Phänomedial: Es fehlt der frische Wind auf Highclere Castle

Sechs Gründe, warum uns die fünfte Staffel von „Downton Abbey“ enttäuscht hat – und die eine Sache, die uns am Ende doch noch vertröstet zurückließ.

Ein bisschen viel hatte Julian Fellows, der Drehbuchautor und Regisseur der Adels-Serie „Downton Abbey“ für die fünfte Staffel versprochen. Den Butler Carson ließ er in der ersten Folge sagen: „I feel a shaking of the ground I stand on“ – und wir hatten uns schon gefreut, dass da ein bisschen frische Luft in die seit Staffel drei träge gewordene Serie und in die alten Gemäuer von Highclere Castle kommen würde. Upstairs wie Downstairs.

Nach der Weihnachtsfolge, die der britische Privatsender ITV seit 2010 traditionell am Christtag ausstrahlt, müssen wir aber sagen: Staffel fünf und vor allem die Christmas-Episode haben ziemlich enttäuscht. Die für Herbst 2015 angekündigte Staffel sechs muss da schon gehörig aufdrehen, damit wir selbiges wieder tun. Hier sind sechs Gründe, warum „Downton Abbey“ langweilig wird – und die eine Sache, die uns am Ende doch noch vertröstet hat.

1. Politik ist – immer noch – ein Nebenschauplatz

Wir kennen nun wirklich jede noch so kleine Eigenschaft und (fast) alle Geheimnisse der Bewohner von Downton Abbey sowie der Dienstboten unter der Treppe. Für ein paar ernste Themen zwischendurch oder Politik – wie in Staffel eins und zwei rund um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs – wäre also Sendeplatz genug. Nein, wir wollen kein „House of Cards“ aus der Serie machen, wir wissen schon, dass es in den Adelskreisen nur selten um Politik oder die Probleme der Gesellschaft ging und eher um Dinnerparties und Heiratspläne, aber kaum ein Wort zu politischen oder gesellschaftlichen Umschwüngen außer in der eingangs erwähnten Folge eins? Das finden wir dann doch ein wenig realitätsfremd. Schließlich befinden wir uns im Jahr 1924, aber abgesehen von den zarten Hinweisen auf das Erstarken der Sozialisten und der Wahl des ersten sozialistischen Premierministers Großbritanniens wird nicht viel politisiert.

2. Der Kriminalfall rund um Anna und John Bates ist noch immer nicht gelöst

Zuerst war es er, nun wird plötzlich die stets so brave Anna des Mordes an Alex Green, dem Kammerdiener von Lord Gillingham, verdächtigt. Und sie muss sogar für kurze Zeit hinter Gitter. Unsere Nerven aber liegen bei diesem Paar schon etwas blank, so viel Steine wie ihnen in den Weg gelegt werden. Nach dem Krimi um Bates Ex-Frau in den ersten beiden Staffeln haben wir nun wirklich genug von Alibis, Gefängnissen und Polizeiverhören. Die Kriminalfalldichte hätte der Regisseur etwas gerechter unter den Protagonisten aufteilen können.

3. Tom Branson ist immer noch da

Wir haben aufgehört zu zählen. Folge um Folge, Staffel um Staffel kündigte Tom Branson (gespielt von Allen Leech) seinen Abgang an. Als ehemaliger Chaffeur, der seit der Hochzeit mit der jüngsten Crawley-Tochter Sybil (die bei der Geburt des gemeinsamen Kindes in Staffel drei starb) „upstairs“ lebt, fühlt er sich immer noch nicht als vollwertiges Mitglied der Crawley-Familie. Also will er mit Tochter Sybbie ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nach Amerika, auswandern. Am Ende der jüngsten Staffel macht er immer mehr Ernst damit. Wir glaubens erst, wenn er wirklich weg ist – und geben zu: er wird nicht nur Lord Grantham als umsichtigem Liegenschaftsverwalter fehlen. Im realen Leben ist er übrigens bestens befreundet mit Rob James-Collier, dem Darsteller des in der Serie so fies-grantigen Dieners Thomas Barrow. Schade fanden wir übrigens auch, dass Toms zarte Liebe zur Dorflehrerin Sarah Bunting auch auf Druck von Lord Grantham schon wieder aus war bevor sie überhaupt beginnen konnte. Einmal Chauffeur-Schlossbewohner-und-zurück. Das wärs doch gewesen. Oder kommt da noch was?

4. Lady Mary ist noch immer allein

Liebe wird überbewertet. So denkt nicht nur die Pointen-schleudernde Großmutter Dowager Countess of Grantham, grandios gespielt von Maggie Smith. Auch Lady Mary (Michelle Dockery) hat nach dem plötzlichen Tod von Ehemann Matthew (Dan Stevens) am Ende der dritten Staffel noch immer keinen passenden Nachfolger gefunden. Aus dem Duell zwischen den ebenso smarten wie hübschen Herren Lord Gillingham und Charles Blake stieg am Ende keiner der beiden als Sieger aus. Dabei hat sich Lady Mary sehr modern mit einem der beiden auf außerehelichen Sex eingelassen – was damals vermutlich gar nicht unüblich war, aber im britischen Aristokratie herrschte eben (wie in allen anderen Klassen noch mehr) immer die Gefahr, dass so ein Techtelmechtel auffliegt und der Ruf so richtig ruiniert wäre. Erst in der Weihnachtsfolge taucht zaghaft ein neuer Mann auf Marys Bildfläche auf. Wir vermuten: in Staffel sechs wird wieder geheiratet. Aber wieso dauert das so lange? Romantik mag überbewertet sein, aber sie ist das Salz dieser in die Jahre gekommenen Serie. Also, bitte wieder mehr davon.

5. Lord Grantham wird alt

Ein bisschen wunderlich und rückschrittlich war Pater famillias Lord Grantham (gespielt von Hugh Bonneville) eigentlich von Anfang an. Aber in den letzten beiden Staffeln wurde er noch konservativer und ja, alt. Zuletzt plagte ihn ein Magengeschwür, die harmlose Flirterei seiner Frau Cora mit dem kunstversierten Simon Bricker (gesoielt von Richard E. Grant) vertrug er gar nicht. Würde er sich nicht immer wieder von den Töchtern, seiner Frau oder seiner Mutter seine vorgefertigten Meinungen zu bestimmten Dingen ausreden lassen, wir hätten ihn längst zum Dolm der Serie ernannt. In Staffel fünf überrascht er allerdings im Umgang mit seiner bisher so stiefmütterlich behandelten Tochter Lady Edith und dem Kind, das sie adoptiert – und beweist: dieser Mann hat doch ein bisschen Gespür für Zwischentöne.

6. Sorry, Brits, aber die Amerikaner fehlten

In Staffel fünf kam kein einziger Besuch aus Übersee. Nicht der faule Bruder von Cora (Paul Giamatti), geschweige denn die Mutter Martha Levinson, grandios gespielt von Shirley MacLaine. Es gab überhaupt keinen Besuch und keinen Special Guest. Dabei hieß es irgendwann im Herbst, George Clooney würde in der Weihnachtsfolge einen amerikanischen Gast spielen. Das tat er dann aber nur in einem kleinen Sketch, den das Team für karitative Zwecke drehte. Uns fehlten die zänkischen Dialoge zwischen der britischen Dowager Countess und der amerikanischen Lady, die sich aufgrund ihrer Kulturunterschiede so gar nicht mögen.

– und die eine Sache, die uns am Ende doch noch schmunzeln ließ und mit Plot und Cast der lauwarmen Staffel fünf vertröstet hat: die soll hier, weil doch ohnehin schon so viel gespoilert wurde, nicht komplett verraten werden, weil sie erst so spät (als vorhersehbarer Cliffhanger für die nächste Staffel) am Ende der Weihnachtsfolge passiert. Nur so viel: manchmal braucht die Liebe sehr sehr lange bis sie sich entfalten kann. Vor allem unter der Treppe.

