen Sender ausgelöst. Wesentlich dazu beigetragen hat auch die FPÖ mit ihren wiederkehrenden Angriffen auf den ORF. Am Donnerstag haben zwei Dutzend prominente deutsche Fernsehmoderatoren einen offenen Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz geschrieben, in dem sie fordern, er möge den Attacken der FPÖ gegen den ORF Einhalt gebieten. Ein erwartbarer Aufschrei der deutschen Kollegen, aber ein wichtiger.

Kurz gesagt: Derzeit reden wieder alle über das Fernsehen, viele schimpfen, manche sind richtig wütend. Wobei das nicht immer mit dem Programm zu tun hat, aber fast immer mit der Tatsache, dass es etwas kostet. Umfragen in der Schweiz haben gezeigt, dass nur 14 Prozent der befragten Bevölkerung mit dem Programm unzufrieden, dafür mehr als ein Drittel gegen die Gebühren sind. Die Abstimmung in der Schweiz wird am Sonntag trotzdem aller Voraussicht nach mit einem Nein zur Gebührenabschaffung ausgehen. Die Debatte über Ausrichtung und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Senders wird weitergehen.

Und sie ist längst fällig. Nur wird sie immer wieder und aktuell in Österreich falsch geführt. Den ORF abschaffen, wie manche im Furor das fordern, will niemand – also hören wir doch auf, darüber zu reden! Diskutieren wir lieber, ob man manche seiner Sender ausgliedern oder privatisieren kann. Welches Programm er im 21. Jahrhundert bieten muss (um zu überleben) und wie viel Mitspracherecht die Gebührenzahler dabei bekommen sollen. Was muss der Bildungsauftrag sein, der abseits jeden Quotendrucks ausgeführt wird? Gehört die Formel 1 ins Vollprogramm des ORF? Oder die Opernpremiere? Die teure Freitagabendtanzshow? Die aus Amerika zugekauften Filme und Serien?

Es gibt noch immer Menschen, die diese Programme sehen wollen, auch die trashig anmutenden „Vorstadtweiber“, die es sogar ins Angebot von Netflix geschafft haben. Aber es gibt auch welche, die bei so etwas den Fernseher abdrehen. Ein Dilemma, das man rasch lösen sollte. Warum nicht ein paar Kniffe von Netflix oder Sky abschauen und ein neues Abo-System entwickeln. Den Zusehern beispielsweise ein schlankes Basispaket für Information und daneben spezielle Zusatz-Abos für Sport, Kultur, Unterhaltung anbieten?

Etwas Bemerkenswertes passierte dann diese Woche, als die türkis-blaue Regierung ihre neuen Vertreter im ORF-Aufsichtsgremium bekannt gab: Einige der neuen Stiftungsräte waren offenbar sogar in den eigenen Reihen so wenig bekannt, dass zuerst nicht einmal der Mediensprecher der FPÖ wusste, was sie für ihr Amt qualifiziert. Der langjährige FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger gab trocken zu: „Ich musste selbst googeln.“

Gerd Bacher, ORF-Chef in den 70er-, 80er- und frühen 90er-Jahren, hat die Vertreter von Stiftungs- und Publikumsrat einmal „eine Laienbruderschaft“ genannt und damit eines der größten Probleme des ORF benannt: die mangelnde fachliche Qualifikation in den Aufsichtsgremien. Die innovativen Vorschläge für die Zukunft des ORF müssen natürlich aus dem Haus und der Geschäftsführung kommen, aber ein Aufsichtsgremium ist dazu da, die richtigen Fragen und Weichen zu stellen.

Geredet wird aber lieber darüber, welche Berichte der ORF macht und welche nicht, welche Politiker darin zu Wort kommen und welche nicht. Das lähmt vor allem auch den ORF selber. Außerhalb gibt es die einen, die das immer noch interessiert, die jede neue Entwicklung in dem aktuellen Streit zwischen FPÖ und ORF verfolgen. Aber es gibt auch die anderen: die Netflix-Schauer und die YouTube-Surfer, denen der ORF zu selten ein spannendes Programm bietet und die sich deshalb auch nicht für diese klein-kleinen Debatten begeistern können. Dabei brauchen der ORF und jeder öffentlich-rechtliche Sender in Europa vor allem eines: Menschen, die sich für sein Programm interessieren. Zuseher, die gern für das zahlen, was sie täglich sehen und hören. Nur um sie sollte es gehen.

Leitartikel, Die Presse, 2.3.2018