Sagen, was ist

ZweiLogo_fisch+fleisch_RGB Texte sind mir in den vergangenen Tagen aufgefallen. Beide waren von Journalisten, die ganz offen und ohne Umschweife Vorgänge in ihrem eigenen Medium ansprechen. Einmal mit spürbar viel Wut im Bauch, einmal mit so viel professioneller Distanz, als würde es sich um ein fremdes Unternehmen handeln. Cordt Schnibben, Reporter beim „Spiegel“, ist jener Mann mit der Wut im Bauch. Ihm ist am Donnerstagabend der Kragen geplatzt und er hat anlässlich des (lange angekündigten) Abgangs von „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner ein paar Dinge gerade rücken wollen. Er sei nun wieder „optimistisch und ein glücklicher, freier Mensch, der wieder gern zur Arbeit fährt“, schrieb er, und weiter: „Büchner war leider der falsche Mann zum richtigen Zeitpunkt am falschen Ort“. Interessanterweise hat sich Schnibben ebenso viel Lob wie harte Kritik für diesen Text eingefangen. Vor allem beim Konkurrenten Axel Springer – die „Bild am Sonntag“-Chefin etwa tobte – fand man diese klaren Worte über einen Chefredakteur, der ohnehin schon geschlagen vom Schlachtfeld zieht, alles andere als vornehm.

Schnibben kann vermutlich auch deshalb Kritik am jüngsten „System Spiegel“ üben, weil er als erfahrener Printredakteur in jüngster Zeit bewiesen hat, dass er umdenkt und Geschichten wie die über seinen Nazi-Vater und das Ende der DDR auch multimedial aufbereitet hat. Dennoch hat er die Kritik an seinem Arbeitgeber nicht im eigenen Medium, sondern auf seiner privaten Facebook-Seite geäußert. Angst vor einem Rauswurf braucht er sich vermutlich so und so nicht zu machen.

Noch ein bisschen mehr beeindruckt hat mich ein Text von David Carr. Der Medienredakteur der „New York Times“ schafft es wie kein Zweiter in der Branche, schonungslos offen und tatsächlich völlig unpeinlich über die Vorgänge im eigenen Haus zu schreiben. Schon beim Abgang von Chefredakteurin Jill Abramson im Frühling schrieb er einen Text, in dem so unverblümt über die wahren Gründe des Rauswurfs spekuliert und einige offengelegt wurde(n), als wäre es nicht um die „New York Times“, sondern irgendein Konkurrenzblatt gegangen. Diesmal geht es um Kürzungen. 100 Stellen will die „NYT“ streichen, bis heute, Montag können sich Mitarbeiter überlegen, ob sie sich aus ihrem Job rauskaufen lassen wollen. Das sind Fakten, die in unseren Breiten nie die Zeitung oder der Fernsehsender selbst, sondern immer das Medienressort der Konkurrenz hinausposaunen würde. Die „New York Times“ ist da anders – und lässt David Carr nicht nur erzählen, dass er Kollegen kenne, die ernsthaft überlegen, das Handshake-Angebot anzunehmen. Sondern er darf auch die genauen Konditionen schildern. (Drei Wochengehälter pro Anstellungsjahr bekommt jeder Mitarbeiter; wer mehr als 20 Jahre im Haus war bekommt zusätzlich 35 Prozent der Abfertigung draufgeschlagen.) „Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass wir Menschen verlieren werden, die eine jahrzehntelange Erfahrung im Journalismus haben“, schreibt Carr. Dabei sei zwar klar, dass die Times immer größer als jedes einzelne Individuum sei und man ohne Zweifel immer neue Menschen inner- und außerhalb der Zeitung finden würde, die auf ihre Weise sehr faszinierende Dinge tun – dennoch sei es ein bisschen beängstigend, sich damit anzufreunden, den Weg ohne ein paar Leute weiterzugehen.

Cordt Schnibben hat in seinem Text an „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein und dessen Worte „Sagen, was ist“ erinnert. Irgendwann haben viele Medien damit aufgehört, zu sagen, was ist, wenn es um sie selbst oder die Branche geht. Das ist prinzipiell gut so, schließlich sollen sie nicht nur Sprachrohr ihrer eigenen Befindlichkeiten sein. (Zudem ist die Branche ohnehin beinah zu geübt darin, über den allgemeinen Verfall und die Krise zu lamentieren.) Trotzdem: Solange man aber über die erfreulichen Dinge innerhalb eines Mediums berichtet, sollten auch die weniger angenehmen Dinge Platz haben. Und wenn es, so wie bei der „New York Times“, nur dazu dient, dass die Gerüchte außerhalb des Hauses weniger werden. Denn wenn Du selbst sagst, was ist, müssen es die anderen nicht mehr tun.