Soziale Netzwerke haben kein Taktgefühl

Eigentlich wollte ich über das Prokrastinieren schreiben, damit kenne ich mich schließlich aus. Und zum Beispiel darüber, welche Ratschläge dieses eine Online-Magazin den sogenannten „heavy procrastinators“ unlängst gegeben hat, damit die 2015 endlich! wirklich! ein für alle Mal! Schluss mit der Aufschieberitis machen. Doch dann fiel mir auf, dass ich damit zugeben würde, meinen Vorsatz aus dem letzten Blogeintrag („Nicht mehr auf die billigen Ratschlag-Fallen im Netz hereinfallen“) noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt zu haben und außerdem gibt es immer wichtigere Dinge, als über das Prokrastinieren zu sinnieren.

Facebook zum Beispiel hat während des vergangenen Weihnachtsfestes wieder einmal ungefragt Daten und Fotos seiner Millionen Kunden zu kleinen „Year in Review“-Kollagen gemacht. Und massenweise drückten die Kunden nach der Durchsicht „ihres Jahres“ auf „Teilen“ und überschwemmten die Timelines ihrer Freunde mit ihrem persönlichen Jahresrückblick, die meisten ohne wenigstens die standardisierte Zeile „Es war ein großartiges Jahr. Danke, dass Du ein Teil davon warst“ zu löschen. Noch bevor der erste Satiriker darauf reagieren konnte, entschuldigte sich Facebook in den USA für die kleinen Pannen, die so ein selbstloser Kundendienst auslösen kann, wenn man den Algorithmus nur machen lässt.

Im Jahresrückblick eines amerikanischen Webdesigners fand sich nämlich nicht nur ein Foto seiner im vergangenen Jahr verstorbenen Tochter, es war vor allem das Titelbild. Nun war die Tochter und ihr Verlust mit Sicherheit prägender Teil seines vergangenen Jahres, dennoch zeigt die Geschichte, dass soziale Netzwerke oder Suchmaschinen eben kein Taktgefühl haben. Autonome Internetnutzer wissen das, sie veröffentlichen vermutlich auch keine heiklen oder sehr berührenden Fotos auf Facebook – und wenn doch, drücken sie nicht auf den „Teilen“-Knopf beim Jahresrückblick, auch wenn ihnen das soziale Netzwerk das täglich fünf Mal anbietet. Und allen anderen kann man auch nicht vorwerfen, sich in einem Selbstdarstellungsmedium des neuesten Selbstdarstellungswerkzeugs zu bedienen.

Interessant ist vielmehr, dass sich der Social-Media-Riese so rasch für die Unsensibilität entschuldigt hat, die sein ungesteuerter Algorithmus ausgelöst hat. Der österreichische Jurist Max Schrems, der seit Jahren gegen Datenschutzvergehen des Netzwerks vorgeht, hat so weit bekannt bisher noch keine Entschuldigung geschweige denn ein Einlenken in den wichtigen beanstandeten Punkten bekommen. In diesem Fall aber entschuldigte sich ein Produktmanager der Firma gegenüber der „Washington Post“. Die App, die diese Rückblicke generiert hat, sei für viele Menschen perfekt, aber in diesem einen Fall habe sie dem Nutzer mehr Trauer als Freude gebracht. Vielleicht ahnt Facebook, dass sich in den kommenden Tagen, wenn immer mehr Kunden ihren Jahresrückblick veröffentlichen, auch diese Pannen häufen werden und hat einfach Angst vor einem Shitstorm zwischen den Jahren? Oder das Unternehmen weiß, dass es das fehlende Taktgefühl seiner Algorithmen nur mit betonter Höflichkeit und Sensibilität wett machen kann.

Die Rückkehr der Arabella Kiesbauer

IMG_6864Eurovison Song Contest 15. Lang war sie die bekannteste Moderatorin des ORF, zuletzt ist es ruhiger um sie geworden. Nun kehrt sie im Frauentrio auf die große Bühne zurück.

Eine kleine Überraschung hat es also doch gegeben. Ei gentlich waren viele davon ausgegangen, das Moderatorenteam für den Eurovision Song Contest 2015 zu kennen. So oft waren zuletzt Alice Tumler, Mirjam Weichselbraun und Song-Contest-Siegerin Conchita Wurst genannt worden. Doch bei der Präsentation im ORF-Zentrum am Küniglberg am Freitag tauchte plötzlich ein vierter Name auf: Arabella Kiesbauer.

Sie stand im Vorfeld auf keiner Spekulationsliste. Vermutlich, weil die gebürtige Wienerin mit deutsch-ghanaischen Wurzeln nicht mehr für den ORF, sondern für die private Konkurrenz arbeitet. Doch für den aktuellen Arbeitgeber ATV, bei dem sie die Kuppelshow „Bauer sucht Frau“ moderiert, ist ihr ORF-Engagement kein Problem. Im Gegenteil, die Personalie lässt sich als logische Fortsetzung der jüngsten Annäherung zwischen dem großen Öffentlich-Rechtlichen und dem kleinen Privaten interpretieren. Gemeinsam bewarben sich die Sender um die Rechte an der Euro League 2015 (die dann an Puls4 und das Sportportal sportnet.at gingen), vor wenigen Wochen trat ATV aus dem VÖP aus, jener Vereinigung Österreichs Privatsender, die ein Gegengewicht zum staatlich subventionierten ORF bilden will. Und am Freitag lobte ATV-Chef Martin Gastinger die Bestellung Kiesbauers als „beste Wahl“ für den Song Contest. Aber auch für Kiesbauer persönlich ist das Engagement eine Chance, sich nach der Geburt ihrer Kinder (eine Tochter, ein Sohn) und Ausflügen ins Privatfernsehen wieder mehr an ihren ersten Arbeitgeber zu binden.

Die heute 45-Jährige war lang eine der prominentesten Moderatorinnen des Landes. Ihre Karriere begann sie Ende der Achtzigerjahre mit der Jugendsendung „X-Large“, fünf Jahre später hatte sie auf Pro7 ihren eigenen Nachmittags-Talk. Der brachte ihr zwar schnell große Bekanntheit ein, rückte sie aber auch in die Trash-Ecke.

Signal für Frauenpower

Beim ORF fiel die Wahl aus mehreren Gründen auf sie. Ihre internationale Herkunft steht einer Show, die weltweit 200 Millionen Menschen sehen, gut an. Dazu kommt die Tatsache, dass die ehemalige Lycée-Schülerin neben Englisch auch fließend Französisch und Spanisch spricht (wie Kollegin Tumler auch). Zudem war sie als Langzeitmoderatorin der ORF-Sing-Talentshow „Starmania“ bei den ersten Bühnenschritten von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst dabei. Seit der von Franz Fuchs an sie adressierten Briefbombe, bei der ihre Assistentin verletzt wurde, gilt Kiesbauer außerdem als eine, die sich gegen Rassismus und für Zivilcourage einsetzt.

Und nun also die ganze große (öffentlich-rechtliche) Showbühne. An der Seite von Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler. Die drei werden die Hauptmoderation der drei Shows (zwei Semifinale und das Finale am 23. Mai 2015) übernehmen. Im sogenannten Green Room hinter der Bühne, also dort, wo die Künstler aus allen Kandidatenländern Platz nehmen, wird Vorjahressiegerin Conchita Wurst moderieren. In den sozialen Netzwerken formulierten manche liebevoll und in Anlehnung an die US-Sitcom: „Three and a Half Women für den Song Contest“.

ORF-Fernseh-Direktorin Kathrin Zechner will mit der Women-only-Besetzung ein Signal setzen. Frauen seien heute wie gestern keine Bedrohung, sagte sie bei der Präsentation am Freitag. Und Weichselbraun ergänzte: Früher habe man immer geglaubt, es brauche einen Mann, der eine Show trägt. Bisher haben schon immer wieder Frauen allein den Song Contest moderiert, aber noch nie waren es drei.

In der Öffentlichkeit wurde die Tripelbesetzung am Freitag nicht nur positiv aufgenommen. In den sozialen Netzwerken taten sie manche als langweilig und vorhersehbar ab. Auch wenn es Applaus für die Entscheidung gab, nur Frauen moderieren zu lassen, fragten sich einige, warum der Song-Contest-Kommentator Andi Knoll vergessen wurde. Im ORF versicherte man, es werde noch viele andere Rollen bei diesem Event geben, die es noch zu besetzen gilt. Die Namen werde man im neuen Jahr bekannt geben.

„Die Presse“, Print am 20.12.2014. Credit: Wallner

Die verpatzte Schluss-Wette: ein Adieu mit drei Fragen

EinmLogo_fisch+fleisch_RGBal noch „Wetten, dass..?“. Bevor die Show ab übermorgen von allen Kanälen verschwindet. Nicht einmal in den Jahresrückblicken wird sie eine Rolle spielen. Denn Dezember-Ereignisse werden dort gern ausgelassen, weil sogar TV-Show-Regisseure einsehen, dass man sich nicht an etwas erinnern muss, was gerade erst passiert ist. Niemand will weiter auf den einhauen, der ohnehin schon erledigt in der Ecke liegt. Aber drei kleine Fragen musss man nach finalen Show am vergangenen Samstag doch noch stellen dürfen:

Waren die Tränen von Markus Lanz echt?
Er soll zum Schluss sogar Tränen in den Augen gehabt haben. Das stand in so gut wie jeder Show-Kritik und in so manchem Liveticker. Ich selbst, das geb ich zu, war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr live dabei, kann mich also nur auf die Überlieferungen der anderen verlassen, wenn es um die Tränen von Markus Lanz geht. Fraglich ist also, wieso jemand so nah am Wasser gebaut ist, der weniger als drei von knapp 34 Show-Jahren gestaltet hat? Noch dazu, wenn nicht einmal Publikum und Gäste wehmütig wurden. Im Gegenteil, so gut wie jeder Gast (außer der Hunde-Leck-Wetten-Paul) schien sich in seinem Unwohlsein mit dem Satz zu trösten: „Gut, ist ja bald vorbei“. War es auch bei Lanz die Erleichterung, die ihn zum Weinen brachte? Der Kummer, dass er diesen Showtanker letzlich einfach nicht steuern konnte? Oder die Erkenntnis, dass sein Spitzengage ab 2015 ausbleiben wird? So traurig muss er gar nicht sein, bleibt er dem ZDF doch erhalten. Wie bisher wird er weiterhin drei Mal pro Woche den Spätabend mit seiner Talkshow füllen. Was uns zur nächsten Frage führt:

Wieso hat sich Lanz nicht auf das wichtigste Gespräch der Sendung vorbereitet?
Bis Samstagabend galt: Markus Lanz kann kleine Talkshow. Kann Gespräch. Aber kann nicht stadiongroße Hallen bespielen. Kann nicht witzig sein. Ausgerechnet bei der Schluss-Wettshow am Samstag zeigte er, dass er auch eklatante Schwächen im ernsten Gespräch hat. Zumindest hätte man sich erwarten dürfen, dass der Moderator ein respektvolles Gespräch mit Samuel Koch hinbekommt. Der junge Mann ist seit dem Unfall bei seiner Wette (mit Springschuhen über ein fahrendes Auto hüpfen) im Dezember 2010 gelähmt und hat nur eine Rolle in Til Schweigers jüngstem Film. Der im Rollstuhl sitzende Samuel Koch aber war gelassener als der Moderator und selbstironisch. Er spielte etwa darauf an, dass er sich bei seinem letzten Besuch nicht von den Leuten hinter den Kameras und den Kulissen verabschieden konnte: „Ich bin da ja irgendwie frühzeitig gegangen, da hatte ich einen steifen Hals an dem Abend.“ Doch Lanz, der den jungen Mann schon ungelenk begrüßte und seine Fragen äußerst kompliziert formulierte, wusste nicht, mit diesem Humor umzugehen – und versprach sich dann auch noch: „Und du hast offensichtlich nicht nur deinen Humor verloren.“ Die deutschen Medien schlachten diese Peinlichkeit nun genüsslich aus und bringen Gesprächsprotokolle. Die Wett-Show hat sich Lanz auch wegen dieses Gesprächs so richtig verpatzt.

Was ist lost mit Thomas Gottschalk?
Damit hat nun wirklich jeder gerechnet, selbst jene, die behaupten, die Show „nur ein oder zwei Mal“ oder „nie“ in ihrem Leben gesehen zu haben: Am Ende hätte der blondgelockte Thomas Gottschalk noch einmal einen seiner Karo- oder Samt- oder Lackanzüge (oder alle drei hintereinander) ausführen und ein paar Blödeleien ablassen sollen. Aber nein. Gottschalk fehlte ebenso wie Ur-Wetten,dass-Vater Frank Elstner. Eigentlich hätte man sich gedacht, dass sich Gottschalk einen Überraschungsbesuch nicht nehmen lassen würde, immerhin hat er die Show mehr als die Hälfte ihrer Lebenszeit moderiert. Aber offenbar sind da seit seinem Abgang Ende 2011 tiefere Gräben zwischen ihm und dem Sender ZDF entstanden oder er ist enttäuscht, dass sein Sendungs-Baby unter Lanz zu Ende ging. Wir wissen es nicht. Aber eine Show, noch dazu eine, bei der sich alles ums Erinnern und Rückschau halten drehte, ohne die beiden bekanntesten Gastgeber, wirkt wie eine Jubiläumsfeier ohne Jubilar. Die letzte Show jedenfalls hat gezeigt, dass die Sendung niemandem abgehen wird.

Warum wir das Warten verlernt haben

Erwachsene lehren ihre Kinder gerade in der Vorweihnachtszeit Geduld. Dabei fällt ihnen selbst das Warten immer schwerer. Ein Zustand, der nicht nur dank Smartphone und Internet aus der Mode kommt.

Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür.“ Es gibt so viele Auszählreime und Sprüche für die Adventzeit, dass man ahnt, worum es bei ihrer Entstehung auch gegangen sein mag: den ganz Kleinen die Wartezeit bis zum 24. Dezember zu verkürzen. Eltern erzählen in diesen Tagen gern, warum sie den Advent abwechselnd verdammen und dann wieder schätzen. Weil die Kinder einerseits so ungeduldig und unausstehlich werden, wenn sie auf das Christkind und die Geschenke warten. Und weil die Kinder andererseits in dieser Zeit des Jahres so leicht zufriedenzustellen sind. Frühes Schlafengehen? Das sei plötzlich kaum mehr ein Problem, weil die Vorfreude auf das Öffnen des Adventkalender-Kästchens so groß ist. Und jeder Dezembertag bringt sie ein Stückchen näher zum 24.

Warten, das ist vor allem für Kinder eine schwierige Übung. Und das nicht nur im Advent – das ganze Jahr über gibt es etwas, worauf man warten kann. Auf den Geburtstag. Auf die Schule. Auf die großen Ferien. Auf die neue Playmobil-Serie. Oder darauf, dass man endlich acht, neun oder zehn Jahre alt ist. Die Eltern sind Meister darin, ihre Kleinen immer wieder zu mehr Geduld zu mahnen. Dabei sind die Erwachsenen selbst gerade dabei, das Warten zu verlernen.

Während des Zähneputzens werden E-Mails abgerufen, in der Warteschlange im Supermarkt SMS beantwortet, und an der Tankzapfsäule wird mit dem Chef telefoniert. Das alles tun wir, weil wir es tun können. Das sogenannte Multitasking wurde uns vor allem im vergangenen Jahrzehnt durch die Entwicklung der Smartphones in vieler Hinsicht erleichtert. Und führt dazu, dass wir Leerläufe im Alltag mit hektischem Hin- und Herwischen füllen, um entweder Dinge zu tun, die früher nur auf dem Schreibtisch und zu Hause erledigbar waren. Oder um eine weitere Runde „Candy Crush“ und „Quizduell“ gegen die Langeweile zu spielen.

Warten ist out

Aber auch in anderen Lebensbereichen lässt sich erkennen, dass das Warten mittlerweile out ist. Serienfans wollen nicht mehr darauf warten, dass die neueste Staffel ihrer Lieblingsserie legal und auf Deutsch synchronisiert erhältlich ist, sondern streamen die neuesten Folgen bereits kurz nach der Ausstrahlung in den USA. TV-Unternehmen wie der Bezahlsender Sky und der Online-Videodienst Netflix haben längst auf dieses Bedürfnis reagiert und bieten Serien in Europa oft nur Stunden nach der Ausstrahlung in Amerika an.

Urlaube werden immer seltener lang im Voraus gebucht, sondern kurzfristig wenige Tage oder Wochen vor dem Abflugtag. Wohl, um sich möglichst lang offenzuhalten, wohin es gehen soll, aber vielleicht auch, um die Vorfreude zu verkürzen. In der Partnerschaftsvermittlung bekommen Online-Dating-Portale, in denen man ellenlange Umfragebögen ausfüllen muss, neuerdings Konkurrenz von Schnell-Apps wie Tinder. Dort kann in Sekundenschnelle ein/e mögliche/r Partner/in gefunden werden. Und wenn er oder sie nicht mehr gefällt oder nicht schnell genug auf die letzte Nachricht antwortet, ebenso rasch wieder ein/e neue/r. US-amerikanische Kaufhausketten erfinden ausgeklügelte Systeme bei den Supermarktkassen, die den Kunden den Eindruck vermitteln, sie würden nicht mehr so lang warten müssen. Und in der Modebranche hat sich längst das Prinzip namens „Shop the Show“ durchgesetzt: Schon während die Models auf dem Laufsteg eine neue Kollektion präsentieren, sind Teile davon online bestellbar.

Die deutsche Eurodance-Band Culture Beat sang bereits vor über zwanzig Jahren in ihrem Song „Mr. Vain“ und in Abwandlung der Queen-Lyrics: „I know what I want and I want it now“. Dieses „I want it now“ hat im Englischen sogar einen Namen: Instant Gratification nennt man jenen Wunsch, Vergnügen oder Entspannung sofort und ohne Verzögerung zu genießen. Die Marktwirtschaft hat mit ihrem „more, bigger, faster“ dazu beigetragen, dass die Gesellschaft in so gut wie allen Lebenslagen nach diesem „Mehr“ und „Schneller“ verlangt.

Relax!

Dass das Warten nicht mehr so en vogue ist wie früher, ist schon seit längerer Zeit unübersehbar. Eine Allensbach-Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass 43 Prozent der Deutschen Warten als Stress empfinden. Die „New York Times“ empfahl bereits im Winter 2013: „Relax! You’ll Be More Productive“ und schreibt seither in regelmäßigen Abständen davon, warum es Sinn hat, öfter einmal innezuhalten und sich in Geduld zu üben. Holm Friebe schrieb zuerst in der „Süddeutschen“ und dann in seinem Buch „Die Stein-Strategie“ davon, dass die menschliche Neigung, in unübersichtlichen Situationen aktionistisch zu handeln, mitunter zu einer gehäuften Fehleranfälligkeit führt: „Man könnte den gesellschaftlichen Action Bias leicht für einen Kollateralschaden der hektischen Neuzeit halten, eine Art gesellschaftlichen Action Bias.“ Er plädiert dafür, ein bisschen mehr dem britischen Spruch „Keep calm and carry on“ zu folgen. Den hat Großbritanniens König George VI. übrigens während des Zweiten Weltkriegs auf Plakate schreiben lassen, für den Fall, dass die Deutschen die Insel tatsächlich besetzen. Da es dazu nie kam, wurden auch die Plakate nie öffentlich ausgestellt.

Für die deutsche Autorin Friederike Gräff ist es eindeutig, dass das Warten ein „unliebsamer Zustand“ geworden ist. Dabei hat diese Tugend einst einen sehr guten Ruf gehabt. In der Mythologie oder in Sagen waren oft jene Figuren, die warten konnten, Helden. Penelope wartete zwanzig Jahre auf die Rückkehr ihres Mannes, Odysseus wartete ebenso wie die Protagonisten in den Werken von Anton Tschechow oder die Figuren in Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“.

Die Romantik des Warten

Friederike Gräff hat sich für die Recherche zu ihrem Buch über das Warten die unterschiedlichsten Aspekte dieses Zustands, der anscheinend etwas aus der Mode gerät, angesehen. Sie schreibt über die Warteschlangen des Ostblocks, in denen vor allem Frauen standen, das Trauerjahr der Witwen und wie das Warten auf lebensrettende Organe gerecht organisiert werden kann. Sie selbst gesteht zwar, keine besonders geduldige Warterin zu sein (siehe Interview rechts), kann dem Thema aber dennoch etwas Romantisches abgewinnen. Und tatsächlich hat die Kunst des langen Atems auch etwas Faszinierendes. Wir bewundern Menschen, die stoisch und gleichmütig etwa auf die große Liebe oder die Gerechtigkeit warten. Das ist der Stoff, aus dem Hollywood-Filme und dicke Romane sind. Aber im Alltag haben wir trotzdem lieber alles sofort und dalli dalli.

Autorin Gräff jedenfalls hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, warum es für Kinder so wichtig ist, nicht nur im Advent Geduld zu üben. Nach Recherchegesprächen mit Psychologen und Experten kommt sie sogar zu dem Schluss, dass aus „geduldig wartenden Kindern erfolgreiche Erwachsene werden“. Das haben berühmte Studien wie das Marshmellow-Experiment an der US-Universität Stanford ergeben. Dabei wurde Kindern angeboten, entweder direkt ein Marshmellow zu bekommen oder später, wenn der Versuchsleiter nach einer Zeit von ungefähr 15 Minuten zurückkam, zwei. Es zeigte sich, dass Kinder, die warten konnten, später nicht nur selbstbewusster, sondern auch beruflich erfolgreicher und sozial kompetenter waren, mit Stress besser umgehen konnten und weniger suchtgefährdet waren.

Das Warten hat deshalb einen so schlechten Ruf, weil es uns in einen Zustand der Hilflosigkeit und Passivität versetzt, so Gräff. Wobei man das Warten auf wirklich wichtige oder sogar lebensverändernde Dinge wie ein neues Organ, ein Pflegekind oder eine Aufenthaltsgenehmigung tunlichst nicht mit den kleinen Alltagswartereien auf die neue Einbauküche, das Designersofa oder den PC, der erst hochfahren muss, verwechseln sollte.

Als letzte Warte-Bastion gilt auch in hyperdigitalen Zeiten das Wartezimmer beim Arzt. Nicht nur an so manchen Einrichtungsgegenständen ist da zu spüren, dass die Zeit stehen geblieben ist. Auch an den immer gleichen Illustrierten, die dort stapelweise gehortet werden. Die Zeit steht in diesen Räumen scheinbar still – das Warten kann einem hier niemand abnehmen. Gerade da merkt der hyperaktive Mensch, wie sehr er von modernen Kommunikationsgeräten wie dem Smartphone abhängig geworden ist. Oder haben Sie in letzter Zeit einmal versucht, einen Arztbesuch ohne ein Mobiltelefon zu überstehen? Ein aufgeladenes Mobiltelefon. [*]

BÜCHER ÜBER DAS WARTEN

[*] Frank Partnoy: „Wait. The Art and Science of Delay“ (2012, Profile Books)
[*] Holm Friebe: „Die Stein-Strategie. Von der Kunst, nicht zu handeln“ (Carl Hanser Verlag, 2013)

[*] Coen Simon: „Warten macht glücklich! Eine Philosophie der Sehnsucht“ (Theiss-Verlag, erscheint im März 2015)

Die Presse am Sonntag, 14.12. 2014

Interview:

Warten mit Zorn: »Drei Minuten können uns sehr aufbringen«

Für die deutsche Autorin Friederike Gräff hat das Warten viele Facetten: Es kann romantisch oder ausdauernd sein, aber auch krank machen. [*] VON ANNA-MARIA WALLNER

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über das „Warten“ zu schreiben?

Friederike Gräff: Mich hat die Ausdauer von Menschen fasziniert, die lange auf etwas gewartet haben – auf die Rückkehr eines wichtigen Menschen etwa oder den Erfolg eines Experiments. Was mich daran fasziniert hat, war die wilde Hoffnung, die darin liegen kann.

Warum ist das Warten-Können in der Kinder-Psychologie so wichtig?
Warten zu können bedeutet, dass man eine gewisse Selbstdisziplin besitzt und ein Bedürfnis nicht unmittelbar befriedigen muss. US-amerikanische Forschungen haben gezeigt, dass Kinder, die dazu in der Lage sind, im späteren Leben beruflich erfolgreicher und im Privaten glücklicher sind, als die, die nicht warten konnten.

Und wie lernt man das Warten später, als Erwachsener, neu oder wieder?
Ich glaube, dass man sich erst einmal bewusst machen muss, wie unverhältnismäßig der Ärger über das Warten-Müssen oft ist: Drei Minuten können uns sehr aufbringen. Von da aus kann man versuchen, diese Zeit statt mit Zorn mit etwas anderem zu füllen: in der Schlange im Supermarkt den Tag Revue passieren lassen oder beobachten, mit wem man da steht und was die anderen Leute eigentlich tun, während sie warten müssen.

Welche Erkenntnis hat Sie bei der Recherche für Ihr Buch am meisten erstaunt?
Dass Warten in der Vergangenheit für große Gruppen existenzielle Ausmaße hatte: etwa für tausende Menschen vom Land, die sich in der Sowjetunion unter Stalin vor den Lebensmittelläden anstellten – auch noch, als es wegen der Produktionseinbußen verboten wurde. Sie hatten schlicht keine Wahl.

Es ist schwierig, den schmalen Grat zwischen dem Warten-Können und dem Man-sollte-nicht-mehr-Warten zu schaffen. Das andere Extrem sind Profi-Prokrastinierer, die alles anstehen lassen oder immer auf den richtigen Zeitpunkt für etwas warten. Das ist auch gefährlich.
Sicher. Eine andere große Falle ist es, das wirkliche und schöne Leben erst in der Zukunft zu erwarten, nach dem Motto: Wenn erst der Prinz auftaucht, der herrliche Job, dann geht es los.

Warten kann aber auch existenziell bedrohlich werden und krank machen, etwa wenn es um eine Organspende oder die Zuerkennung einer Aufenthaltsgenehmigung geht.
Dieses Warten ist eben nicht selbst gewählt, sondern ein Zustand, der als große Ohnmacht erlebt wird. Warten mussten vor allem die Machtlosen – in der Vergangenheit und auch heute. Dass das Warten der Flüchtlinge auf eine Aufenthaltsgenehmigung oder eine Arbeitserlaubnis krank machen kann, ist wissenschaftlich erwiesen.

Worauf warten Sie besonders ungern?
Ich finde es mühsam, auf Antworten anderer Menschen zu warten: Man hängt in der Warteschleife und fragt sich, warum der andere nicht in die Gänge kommt und schnell einmal meine E-Mail beantwortet. [*]

STECKBRIEF

Friederike Gräff
Jahrgang 1972, Journalistin, seit 2006 Redakteurin bei der „Taz“ in Hamburg und zuständig für die Ressorts Justiz und Kultur. 2014 erschien ihr erstes Buch:

»Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands«
Verlag Christoph
Links, 189 Seiten

Sagen, was ist

ZweiLogo_fisch+fleisch_RGB Texte sind mir in den vergangenen Tagen aufgefallen. Beide waren von Journalisten, die ganz offen und ohne Umschweife Vorgänge in ihrem eigenen Medium ansprechen. Einmal mit spürbar viel Wut im Bauch, einmal mit so viel professioneller Distanz, als würde es sich um ein fremdes Unternehmen handeln. Cordt Schnibben, Reporter beim „Spiegel“, ist jener Mann mit der Wut im Bauch. Ihm ist am Donnerstagabend der Kragen geplatzt und er hat anlässlich des (lange angekündigten) Abgangs von „Spiegel“-Chefredakteur Wolfgang Büchner ein paar Dinge gerade rücken wollen. Er sei nun wieder „optimistisch und ein glücklicher, freier Mensch, der wieder gern zur Arbeit fährt“, schrieb er, und weiter: „Büchner war leider der falsche Mann zum richtigen Zeitpunkt am falschen Ort“. Interessanterweise hat sich Schnibben ebenso viel Lob wie harte Kritik für diesen Text eingefangen. Vor allem beim Konkurrenten Axel Springer – die „Bild am Sonntag“-Chefin etwa tobte – fand man diese klaren Worte über einen Chefredakteur, der ohnehin schon geschlagen vom Schlachtfeld zieht, alles andere als vornehm.

Schnibben kann vermutlich auch deshalb Kritik am jüngsten „System Spiegel“ üben, weil er als erfahrener Printredakteur in jüngster Zeit bewiesen hat, dass er umdenkt und Geschichten wie die über seinen Nazi-Vater und das Ende der DDR auch multimedial aufbereitet hat. Dennoch hat er die Kritik an seinem Arbeitgeber nicht im eigenen Medium, sondern auf seiner privaten Facebook-Seite geäußert. Angst vor einem Rauswurf braucht er sich vermutlich so und so nicht zu machen.

Noch ein bisschen mehr beeindruckt hat mich ein Text von David Carr. Der Medienredakteur der „New York Times“ schafft es wie kein Zweiter in der Branche, schonungslos offen und tatsächlich völlig unpeinlich über die Vorgänge im eigenen Haus zu schreiben. Schon beim Abgang von Chefredakteurin Jill Abramson im Frühling schrieb er einen Text, in dem so unverblümt über die wahren Gründe des Rauswurfs spekuliert und einige offengelegt wurde(n), als wäre es nicht um die „New York Times“, sondern irgendein Konkurrenzblatt gegangen. Diesmal geht es um Kürzungen. 100 Stellen will die „NYT“ streichen, bis heute, Montag können sich Mitarbeiter überlegen, ob sie sich aus ihrem Job rauskaufen lassen wollen. Das sind Fakten, die in unseren Breiten nie die Zeitung oder der Fernsehsender selbst, sondern immer das Medienressort der Konkurrenz hinausposaunen würde. Die „New York Times“ ist da anders – und lässt David Carr nicht nur erzählen, dass er Kollegen kenne, die ernsthaft überlegen, das Handshake-Angebot anzunehmen. Sondern er darf auch die genauen Konditionen schildern. (Drei Wochengehälter pro Anstellungsjahr bekommt jeder Mitarbeiter; wer mehr als 20 Jahre im Haus war bekommt zusätzlich 35 Prozent der Abfertigung draufgeschlagen.) „Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass wir Menschen verlieren werden, die eine jahrzehntelange Erfahrung im Journalismus haben“, schreibt Carr. Dabei sei zwar klar, dass die Times immer größer als jedes einzelne Individuum sei und man ohne Zweifel immer neue Menschen inner- und außerhalb der Zeitung finden würde, die auf ihre Weise sehr faszinierende Dinge tun – dennoch sei es ein bisschen beängstigend, sich damit anzufreunden, den Weg ohne ein paar Leute weiterzugehen.

Cordt Schnibben hat in seinem Text an „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein und dessen Worte „Sagen, was ist“ erinnert. Irgendwann haben viele Medien damit aufgehört, zu sagen, was ist, wenn es um sie selbst oder die Branche geht. Das ist prinzipiell gut so, schließlich sollen sie nicht nur Sprachrohr ihrer eigenen Befindlichkeiten sein. (Zudem ist die Branche ohnehin beinah zu geübt darin, über den allgemeinen Verfall und die Krise zu lamentieren.) Trotzdem: Solange man aber über die erfreulichen Dinge innerhalb eines Mediums berichtet, sollten auch die weniger angenehmen Dinge Platz haben. Und wenn es, so wie bei der „New York Times“, nur dazu dient, dass die Gerüchte außerhalb des Hauses weniger werden. Denn wenn Du selbst sagst, was ist, müssen es die anderen nicht mehr tun.

Wer ist wer beim Songcontest 2015?

In fünf Monaten ist Wien Gastgeber des Eurovision Song Contest. Ein Event dieser Größe muss genau geplant werden. Zeit für einen Überblick über die Verantwortlichen beim ORF und in der Stadt.

Porträts von Eva Winroither, Anna-Maria Wallner, Köksal Baltaci und Heide Rampetzreiter.

In weniger als sechs Monaten ist es so weit. Dann soll das größte TV- Unterhaltungsspektakel Europas in Wien stattfinden. Der ORF und Ko-Veranstalter European Broadcasting Union (EBU) stecken mitten in den Vorbereitungen. Am Küniglberg ist ein rund 30-köpfiges Führungsteam – von Regisseur Kurt Pongratz, der u. a. Conchita Wursts Siegerauftritt inszenierte, bis zum Legal Adviser – für die Organisation verantwortlich, in der Stadthalle sind es elf. Moderatoren, Redakteure und externe Berater sind da noch gar nicht mitgezählt. „Die Presse am Sonntag“ stellt einen Teil der Hauptverantwortlichen vor, von denen wir in den kommenden Monaten noch ziemlich oft hören werden.

Die Entscheidungsträger:

Der Songcontest-Sieg ist der vielleicht größte Triumph von Fernsehdirektorin Kathrin Zechner in ihrer aktuellen Amtszeit. Denn sie allein hat gegen internen Widerstand im Winter 2013/14 entschieden, Conchita Wurst ohne teure Vorausscheidung nach Kopenhagen zu schicken. Leicht hat sie es in letzter Zeit innerhalb der Direktorenrunde nicht gehabt. Dafür spenden andere Anerkennung, gerade hat ihr die Stadt Wien den Wiener Frauenpreis im Bereich „Medien und Management“ verliehen. ORF-Chef Alexander Wrabetz hatte zwar gemeinsam mit Finanzdirektor Richard Grasl die heikle Aufgabe zu entscheiden, wo der Songcontest stattfindet und wie viel Geld dafür aufzutreiben ist, dafür kann der Generaldirektor das Event ein Jahr vor der nächsten ORF-Generalswahl (2016) auch dafür nutzen, Werbung für sich zu machen. Schon bei der Begrüßungspressekonferenz von Wurst am Flughafen lächelte er mit der Siegerin vor den Kameras um die Wette.

Der Gastgeber:

Elf Mitarbeiter umfasst das ESC-Führungsteam in der Wiener Stadthalle. An erster Stelle steht der Lenkungsausschuss mit den beiden Geschäftsführern Kurt Gollowitzer und Wolfgang Fischer. Fischer war es auch, der bereits einen Tag nach dem Sieg von Conchita Wurst die Stadthalle als möglichen Veranstaltungsort ins Gespräch brachte. Nun müssen er und Gollowitzer die Entscheidungen absegnen, die von seinem Team (Projektleiterin ESC ist Magdalena Hankus, Zuhdija Begic koordiniert Aufbau und Infrastruktur in den sechs Hallen) vorbereitet wurden. Die Stadthalle als ESC-Location hat für den ORF übrigens so etwas wie einen Heimspielbonus. Mit dem ORF ist Geschäftsführer Fischer nämlich bestens vertraut, war er dort doch selbst 20 Jahre in unterschiedlichsten Positionen tätig. Zuerst als freier Mitarbeiter bei Radio Wien und „Wien heute“, danach als Pressesprecher für das Landesstudio Wien, zuletzt baute er die Public-Affairs-Abteilung des ORF auf. Wie der Küniglberg funktioniert, weiß er also ganz genau. Ohnehin gilt Fischer als bestens vernetzt. Zuletzt aufgetauchte Gerüchte um seine Ablöse als Geschäftsführer der Stadthalle haben sich in Luft aufgelöst. Fischer sitzt in der Stadthalle fester im Sattel denn je.

Die Anheizerin:

Die wenigsten erinnern sich an ihre holprigen Anfänge, als Mirjam Weichselbraun um den Jahrtausendwechsel beim regionalen Fernsehsender Tirol TV sichtlich nervös und ohne eine Miene zu verziehen vorgefertigte Nachrichtentexte vorlas. Angekündigt wurde sie stets als „unsere ganz liebe Kollegin“, am Ende ihres Auftritts durfte sie sich als einzige Moderatorin mit einem lässigen „Ciao“ verabschieden. Fast 15 Jahre und erfolgreiche Stationen bei MTV, ZDF und ORF später moderiert sie nun die Vorausscheidungsshows zum Songcontest 2015 (siehe Musik-Coaches).

Der Projektleiter:

Angeblich hat sich Kathrin Zechner ihren TV-Unterhaltungschef Edgar Böhm als Executive Producer und somit Gesamtleiter des Songcontests gewünscht. So laufen beim langjährigen ORF-Unterhaltungschef schon seit Wochen alle Fäden für das Event zusammen. Böhm berichtet Generaldirektor Wrabetz und den restlichen Direktoren.

Der Eventmanager:

Pius Strobl ist so etwas wie ein Flummi: Er kehrt immer wieder zum ORF zurück. 2010 räumte der frühere Grünen-Bundesgeschäftsführer seinen Platz als ORF-Pressesprecher nach einer Aufregung um eine von ihm angeordnete Journalistenabhöraktion. Alexander Wrabetz hat Strobl nun als externen Eventmanager und Mann für das Grobe in das Songcontest-Team geholt. Mit derzeit neun Mitarbeitern kümmert er sich um Side-Events, das Pressezentrum und die Betreuung der Delegationen aus den anderen Teilnehmerländern.

Der Chefproduzent:

Stefan Zechner ist einer der Songcontest-Spezialisten im ORF. Seit 16 Jahren ist der Showproduzent und Bruder von TV-Direktorin Kathrin Zechner im ORF tätig. Seit 2011 ist er ESC-Delegationsleiter. Diesen Job übernimmt diesmal Stefanie Groiss-Horowitz, was bedeutet, dass sie Österreichs Beitrag planen muss. Zechner ist stattdessen Chefproduzent der Songcontest-Shows. Technischer Produktionsleiter ist Claudio Bortoli.

Der Kommunikationschef:

Noch mehr mit dem Thema vertraut als Kollege Zechner ist nur Roman Horacek. Seit mittlerweile 15 Jahren ist er in der Pressestelle des ORF tätig und betreut dort in der Unterhaltungsabteilung so gut wie alle großen Shows. Seit 2005 war er Head of Press der österreichischen Songcontest-Delegation und ist auch privat ein glühender Fan des Singwettbewerbs. Es ist nur konsequent, dass er nun auch die Pressegeschicke beim Wiener ESC leitet.

Der Weisenrat:

Vielleicht wollte Kathrin Zechner eine ähnliche Blamage wie bei der Brasilien-WM verhindern, bei der Sambatänzerinnen im ORF-Sportstudio tanzten. Jedenfalls hat sich die Fernsehdirektorin ein kleines externes Beraterteam zur Seite geholt, das Ideen für die inhaltliche Gestaltung der Songcontest-Berichterstattung liefert. Darunter sind KHM-Chefin Sabine Haag, Künstler André Heller und die Regisseure Stefan Ruzowitzky und Elisabeth Scharang. Das Team trifft sich alle paar Wochen.

Die Musik-Coaches:

Obwohl Österreich als Gastgeberland fix beim Songcontest-Finale vertreten ist, wird der heimische Teilnehmer mit Bedacht und in der Vorauswahlshow „Wer singt für Österreich?“ ausgewählt (siehe Mirjam Weichselbraun). Dort werden den Jungmusikern vier Coaches zur Seite gestellt: Sängerin Anna F., von Wien nach Berlin ausgewandert, will „ein paar moderne Elemente“ in die Musik einbringen, wie sie bei der Aufzeichnung der ersten Show sagte. Die Deutschen Alec „Boss Burns“ Völkel und Sascha „Hoss Power“ Vollmer sollen wohl mit ihrer Band The Boss Hoss internationale Erfahrung beisteuern. Das Duo verfügt als „The Voice of Germany“-Juroren über reichlich Casting-Erfahrung. Der weiterhin in Wien ansässige Nazar, als Rapper einem dem Songcontest eher fernen Genre zugehörig, dürfte die Rolle des bösen, weil unverblümt ehrlichen Coaches spielen. Seine Kompetenzen sieht er in der Beurteilung der Texte. Auch im Umgang mit Medien können sich die Kandidaten von Nazar einiges abschauen, ist der Musiker doch immer für einen Sager gut. Für den ORF ist der auch in Deutschland erfolgreiche Wiener damit legitimer Nachfolger für den streitbaren Rapper Sido.

 

»Große Chance« für den Songcontest

Sprachtalent Alice Tumler und ESC-Profi Andi Knoll könnten das Finale moderieren. 

Von Eva Winroither und Anna-Maria Wallner

Noch ist es nicht bestätigt, doch intern soll es so gut wie fix sein. Wie „Die Presse“ aus ORF-Kreisen erfuhr, werden voraussichtlich Alice Tumler und Andi Knoll das Finale des 60. Eurovision Song Contest am 16. Mai in Wien moderieren. Die beiden sind ein eingespieltes Team, stehen sie doch schon seit 2013 bei der Freitagabendshow „Die große Chance“ gemeinsam vor der Kamera. Der ORF will die Moderatoren rund um den 15. Dezember bekannt geben und Spekulationen derzeit gar nicht kommentieren.

Vor allem die Wahl von Alice Tumler würde Sinn ergeben. Die 35-Jährige fiel bei der insgesamt eher missglückten ORF-Live-Übertragung des jüngsten Life Ball positiv auf. Bei den Backstage-Interviews brillierte sie dreisprachig, weil sie mühelos mit dem Designer und Conchita-Wurst-Fan Jean Paul Gaultier auf Französisch parlierte, mit dem Fotografen David LaChapelle auf Englisch. Auch wenn Tumler in Österreich erst durch die „Große Chance“ bekannt wurde, ist die gebürtige Innsbruckerin, die mit 19 zum Journalismus- und Soziologiestudium nach London zog, im TV-Geschäft ein alter Hase – vor allem bei der Moderation von Musik-Events. Die Mutter einer Dreijährigen, die hauptsächlich in Lyon lebt, startete ihre Karriere im französischen TV beim Musiksender Trace TV, moderierte später das größte panafrikanische Musik -Event sowie Musikfestivals und Liveshows für den deutsch-französischen Sender Arte, für den sie heute noch tätig ist.

Zwei Tiroler für den Songcontest. Dass sie mindestens vier Sprachen (neben den bereits erwähnten auch Italienisch) spricht, ist nicht die schlechteste Voraussetzung, um bei dem europäischen Wettbewerb zu reüssieren.

Auch die Besetzung von Andi Knoll (42) wäre logisch. Schließlich kommentiert der gebürtige Tiroler und Ö3-Mann die Songcontest-Übertragung im ORF seit mittlerweile 15 Jahren. Ein weiteres Indiz, das für sein Engagement sprechen würde, ist die Tatsache, dass man Knoll, der bis vor Kurzem u. a. abwechselnd mit Robert Kratky den Ö3-Wecker moderierte, neuerdings aus dem Radio weghaben will. Angeblich, weil man Platz für den Nachwuchs machen will (sein Nachfolger ist der 24-jährige Philip Hansa). Vielleicht aber auch nur, weil Knoll im neuen Jahr mehr Zeit für den Songcontest brauchen wird.

Happy Birthday, Joan Didion!

Zum 80. Geburtstag der wunderbaren US-amerikanischen Autorin gratuliere ich mit einem Foto aus der heutigen „Süddeutschen“ und mit meiner Rezension eines ihrer jüngsten Bücher vom 18. 3. 2012, „Presse am Sonntag“

Didi

Die Trauer in Worte fassen

Zuerst starb ihr Mann, zwei Jahre später die Tochter. In »Blaue Stunden« versucht Joan Didion sowohl den Verlust der Tochter als auch die Beziehung zu ihr aufzuarbeiten.

„Lässt für die Sterblichen größeres Leid sich erdenken, als sterben zu sehen die Kinder?“ Der Satz stammt von Euripides. Joan Didion hat daraus ihre eigene Version gemacht: „Wenn wir von Sterblichkeit reden, reden wir von unseren Kindern“, sagt sie, und wer würde dieser Frau widersprechen? Drei Mal innerhalb von fünf Jahren stand die heute 77-Jährige vor der marmornen Urnenwand in der Manhattaner Kathedrale St. John the Divine, um die Asche einer ihrer Liebsten zu beweinen: 2001 war es die ihrer Mutter, 2003 die ihres Ehemannes und 2005 die ihrer Tochter.

Als ihr Ehemann, der bekannte Journalist und Autor John Gregory Dunne, mit dem sie mehr als 40 Jahre zusammenlebte, am 30. Dezember 2003 einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, liegt ihre gemeinsame Adoptivtochter Quintana Roo im künstlichen Koma auf der Intensivstation.

Zweites Buch über das Sterben

Den schmerzvollen Verlust ihres Mannes und die Sorge um die in Lebensgefahr befindliche Tochter beschrieb Didion bereits 2005 in ihrem hochgelobten Werk „Das Jahr magischen Denkens“, das sie als Autorin weltbekannt gemacht hat. In ihrem neuen Buch „Blaue Stunden“ erzählt sie, was ihr danach eine Zeit lang dabei half, weiterzuleben, „in Schwung zu bleiben“, wie sie es nennt: Ein Freund hatte die Idee, das „Jahr magischen Denkens“ als Ein-Personen-Stück auf den Broadway zu bringen. Vanessa Redgrave spielte die Hauptrolle (und kam mit dem Stück im Sommer 2008 auch nach Salzburg). Joan Didion mochte die Arbeit am Theater, die Proben, aber vor allem das Stück selbst – weil der Ausgang der Geschichte offen blieb: Als sie das „Jahr magischen Denkens“ beendet hatte, war Quintana noch am Leben.

Sieben Monate später war sie tot. Das zweite Buch über den Verlust eines geliebten Menschen, über das Sterben ihrer Tochter, hat nicht nur viel länger gedauert, es hat der psychisch wie physisch angeschlagenen Autorin auch mehr Kraft geraubt. Ihre klare, sehr direkte Sprache hat sie aber nicht verloren. Knapp und eindringlich, mit Vorliebe zur Satzteilwiederholung, schildert sie die Krankengeschichte ihrer Tochter, den Moment, in dem ihr klar wurde, dass ihr Kind sterben wird, und die Zeit der Trauer, die sie noch immer nicht überwunden hat. Interessant ist: Didions Sprache ist so schnörkellos, ihr Stil so frei von Selbstmitleid, fast apathisch, dass man sich nie dabei ertappt, Mitleid zu empfinden oder eine Träne der Rührung zu verdrücken.

Erinnerungsmosaik

Die Erzählung hat, anders als das „Jahr“ keine Chronologie. „Blaue Stunden“ ist ein Mosaik aus Erinnerungen, der Titel bezieht sich auf die lange Dämmerung im Sommer, die bei Didion gegen Ende „ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit“ auslöst. Von Quintanas Hochzeit im Sommer 2003, nur wenige Monate bevor sie ins Koma fällt, wechselt Didion zu jenem Tag im März 1966 als sie die neugeborene Quintana aus dem Krankenhaus abholen konnten. Sie schildert, wie Quintana mit Anfang 30 Kontakt mit ihren leiblichen Eltern und ihrer Schwester aufnimmt und dadurch nachhaltig verstört wird, und sie zeichnet das Bild einer sehr einfühlsamen, frühreifen und gleichermaßen selbstbewussten wie unsicheren Tochter, die sich ihrerseits Sorgen um die eigene Mutter machte: „Sie betrachtete mich als jemanden, der selbst Hilfe brauchte“, schreibt Didion an einer Stelle.

Letztlich ist das Buch auch der Versuch, Zeugnis über das Elternsein abzulegen (Waren wir gute Eltern?) und das Altwerden (Wen kann ich bei einem Notfall anrufen?), die eigene Sterblichkeit zu erkennen. Antworten findet Joan Didion keine, aber ihr beim Denken zuzuhören, hilft dabei, eigene Antworten auf diese Fragen zu bekommen. 

(Credit: Screenshot App der  Süddeutschen Zeitung/AP Photo/Kathy Willens)

 

Phänomedial: Claire, Garett & Galina – der Netflix-Effekt

Phänomedial: Zwanzig Prozent der Eltern in den USA benennen ihre Kinder nach den Hauptfiguren aus ihren Lieblingsserien. Besonders stark vertreten ist „House of Cards“.

House of Cards kehrt im Februar für die dritte Staffel zurück. / Bild: HouseofCards

Die gute Nachricht für Fans der bitterbösen Polit-Intrige „House of Cards“: Der Termin für den Start von Staffel drei steht seit Montag fest und zeigt zunächst einmal, dass Netflix nicht zwei Mal auf den selben Schmäh zurückgreift. Staffel zwei ging heuer nämlich am 14. Februar online. Das Valentinstags-Programm war dann zumindest für jene Paare gestrichen, die nicht beide der Serie rund um den demokratischen Vizepräsidenten Frances Underwood und seiner Frau Claire verfallen sind. Diesmal aber gehen die zehn neuen Folgen erst am 27. Februar online. Der kurze Teaser zur Show, der auf Twitter mit der Zeile „A little note from the White House“ veröffentlicht wurde, ist mit zwölf Sekunden fast schon empörend kurz – und: ohne Ton. 

Wie viele Menschen sich in den USA auf die Fortsetzung der Serie freuen, lässt sich natürlich nur schwer berechnen. Dass sich die Amerikaner aber offenbar sehr von ihren Lieblingsserien beeinflussen lassen, wird nun wieder einmal bestätigt. Zumindest wenn es um die Namenwahl ihrer Kinder geht. Kürzlich wurden die beliebtesten hundert Babynamen veröffentlicht und bei Durchsicht der Liste zeigt sich etwas, was bereits den Fachbegriff „Netflix-Effekt“ bekommen hat: Zwanzig Prozent der Eltern benennen ihre Kinder nach den Hauptfiguren aus ihren Lieblingsserien. Zwar sind in den vorderen Rängen nach wie vor eher unverdächtig „normale“ Namen wie Sophia, Emma und Olivia oder Jackson, Aiden und Liam zu finden, aber auf den hinteren Rängen steigen vor allem solche Namen rapide an, die einem aus Serien bekannt sind.

Mein Sohn heißt wie der Serien-Präsident

Besonders stark vertreten ist da das eingangs erwähnte „House of Cards“: Dabei ist der beliebteste Name aus der Serie Garrett (so heißt der US-Präsident darin), erst danach kommen Frank und Frances (beide in Anlehnung an die Hauptfigur Underwood), Claire (Mrs. Underwood), Zoe (die Journalistin) und Remy (der Lobbyist). Diese Namen sind 2014 bis zu 16 Prozent öfter für den Nachwuchs ausgesucht worden als im Jahr davor. Auch Robin (zwölf Prozent) und Wright (plus 65 Prozent), also Vor- und Nachname der Schauspielerin haben deutlich zugelegt.

Noch beliebter als „House of Cards“ ist in den USA die Frauengefängnisserie „Orange is the New Black“. Wobei interessant ist, dass sich hier nicht der Vorname von Hauptfigur Piper Chapman besonderer Vorliebe freut, sondern vor allem der von Galina „Red“ Rednikov, der mächtigen Küchenchefin, mit der sich Piper zunächst anlegt.

Das private Institut, das Jahr für Jahr die Babynamen – nicht von offizieller Seite – ermittelt, beobachtet schon länger den Trend, dass sich Eltern bei der Namenssuche von Serien inspirieren lassen. 2012 war Arya jener Mädchenname, der am stärksten zugelegt hatte – so heißt eine der Figuren aus „Game of Thrones“. Die Namen Bella und Isabella wiederum sind auch deswegen beliebt, weil vor einigen Jahren so viele Menschen der Vampir-Schmonzette „Twilight“ verfallen sind. Alles in allem sagen die Namenexperten also: Einen Serientick hatten Eltern auch schon früher. Das Jahr 2014 aber könne man als das Jahr der „Bingewatching-Babys“ bezeichnen.

Ein Trend, bei dem Österreich nicht mitmacht

Übrigens: In Österreich hat sich der Trend bislang noch nicht durchgesetzt. Hier sind weder die Namen aus den US-Serien beliebt, noch jene aus den österreichischen Produktionen. Zumindest schafften es die Namen Ursula („Schnell ermittelt“), Bibi („Tatort“) sowie Gerhard und Richard (Hauptfiguren aus „Braunschlag“) bisher noch nicht unter die Top Ten. Auch ist mir nicht bekannt, dass es besonders viele unter 20-jährige Männer namens „Richard“ gibt. Was aber hätte sein können. Schließlich war damals „Kommissar Rex“ damals eine der beliebtesten Produktionen der Österreicher. Und der Hauptkommissar (gespielt von Tobias Moretti) hieß Richard. Erinnern Sie sich noch?